Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit verpflichtet ist, einen Teil des Kindergeldes, das der Beigeladene erhält, an die Klägerin auszuzahlen.

Die Klägerin, geboren am 28. März 1972, ist das eheliche Kind des Beigeladenen. Für sie erhält die Mutter das Kindergeld in Höhe von 50,-- DM monatlich. Bei dem Beigeladenen wird sie für die Berechnung der Höhe des Kindergeldes, das er für seine beiden Kinder aus zweiter Ehe erhält, als Zählkind (1. Kind) berücksichtigt. Dadurch erhöhte sich sein Kindergeldanspruch nach § 10 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) um 150,-- DM (sogen. Zählkindervorteil). Der Beigeladene ist verpflichtet, der Klägerin seit dem 1. Mai 1978 monatlich 200,-- DM Unterhalt zu zahlen. Dieser Verpflichtung kommt er nicht nach.

Die Klägerin beantragte im September 1979 die Auszahlung des Zählkindervorteils in Höhe von 150,-- DM auf das Konto der Vormundschaftskasse des Landes Berlin (das Jugendamt Spandau ist der Mutter der Klägerin als Beistand gemäß § 1685 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- bestellt worden). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, bei der Anwendung der Auszahlungsvorschrift des § 48 Sozialgesetzbuch -Allgemeiner Teil- (SGB 1) sei davon auszugehen, daß auf Zählkinder kein anteiliges Kindergeld entfalle (Bescheid vom 14. September 1979, Widerspruchsbescheid vom 16. November 1979).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 67,-- DM monatlich auszuzahlen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. März 1980).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin "festgestellt, daß zwischen den Beteiligten ein Rechtsverhältnis nach § 48 Abs. 1 SGB 1 besteht" (Zwischenurteil vom 28. Oktober 1980). Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Rechtsstreit sei dem Grunde nach spruchreif, denn die grundsätzliche Berechtigung der Klägerin, im Rahmen des § 48 SGB 1 einen Teil des dem Beigeladenen zustehenden Kindergeldes ausgezahlt zu erhalten, stelle ein Rechtsverhältnis dar, das den Grund des Anspruchs i.S. des § 304 Abs. 1 Zivilprozeßordnung (ZPO) bilde und daher Gegenstand des Grundurteils sein könne. Es hat die Auffassung des SG geteilt, daß die frühere Regelung der Abzweigung von Kindergeld nach § 12 Absätze 3, 4 BKGG, wonach an Zählkinder Teile des Kindergeldes nicht hätten abgezweigt werden können, durch § 48 SGB 1 geändert worden sei, der eine entsprechende Regelung nicht enthalte.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 12 Abs. 4 BKW i.V.m. § 48 SGB 1. Eine Auszahlung von Teilen des Kindergeldes an Zählkinder sei nach wie vor ausgeschlossen, da auf sie nach der auch im Rahmen von § 48 SGB 1 weiterhin zu berücksichtigen Vorschrift des § 12 Abs. 4 BMG kein Teil des Kindergeldes entfalle; es werde vielmehr ausschließlich für die Zahlkinder gewährt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Berlin vom 28. Oktober 1980 und das Urteil des SG Berlin vom 28. März 1980 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben, das des SG ist abzuändern. Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß ein Teil des dem Beigeladenen gewährten Kindergeldes an sie ausgezahlt wird.

Bei dem angefochtenen Urteil handelt es sich, wie sich aus seiner Bezeichnung und den Gründen ergibt, um ein Zwischenurteil über den Grund des geltend gemachten Anspruchs nach § 304 ZPO. Ob ein solches in der ZPO geregeltes Urteil im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 202 SGG zulässig ist, obwohl § 130 SGG eine besondere Vorschrift über den Erlaß eines Grundurteils enthält, kann dahinstehen (vgl. einerseits Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl. 1981, RdNr. 3 zu § 125; Bley, Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit, 1976, S. 133, wonach ein Zwischenurteil über den Grund nur bei reinen Leistungsklagen, nicht jedoch bei verbundenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen zulässig sein soll; andererseits Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Stand: 1. August 1981, Anm. 2 zu § 130; Zeihe, Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung, 5. Aufl., Stand: 1. Januar 1981, Anm. 1a zu § 130, die ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO für zulässig halten).

Die Klägerin kann nicht verlangen, daß ihr ein Teil des Kindergeldes des Beigeladenen ausgezahlt wird, denn die Voraussetzungen des § 48 SGB 1 sind nicht erfüllt.

Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Die vor dem Inkrafttreten des SGB 1 am 1. Januar 1976 geltende Vorschrift des § 12 Abs. 3 BKGG, in der die Auszahlung von Kindergeld an eine andere Person oder Stelle als dem Berechtigten ausdrücklich geregelt war, ist durch Art. II § 12 SGB 1 gestrichen worden. Schon nach der früheren Rechtslage konnte ein Zählkind nicht die Auszahlung von Kindergeld verlangen, denn nur das Kindergeld konnte an eine andere Person oder Stelle ausgezahlt werden, das "auf ein Kind entfällt". Nach dem immer noch geltenden § 12 Abs. 4 BKGG i.d.F. des Einkommensteuer-reformgesetzes (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I, 1769, 1848; Neufassung unter Berücksichtigung der Auslegung des früheren § 12 Abs. 4 BKGG durch das Bundessozialgericht -BSG- in BSGE 30, 135) entfällt jedoch auf ein Zählkind kein Kindergeld. Als auf ein Kind entfallendes Kindergeld gilt der Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf alle Kinder, für die dem Berechtigten Kindergeld gewährt wird, ergibt. Für ein Zählkind wird dem Berechtigten aber kein Kindergeld gezahlt.

Obwohl durch § 48 SGB 1 und die Streichung des § 12 Abs. 3 BKGG in Art. II § 12 SGB 1 die Auszahlung des Kindergeldes an andere als den Leistungsberechtigten auf eine völlig neue Rechtsgrundlage gestellt worden ist, kann Kindergeld, auch in Höhe des Zählkindervorteils oder eines Teils hiervon, nach wie vor nicht an ein Zählkind ausgezahlt werden. Dies kann allerdings - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht damit begründet werden, daß § 12 Abs. 4 BKGG ungeachtet der Vorschriften des SGB 1 über die Auszahlung, Übertragung, Verpfändung und Pfändung von Kindergeld (§ 48 ff SGB 1) immer noch gilt (sofern in dem Urteil des damals für das Kindergeldrecht zuständigen 8. Senats des BSG vom 25. Oktober 1977 - BSGE 45, 95, 108 - ebenfalls diese Auffassung zum Ausdruck kommen sollte, folgt der Senat ihr nicht). Daß § 12 Abs. 4 BKGG bisher nicht gestrichen worden ist, beruht nämlich lediglich darauf, daß er für die Auslegung anderer Vorschriften, die sich auf ihn beziehen, wie z.B. § 1615g BGB , weiterhin erforderlich ist (vgl. BR-Drucks 385/48 vom 1. September 1978, S. 3, zu dem Entwurf des Achten Gesetzes zur Änderung des BKGG vom 14. November 1978; vgl. auch § 583 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Weder § 48 SGB 1 noch die §§ 53, 54 SGB 1 enthalten jedoch die Formulierung des § 12 Abs. 4 BKGG oder eine Bezugnahme auf diese Vorschrift. Vielmehr sollte ursprünglich der ganze § 12 BKGG mit dem SGB 1 gestrichen werden (BR-Drucks 305/72, S. 13); Abs. 4 blieb lediglich aus "redaktionellen'' Gründen erhalten (BT-Drucks 7/3738, S. 34, BT-Drucks 7/3786, S. 6), ohne daß hieraus der Schluß gezogen werden könnte, daß deshalb die Regelung des § 12 Abs. 4 BKGG weiterhin u.a. für die Auszahlung von Kindergeld unmittelbare Bedeutung haben sollte.

Daß auch, nachdem § 12 Abs. 3 BKGG durch § 48 SGB 1 ersetzt worden ist, Kindergeld oder ein Teil hiervon nicht an Zählkinder ausgezahlt werden kann, ergibt sich aus der bei der Auslegung des § 48 SGB 1 zu berücksichtigenden (vgl. § 37 SGB 1) Zweckbestimmung dieser Leistung einschließlich des Zählkindervorteils. Nach § A Satz 1 ist eine Auszahlung an die Kinder des Leistungsberechtigten nur bei solchen laufenden Geldleistungen möglich, "die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind". Dabei bezieht sich diese Einschränkung grundsätzlich auf den Lebensunterhalt des Leistungsberechtigten. Dem die Auszahlung laufender Geldleistungen an andere Personen oder Stellen als den Leistungsberechtigten ist ein gezielter Eingriff in seine Verfügungsbefugnis, der sich nach der Sicherungsfunktion der Leistungen nur auf die der Sicherung seines Lebensunterhalts dienenden Leistungen beziehen kann. Selbst wenn man davon ausgeht, daß das dem Familienlastenausgleich dienende Kindergeld (BSG SozR 5870 § 2 Nrn. 11 und 21; BVerfGE 23, 258, 263 f) auch der Sicherung des Lebensunterhalts des Kindergeldberechtigten zu dienen bestimmt ist, dient es doch in gleicher Weise auch dem Lebensunterhalt der Kinder, für die es gezahlt wird. Die Auszahlung an eine andere Person oder Stelle als den Leistungsberechtigten berührt also nicht nur die Sicherheit seines Lebensunterhalts, sondern auch den der Zahlkinder. Deshalb darf das Kindergeld grundsätzlich nicht an eine andere Person oder Stelle als den Kindergeldberechtigten ausgezahlt werden. Eine Ausnahme davon kann nur beim Zahlkind - dem Kind, für das Kindergeld gezahlt wird - in Betracht kommen, weil durch die Auszahlung an das Zahlkind die Sicherungsfunk-tion des Kindergeldes nicht beeinträchtigt wird. Um eine solche Ausnahme handelt es sich aber bei dem hier gegebenen Auszahlungsbegehren eines Zählkindes nicht. Denn für das Zählkind wird dem Kindergeldberechtig-ten kein Kindergeld gezahlt. Das wird deutlich, wenn die Zahlkinder als solche wegfallen. Dann entfällt nämlich trotz fortbestehender Belastung durch das Zählkind mit dem Kindergeld auch der Zählkindervorteil. Selbst wenn also wegen der Berücksichtigung eines Zählkindes dem Kindergeldberechtigten für die in seiner Familie leben-den Kinder höhere Kindergeldbeträge gezahlt werden als er ohne das Zählkind erhalten würde, wird ihm nach der gesetzlichen Konstruktion das Kindergeld nur wegen der Kinder, für die er allein oder vorrangig anspruchsbe-rechtigt ist, gezahlt. Für das als Zählkind zu berücksichtigende Kind wird nicht ihm, sondern einer anderen Person das Kindergeld gewährt, und zwar ebenfalls als Ausgleich für die durch die Betreuung entstehenden bzw. unterstellten finanziellen, mindestens aber persönlichen Opfer. Hierbei kann es vorkommen, daß das Zählkind als Zahlkind je nach der Reihenfolge, in der es zu berücksichtigen ist, einen weiteren Zählvorteil auslöst. Eine doppelte Beteiligung des Zählkindes an den staatlichen Kindergeldleistungen, nämlich einerseits an dem Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten und andererseits in dem durch den Zählkindervorteil erhöhten Kindergeld des nachrangig Berechtigten, widerspräche der gesetzlichen Regelung im BKGG. Zwar ist der Grund für die Beibehaltung des Zählkindervorteils darin zu sehen, daß ein Kindergeldempfänger auch durch ein Zählkind noch wirtschaftlich belastet werden kann (BT-Drucks 7/2032, S. 11). Dies bedeutet jedoch nicht, daß ihm das erhöhte Kindergeld "für" das Zählkind gezahlt wird, denn das Kindergeld wird nach § 10 BKGG nicht wegen des Zählkindes, sondern wegen der Zahlkinder gewährt. Diese gesetzlich geregelte Zuordnung des Kindergeldes, auch wenn es wegen eines Zählkindes erhöht ist, hat das BSG bereits in seinem Urteil vom 13. November 1969 (BSGE 30, 135 = SozR § 12 BKGG Nr. 5) als maßgebend für Abtretung und anderweitige Auszahlung erachtet. Diese Zuordnung ist nach wie vor maßgebend und weder durch das EStRG noch durch das SGB geändert worden. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) geht unter Hinweis auf das vorgenannte Urteil davon aus, daß nach dem Regelungszweck des BKGG der Zählkindervorteil allein dem Empfänger des durch diesen Vorteil erhöhten Kindergeldes zu verbleiben hat (BGH FamRZ 1981, S. 26 = MDR 1981, S. 124; BGH FamRZ 1981, S. 650 = MDR 1981, S. 923). Daß bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs nichtehelicher Kinder nach §§ 1615g BGB, 4 Regelunterhalts-Verordnung und möglicherweise auch bei Nichtzahlung des gesetzlichen Unterhalts (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1981, 1196) der Zählkindervorteil zu berücksichtigen ist, kann die Verpflichtung der Verwaltung, diesen Zählkindervorteil entsprechend der Unterhaltspflicht auszuzahlen, nicht rechtfertigen.

Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß angesichts der vielen denkbaren Möglichkeiten , ob und ggf. wie ein oder mehrere Zählkinder den Kindergeldanspruch erhöhen können, die gesetzlich vorgesehene Zuordnung des Kindergeldes bei dem Kindergeldberechtigten, auch wenn es durch einen Zählkindervorteil erhöht ist, im Interesse der Klarheit und Rechtssicherheit gewahrt bleiben muß. Jede Aufspaltung des Kindergeldanspruchs in einen Teil, der für die Zahlkinder, und in einen anderen Teil, der wegen eines oder mehrerer Zählkinder gezahlt wird, würde zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen, zumal dann, wenn eine solche Aufteilung des Kindergeldanspruchs von Unterhaltsansprüchen der Zählkinder abhängig gemacht würde. Das BKGG enthält klare Regelungen, wem das Kindergeld zu zahlen ist. Allein hierüber haben im Streitfall die Sozialgerichte zu entscheiden. Demgegenüber ist es Aufgabe der Zivilgerichte, die Unterhaltsansprüche der Kinder gegenüber den Elternteilen zu klären. Es liegt nicht im Regelungszweck des BKGG, daß die Verwaltung oder die Sozialgerichte incidenter diese Unterhaltsansprüche feststellen, zumal dies ohnehin für die Zivilgerichte nicht verbindlich wäre.

Da eine Auszahlung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 ebenfalls eine Geldleistung voraussetzt, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt ist, und § 48 Abs. 2 SGB 1 nur den Fall regelt, daß der Leistungsbe-rechtigte gegenüber den die Auszahlung verlangenden Kindern nicht kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist, entfällt ein Anspruch der Klägerin auf Auszahlung eines Teils des Kindergeldes auch nach diesen Vorschriften.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518298

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