Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.09.1961)

SG Düsseldorf (Urteil vom 14.07.1959)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. September 1961 wird aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Juli 1959 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Der am 26. März 1939 geborene Kläger erlitt am 15. April 1958 durch ein Explosionsunglück schwere Verletzungen, insbesondere verlor er den linken Unterarm. Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dies als Arbeitsunfall anzusehen ist.

Der Kläger lernte nach dem Volksschulbesuch drei Jahre lang den Beruf eines Destillateurs bei der Firma D. in Krefeld-Uerdingen, wo er nach seiner mit „gut” bestandenen Gehilfenprüfung als Destillateur weiterhin beschäftigt blieb. Häufig mußte der Kläger auch im Faßlager der Firma D. am Silbersee bei Kapellen, das unter der Aufsicht des im Jahre 1909 geborenen Lagerverwalters Wilhelm L. senior stand, bei Verladearbeiten tätig sein. In diesem Lager wie auch im Hauptbetrieb von D. zu Uerdingen wurde in Tonnen das Unkrautvertilgungsmittel Kadil aufbewahrt, das zur Unkrautbekämpfung auf den wegen im Werksgelände benutzt wurde. Die Kadil-Behälter waren nicht unter Verschluß. Belegschaftsmitglieder von D. hatten entdeckt, daß man mit Kadil Explosionsversuche machen konnte; seit 1956 hatten Betriebsangehörige solche Experimente im Hauptbetrieb und in Silbersee angestellt. Ein Betriebsinspektor hatte Ende 1957 eine Explosion bemerkt und das Treiben scharf mißbilligt, die Firma traf jedoch keine Verhütungsmaßnahmen. Der Kläger selbst hatte vor seinem Unfall bei wenigstens drei Gelegenheiten solche Explosionsversuche beobachtet, darunter im März einen Versuch auf einer Wiese am Silbersee.

Am 15. April 1958 fuhr der Kläger zum Lager Silbersee, wo Fässer abzuladen und zu stapeln waren. Zu der Arbeitskolonne gehörten außerdem der Kraftfahrer K. (damals 23 Jahre alt), der Lagerarbeiter D. (41 Jahre) und der Destillateur Horst L. junior (22 Jahre). Über den Ablauf der Ereignisse bis zum Unfall enthält der Tatbestand des Berufungsurteils folgende Feststellungen:

„Gegen 11 Uhr standen der Kläger und die zeugen L. senior, L. junior, D. und K. auf dem Werksgelände am See und beobachteten, wie ein Räumungskommando den Grund des Sees nach Munition absuchte. Entweder der Zeuge D. oder der Zeuge K. brachten dabei das Gespräch darauf, daß man mal wieder einen Explosionskörper basteln und hochgehen lassen solle. Man kam überein, daß man wie in den früheren Fällen den Sprengkörper mit Hilfe des Unkrautvernichtungsmittels „Kadil” herstellen wollte. Der Kläger und die genannten Zeugen gingen dann zusammen in die Werkstatt der Firma. Dort sah der Zeuge D. ein etwa 45 cm langes Metallrohr mit einem Durchmesser von etwa 22 mm stehen. Er fragte den Zeugen L. senior, ob er das Rohr für das Experiment gebrauchen dürfe. Der Zeuge L. senior gab sein Einverständnis. Außerdem fragte der zeuge D. den Z., L. senior, ob er auch das Unkrautvernichtungsmittel „Kadil” für das Experiment nehmen dürfe. Auch damit war der Zeuge L. senier einverstanden. Anschließend lösten die Zeugen L., K., I. junior und der Kläger etwa eine Hand voll „Kadil” in etwa 2 Litern Wasser auf. Nach Herstellung der Lösung holten die Zeugen und der Kläger aus einem Papierkorb, der im Umkleideraum stand, alte Zeitungen. Diese Zeitungen tauchten sie in die von ihnen hergestellte Lösung. Die in der Lösung getränkten Zeitungen legten sie auf einen Anhänger der Firma D., der auf dem Hofe stand, damit die Zeitungen trockneten. Im Anschluß daran begaben sich sämtliche Zeugen und der Kläger wieder an die Arbeite. Um etwa 12 Uhr fuhr der Zeuge K. mit einem Kraftfahrzeug der Firma D. zum Hauptbetrieb, um für sich und seine Arbeitskameraden das Mittagessen zu holen. Er kam gegen 13.30 Uhr zurück. Nach dem Mittagessen begab sich der Zeuge L. senior in seine Wohnung, die sich auf dem Werksgelände befindet, um auszuruhen. Der Zeuge D. und der Kläger suchten nach dem Mittagessen den Werkstattraum auf. In diesem Raum wollten sie den Sprengkörper herstellen. Vorher hatten sie die getrockneten Zeitungen von dem Anhänger genommen. Die Zeitungen nahmen sie mit in den Werkstattraum. Der Kläger nahm im Werkstattraum das Rohr und drückte mit Hilfe eines Schraubstockes das eine Ende des Rohres platt. Beide stopften anschließend in das Rohr das mit „Kadil” getränkte Zeitungspapier. Mit Hilfe des Faßbohrers, der ebenfalls der Firma D. gehörte, bohrte D. ein Loch in das Rohr. Dieses Loch sollte dazu dienen, mit Hilfe einer Lunte das mit „Kadil” getränkte Zeitungspapier zur Explosion zu bringen. Nachdem das Loch gebohrt und das Rohr vollständig mit dem Zeitungspapier vollgestopft worden war, klemmte der Kläger das andere Ende des Rohres ebenfalls mit Hilfe des Schraubstockes der Firma D. zu. Inzwischen war der Zeuge D. aus dem Werkstattraum herausgegangen, um Zeitungspapier, das er als Lunte verwenden wollte, zu holen. Der Kläger glaubte, daß das Rohr an den Enden noch nicht dicht genug verschlossen war. Aus diesem Grunde wollte er mit einem Hammer auf die Enden schlagen, um die Dichtigkeit der Enden zu vergrößern. Der Zeuge L. junior, der bis dahin mit dem Zeugen K. auf dem Hof Fußball gespielt hatte, betrat in diesem Augenblick die Werkstatt. Als er sah, daß der Kläger auf das Rohr auf dem Boden der Werkstatt mit einem Hammer einschlagen wollte, sagte er dem Kläger, das dürfe er nicht. Der Boden würde dadurch geschädigt, deshalb werde es sein Vater nicht dulden. Daraufhin legte der Kläger das Rohr wiederum auf den Schraubstock. Er nahm den Hammer und schlug mit diesem auf die Enden des Rohres. Inzwischen war der Zeuge K. ebenfalls in den Werkstattraum gekommen. Als der Zeuge D. draußen hörte, daß der Kläger mit einem Hammer auf das Rohr schlug, lief er sogleich in den Werkstattraum und rief in diesen hinein: „Nicht schlagen!” Nachdem der Zeuge D. dieses gerufen hatte, erfolgte eine heftige Explosion. Diese war durch das Schlagen des Klägers auf das mit dem mit „Kadil” getränkte Zeitungspapier vollgestopfte Rohr ausgelöst worden. Die Explosion ereignete sich um etwa 14 Uhr.”

D. wurde wegen seiner Beteiligung an dem Explosionsunglück von der Firma D. entlassen. Im Strafverfahren wegen fahr lässiger Körperverletzung und Übertretung des § 367 Abs. 1 Nr. 4 des Strafgesetzbuches wurde er freigesprochen. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde mangels Schuldnachweis und mit Rücksicht auf seine schweren Verletzungen eingestellt.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 25. März 1959 den Entschädigungsanspruch des Klägers ab.

Die Klage, mit der der Kläger grobe Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch die Firma D. geltend machte, ist durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 14. Juli 1959 abgewiesen worden: Durch die Spielerei des Klägers sei der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit aufgehoben worden. Der Kläger sei im Unfallzeitpunkt ein voll entwickelter junger Kann von einer gewissen Intelligenz gewesen. Durch seine Ausbildung als Destillateur habe er über gewisse chemische Grundkenntnisse verfügt. Deshalb könne von einer Aufsichtspflichtverletzung der Arbeitgeberin nicht die Rede sein. Der Spieltrieb erwachsener Belegschaftsmitglieder, die hierfür an sich ungefährliche Betriebseinrichtungen benutzt hätten, könne nicht der Betriebsgefahr zugerechnet werden; die Täter hätten sich eine eigene Gefahr geschaffen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen – nach Anhörung des Klägers sowie Vernehmung der Zeugen L. senior und junior, D. und K. – durch Urteil vom 19. September 1961 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids und der erstinstanzlichen Entscheidung verurteilt, dem Kläger für den Arbeitsunfall vom 15. April 1958 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren: Grundsätzlich sei zwar davon auszugehen, daß durch die Spielerei eines 19 Jahre alten, geistig normal entwickelten Beschäftigten mit Betriebsmitteln und Arbeitsgeräten während und nach der Mittagspause der innere Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit gelöst werde. Im vorliegenden Fall müsse aber eine Ausnahme von diesem Grundsatz gemacht werden, weil die Beweisaufnahme ergeben habe, daß die Arbeitgeberin in außerordentlich grober Weise ihre Aufsichtspflicht gegenüber dem im Unfallzeitpunkt noch unerfahrenen und dem Einfluß seiner älteren Arbeitskameraden erlegenen Kläger verletzt habe.

Die Firma D. sei gegen die seit 1956 im Betrieb eingerissene Unsitte, mit Kadil auf dem Betriebsgelände Explosionskörper herzustellen, nicht energisch genug eingeschritten. Sie habe das Kadil nicht unter strengem Verschluß aufbewahren lassen, selbst nicht nach der Ende 1957 vom Betriebsinspektor beobachteten Explosion an einem Eisenbahnwaggon auf dem Werksgelände. Sie habe sich auch nicht veranlaßt gesehen, Warnungen oder Verbote am Schwarzen Brett oder in einer Betriebsversammlung bekanntzugeben. Der minderjährige Kläger habe daher im April 1958 mit Recht annehmen dürfen, daß die Spielereien mit Kadil von der Betriebsleitung stillschweigend geduldet würden und nicht besonders gefährlich seien.

Eine weitere außerordentlich grobe Verletzung der Aufsichtspflicht sei im Verhalten des Lagerverwalters L. senior am Unfalltage zu erblicken. Die Aussagen dieses Zeugen, der bei seiner Vernehmung jede Kenntnis von den Kadilversuchen abgestritten hatte, seien unglaubhaft. Nach den Bekundungen des Zeugen D. und des Klägers sei vielmehr anzunehmen, daß der Lagerverwalter dabei gewesen sei, als über das beabsichtigte Experiment am Vormittag des 15. April 1958 gesprochen wurde, und daß er auch die Verwendung des Rohres gestattet habe. Der Kläger habe daher mit Recht davon ausgehen können, daß L. senior – sein unmittelbarer Vorgesetzter an diesem Tage – keine Einwendungen erhebe, wenn er, D. und die anderen Betriebsangehörigen in der Werkstatt mit Betriebsmitteln einen Explosionskörper herstellten. Darüber hinaus habe T. senior offensichtlich auch die Verlängerung der Mittagspause zwecks Durchführung des Experiments geduldet.

Hinzukomme schließlich, daß der Kläger am Unfalltag offensichtlich dem Einfluß seiner durchweg älteren Arbeitskameraden erlegen sei. Diese und der Zeuge L. senior als reife Menschen hätten sich verpflichtet fühlen müssen, den noch recht jungen und unerfahrenen Kläger vor den Gefahren des Experimentierens mit Explosionskörpern zu bewahren. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 16. November 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Dezember 1961 Revision eingelegt und sie – nach Fristverlängerung bis zum 16. Februar 1962 – am 26. Januar 1962 wie folgt begründet: Das LSG habe den Umfang der Aufsichtspflicht des Unternehmers verkannt. Es sei nicht die Aufgabe des Unternehmers, seine Beschäftigten wie unmündige Kinder zu überwachen und vor den unsinnigsten Torheiten zu bewahren. Der Kläger als geprüfter Destillateurgehilfe sei sich über die Gefährlichkeit des Experiments mit Kadil zweifellos im klaren gewesen. Die Feststellung, der Lagerverwalter L. senior habe am Unfalltag die Aufsicht über den Kläger geführt, beruhe auf einer Überschreitung der Grenzen des Beweiswürdigungsrechts, denn der Kläger sei gar nicht ständig im Faßlager beschäftigt gewesen. Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 14. Juli 1959 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig. Sie hatte auch Erfolg. Der Auffassung des LSG, bei dem streitigen Unfall des Klägers habe es sich um einen versicherten Arbeitsunfall gehandelt, ist nicht beizupflichten.

Der Kläger ist während der Arbeitszeit auf der Arbeitsstätte dadurch verunglückt, daß er mit Betriebseinrichtungen – nämlich den Werkzeugen und dem Unkrautvertilgungsmittel Kadil – hantierte. Diese Hantierung diente weder der versicherten Arbeitstätigkeit, deretwegen der Kläger sich im Lager Silbersee aufhalten mußte, noch dem Zurücklegen eines betriebsbedingten Weges im Lagergelände, sondern nur rein spielerischen Zwecken. Insoweit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von demjenigen des Urteils vom 29. Mai 1962 (SozR RVO § 542 aF Bl. Aa 53 Nr. 55); auch die mannigfache Rechtsprechung zu den Fällen verbotswidriger Benutzung von betrieblichen Transportmitteln zwecks schnellerer oder bequemerer Zurücklegung von wegen (vgl. u. a. Hess. LSG, SGb 1962, 189) hat bei der Beurteilung der Frage des betrieblichen Zusammenhangs einen anderen Ausgangspunkt als der vorliegende Rechtsstreit.

Daß der Unfall des Klägers in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zur versicherten Betriebstätigkeit gestanden hat, braucht nicht näher dargelegt zu werden. Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls bedarf es jedoch außerdem des Vorliegens eines wesentlichen inneren Zusammenhangs. Diesen inneren Zusammenhang hat das LSG grundsätzlich bei betriebsfremden Spielereien eines 19 Jahre alten, geistig normal entwickelten Beschäftigten als gelöst angesehen; es meint jedoch, für den Unfall des Klägers müsse eine Ausnahme von diesem Grundsatz gemacht werden, weil die Unternehmensleitung in außerordentlich grober Weise ihre Aufsichtspflicht gegenüber dem noch unerfahrenen und dem Einfluß seiner älteren Arbeitskameraden erlegenen Kläger verletzt habe. Nach Auffassung des Senats wird dieses Ergebnis dem festgestellten Sachverhalt nicht gerecht.

Zwar ist in der Rechtsprechung Spielerei an Betriebseinrichtungen als Arbeitsunfall unter dem Gesichtspunkt anerkannt worden, daß der seinem Spieltrieb nachgebende Beschäftigte einer Gefahr erlegen ist, der er durch unbeaufsichtigte Betriebstätigkeit in unmittelbarer Nähe einer besonderen Gefahrenquelle ausgesetzt war (u. a. RVA, EuM 22, 3; Bayer. LVAmt, Amtsbl. 1952 B 1). Zumeist handelte es sich dabei um Spielereien von Kindern oder von Jugendlichen bis zum Lebensalter von etwa 16 bis 17 Jahren; maßgebend war die allgemeine Erfahrung, daß in dem „Obergangsstadium vom Kind zum werdenden Mann” (Bayer. LVAmt) der noch ungebändigte Spieltrieb eine besondere Beaufsichtigung während des Aufenthalts an der Arbeitsstätte erfordert; hieraus wurde gefolgert, daß eine Vernachlässigung der gebotenen Aufsicht die Bejahung des inneren Zusammenhangs eines bei Spielerei entstandenen Unfalls mit der Betriebstätigkeit rechtfertige.

Der zur Zeit des hier streitigen Unfalls bereits 19 Jahre alte Kläger, der seine Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte, stand schon außerhalb der Personengruppe, mit der sich die angeführte Rechtsprechung befaßt hat. Der Senat verkennt zwar nicht die Bedenken, die schon in der früheren Rechtsprechung gegen eine schematische Altersbegrenzung erhoben worden sind. Maßgebend müssen vor allem die besonderen Umstände des Einzelfalls sein. Lassen diese jedoch – wie hier beim Kläger offenbar auch nach der Auffassung des LSG – eine normale geistige Entwicklung des Beschäftigten erkennen, so wird die Erwägung, daß fehlende betriebliche Aufsicht die Annahme des inneren Zusammenhangs begründet, in der Regel jedenfalls dann nicht mehr Platz greifen können, wenn der Beschäftigte – zumal bei abgeschlossener Berufsausbildung – das 18. Lebensjahr überschritten hat. Diese – auch vom LSG Hamburg (Breith. 1955, 1037) als bedeutsam erachtete – Altersstufe kann nicht bloß an das gesetzlich festgelegte Einsetzen der vollen Deliktshaftung (§ 828 Abs. 2 Satz 1 BGB) anknüpfen; sie wird auch noch herausgehoben durch den Umstand, daß die besonderen Vorschriften des Jugendarbeitsschutzes (vgl. früher Jugendschutzgesetz vom 30. April 1938, RGBl I 437; jetzt Jugendarbeitsschutzgesetz vom 9. August 1960, EGBl I 665) die erhöhte Sicherung gegen Gefahren des Arbeitslebens mit dem 18. Lebensjahr begrenzen („Jugendliche”, vgl. § 2 Abs. 2 Jugendarbeitsschutzgesetz). Bis zu diesem Lebensalter unterstehen jugendliche Arbeitnehmer noch besonderen Schutzbestimmungen, von denen als hier speziell einschlägig insbesondere § 41 (Belehrung über Gefahren) und § 43 Abs. 2 (Schutz vor Mißhandlung und sittlicher Gefährdung durch andere Beschäftigte) des Jugendarbeitsschutzgesetzes anzuführen sind. Mag auch diese Altersbegrenzung selbst umstritten sein (vgl. Molitor/Volmer, Jugendarbeitsschutzgesetz, Komm. Einleitung S. 47), so mindert dies doch ihren Wert als Erkenntnismittel zur Beurteilung von Streitfällen der hier gegebenen Art. nicht entscheidende

Der Kläger war dieser vom Gesetzgeber als besonders schutzbedürftig angesehenen Altersstufe zur Zeit des Unfalls entwachsen. In den Gründen des angefochtenen Urteils wird er zwar wiederholt als „unerfahren” bezeichnet; dieser Bezeichnung kann jedoch keine maßgebliche Bedeutung beigelegt werden, denn im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist ausdrücklich festgestellt worden, daß der Kläger vor dem Unfall schon mehrmals Kadil-Explosionsversuche beobachtet hatte. Ebenso wird die Annahme des LSG, der Kläger sei dem Einfluß seiner älteren Arbeitskameraden erlegen, durch den festgestellten Sachverhalt nicht gestützt. Der eingehenden Darstellung im Tatbestand des Berufungsurteils darüber, wie es zur Planung und Vorbereitung des Kadilversuchs am Unfalltage kam, ist keinerlei Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß etwa der Kläger durch Davis oder die Anderen herausgefordert, ermuntert oder sonstwie angestiftet worden sein könnte; die Feststellungen lassen vielmehr nur den Schluß zu, daß der Kläger völlig frei von solchen Beeinflussungen sogleich gewillt und bereit war, bei dem Experiment mitzumachen.

Die vom LSG nachdrücklich hervorgehobenen Versäumnisse der Betriebsleitung und des Lagerverwalters, Lauff sind nun freilich so außergewöhnlich, daß sich die Frage aufdrängt, ob auch bei einem nicht mehr zu den „Jugendlichen” zählenden, für sein Handeln voll verantwortlichen Beschäftigten wie dem Kläger der Versicherungsschutz allein wegen der Schwere der betrieblichen Versäumnisse anzuerkennen ist. Auch diese besonderen Umstände reichen jedoch nach Meinung des Senats nicht aus, um die Frage zu bejahen. Mag zwar – was der Senat ohne abschließende Prüfung unterstellt – das Verhalten der Unternehmensleitung den Anforderungen der allgemeinen Treue und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch gegenüber erwachsenen Beschäftigten nicht genügt haben, so müßte gegen diese Pflichtverletzung des Arbeitgebers doch das Verhalten der Beschäftigten selbst abgewogen werden. Ausschlaggebend ist hierbei, daß der Kläger und sein Arbeitskollege Davis nicht etwa solche vom Betrieb ungenügend verwahrte Gegenstände benutzt und bearbeitet haben, die sofort, ohne viel Zutun Gefahrenquellen darstellten – wie etwa beispielsweise frei herumliegende fertige Sprengkörper, ohne weiteres zu betätigende Transportanlagen (vgl. Hess. LSG aaO) oder dgl. –, sondern daß es sich um lauter zunächst an sich ungefährliche Objekte handelte, aus denen erst durch die – vom LSG ausführlich geschilderten – langwierigen und umständlichen Manipulationen des Klägers und seines Arbeitskollegen allmählich ein Gefahrenherd geschaffen wurde, welcher mit dem eigentlichen Verwendungszweck des Unkrautvertilgungsmittels nicht mehr das Geringste zu tun hatte. Dies läßt die betriebsbezogene Seite des Vorgangs – Versagen der betrieblichen Aufsicht – entscheidend in den Hintergrund treten. Bei lebensnaher Betrachtung des Falles bleibt als wesentliches Element der zum Unfall führenden Ereignisse schließlich doch nur die eigene Betätigung des Klägers bestehen,

Nach alledem vermag sich der Senat dem Standpunkt des LSG, die im einzelnen erörterten besonderen Umstände dieses Falles rechtfertigten ausnahmsweise die Anerkennung eines Arbeitsunfalles, nicht anzuschließen. Auf die begründete Revision war daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Unterschriften

Demiani, Hunger, Dr. Baresel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI929569

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