Entscheidungsstichwort (Thema)

Satzungsrecht. Gesetzeslücke. Lebensunterhalt

 

Leitsatz (amtlich)

Der Ehegatte des Arbeitslosen ist "Dritter" bezüglich der Unterhaltsleistungen für einen Angehörigen iS von AVAVG § 89 Abs 6 Nr 1.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Satzungsrecht der öffentlich-rechtlichen Rechtsträger findet dort seine Grenze, wo der Gesetzgeber selbst eine lückenlose Regelung getroffen hat. Ein unbestimmter Rechtsbegriff stellt keine Lücke des Gesetzes dar, denn er ist durch Auslegung bestimmbar.

2. Lebensunterhalt iS von AVAVG § 89 Abs 6 Nr 1 ist der notwendige Lebensunterhalt. Zu diesem gehören insbesondere die Aufwendungen für Nahrung, Wohnung, Bekleidung, Beschaffung von Gebrauchsgegenständen, ärztlicher Behandlung und sonstige zwingende Ausgaben des täglichen Lebens; in jedem Einzelfall sind die gesamten Verhältnisse zu berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

Zur Rechtsnatur der vom Verwaltungsrat der BfArb gemäß AVAVG § 89 Abs 8 erlassenen Richtlinien.

 

Normenkette

AVAVG § 89 Abs. 6 Nr. 1, Abs. 8 Fassung: 1957-04-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Februar 1961 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Die 1918 geborene Klägerin ist mit dem Arbeiter Hermann B verheiratet. Aus dieser Ehe sind zwei minderjährige Kinder hervorgegangen. Die Tochter Karin ist seit 1. April 1959 als Lehrling mit einer monatlichen Vergütung von 45,- DM netto beschäftigt. Nachdem die Beklagte bereits in den Jahren 1957 und 1958 der Klägerin Arbeitslosengeld (Alg) zuzüglich von jeweils zwei Familienzuschlägen gewährt hatte, bewilligte sie ihr auf erneute Arbeitslosmeldung hin lediglich das versicherungsmäßige Alg (Hauptbetrag), und zwar ab 4. Januar 1960 in Höhe von 29,10 DM wöchentlich auf die Dauer von 78 Wochentagen. Die von der Klägerin daraufhin ausdrücklich beantragten Familienzuschläge versagte die Beklagte (Bescheid vom 20. Januar 1960), weil der Lebensunterhalt der beiden Kinder durch Leistungen sichergestellt sei, die ihr Ehemann zu gewähren habe. Dieser verdiente damals nach Angaben der Klägerin wöchentlich 90,- DM netto. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1960). Nach den Richtlinien, die der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) auf Grund des § 89 Abs. 8 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) erlassen habe, gelte der Lebensunterhalt des Angehörigen im Sinne von § 89 Abs. 6 AVAVG als gewährleistet, wenn dessen Einkommen einschließlich der realisierbaren Leistungen Dritter monatlich 91,- DM übersteige. Dies treffe bei den Kindern zu. Als "Dritter" sei auch der unterhaltspflichtige Ehemann der Klägerin anzusehen.

Die Klage wies das Sozialgericht (SG) ab (Urteil vom 13. September 1960). Da der Ehemann als Dritter im Sinne von § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG gelte, habe auf Grund seiner Unterhaltspflicht gegenüber den beiden Kindern die Klägerin keinen Anspruch auf Familienzuschläge. Ihre zugelassene Berufung wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 17. Februar 1961). Es sah den Ehemann der Klägerin im Verhältnis zu den Kindern ebenfalls als Dritten im Sinne des § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG an. Dies sei zumindest seit Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 der Fall, durch das u. a. die Nr. 3 des § 89 Abs. 6 AVAVG in der bis dahin gültigen Fassung fortgefallen sei. Auf den von der Klägerin erhobenen Anspruch sei das seit 1. Dezember 1959 geltende neue Recht anzuwenden (Art. II des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG). Durch die Unterhaltsleistungen, die der Ehemann der Klägerin den Kindern als Vater zu gewähren habe, sei deren Lebensunterhalt sichergestellt. Dabei spiele es keine Rolle, ob hier der notdürftige, der notwendige oder der standesgemäße Unterhalt gemeint sei; denn die Sicherstellung sogar des standesgemäßen Unterhalts sei gewährleistet. Zur Entscheidung dieser Frage könnten allerdings nicht die Richtlinien des Verwaltungsrats der Beklagten gemäß § 89 Abs. 8 AVAVG vom 13. Mai 1957 herangezogen werden; insoweit handele es sich lediglich um interne Dienstanweisungen, nicht aber um normatives Recht. Weder seien sie eine Rechtsverordnung, da der Verwaltungsrat zu ihrem Erlaß nicht ermächtigt sei (Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -), noch autonomes Satzungsrecht; hierfür sei nämlich kein Raum, da § 89 AVAVG das Recht der Familienzuschläge lückenlos regele. Infolgedessen seien jene Richtlinien nicht für die Gerichte verbindlich. Indessen ergebe sich die Sicherstellung des Lebensunterhalts aus den Einkommensverhältnissen der Familie der Klägerin. Das monatliche Nettoeinkommen betrage beim Ehemann 390,- DM, beim Kind Karin 45,- DM und bei der Klägerin selbst 126,- DM. Mit der Summe von 561,- DM netto im Monat sei aber der standesgemäße Unterhalt einer Arbeiterfamilie mit zwei Kindern gesichert. Denn der Verdienst des Ehemannes entspreche einem guten durchschnittlichen Tariflohn, und die Tariflöhne bestimmten den Rahmen des Standesgemäßen. Insgesamt bestehe deshalb kein Anspruch der Klägerin auf Familienzuschlag.

Revision wurde zugelassen.

II. Gegen das ihr am 15. Mai 1961 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 25. Mai Revision ein und begründete diese am 10. Juni 1961. Der bloße Wegfall der Nr. 3 des § 89 Abs. 6 AVAVG durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG habe keine so grundlegende Wandlung des Begriffs "Dritter" im Sinne von Nr. 1 aaO gebracht, daß man annehmen müsse, hierunter seien nun - entgegen der früheren Regelung - auch unterhaltspflichtige Ehegatten zu verstehen. "Dritter" könne der Ehemann schon nach dem bürgerlichen Recht und insbesondere nach dem Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht sein; denn die Unterhaltsverpflichtung gegenüber Abkömmlingen treffe beide Eltern gleichrangig. Im übrigen sei der Familienzuschlag eine soziale Zusatzleistung zum versicherungsmäßigen Alg. Er dürfe dann nicht vorenthalten werden, wenn die Ehefrau zur erwerblichen Mitarbeit gezwungen sei und dieser notwendige Erwerb durch Arbeitslosigkeit fortfalle. Gerade die Arbeitspflicht der Ehefrau beweise, daß der Ehemann den Lebensunterhalt für die gesamte Familie nicht sicherstellen könne. Schließlich müsse die Lehrlingsvergütung der Tochter Karin, wie im Zivil- und Arbeitsrecht auch, für den Unterhalt unberücksichtigt bleiben.

Die Klägerin beantragte,

die Beklagte unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und des angefochtenen Bescheides vom 20. Januar 1960 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1960 zu verurteilen, der Klägerin über die Gewährung von Alg mit zwei Familienzuschlägen mit Wirkung ab 4. Januar 1960 einen Bescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragte,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Klägerin stehe Anspruch auf Familienzuschläge für die Kinder nicht zu, weil deren Lebensunterhalt durch die vom Ehemann zu gewährenden Leistungen sichergestellt sei. Aus der Entwicklung und der neuen Fassung des § 89 Abs. 6 AVAVG durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG sei erkennbar, daß als Dritter auch ein unterhaltspflichtiger Verwandter zu verstehen sei. Für die Frage, welcher Betrag vom Einkommen des Ehemanns als Unterhaltsleistung für die Kinder anrechenbar sei, komme es letztlich nicht auf die Rechtsnatur der Richtlinien gemäß §89 Abs. 8 AVAVG an; denn selbst wenn diese nur eine für die Gerichte unverbindliche Verwaltungsanordnung darstellten, müßte der Lebensunterhalt der Kinder als gesichert angesehen werden, da dem Vater gemäß § 1603 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) noch ein ausreichender Betrag für sich verbleibe, auch wenn der Unterhalt der Kinder mit einem höheren Betrag als je 91,- DM im Monat angesetzt würde. Schließlich sei die Zahlung der Familienzuschläge als soziale Zusatzleistung von der Bedürftigkeit abhängig, die hier fehle.

III. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 1960 (§ 95 SGG), wonach der Antrag der Klägerin auf Zahlung von zwei Familienzuschlägen für die Zeit ab 4. Januar 1960 abgelehnt wurde. Der auf Aufhebung dieser Verwaltungsakte und auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheids über die Gewährung von zwei Familienzuschlägen gerichteten Klage haben die Vordergerichte ohne Rechtsirrtum den Erfolg versagt; denn der Klägerin steht ein derartiger Anspruch nicht zu.

Die Rechtsgrundlage für ihr Begehren ist § 89 AVAVG i. d. F. des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und weitere Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Zweites Änderungsgesetz zum AVAVG) vom 7. Dezember 1959 (BGBl I, 705). Nach Art. II Abs. 1 des Zweiten Änderungsgesetzes ist die Neufassung u. a. von § 89 AVAVG nur in solcher. Fällen nicht anwendbar, in denen der Arbeitslose die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg bereits vor dessen Inkrafttreten (1. Dezember 1959 - vgl. Art. VIII Abs. 1 aaO) erfüllt hat. Das trifft hier für den Streitgegenstand nicht zu, da sich die Klägerin erst am 28. Dezember 1959 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat (§ 74 AVAVG).

Die von der Klägerin begehrten Familienzuschläge sind nach § 89 Abs. 1 AVAVG neben dem Hauptbetrag Bestandteil des Arbeitslosengeldes. Sie werden für Angehörige des Arbeitslosen gewährt, zu denen nach § 89 Abs. 2 Nr. 1 AVAVG auch die ehelichen Kinder gehören. Gleichwohl hat die Klägerin für ihre beiden Kinder Familienzuschläge nicht zu beanspruchen, weil deren Lebensunterhalt durch Leistungen sichergestellt werden kann, die ein Dritter, nämlich ihr Vater, der Ehemann der Klägerin, für sie gewährt bzw. zu gewähren hat. Alsdann schließt § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG nF den Anspruch auf Familienzuschlag aus.

Als "Dritter" im Sinne dieser Vorschrift ist jede (natürliche oder juristische) Person anzusehen, die - wie das LSG zutreffend ausführt - außerhalb des für den Anspruch auf Alg (einschließlich Familienzuschlag) maßgeblichen Rechtsverhältnisses steht, also jeder, ausgenommen der Arbeitslose, dessen Angehöriger (für den Familienzuschlag zu zahlen wäre) und die BfArb. Auch ein derart gekennzeichneter Unterhaltspflichtiger ist deshalb Dritter im Sinne von § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG nF (vgl. Drarger-Buchwitz-Schönefelder, Komm. zum AVAVG Anm. 36 zu § 89; Krebs, Ergänzungsband zum Komm. zum AVAVG, 1961, Anm, 3 u, 4 zu § 89; Brodhun-Strippel, Komm. zum AVAVG, 1962, Anm. 19 zu § 89). Die Auffassung der Klägerin, der unterhaltspflichtige Ehemann einer arbeitslosen Ehefrau gelte im Hinblick auf die ehelichen Kinder beider nicht als Dritter, findet in der Neufassung des § 89 AVAVG keine Stütze. Wenn die vor dem 1. Dezember 1959 geltende Nr. 3 des § 89 Abs. 6 AVAVG bestimmt hatte, daß Anspruch auf Familienzuschlag nicht besteht, wenn der Angehörige "zu den Angehörigen i. S. des Absatz 2 Nr. 2 gehört und von anderen Unterhaltspflichtigen unterhalten wird", so lag damals der Schluß nahe, daß insoweit eine Sonderregelung für die unterhaltspflichtigen Personen getroffen war, welche sie aus der Gruppe der "Dritten" i. S. des § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG aF eliminierte. Man konnte seinerzeit den Standpunkt vertreten, daß sie nicht Dritte i. S. dieser Vorschrift waren, ihre Unterhaltsleistung bei dem Familienzuschlag für eheliche Kinder somit außer Betracht bleiben mußte, die zu den Angehörigen nach Abs. 2 Nr. 1 aaO gehören. Indessen lassen sich hieraus keine Folgerungen mehr für den Anspruch der Klägerin ableiten; denn dieser bestimmt sich - wie dargelegt - ausschließlich nach § 89 AVAVG in der seit 1. Dezember 1959 geltenden Fassung. Diesbezüglich fehlt es aber an einer § 89 Abs. 6 Nr. 3 AVAVG aF entsprechenden oder vergleichbaren Vorschrift. Im Gegenteil ist die alte Nr. 3 aaO durch die Neuregelung ausdrücklich und ersatzlos aufgehoben worden. In dem Regierungsentwurf vom 29. August 1959 des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG heißt es hierzu (BT-Dr. 1240, 3. WP S. 12 zu Art. I Nr. 8 b):

"Es sind Zweifel aufgetreten, ob realisierbare Unterhaltsansprüche als eigene Mittel i. S. des § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG anzusehen sind und ob zu den "Dritten" i. S. dieser Vorschrift auch ein Unterhaltspflichtiger gehört. Die Neufassung beseitigt diese Zweifel und stellt klar, daß Leistungen, die z. B. ein im gemeinsamen Haushalt mit dem Angehörigen lebender Unterhaltsverpflichteter für den Angehörigen erbringt, ebenso zu behandeln sind wie Barleistungen eines Unterhaltsverpflichteten, die dieser z. B. auf Grund eines rechtskräftigen Urteils zu gewähren hat. Eine unterschiedliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt."

Aus den verlautbarten Materialien ergibt sich also der Wille des Gesetzgebers, daß die bisher mögliche unterschiedliche Behandlung von realisierbaren Leistungsansprüchen, die einem Angehörigen i. S. von § 89 Abs. 6 AVAVG zur Sicherung seines Lebensunterhalts zustehen, bezüglich der Gewährung des Familienzuschlags beseitigt werden sollte. Soweit hinsichtlich des Wortlauts des § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG, insbesondere des Begriffs des "Dritten" überhaupt eine Auslegung nötig und möglich ist, muß diese Absicht des Gesetzgebers daher Beachtung finden, zumal sie sich mit dem Gesetzestext widerspruchslos deckt. Die hier getroffene Regelung ist durchaus sinnvoll und gerecht. Der Abs. 6 des § 89 AVAVG wird erkennbar von dem Grundsatz der Subsidiarität des Familienzuschlags bestimmt, wenn er klarstellt, daß eigenes Einkommen des Angehörigen und solche Ansprüche gegen Dritte bei dem Familienzuschlag zu berücksichtigen sind, die erfüllbar sind. Der Versichertengemeinschaft soll die Leistung von Zuschlägen für Angehörige dann nicht auferlegt werden, wenn diese es unterlassen, realisierbare Ansprüche geltend zu machen. Es ist aber kein rechtfertigender Grund ersichtlich, warum bei dieser Rechtsfolge ein Unterschied zwischen verschiedenen Typen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemacht werden sollte, sei es von der Person des Leistenden, sei es von der des Angehörigen her. Infolgedessen mußte im Fall der Klägerin auch die Unterhaltspflicht ihres Ehemannes gegenüber den beiden Kindern Berücksichtigung finden; denn jener ist "Dritter" i. S. von § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG.

IV. Bei dem Einkommen des Ehemannes des Klägerin ist dem LSG ferner darin beizupflichten, daß der Lebensunterhalt der Kinder durch Leistungen ihres Vaters sichergestellt ist oder sichergestellt werden kann. Ohne Rechtsirrtum hat das LSG festgestellt, daß es zur Beantwortung dieser Frage nicht an die Richtlinien des Verwaltungsrats der Beklagten vom 13. Mai 1957 (BArbBl. 1957 S. 582) gebunden ist. Der Richter ist bei seiner Entscheidung nur Recht und Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 GG). Zwar fallen hierunter alle Rechtsnormen, als Gesetz im materiellen Sinn also auch Rechtsverordnungen und autonome Satzungsbestimmungen, ebenso Gewohnheitsrecht. Aus dem Grundsatz der Trennung der Gewalten (Art. 20 GG) folgt aber, daß Vorschriften, die die Exekutive herausgibt, für die Allgemeinheit nicht verbindlich und damit auch nicht normativ in dem o. a. Sinn sind, es sei denn, ihr Erlaß wird vom Grundgesetz ausdrücklich gebilligt und entspricht der verfassungsmäßigen Form. Den Verwaltungsvorschriften, die sich - wie die o. a. Richtlinien der Bundesanstalt - nicht als Rechtsverordnung i. S. von Art. 80 GG darstellen, kommt daher nach allgemeiner Anschauung der Rechtscharakter einer verbindlichen Norm nicht zu (vgl. BSG 1, 272; 6, 175, 252; 7, 75; 9, 43; 11, 216; BVerwG in DÖV 1958, 703; BFH in BStBl. 1958 III, 44; 248; 409; ferner Hauck, NJW 1957, 809; Menger, Verwaltungsarchiv 1960, 72; Pappai, BArbBl. 1961, 395, 398). Es handelt sich hierbei vielmehr um typische Verwaltungsvorschriften, die eine einheitliche Handhabung des Begriffs "Sicherstellung des Lebensunterhalts" durch alle Dienststellen der BfArb gewährleisten sollen. Sie wenden sich daher auch in erster Linie an die nachgeordneten Behörden (vgl. Draeger-Buchwitz-Schönefelder aaO Anm. 19 und 33 zu § 89; Krebs OKK 1959, 193 ff.). Weil die gesetzlichen Merkmale des Familienzuschlags in § 89 abschließend festgelegt sind, bestand insofern - wie das LSG zutreffend erkannte - auch kein Raum zum Erlaß autonomen Rechts, wozu die BfArb ansonsten im Rahmen und Bereich ihrer Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft befugt ist. Das Satzungsrecht der öffentlich-rechtlichen Rechtsträger findet nämlich dort seine Grenze, wo der Gesetzgeber selbst eine lückenlose Regelung getroffen hat. Ein unbestimmter Rechtsbegriff stellt jedoch keine Lücke des Gesetzes dar; denn er ist durch Auslegung bestimmbar (vgl. Draeger-Buchwitz-Schönefelder aaO Anm. 2 zu § 7). Die Richtlinien zu § 89 Abs. 6 AVAVG aF sind daher auch nicht als autonomes Recht zu werten und etwa als solches verbindlich.

Im vorliegenden Fall hat das LSG indessen unabhängig von den in den Richtlinien aufgestellten Sätzen zutreffend angenommen, daß der Lebensunterhalt der beiden Kinder der Klägerin durch Leistungen ihres Ehemannes i. S. von § 89 Abs. 6 Nr. 1 nF sichergestellt werden kann. Zwar hat das Berufungsgericht offengelassen, welche Art von Unterhalt das Gesetz hier meint, und es vertritt seinerseits die Auffassung, daß sogar der standesgemäße Unterhalt gedeckt sei. Der Weg des LSG, für diese Folgerung einfach von dem Gesamteinkommen der Familie der Klägerin - einschließlich von deren eigenen Alg - auszugehen, erscheint jedoch nicht zutreffend. § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG nF stellt nämlich nur auf das eigene Einkommen des Angehörigen und auf die Leistungen eines Dritten (also nicht des Arbeitslosen selber) ab. Deshalb erscheint es auch erforderlich, den Begriff des Lebensunterhalts im Sinne dieser Vorschrift zu klären.

Nach Auffassung des Senats kann hier nicht der notdürftige Unterhalt i. S. von § 1611 BGB gemeint sein, da zu diesem nur das zum Unterhalt unbedingt Erforderliche gehört, etwa i. S. der Fürsorgeunterstützung (vgl. Palandt, Komm. zum BGB, 20. Aufl., Anm. 1 zu § 1611). Aus der Regelung des § 89 Abs. 6 AVAVG ist nicht zu entnehmen, daß die Subsidiarität des Familienzuschlags so weit gehen sollte, die absolute Bedürftigkeit des Angehörigen vorauszusetzen, wie etwa in der Arbeitslosenhilfe. Andererseits kann es sich auch nicht um den standesgemäßen (jetzt "angemessenen") Unterhalt handeln, weil dieser sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen richtet (§ 1610 Abs. 1 BGB). Dies könnte zu dem unvertretbaren Ergebnis führen, daß ein Arbeitsloser mit vorhergehendem höheren Verdienst aus einer gehobenen Stellung bei gleicher Unterhaltsleistung durch einen Dritten für seine Kinder Familienzuschlag erhält, während er dem früher niedriger entlohnten Arbeitslosen (mit in der Regel also auch geringerem Alg) zu versagen wäre, weil bei diesem der standesgemäße Unterhalt seiner Kinder bereits sichergestellt sei. Eine solche Folge würde eine nicht gerechtfertigte Behandlung bedeuten und ist daher abzulehnen.

Lebensunterhalt i. S. von § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG ist nach alledem der notwendige Lebensunterhalt. Zu diesem gehören insbesondere die Aufwendungen für Nahrung, Wohnung, Bekleidung, Beschaffung von Gebrauchsgegenständen, ärztliche Behandlung und sonstige zwingende Ausgaben des täglichen Lebens (vgl. BSG 3, 124, 128; 4, 70, 73; 6, 125, 126). Um festzustellen, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, sind daher in jedem Einzelfall die gesamten Verhältnisse zu berücksichtigen. Der Beklagten ist dabei zuzugeben, daß im Falle der Unterhaltspflicht eines Elternteils der verschärfte Maßstab des § 1603 Abs. 2 BGB anzulegen ist; hiernach sind Eltern auch bei Gefährdung ihres eigenen angemessenen Lebensunterhalts verpflichtet, alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt der Kinder einzusetzen. Im Grundsatz haften zwar gemäß § 1606 Abs. III BGB und nach Erlaß des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juli 1957 (BGBl I, 609) beide Eltern gleichrangig. Jedoch sind die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse eines jeden Elternteils maßgebend. Zudem ist von Rechtsprechung und Rechtslehre anerkannt, daß die Mutter regelmäßig bereits durch die Führung des Haushalts und die darin eingeschlossene Versorgung des Kindes ihrer Unterhaltspflicht genügt (vgl. Palandt aaO Anm. 4 zu § 1606).

Für die Beurteilung, ob der Unterhalt der Kinder der Klägerin sichergestellt werden kann, ist also vom Einkommen des Ehemanns und Vaters auszugehen. Überdies ist - wie sonst im Unterhaltsrecht ebenfalls (vgl. u. a. die ständige Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 1708 BGB) - das eigene Einkommen des Kindes Karin entgegen der Auffassung der Klägerin mitzuberücksichtigen. Das LSG hat zwar keine Feststellung im einzelnen getroffen, welche Aufwendungen dem Ehegatten der Klägerin zur Bestreitung seines und der Kinder Unterhalt obliegen, etwa wie hoch die Monatsmiete und sonstige Lebensbedürfnisse sind. Indessen erscheint die Schlußfolgerung des LSG im Ergebnis zutreffend. Bei einem Nettoeinkommen von 390,- DM im Monat, das um die Lehrlingsvergütung der Tochter Karin von 45,- DM netto auf 435,- DM vermehrt wird, kann davon ausgegangen werden, daß der notwendige Lebensunterhalt zweier minderjähriger Kinder entsprechend den Lebenshaltungskosten im Wohngebiet der Klägerin Anfang 1960 sichergestellt war, selbst wenn der notwendige Eigenbedarf des Vaters hiervon abgezogen wird. Der Lebensunterhalt der arbeitslosen Klägerin persönlich hat dabei außer Betracht zu bleiben, da dieser durch die Alg-Zahlung als gedeckt anzusehen ist. Sogar bei einer rein rechnerischen Dreiteilung der Summe von 435,- DM entfällt auf jedes Kind noch ein Betrag von 145,- DM. Dieser mußte jedoch damals in Anbetracht aller Umstände als ausreichend zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts - in gemeinsamen Haushalt - gelten.

V. Demzufolge steht der Klägerin ein Anspruch auf Familienzuschläge für ihre Kinder nach § 89 Abs. 6 Nr. 1 AVAVG nicht zu. Wie bereits der Klage und der Berufung, mußte auch der Revision der Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI929593

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