Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Mindestbedarf. Unterkunftsbedarf

 

Orientierungssatz

Der Unterkunftsbedarf darf bei Ermittlung des Mindestbedarfs nicht außer Ansatz bleiben, wenn die frühere Ehefrau im eigenen Haus oder der eigenen Eigentumswohnung oder aus sonstigen Gründen kostenfrei wohnt (vgl BSG vom 1976-01-20 5 RJ 91/75 = SozSich 1976, 125).

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RegSatzV § 3

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 26.10.1977; Aktenzeichen III ANBf 78/76)

SG Hamburg (Entscheidung vom 08.11.1976; Aktenzeichen AN 803/74)

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Ehe des im September 1973 verstorbenen Versicherten mit der Beigeladenen wurde durch Urteil vom 29. August 1957 geschieden. Am Tage der Rechtskraft des Scheidungsurteils vereinbarten beide, daß der Beigeladenen lebenslänglich eine Zweieinhalbzimmerwohnung in dem im ideellen Miteigentum beider stehenden Wohngrundstück überlassen werde. Außerdem räumte ihr der Versicherte den Nießbrauch an seinem Miteigentumsanteil für die in diesem Hause befindlichen zwei Vierzimmerwohnungen ein. Der Nießbrauch war ua für den Fall des Hausverkaufs auflösend bedingt; das Wohnrecht dagegen sollte davon unberührt bleiben. Schließlich verpflichtete sich der Versicherte, der Beigeladenen monatlich 100,- DM als Unterhalt zu zahlen; bei einer Geldentwertung sollte dieser Betrag entsprechend angeglichen werden. Das Haus wurde im November 1968 für 188.640,- DM veräußert; dabei hatte sich die Beigeladene bereit erklärt, das nicht im Grundbuch eingetragene Wohnrecht nicht mehr geltend zu machen. Der Nießbrauch erlosch. Vom Kaufpreis erhielt die Beigeladene 118.640,- DM, der Versicherte den Rest.

Wegen des Wegfalls der bisher die Beigeladene treffenden Grundstückslasten zahlte der Versicherte der Beigeladenen mit deren Einverständnis nur noch monatlich 95,- DM.

Nach dem Tode des Versicherten bewilligte die Beklagte sowohl der Klägerin als der Witwe des Versicherten als auch der Beigeladenen Hinterbliebenenrenten, wobei sie die Zahlbeträge entsprechend der Dauer der beiden Ehen festsetzte. Der auf Zahlung der vollen Witwenrente gerichteten Klage gab das Sozialgericht (SG) statt. Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hatten keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, daß keine der Alternativen des allein in Betracht kommenden § 42 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) erfüllt sei, weil der vom Versicherten geleistete oder zu leistende Unterhalt nicht 25 vH des Mindestbedarfs der Beigeladenen erreicht habe. Dieser Mindestbedarf setze sich aus dem Regelunterhalt, der von September bis Dezember 1972 203,- DM und von Januar bis September 1973 218,- DM monatlich ausgemacht habe, und dem Unterkunftsbedarf zusammen. Letzterer sei unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse mindestens mit einem Monatsbetrag von 280,- DM anzusetzen; dabei sei unerheblich, daß die Beigeladene in ihrer Eigentumswohnung gewohnt habe und von Nebenabgaben freigestellt gewesen sei, so daß keine Mietausgaben angefallen seien. Einem danach gegebenen monatlichen Mindestbedarf von 483,- DM im Jahre 1972 und 498,- DM im Jahre 1973 stehe nur die weniger als 25 vH ausmachende monatliche Unterhaltszahlung in Höhe von 95,- DM gegenüber. Der Nießbrauch komme nicht in Betracht, weil er beim Verkauf des Hauses untergegangen sei und selbst bei einem Fortbestehen nicht zu berücksichtigen sein würde, weil er nicht durch den Tod des Versicherten weggefallen wäre. Der Versicherte sei der Beigeladenen auch nicht nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus anderen Gründen zur Zahlung eines 95,- DM übersteigenden monatlichen Unterhalts verpflichtet gewesen. Die Erhöhungen der Lebenshaltungskosten seit 1957 stellten nach dem Parteiwillen keine Geldentwertung im Sinne der Unterhaltsvereinbarung dar, da sie bereits damals voraussehbar gewesen seien. Das Monatseinkommen des Versicherten habe 1972 1.665,52 DM und 1973 1.849,33 DM, das der Beigeladenen in beiden Jahren 800,- DM betragen; billige man der Beigeladenen ein Drittel des Gesamteinkommens zu, so ergebe sich für sie ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 15,17 DM im Jahre 1972 und 83,11 DM ab 1. Januar 1973.

Dagegen wendet sich die Beigeladene mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie hält die Einräumung des Nießbrauchs und des Wohnrechts sowie die Überlassung von 118.640,- DM aus dem Kaufpreis für Unterhaltsleistungen; das ergebe sich aus dem Willen der Parteien, wie er in der Vereinbarung nach der Scheidung zum Ausdruck gekommen sei. Das LSG habe auch diese Vereinbarung zu Unrecht dahin ausgelegt, daß die Kaufkraftentwicklung seit 1957 keinen Einfluß auf die Höhe des monatlich zu zahlenden Betrages von 100,- DM oder 95,- DM haben sollte. Unrichtig sei es schließlich, wenn das LSG bei der Ermittlung des Mindestbedarfs eine Mietausgabe berücksichtigt habe, obgleich die Beigeladene mietfrei wohne.

Die Beigeladene beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Beigeladene hat keinen Anspruch auf Rente nach § 42 AVG.

Nach § 42 Satz 1 AVG, der hier allein in Betracht kommt, erhält Hinterbliebenenrente eine frühere Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus anderen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.

Eine Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode der Versicherten im Sinne der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG hat das LSG zu Recht mit der Begründung verneint, daß die Leistungen des Versicherten nicht wenigstens 25 vH des Mindestbedarfs der Beigeladenen ausgemacht haben (vgl BSGE 22, 44; SozR 2200 § 1265 Nr 26). Der Versicherte hat in der in Betracht kommenden Zeit lediglich 95,- DM monatlich an die Beigeladene gezahlt. Der Nießbrauch, das Wohnrecht und der Kaufpreisanteil von 118.640,- DM kommen als Unterhaltsleistungen für das letzte Jahr vor dem Tod des Versicherten nicht in Betracht. Das gilt für den Nießbrauch schon deswegen, weil er, wie sich aus den unangefochtenen Feststellungen des LSG ergibt, bereits 1968 und damit mehrere Jahr vor dem Tode des Versicherten untergegangen ist. Das Wohnrecht scheidet ebenfalls aus, weil seit der Veräußerung des Hauses, also ebenfalls seit 1968, ein Wohnrecht der Beigeladenen vom Versicherten nicht mehr gewährt worden ist. Damit erledigen sich die Bedenken der Beigeladenen gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Überlassung eines Vermögensgegenstandes (vgl SozR Nr 19 zu § 1265 RVO). Der Betrag von 118.640,- DM schließlich, von dem im übrigen nicht feststeht, ob ihn die Beigeladene vom Versicherten oder unmittelbar vom Käufer erhalten hat, käme allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Unterhaltsvorauszahlung als Unterhalt im Sinne der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG in Betracht (vgl SozR 2200 § 1265 Nr 24). Für eine solche Deutung fehlt es jedoch an jedem Anhalt. Es ist weder ersichtlich noch vom LSG festgestellt, daß dieser Betrag auch nur teilweise dazu bestimmt war, den laufenden Lebensbedarf der Beigeladenen in einem das letzte Lebensjahr des Versicherten umfassenden Zeitraum zu decken. Selbst wenn die Beigeladene diese Summe z.T. zum Ausgleich für den Wegfall von Nießbrauch und Wohnrecht erhalten haben sollte, wäre darin allenfalls eine - seinerzeit gezahlte - Unterhaltsabfindung zu erblicken, die nicht als Unterhaltsvorauszahlung gewertet werden kann (vgl SozR 2200 § 1265 Nr 24).

Der damit allein in Betracht kommende Monatsbetrag von 95,- DM machte erheblich weniger als 25 vH des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs der Beigeladenen aus. Dieser Mindestbedarf setzt sich aus dem Regelsatz der Sozialhilfe und dem Unterkunftsbedarf zusammen (SozR 2200 § 1265 Nrn 5, 16). Bei der Bemessung des letzteren ist grundsätzlich von dem Betrag auszugehen, den der Unterhaltsberechtigte für die Unterkunft tatsächlich aufzuwenden hatte (SozR 2200 § 1265 Nr 16). Das bedeutet entgegen der Ansicht der Beigeladenen freilich nicht, daß der Unterkunftsbedarf außer Ansatz bleiben könnte, wenn die frühere Ehefrau im eigenen Hause oder der eigenen Eigentumswohnung oder aus sonstigen Gründen kostenfrei wohnt (vgl Urteil des 5. Senats des BSG vom 20.1.1976 - 5 RJ 91/75 - DAngVers 76, 177 = SozSich 76, 125). Die Ermittlung des Unterkunftsbedarfs hat allein den Sinn, den zur Annahme eines Unterhalts iS des § 42 AVG erforderlichen Unterhaltsumfang abzugrenzen; demzufolge kann nicht übersehen werden, daß auch durch ein kostenfreies Wohnen ein Unterhaltsbedarf befriedigt wird; daraus folgt, daß auch dieser Bedarf mit zu bewerten ist. Dabei lassen die Überlegungen, aufgrund derer das LSG den Unterhaltsbedarf monatlich mit 280,- DM bewertet hat, keinen Rechtsfehler erkennen. Insoweit mag offenbleiben, ob Fälle denkbar sind, in denen ein nach der tatsächlichen Unterkunft ermittelter Bedarf als überhöht anzusehen (vgl § 11 Abs 1 BSHG) und bei Anwendung von § 42 Satz 1 AVG nur zu einem verminderten Betrag in Ansatz zu bringen wäre. Ein solcher Fall liegt nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG jedenfalls nicht vor. Denn wenn danach die Beigeladene auch eine 75 qm große Neubauwohnung in einer bevorzugten Wohnlage in Hamburg-Blankenese bewohnt hat, so läßt das angefochtene Urteil doch erkennen, daß das LSG von einer "äußerst günstigen Quadratmetermiete" ausgegangen ist und den Maßstab von durchschnittlich örtlich und zeitlich erforderlichen Beträgen für eine angemessene Unterkunft angelegt hat; Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben. Das LSG ist sonach zu Recht von einem monatlichen Mindestbedarf von 483,- bis 498,- DM ausgegangen; die Zahlungen des Versicherten in Höhe von 95,- DM monatlich machen wesentlich weniger als 25 vH hiervon aus.

Auch aus der zweiten Alternative des § 42 Satz 1 AVG läßt sich ein Anspruch der Beigeladenen nicht herleiten. Ein solcher Anspruch bestünde nur, wenn sich aus der Unterhaltsvereinbarung ein 25 vH des Mindestbedarfs der Beigeladenen erreichender Unterhaltsanspruch zur Zeit des Todes des Versicherten ergeben hätte. Das LSG hat das mit der Begründung verneint, daß es an einer Geldentwertung im Sinne der Unterhaltsvereinbarung fehle. Der dagegen gerichtete Angriff der Beigeladenen greift nicht durch. Die vom LSG gefundene Auslegung ist weder unmöglich noch widerspricht sie Auslegungsregeln, Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen, sie berücksichtigt alle für die Auslegung wesentlichen Umstände und ist daher für den Senat bindend (vgl SozR 2200 § 1265 Nr 24; RGZ 154, 319 f; LM Nr 4 zu § 133 (D) BGB).

Das LSG hat schließlich zu Recht das Vorliegen eines Anspruchs nach der ersten Alternative des § 42 Satz 1 AVG verneint. Dem ist jedenfalls im Ergebnis beizutreten. Es erscheint freilich zweifelhaft, ob das LSG bei der Ermittlung der Höhe eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Beigeladenen die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze (Ermittlung des angemessenen Unterhalts allein nach den Verhältnissen z.Zt. der Scheidung, also ua unter Berücksichtigung des oder der damaligen Verdienste, "Projizierung" des so ermittelten angemessenen Unterhalts für die Zeit des Todes des Versicherten, erst dann Anrechnung von Einkünften der Frau zur Zeit des Todes des Versicherten) in hinreichendem Maße beachtet hat. Diese Frage kann jedoch auf sich beruhen, da die Unterhaltsvereinbarung des Versicherten mit der Beigeladenen offensichtlich als erschöpfend gemeint war und somit ein darüber hinausgehender Unterhaltsanspruch nach dem Ehegesetz ausgeschlossen gewesen ist.

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653300

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