Leitsatz (amtlich)

Ist unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten zweifelhaft, ob ein "streitig gewordenes Rechtsverhältnis" (ZPO § 280) besteht, so ist eine Zwischenfeststellungsklage unzulässig, die die gerichtliche Feststellung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt beschränkt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Geht das Klagebegehren dahin, daß eine Vorabentscheidung (Zwischenurteil) darüber getroffen werden soll, ob die Honorarabrechnungen insoweit unrichtig sind, als sie auf der Anwendung der Honorarverteilungsrichtlinien beruhen, so ist eine solche Klage unzulässig und dieserhalb abzuweisen.

Unzulässig ist nach geltendem Verfahrensrecht bei der Prüfung, ob ein Rechtsverhältnis besteht, die Beschränkung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, wenn mehrere in Betracht kommen.

Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kann allerdings eine Zwischenfeststellungsklage nur über das Bestehen oder Nichtbestehen eines streitig gewordenen Rechtsverhältnisses (ZPO § 280 iVm SGG § 202) erhoben werden; auch ist es statthaft, einzelne Berechtigungen, die Ausfluß eines umfassenden Rechtsverhältnisses sind, zum Gegenstand einer Feststellungsklage zu machen. Es ist aber nicht möglich, eine besondere Vorabentscheidung zu treffen, ob einer von mehreren Klagegründen durchgreift, wie es ZPO § 303 bis zum Inkrafttreten der Novelle vom 1924-02-13 noch als "einzelnes selbständiges Angriffsmittel" vorsah.

 

Normenkette

SGG § 55 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 280 Fassung: 1950-09-12

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Abänderung von Absatz 2 des Tenors des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. September 1957 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. Mai 1957 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Zwischenfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen wird.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Rechtsstreits nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger ist als Kassenarzt Mitglied der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Er hat seit dem vierten Vierteljahr 1953 (IV/1953) die vierteljährlichen Honorarabrechnungen der beklagten KV beanstandet, insbesondere mit der Begründung, die von der beklagten KV angewandten Honorarverteilungsrichtlinien seien rechtswidrig. Der Schiedsausschuß bei der Bezirksstelle G der KV (Beschluß vom 11.5.1955) und - auf die Beschwerde des Klägers hin - der Beschwerdeausschuß der KV (Beschluß vom 30.6.1956) wiesen den Einspruch des Klägers zurück.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt/Main hat der Kläger beantragt,

alle ihm gegenüber seit IV/1953 erteilten Abrechnungen für ungültig zu erklären.

Der Kläger erklärte in der mündlichen Verhandlung vor dem SG, er sei der Auffassung, daß die Honorarabrechnungen nicht nur wegen der Anwendung des Staffeltarifs anfechtbar seien, sondern auch aus sonstigen Gründen, und zwar vor allem deshalb, weil die ihm erteilten Abrechnungen nicht überprüfbar seien; trotz wiederholter Aufforderung sei er nicht darüber aufgeklärt worden, aus welchen Gründen Kürzungen vorgenommen worden seien.

Er stellte daraufhin den Antrag,

im Wege eines Zwischenurteils festzustellen, daß die Vierteljahresabrechnungen für III/54 und IV/54 unrichtig sind, soweit der für diese Vierteljahre angewandte Staffeltarif zu Kürzungen führt.

Das SG wies durch "Zwischen-Urteil" die Zwischenfeststellungsklage ab (Urteil vom 3.5.1957). Es hielt die Zwischenfeststellungsklage für zulässig. jedoch nicht für begründet, weil die auf die Abrechnungen III/54 und IV/54 angewandten Honorarverteilungsrichtlinien ordnungsmäßig beschlossen und als autonomes Satzungsrecht auch für den Kläger verbindlich seien. Die Honorarabrechnungen III/54 und IV/54 seien deshalb "insoweit nicht unrichtig".

Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht (LSG) die Beschlüsse der Beklagten vom 11. Mai 1955 und 30. Juni 1956 auf; im übrigen wies es die Berufung des Klägers zurück (Urteil vom 25.9.1957). Es bezeichnete das Urteil des SG als "Zwischenfeststellungsurteil". Die Aufhebung der Beschlüsse vom 11. Mai 1955 und 30. Juni 1956 hielt es "der Ordnung halber" für geboten, weil die hierbei tätig gewordenen Ausschüsse der beklagten KV nur über angefochtene Einzelabrechnungen des Klägers hätten entscheiden können, so daß die von ihnen erlassenen Verwaltungsakte wegen absoluter Unzuständigkeit nichtig seien. In Übereinstimmung mit dem SG erachtete es die Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und die vorab begehrte Zwischenfeststellung nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in analoger Anwendung des § 280 Zivilprozeßordnung (ZPO) für zulässig. In der Sache selbst bestätigte es die Entscheidung des SG. Die bei den Abrechnungen III/54 und IV/54 angewandten Honorarverteilungsrichtlinien seien ordnungsmäßig beschlossen. Als Mitglied der beklagten KV habe sich der Kläger dem Willen der Mehrheit zu fügen, der nach demokratischen Prinzipien in dem autonomen Satzungsrecht zum Ausdruck gekommen sei.

Mit der - vom LSG nicht zugelassenen - Revision hat der Kläger beantragt, das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als es die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat, und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Er rügt in erster Linie die Unzulässigkeit der vom LSG bestätigten Zwischenfeststellung. Die Entscheidung über die Frage, ob die beanstandeten Honorarabrechnungen III/54 und IV/54 im Hinblick auf den angewandten Staffeltarif richtig oder unrichtig seien, sei keine Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Vielmehr handele es sich bei den Honorarabrechnungen um Verwaltungsakte, über deren Gültigkeit allein nach § 54 SGG zu entscheiden sei. Im Rahmen einer solchen Entscheidung wäre über die Rechtmäßigkeit der Honorarverteilungsrichtlinien als Vorfrage zu befinden gewesen. In Verkennung des Klageantrags sei diese Vorfrage jedoch zur Hauptfrage erhoben und zur selbständigen, rechtskraftfähigen Entscheidung eines Zwischenurteils gemacht. Überdies könnte die Rechtmäßigkeit von Honorarverteilungsrichtlinien, weil sie objektives Recht darstellten, nicht selbständig - also mit Rechtskraftwirkung -, sondern nur im Rahmen einer Anfechtungsklage als Vorfrage festgestellt werden.

Die beklagte KV hat beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Sie ist der Auffassung, daß die vom Kläger erhobene Zwischenfeststellungsklage zulässig ist.

II.

Die Revision des Klägers richtet sich nur noch gegen den Teil der Entscheidung des LSG, der die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und damit die aus Sachgründen ausgesprochene Klageabweisung des SG bestätigt hat. Mit Recht rügt der Kläger, daß die von beiden Gerichten getroffene Sachentscheidung unzulässig war.

Wie die Verhandlung vor dem SG erkennen läßt, ging es den Beteiligten darum, vorab eine Entscheidung über die Gültigkeit der von der Vollversammlung der KV am 27. November 1954 beschlossenen Honorarverteilungsrichtlinien zu erhalten, die bei den Vierteljahresabrechnungen von III/54 an angewendet wurden. Deshalb sollte die Frage der Rechtmäßigkeit der älteren Vierteljahresabrechnungen zurückgestellt und zunächst über die Abrechnungen III/54 und IV/54 - als Modellfälle - entschieden werden. Auch insoweit waren nach Meinung des Klägers mehrere Anfechtungsgründe gegeben; denn er beruft sich darauf, daß außer der Ungültigkeit des der Abrechnung zugrunde gelegten Honorarverteilungsmaßstabs noch "sonstige Gründe, und zwar vor allem, weil die Abrechnungen nicht überprüfbar sind", vorlägen. Um nun bei dem auf die Abrechnungen III/54 und IV/54 beschränkten Teilstreit die den Beteiligten besonders wichtige Streitfrage der Gültigkeit des Honorarverteilungsmaßstabs vom 27. November 1954 vorab zur Entscheidung zu bringen, stellte der Kläger seinen Feststellungsantrag.

Zu Unrecht haben die Vordergerichte diese Vorabentscheidung für zulässig erachtet. Das SG bezeichnet seine Entscheidung als "Zwischenurteil". Ein Zwischenurteil entscheidet aber - in Erledigung eines Zwischenstreits - nur über Fragen, die den Fortgang des Verfahrens betreffen (vgl. § 303 ZPO), und ist regelmäßig nicht anfechtbar (vgl. als Ausnahmen für Zwischenurteile besonderer Art §§ 275 Abs. 2, 304 Abs. 2 ZPO). Indessen kommt es für die Beurteilung der Wirkungen eines Urteils nicht auf seine Bezeichnung durch das Gericht, von dem es ausgeht, sondern "auf sein prozessuales Wesen" an (RG in JW 1933 S. 1259 und RGZ 102 S. 174 (175)). Aus dem Urteilsausspruch und der Begründung der vom SG getroffenen Entscheidung aber ergibt sich, daß über die vom Kläger nachträglich in den Rechtsstreit eingeführte Zwischenfeststellungsklage entschieden worden ist, mit der die Prüfung der Rechtsverbindlichkeit der Honorarverteilungsrichtlinien im Hinblick auf die Abrechnungen III/54 und IV/54 beantragt wurde. Ein solches Urteil - das LSG spricht in den Gründen des angefochtenen Urteils von einem "Zwischenfeststellungsurteil" - ist kein Zwischenurteil im rechtstechnischen Sinn, sondern ein Endurteil , und zwar, wenn über die Zwischenfeststellungsklage - wie im vorliegenden Fall - vorab entschieden wird, ein Teilurteil im Sinne von § 301 ZPO (vgl. RGZ 170 S. 328 (330); Wieczorek, ZPO § 280 Anm. C III). Insofern zutreffend haben es daher das SG - in seiner Rechtsmittelbelehrung - und das LSG für berufungsfähig erachtet.

Ohne Rechtsirrtum ist das LSG davon ausgegangen, daß eine Zwischenfeststellungsklage im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 202 SGG, § 280 ZPO zulässig ist. Auch in diesem Verfahren ist es prozeßökonomisch und daher sachgemäß, die Rechtskraft über den eigentlichen Streitgegenstand hinaus auf Zwischenfeststellungsklage hin auf ein streitig gewordenes Rechtsverhältnis zu erstrecken, das für die Entscheidung in der Hauptsache vorgreiflich ist. Ebenso ist dem LSG darin beizutreten, daß Gegenstand einer solchen Feststellungsklage auch Rechtsbeziehungen sein können, die Ausfluß eines umfassenden Rechtsverhältnisses sind. In diesem Sinne ist auch das aus der Mitgliedschaft des Klägers bei der beklagten KV entspringende einzelne Abrechnungsverhältnis, das für jede Vierteljahresabrechnung entsteht, einer selbständigen Feststellung fähig. Kommt es in einem solchen Zusammenhang auf die Gültigkeit der der Abrechnung zugrunde gelegten Honorarverteilungsrichtlinien an, so ist hierüber als Vorfrage, von der die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des "streitig gewordenen Rechtsverhältnisses" abhängt, zu entscheiden.

Indessen kann auf eine Zwischenfeststellungsklage hin nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Es ist aber nicht möglich, eine besondere Entscheidung darüber zu treffen, ob einer von mehreren Klagegründen durchgreift, wie es § 303 ZPO in der bis zum Inkrafttreten der Verordnung vom 13. Februar 1924 geltenden Fassung in Gestalt der Entscheidung über ein "einzelnes selbständiges Angriffsmittel" noch vorsah. Eine solche Vorabentscheidung läßt das geltende Verfahrensrecht nicht zu, weil mit derartigen, in schrittweisem Vorgehen erzielten Teilentscheidungen dem Prozeßziel, eine beschleunigte Entscheidung des Rechtsstreits herbeizuführen, nicht gedient wird. Die Neufassung des § 303 ZPO durch die Novelle 1924 (wonach die Möglichkeit, über selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu entscheiden, beseitigt wurde) ist gerade damit begründet worden, daß sich in der Praxis herausgestellt hatte, daß derartige Zwischenurteile häufig statt zur Vereinfachung zur Erschwerung und Verzögerung des Verfahrens führten (Volkmar in JW 1924 S. 345 (353)). In der Tat ist, wie der vorliegende Fall zeigt, mit der Entscheidung, daß die Abrechnungen III/54 und IV/54 "insoweit" - als sie nämlich von der Gültigkeit der Honorarverteilungsrichtlinien abhängen - "nicht unrichtig" sind, nicht einmal eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Abrechnungen erreicht worden, die ihrerseits auch nur einen Ausschnitt des gesamten Streitstoffs bilden.

Erweist sich somit die Revision insofern als begründet, als das LSG die Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Zwischenfeststellungsklage bejaht und in der Sache selbst entschieden hat, so kann sie doch nur zu einer Richtigstellung des klagabweisenden Grundes führen. Der Klagantrag ist nicht, wie die Revision meint, vom SG und dem LSG mißverstanden worden. Wortfassung, Begründung und Zusammenhang des Klageantrags in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG, der in der Berufungsinstanz nicht geändert worden ist, lassen nur die eine Deutung des Klagebegehrens zu, daß eine Vorabentscheidung darüber getroffen werden sollte, ob die Honorarabrechnungen III/54 und IV/54 insoweit unrichtig sind, als sie auf der Anwendung der Honorarverteilungsrichtlinien beruhen. Eine solche Klage ist aber, wie dargelegt, unzulässig. SG und LSG hätten daher diese Klage nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abweisen müssen. Diese Richtigstellung des klagabweisenden Grundes ist nunmehr vom Revisionsgericht durchzuführen, um den Anschein zu vermeiden, daß die vom LSG bestätigte sachliche Klagabweisung in materieller Rechtskraft erwachsen ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen in Zeitschrift für Zivilprozeß Bd. 65 S. 226; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, ZPO 18. Aufl. § 536 Anm. I 2 Fußnote lla). Sie ist auch vom Standpunkt der Beschwer des Klägers zulässig, da die Änderung der Sachabweisung in eine Prozeßabweisung seine Rechtsstellung nicht verschlechtert, vielmehr verbessert.

Bei dem nunmehr in der Hauptsache beim SG fortzuführenden Rechtsstreit wird das SG zu prüfen haben, ob es ein Teilurteil über die Honorarfestsetzungen III/54 und IV/54 erlassen will. Ein solches Teilurteil wäre zulässig, da die einzelnen Honorarfestsetzungen eine Mehrheit von teilbaren Ansprüchen im Sinne des § 301 ZPO bilden. In diesem Falle müßte allerdings über die Rechtmäßigkeit der Honorarfestsetzungen III/54 und IV/54 abschließend, d. h. nach Prüfung aller in Betracht kommenden Anfechtungsgründe, entschieden werden.

 

Fundstellen

BSGE, 163

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