Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsunfähigkeitsrente. selbständige Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Der mit seiner Ehefrau in allgemeiner Gütergemeinschaft lebende Versicherte übt keine selbständige Erwerbstätigkeit iS des § 1247 Abs 2 S 2 RVO aus, wenn er auf den von der Ehefrau allein geführten Geschäftsbetrieb keine - rechtlich zulässige - Einflußmöglichkeit hat.

 

Orientierungssatz

Eine selbständige Erwerbstätigkeit übt derjenige Versicherte aus, auf dessen Namen und Rechnung auf einen Geschäftsbetrieb gerichtete Handlungen vorgenommen werden. Es kommt nicht darauf an, ob und in welcher Weise der Versicherte sich nach außen oder innen am Geschäftsbetrieb beteiligt (vgl BSG 1982-08-10 4 RJ 19/81 = SozR 2200 § 1247 Nr 37).

 

Normenkette

RVO § 1247 Abs 2 S 2 Fassung: 1972-10-16; BGB § 1416 Fassung: 1957-06-18, § 1421 Fassung: 1957-06-18, § 1456 Fassung: 1957-06-18

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 24.03.1981; Aktenzeichen L 6 Ar 123/80)

SG Augsburg (Entscheidung vom 29.01.1980; Aktenzeichen S 14 Ar 332/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert als Rechtsnachfolgerin ihres während des Revisionsverfahrens verstorbenen Ehemannes (Versicherter) von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit statt Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Januar 1979 an (§§ 1247, 1294 Reichsversicherungsordnung -RVO-).

Der im August 1982 verstorbene Versicherte war nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft von September 1945 bis 1949 im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern beschäftigt. Anschließend führte er bis 1959 das seit 1949 bestehende Lebensmittelgeschäft selbst und war dann von September 1959 bis März 1960 als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Danach arbeitete er von 1960 bis 1962 wieder selbständig und von 1962 bis 1978 als Maschinenarbeiter und Schlosserhelfer. Zum 31. Dezember 1978 meldete er das bis dahin auf seinen Namen bestehende Gewerbe (Gemischtwarengeschäft) ab, und die Klägerin meldete es auf ihren Namen an. Sie lebte mit dem Versicherten in Gütergemeinschaft. Ein Vorbehaltsgut war nicht vereinbart. Die Verwaltung des Gesamtgutes durch den Mann oder die Frau wurde nicht bestimmt. Die Beklagte lehnte den vom Kläger im November 1978 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, gestützt auf § 1247 Abs 2 Satz 2 RVO ab und gewährte ihm Berufsunfähigkeitsrente (Bescheid vom 16. Mai 1979).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Ehemann der Klägerin ab 1. Januar 1979 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 29. Januar 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24. März 1981 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Da der Versicherte sich nicht um den Betrieb gekümmert habe, sei er nicht selbständig tätig gewesen. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß er mit der Klägerin in Gütergemeinschaft gelebt habe. Daß die wirtschaftlichen Folgen der Gütergemeinschaft, also daß der Ertrag des Geschäfts, dem Ehemann mit zugute gekommen sei, rechtfertige nicht die Annahme, daß er selbst eine selbständige Tätigkeit "ausgeübt" habe. Da er nicht aktiv im Geschäftsbetrieb gewirkt habe, sei er nicht Unternehmer. Er könne nicht anders behandelt werden, als erziele er etwa Einkünfte als Aktionär oder als stiller Teilhaber.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1247 Abs 2 Satz 2 RVO durch das Berufungsgericht.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Augsburg vom 29. Januar 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil ist nur soweit begründet, als es um die Rentenzahlung für den Monat Januar 1979 geht. Erst ab Februar 1979 hatte der Versicherte Erwerbsunfähigkeitsrente zu erhalten. Die Klägerin ist als Rechtsnachfolgerin des Versicherten (§ 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -, -SGB 1-) berechtigt, diesen bis zum Tod des Versicherten reichenden Anspruch weiterzuverfolgen.

Dem Versicherten hatte der Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. Februar 1979 zugestanden. Die Beklagte hält den Anspruch lediglich deshalb nicht für gegeben, weil der Versicherte infolge Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht erwerbsunfähig gewesen sei (§ 1247 Abs 2 S 2 RVO). Das ist indessen nach den für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht der Fall gewesen.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach entschieden hat (BSGE 45, 238, 241 = SozR 2200 § 1247 Nr 19; BSGE 51, 190 = SozR 2200 § 1247 Nr 32; SozR 2200 § 1247 Nr 34; SozR 2200 § 1247 Nr 37) übt derjenige Versicherte eine selbständige Erwerbstätigkeit aus, auf dessen Namen und Rechnung auf einen Geschäftsbetrieb gerichtete Handlungen vorgenommen werden. Es kommt nicht darauf an, ob und in welcher Weise der Versicherte sich nach außen oder innen am Geschäftsbetrieb beteiligt. Es genügt, daß er kraft seiner Unternehmerstellung den notwendigen Einfluß zu nehmen vermag. Deshalb kann er auch das Geschäft durch andere betreiben lassen. Solange er Unternehmer bleibt, ist ihm der Geschäftsbetrieb als selbständige Erwerbstätigkeit zuzurechnen.

Unter Berücksichtigung dieser vom erkennenden Senat geteilten Rechtsauffassung kann allein die Tatsache, daß der Versicherte mit der Klägerin in Gütergemeinschaft lebte, jedenfalls für die Zeit vom 1. Januar 1979 an, nicht dazu führen, daß er zusammen mit der Klägerin Mitunternehmer des Geschäfts geblieben ist. Denn nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin spätestens ab diesem Zeitpunkt den Betrieb allein geleitet. Sie hat seitdem allein im Betrieb gearbeitet und die betrieblichen Entscheidungen allein getroffen, ohne daß der Versicherte auf diese Entscheidungen Einfluß zu nehmen berechtigt gewesen wäre.

Die Gütergemeinschaft ist allerdings ua dadurch gekennzeichnet, daß das, was die Ehegatten, und sei es auch eigenen Namens, erwerben, ins Gesamtgut fällt (§ 1416 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten, die der das Gesamtgut verwaltende Ehegatte eingeht oder die der nichtverwaltende übernimmt, wenn der andere dem Rechtsgeschäft zugestimmt hat (§ 1438 BGB). Wird das Gesamtgut von beiden Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet, so sind die Ehegatten nur gemeinschaftlich berechtigt, über das Gesamtgut zu verfügen und Geschäfte abzuschließen, die das Gesamtgut verpflichten (§ 1450 BGB). Für Geschäfte, die ein Ehegatte für das Gesamtgut wirksam vornimmt, haften beide Ehegatten persönlich (§ 1459 Abs 2 Satz 1 BGB). Hat ein Ehegatte aber darin eingewilligt, daß der andere Ehegatte selbständig ein Erwerbsgeschäft betreibt, so ist seine Zustimmung zu solchen Rechtsgeschäften nicht erforderlich, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt (§ 1456 BGB). Dies hat zur Folge, daß alle Handlungen des das Erwerbsgeschäft betreibenden Ehegatten für das Gesamtgut verbindlich sind (§ 1460 BGB). Entscheidend dafür, wer das Unternehmen betreibt, ist dabei im allgemeinen nicht, wer im Betrieb die notwendigen Arbeiten vornimmt. Der Unternehmer kann teilweise oder sogar ganz durch andere handeln. Ebensowenig kommt es darauf an, wieweit er tatsächlich Einfluß nimmt. Auch Personen, die eindeutig Unternehmer sind, überlassen mitunter die Entscheidungen anderen, die für sie das Geschäft führen. Ebenso können beide Unternehmer sein, auch wenn nur einer der beiden nach außen auftritt (BFH, BStBl 1977 II, 836). In diesem Fall kann sich die Mitunternehmerschaft des anderen Ehegatten aus den ihm bei einer Gütergemeinschaft zustehenden Mitwirkungs- und Kontrollrechten ergeben. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Nichttätige kraft der Stellung, die ihm rechtlich vorbehalten ist, den notwendigen Einfluß ausüben kann. Auch wenn zwischen Ehegatten Gütergemeinschaft besteht, ist der Einfluß der Ehegatten kraft der rechtlichen Stellung, die ihnen die Gütergemeinschaft aufeinander verleiht, nicht in jedem Fall so groß, daß ein Unternehmen, für das das Gesamtgut haftet und dessen Ertrag ins Gesamtgut fällt, ohne weiteres von beiden Ehegatten als Unternehmen geführt wird (vgl BSG-Urteil vom 10. November 1982, 11 RK 1/82; BFH BStBl 1977 II, 201, 1977 II, 836). Vielmehr sind mehrere Gestaltungsformen denkbar, die sich durch den Einfluß unterscheiden, den die Ehegatten bei der Führung des Unternehmens aufeinander rechtlich nehmen können (vgl Beck, DNotZ 1962, 348).

Da die Klägerin und der Versicherte nicht bestimmt hatten, daß einer von ihnen das Gesamtgut verwalten solle, verwalteten sie es gemeinsam (§ 1421 S 2 BGB). In einem solchen Fall wird es zwar in der Regel darauf ankommen, welche Bedeutung das im Betrieb eingesetzte und zum Gesamtgut gehörende Kapital im Unternehmen spielt. Aus ihm kann sich die Einflußmöglichkeit des nicht tätigen Ehegatten ergeben (vgl BSG-Urteil vom 10. November 1982, aaO). Das LSG hat hier aber in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin seit dem 1. Januar 1979 das Geschäft unter eigenem Namen kraft eigener alleiniger Entscheidung führte. Es ist davon ausgegangen, daß die Abmeldung des Gewerbebetriebes zum 1. Januar 1979 nicht nur ein nach außen gerichteter lediglich erklärender Akt war, sondern daß ihm der Wille der Ehepartner entsprach, der Klägerin endgültig die alleinige Führung des Geschäftes anzuvertrauen. Das LSG ist insoweit erkennbar der damals noch als Zeugin auftretenden nunmehrigen Klägerin gefolgt, daß der schon zu dieser Zeit schwerkranke - inzwischen verstorbene - Versicherte sich gänzlich vom Geschäft zurückziehen wollte. Zulässige und begründete Revisionsgründe iS des § 163 SGG sind in bezug auf diese Feststellungen von der Beklagten nicht vorgebracht worden. Unter Beachtung dieser somit für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen war die Klägerin Alleinunternehmerin des Gewerbebetriebes. Daß ein wirtschaftlicher Erfolg dem Versicherten in gleicher Weise zugute kam oder daß ein wirtschaftlicher Mißerfolg ihn in gleicher Weise traf, war lediglich die Folge seiner eherechtlichen Verbundenheit mit der Klägerin. Unternehmerschaft besteht indes nur, wenn der Beteiligte eine gewisse Unternehmerinitiative entfalten kann und ein Unternehmerrisiko trägt. Ein Unternehmerrisiko ist anzunehmen, wenn die Auswirkungen der geschäftlichen Entwicklung auf den Wert der Vermögensrechte des Mitgenießenden bzw Mithaftenden Folgen der - rechtlich zulässigen - eigenen Einflußnahme auf das betriebliche Geschehen hätten sein können (vgl BFH-Urteil vom 28. November 1974, 1 R 232/72, DB 1975, 1012). Eine solche war hier dem Versicherten ab dem 1. Januar 1979 gerade verwehrt.

§ 1247 Abs 2 Satz 2 RVO will den Verlust der Fähigkeit ausgleichen, erwerbstätig zu sein. Wer tatsächlich nicht mehr aktiv, auch nicht durch unternehmerische Entscheidungen oder Mitentscheidungen am Erwerbsleben teilnimmt, ist nicht mehr selbständig erwerbstätig, selbst wenn er seinen Kredit und möglicherweise Teile des gemeinsamen Vermögens dem anderen zu dessen alleiniger aktiven Tätigkeit und Entscheidung zur Verfügung stellt und damit auch an dessen Gewinn partizipierten kann. In diesem Zusammenhang wird bereits im Urteil des BSG vom 12. Februar 1981 (BSGE 51, 190,191 = SozR 2200 § 1247 Nr 32) zutreffend darauf hingewiesen, daß das Betriebsergebnis kein geeignetes Kriterium darstellt, um danach die Erwerbsfähigkeit eines Selbständigen beurteilen und mit der eines unselbständig Beschäftigten vergleichen zu können. Aus diesem Grund ist auch nach der genannten Entscheidung bei der Prüfung des Anspruchs nach § 1247 Abs 2 Satz 2 RVO auf die bloße Tatsache der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit schlechthin abzustellen, ohne das Betriebsergebnis des näheren zu bewerten.

Begründet ist die Revision, soweit der Anspruch des Versicherten für die Zeit vor dem 1. Februar 1979 bejaht worden ist. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin zwar bereits tatsächlich vor dem 1. Januar 1979 die Entscheidungen im Gewerbebetrieb allein und ohne Verantwortung gegenüber dem Versicherten getroffen. Doch hatte das LSG nicht angenommen, der Versicherte habe sich schon vor diesem Zeitpunkt gegenüber der Klägerin seines Rechts, Einfluß auf die Geschäftsführung zu nehmen, begeben. Die Voraussetzungen, unter denen der Versicherte damit nach § 1247 Abs 2 Satz 2 RVO Rente begehren konnte, lagen daher erst am 1. Januar 1979 vor. Vom Ablauf dieses Monats an begann somit gemäß § 1290 Abs 1 RVO sein Anspruch auf die - höhere - Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (vgl BSG in SozR 2200 § 1290 Nr 2).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 174

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