Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.

Der 1922 geborene, aus Jugoslawien stammende Kläger war bereits in seiner Heimat als Maurer berufstätig. In der Bundesrepublik war er ab 1965 75 Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt, und zwar ab April 1967 ausschließlich - 53 Monate - als Maurer und gegen eine tarifliche Entlohnung als Maurer.

Seinen Antrag auf Rente wegen Berufs- und Erwerbsfähigkeit vom 27. August 1974 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß er noch vollschichtig leichte Arbeiten zu ebener Erde teilweise im Sitzen und nicht an laufenden Maschinen verrichten könne (Bescheid vom 20. August 1975).

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. September 1977). Las Landessozialgericht (LSG) hat dem Kläger dagegen in der angefochtenen Entscheidung vom 22. Mai 1979 ab 1. September 1974 bis 30. November 1976 Übergangsgeld und ab 6. Januar 1977 Rente wegen Berufsunfähigkeit zugesprochen. Der Kläger sei im Rahmen des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Facharbeiter zu beurteilen, da er den Beruf des Maurers nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt habe. Er könne deshalb nur auf Facharbeiter- oder auf Anlernberufe verwiesen werden. Der Kläger könne auf Grund seines Gesundheitszustandes nur leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen, auch psychischen Einschränkungen verrichten, so daß er weder seinen bisherigen noch einen zumutbaren Verweisungsberuf ausüben könne. Er sei berufsunfähig.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision tritt die Beklagte diesem Urteil entgegen. Sie bringt vor, beim Kläger könne nicht vom Beruf des Maurers ausgegangen werden. Die im Ausland verbrachten Beschäftigungszeiten könnten insoweit nicht berücksichtigt werden. Die Beschäftigung und Versicherung des Klägers im Beruf des Maurers in Deutschland sei mit 53 Monaten zu kurz, um ihn als Maurer anzuerkennen. Erforderlich sei vielmehr "eine entsprechende Anzahl von Jahren". Der Kläger könne daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden und sei somit nicht berufsunfähig. Hinsichtlich der angeblichen Tätigkeiten des Klägers in seiner Heimat verstoße das Urteil des LSG gegen die §§ 103, 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Mai 1979 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 19. September 1977 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Rechtsauslegung der Beklagten laufe auf eine verfassungswidrige Diskriminierung der Ausländer hinaus. Entscheidend sei, daß er ab April 1967 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles fast ausschließlich als Maurer gearbeitet habe. Die Verfahrensrüge der Beklagten genüge nicht den Formerfordernissen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Nach Satz 2 a.a.O. kommt es bei der Bestimmung des Kreises der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist und die dem Versicherten unter Verneinung von Berufsunfähigkeit noch "zugemutet werden können", entsprechend auf dessen "bisherigen Beruf" (= "bisherige Berufstätigkeit") sowie auf dessen "besondere Anforderungen", d.h. auf seine positiv zu bewertenden Merkmale, insgesamt also auf den qualitativen Wert des bisherigen Berufs an. Von geringerem Gewicht ist dagegen die a.a.O. weitergenannte Ausbildung; sie kennzeichnet allein den Weg, auf dem die den Beruf qualifizierenden "Kenntnisse und Fähigkeiten" (Satz 1 a.a.O.) regelmäßig erworben werden. Deshalb ist dann, wem ein Versicherter die für einen bestimmten Beruf vorgesehene Ausbildung nicht durchlaufen hat, dieser doch sein "bisheriger Beruf", wenn er ihn zuletzt und nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt hat; letzteres ist regelmäßig anzunehmen, wem er entsprechend entlohnt worden ist (vgl. zu alledem mit zahlreichen Nachweisen BSGE 41, 129 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11; BSGE 43, 243 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16; der erkennende Senat in SozR 2200 § 1246 Nr. 29 und in der Entscheidung vom 12. Dezember 1979 - 1 RJ 123/78).

Mit dieser Rechtsprechung zielt das Bundessozialgericht (BSG) darauf ab zu vermeiden, daß eine Berufstätigkeit als "bisheriger Beruf" anerkannt wird, von der sich nicht annehmen läßt, daß sie der Versicherte als "seinen" Beruf beibehalten hätte, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), wegen der er Rente begehrt und für die die Beklagte im Rahmen des § 1246 Abs. 2 RVO einzustehen hat, nicht eingetreten wäre.

Nach den insoweit nicht angegriffenen, für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hat der Kläger von April 1967 bis zu seiner Erkrankung 1973 in der Bundesrepublik durchweg als Maurer gearbeitet und auch den Tariflohn eines Maurers erhalten. Er war also zuletzt nicht nur vorübergehend vollwertig als Maurer beschäftigt und versichert. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Kläger, wäre er nicht krankheitsbedingt in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert, einen anderen als den Beruf des Maurers als seinen Beruf weiterhin ausgeübt haben würde.

Insbesondere findet die Annahme der Beklagten, bisheriger Beruf des Klägers sei der des ungelernten Arbeiters, im vorliegenden Sachverhalt keine Stütze. Dabei braucht nicht auf die in der Heimat des Klägers ausgeübten Tätigkeiten zurückgegriffen zu werden. Selbst wenn der Senat insoweit die Entscheidung des 5. Senats des BSG in SozR 2600 § 45 Nr. 24 nicht nutzbar machen wollte, genügt die an Dauer und Stetigkeit der Berufsausübung des Klägers in Deutschland zu knüpfende Vermutung, er wäre ohne den Eintritt der angeblich Berufsunfähigkeit bedingenden Umstände wie zuvor auch weiterhin als Maurer berufstätig gewesen, um seinen "bisherigen Beruf" eindeutig festzulegen. Für den konkreten Fall hat die Beklagte nicht dargetan, wieweit selbst eine Facharbeitertätigkeit von durchgängig 53 Monaten, also im erheblich größeren Umfange als die Regelausbildung zum Maurerberuf (33 Monate, vgl. das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 1978, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung, S. 22) nicht annehmen läßt, daß der Kläger diesen Beruf vollwertig und nicht nur vorübergehend ausgeübt hat.

Unberührt hiervon bleibt die bereits ältere, aber stets aufrechterhaltene Rechtsprechung des BSG, daß ein Beruf im Rahmen des § 1246 Abs. 2 RVO nicht zu berücksichtigen ist, bei dessen Aufgabe noch nicht einmal die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 3 RVO im Umfange von 60 Kalendermonaten erfüllt war (vgl. BSGE 19, 279 = SozR Nr. 22 zu § 35 RKG a.F.; Urteil des 5. Senats des BSG vom 12. September 1979 - 5 RJ 76/78). Ist - wie hier aus sogar nur deutschen Beiträgen - die Wartezeit unstreitig erfüllt, dann kann nicht verlangt werden, daß der Beruf wenigstens 60 Kalendermonate lang ausgeübt worden ist. Bisheriger Beruf im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist z.B. selbst ein Facharbeiterberuf, den der Versicherte nach abgeschlossener Ausbildung - wegen Erkrankung - nur kurzfristig ausgeübt hat (vgl. z.B. BSG in SozR Nr. 15 zu § 45 RKG). Die Annahme, ein solcher Versicherter sei nach seinem bisherigen Beruf als ungelernter Arbeiter anzusehen, wäre - wie nicht näher dargelegt zu werden braucht - offenkundig lebens- und sachfremd. Gleiches muß im konkreten Fall vom Kläger gelten.

Das LSG ist daher im angefochtenen Urteil zu Recht davon ausgegangen, daß bisheriger Beruf des Klägers der des Maurers ist. Der Qualität des Facharbeiterberufs muß daher jede Tätigkeit angemessen entsprechen, auf die der Kläger verwiesen wird; eine weitergehende Verweisung wäre unzumutbar im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO. Das LSG hat, unangegriffen von der Beklagten, keinen zumutbaren Beruf zumindest von der Qualität eines Anlernberufs aufgefunden, dessen Anforderungen der Kläger nach seinen körperlichen und geistigen Kräften genügen könnte. Das Berufungsgericht hat ihm daher zu Recht Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. an dessen Stelle - das vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241d RVO zugesprochen.

Das angefochtene Urteil trifft mithin zu, so daß die Revision der Beklagten mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG als unbegründet zurückzuweisen war.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518597

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