Leitsatz (amtlich)

Sind im Versorgungsausgleich, bezogen auf das Ende der Ehezeit vor dem 1.1.1984, Rentenanwartschaften aus Beiträgen übertragen worden, so sind diese auf die in Art 2 § 6 Abs 2 Nr 1 ArVNG geforderte Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten anzurechnen (Bestätigung und Fortführung von BSG 9.4.1987 5b RJ 70/85 = BSGE 61, 271 = SozR 2200 § 1304c Nr 1).

 

Normenkette

ArVNG Art 2 § 6 Abs 2 S 1 Nr 1; RVO § 1304a Abs 5 S 1; BGB § 1587b Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.04.1987; Aktenzeichen L 2 J 357/86)

SG Trier (Entscheidung vom 17.11.1986; Aktenzeichen S 1 J 92/86)

 

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit iS des § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dabei kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen von Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) erfüllt sind.

Aufgrund von versicherungspflichtigen Tätigkeiten der Klägerin bis Ende 1973 sind insgesamt 37 Monatsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nachgewiesen. Für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1984 entrichtete die Klägerin freiwillige Beiträge. Ihre Ehe mit Hermann M. ist seit dem 23. Juni 1983 rechtskräftig geschieden. In dem vom Scheidungsverfahren abgetrennten Verfahren über den Versorgungsausgleich übertrug das Amtsgericht (AG) in B. durch Beschluß vom 17. Februar 1984 - ab 20. April 1984 rechtskräftig - vom Versicherungskonto des früheren Ehemannes der Klägerin auf deren Versicherungskonto, bezogen auf den 28. Februar 1983, Rentenanwartschaften in Höhe von 172,20 DM monatlich. Diese entsprechen Pflichtbeiträgen für 92 Monate und basieren auf Beiträgen, die für den früheren Ehemann der Klägerin in der Zeit von 1948 bis 1981 entrichtet worden sind.

Den im April 1985 von der Klägerin gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. August 1985 ab, weil die Klägerin nicht erwerbs- oder berufsunfähig sei. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit der Begründung zurückgewiesen, zwar sei sie seit dem 18. Februar 1985 nicht mehr in der Lage, ausreichende Arbeitsleistungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erbringen. Der Rentenanspruch sei aber zu versagen, weil sie in dem maßgeblichen Zeitraum von 60 Kalendermonaten vom 1. Februar 1980 bis zum 31. Januar 1985 keine Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet habe. Sie habe auch vor dem 1. Januar 1984 keine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt (Widerspruchsbescheid vom 22. April 1986).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. November 1986), das Landessozialgericht (LSG) jedoch die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. März 1985 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 27. April 1987). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von mehr als 60 Kalendermonaten zurückgelegt und damit die Wartezeit gemäß § 1247 Abs 3a RVO erfüllt. Hierfür seien nicht nur die 37 Beitragsmonate aus eigener versicherungspflichtiger Tätigkeit zu berücksichtigen, sondern auch die nach § 1587b Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vom Versicherungskonto des früheren Ehemannes übertragenen Anwartschaften. Unerheblich sei dabei, daß der entsprechende Beschluß des AG erst am 20. April 1984 rechtskräftig geworden sei.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG. Zu Unrecht habe das Berufungsgericht die der Klägerin erst mit Wirkung vom 20. April 1984 übertragenen Rentenanwartschaften dem Zeitraum vor dem 1. Januar 1984 zugeordnet. Es könne nicht darauf abgestellt werden, wann der aus dem Versorgungsausgleich Verpflichtete die Beiträge entrichtet habe, denn mit der Übertragung verlören diese Anwartschaften ihren Bezug auf die vom Verpflichteten zurückgelegten Versicherungszeiten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat der Klägerin zu Recht Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt.

Da der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit bei der Klägerin nach den für das Revisionsgericht gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen des LSG im Februar 1985 eingetreten ist, gilt unter den Voraussetzungen des Abs 2 der Übergangsbestimmung in Art 2 § 6 ArVNG § 1247 Abs 1 RVO in der am 31. Dezember 1983 geltenden Fassung: Die nach § 1247 Abs 3 Buchst a RVO erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten muß gemäß Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG vor dem 1. Januar 1984 zurückgelegt (Nr 1) und jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls mit Beiträgen belegt sein (Nr 2). Die zuletzt genannte Voraussetzung hat die Klägerin erfüllt. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1984 sind für sie aus eigener Versicherung nur 37 Monatsbeiträge nachgewiesen. Darüber hinaus sind hier aber auch die im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Anwartschaften zu berücksichtigen.

Wie der erkennende Senat (damals als 5b Senat) im Urteil vom 9. April 1987 (vgl Bundessozialgericht -BSG- in BSGE 61, 271 ff) zu § 1304c Abs 1 RVO entschieden hat, sind der für die Wartezeit erforderlichen Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten die im Versorgungsausgleich übertragenen Rentenanwartschaften gleichzusetzen. In jenem Rechtsstreit handelte es sich zwar um die Übertragung von Anwartschaften auf eine berechtigte frühere Ehefrau, die keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hatte (§ 1304c Abs 1 RVO). Bei der Anwendung von Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG bestehen insoweit keine Unterschiede, die es rechtfertigen, die Klägerin hier anders zu behandeln. Der Senat hat im Urteil vom 9. April 1987 (aa0 273) seine Auffassung auf § 1304a Abs 5 Satz 1 RVO gestützt, wonach beim Ausgleichsberechtigten für die Erfüllung der Wartezeit die Zahl hinzugerechnet wird, die sich ergibt, wenn die nach den Abs 1 bis 3 ermittelten Werteinheiten des Versorgungsausgleichs geteilt werden. Die übertragenen Werteinheiten würden also wie vom Berechtigten selbst zurückgelegte Versicherungszeiten behandelt.

Die Beklagte begründet ihre Revision damit, Rentenanwartschaften seien der Klägerin erst mit Wirkung ab 20. April 1984, also mit Rechtskraft des den Versorgungsausgleich regelnden Beschlusses vom 17. Februar 1984 übertragen worden. Das ergebe sich aus § 629d der Zivilprozeßordnung (ZPO) und § 53g des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Das entspricht der Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 54, 87, 89). Die übertragenen Anwartschaften entfalten aber auch Wirkungen für die Zeit vor der Rechtskraft des entsprechenden Beschlusses. Das zeigt die Entscheidung des BSG vom 11. Februar 1982 (BSGE 53, 78, 80 ff). Danach kommt die in Form des Rentensplittings übertragene, bereits bestehende Anwartschaft dem Begünstigten zugute, bei dem der die Rentengewährung auslösende Versicherungsfall schon eingetreten ist, ehe die Rentenanwartschaft übertragen wurde. Das gilt selbst für Versicherungsfälle vor der Eheschließung, auch wenn das in Fällen ohne Versorgungsausgleich gegen das Versicherungsprinzip verstoßen würde, wonach Beiträge, die nach Eintritt des Versicherungsfalles entrichtet werden, bei diesem grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Der 4a Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 4. April 1984 (SozR 2200 § 1304a Nr 6) dazu ausgeführt, einmal seien die Beiträge beim Rentensplitting bereits geleistet und zwar unter Umständen sogar in vollem Umfang vor Eintritt des Versicherungsfalles, und zum anderen seien die versicherten Risiken gleichartig. Unterschiede bestünden lediglich in der Person des Versicherten (Ausgleichspflichtigen), sowie des Begünstigten (Ausgleichsberechtigten). In jedem Falle erbringe der Versicherungsträger seine Leistungen aus einem auf bereits entrichteten Beiträgen beruhenden Versicherungsverhältnis. Das ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch im Falle der Klägerin ausschlaggebend.

Gegen das Urteil des Senats vom 9. April 1987 wendet die Beklagte ein, mit der Übertragung verlören die Anwartschaften ihren Bezug auf die vom Verpflichteten zurückgelegten Versicherungszeiten. Dazu führt die Beklagte folgende Beispiele an: Nach § 1304a Abs 5 RVO seien die übertragenen Anwartschaften auf die Wartezeit auch dann anzurechnen, wenn der Versicherte in der Ehezeit nur Ausfallzeiten zurückgelegt habe, die beim Verpflichteten selbst nicht auf die Wartezeit angerechnet werden könnten (§§ 1249, 1250 Abs 1 RVO). Hätten der Verpflichtete und der Berechtigte während der Ehezeit sowohl vor dem als auch ab 1. Januar 1984 Versicherungszeiten erworben, so sei nicht mehr nachvollziehbar, in welchem Umfang die übertragenen Anwartschaften möglicherweise auf Zeiten beruhten, die vor dem 1. Januar 1984 zurückgelegt worden seien.

Die von der Beklagten vorgebrachten Argumente und Beispiele verdeutlichen in der Tat die rechtlichen Probleme, die sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber offenbar bei der Fassung des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG die Besonderheiten des Versorgungsausgleichs übersehen hat. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten machen es erforderlich, eine Lösung im Sinn und Zweck des Versorgungsausgleichs sowie in der Systematik der gesetzlichen Regelung zu suchen. Übertragen wird nach den §§ 1587a Abs 1 Satz 2 und 1587b Abs 1 Satz 1 BGB die Hälfte des Wertunterschiedes der in der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften. Das wird mit Hilfe der Konstruktion eines am Ende der Ehezeit eingetretenen fiktiven Versicherungsfalls ermöglicht. Damit steht der Endzeitpunkt der vorhandenen Versicherungszeiten fest. Das ist im Falle der Klägerin der 28. Februar 1983. In § 1304a Abs 5 RVO ist bestimmt, wie aus den nach den Abs 1 bis 3 ermittelten Werteinheiten die bei der Wartezeit zu berücksichtigenden Monate errechnet werden. Hätte das Familiengericht (FamG), wie in § 623 Abs 1 Satz 1 ZPO normalerweise vorgesehen, den Versorgungsausgleich gleichzeitig mit dem Scheidungsausspruch geregelt, dann wären die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 Nr 1 ArVNG unzweifelhaft bei der Klägerin erfüllt. Es ist nicht einzusehen, daß der Gesetzgeber bei der Fassung dieser Vorschrift es darauf abstellen wollte, ob zufällig über die Folgesachen, hier über den Versorgungsausgleich, später und zwar nach dem 31. Dezember 1983 entschieden worden ist. Sind zB sämtliche vorhandenen Rentenanwartschaften nur vom Ehemann als Versicherten, während der Ehezeit erworben und in einem für die Anwendung des Art 2 § 6 Abs 2 Nr 1 ArVNG ausreichenden Umfang vorhanden, dann sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift trotz des nach dem 31. Dezember 1983 durchgeführten Versorgungsausgleichs erfüllt. In einem solchen Fall würde es dessen Grundgedanken widersprechen, den durch die genannte Übergangsregelung garantierten Besitzstand der ausgleichsberechtigten früheren Ehefrau vorzuenthalten. Bei einer in diese Richtung zielenden Absicht des Gesetzgebers hätte jedenfalls ein entsprechender Hinweis erwartet werden können. Wäre eine solche Benachteiligung der früheren Ehefrau bezweckt worden, so hätte sich eine Prüfung nach § 1587b Abs 4 BGB angeboten, ob sich die Übertragung von Rentenanwartschaften voraussichtlich nicht zugunsten des Berechtigten auswirken würde, oder der Versorgungsausgleich in dieser Form nach den Umständen des Falles unwirtschaftlich wäre.

Der Senat ist jedoch nach wie vor der Auffassung, daß für die nach Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 1 ArVNG erforderlichen 60 Kalendermonate auch die nach dem 31. Dezember 1983 übertragenen Rentenanwartschaften zu berücksichtigen sind. Das gilt jedenfalls für Sachverhalte, bei denen das Ende der Ehezeit vor dem 1. Januar 1984 liegt, weil damit feststeht, daß Beitragsleistungen aus einem vor diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Versicherungsverhältnis geteilt und verwertet werden. Wie der von der Beklagten als Beispiel angeführte Fall zu entscheiden ist, in dem der ausgleichspflichtige Versicherte nur Ausfallzeiten zurückgelegt hat, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Bei der Klägerin sind über den Versorgungsausgleich Beitragszeiten ausgeglichen worden. Das Beispiel der Beklagten zwingt nicht dazu, alle nach dem 1. Januar 1984 übertragenen Rentenanwartschaften im Rahmen des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 1 ArVNG unberücksichtigt zu lassen. Ebenso unentschieden bleiben kann, wie zu verfahren ist, wenn das Ende der Ehezeit nach dem 1. Januar 1984 liegt. Um die von der Beklagten beispielhaft angeführten Fälle zu lösen, wird man prüfen müssen, ob trotz der grundsätzlichen Loslösung der übertragenen Anwartschaften vom Versicherungsverhältnis des Ausgleichspflichtigen ein zeitlicher Bezug zu dessen Beitragsentrichtung hergestellt werden kann. Ist das ebensowenig möglich, wie eine Entscheidung im Wege der Auslegung oder Lückenausfüllung des Gesetzes, so wird zu prüfen sein, ob die Übergangsregelung in Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG verfassungswidrig oder ergänzungsbedürftig ist.

Die somit unbegründete Revision der Beklagten mußte zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 116

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