Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsfreiheit von Beamten. Versicherungsrechtliche Beurteilung von (beurlaubten) Beamten bei Beschäftigungen außerhalb des Beamtenverhältnisses

 

Leitsatz (amtlich)

Ohne Fortsetzung der Dienstbezüge beurlaubte Beamte sind auch während ihrer Beschäftigung in einem privaten "Unterbetrieb" ihres öffentlichen Dienstherrn versicherungsfrei, wenn sich die Gewährleistungsentscheidung (AVG § 6 Abs 2) auch auf diese Beschäftigung erstreckt, so daß im Falle des unversorgten Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis die Nachversicherung gemäß AVG § 9 sicher gestellt ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein ohne Dienstbezüge beurlaubter Bundesbahnbeamter, der bei einer - in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betriebenen - betrieblichen Sozialeinrichtung der Deutschen Bundesbahn (BBG § 27) beschäftigt ist, bleibt aufgrund dieser Beschäftigung versicherungsfrei, sofern auch insoweit eine dem RVO § 169 (RVO § 1229 Abs 2, AVG § 6 Abs 2) entsprechende Gewährleistungsentscheidung vorliegt.

2. Die gemäß RVO § 169 Abs 2 ausgesprochene Gewährleistung der Anwartschaft auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung begründet nach RVO § 169 Abs 3 Krankenversicherungsfreiheit auch dann erst vom Zeitpunkt der Erteilung des Gewährleistungsbescheides an, wenn die Anwartschaft für eine zurückliegende Zeit verliehen wird; Entsprechendes gilt nach AFG § 169 Nr 1 iVm RVO § 169 Abs 3 für den Bereich der Arbeitslosenversicherung.

 

Normenkette

AVG § 6 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, § 9 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1229 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 169 Abs. 2 Fassung: 1945-03-17, Abs. 3 Fassung: 1945-03-17; AFG § 169 Nr. 1 Fassung: 1972-05-19; BBG § 27 Fassung: 1971-07-17

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. Juli 1972 und des Sozialgerichts Hannover vom 24. Februar 1970, soweit sie die Beigeladenen B und D betreffen, dahin geändert, daß die Klägerin für diese Beigeladenen lediglich Beiträge nach dem Arbeitsförderungsgesetz für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 11. Februar 1971 zu entrichten hat.

Die Beklagte hat der Klägerin und den Beigeladenen B und D 3/4 von deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladenen Georg B (B.) - zu 3) - und Lambert D (D.) - zu 4) - seit dem 1. Januar 1968 in der Angestellten- und Arbeitslosenversicherung versicherungs- und beitragspflichtig waren und sind.

Die Klägerin ist eine betriebliche Sozialeinrichtung der Deutschen Bundesbahn (DB) und nahezu voll in deren Kapitalbesitz; sie wird in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) betrieben. Sie beschäftigt als Geschäftsführer die Bundesbahnoberamtmänner B. und D., die ohne Dienstbezüge von der DB beurlaubt worden sind.

Die Beklagte stellte die Versicherungspflicht der Beigeladenen B. und D. fest (Bescheid vom 8. Februar 1968). Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 1968; Urteile des Sozialgerichts - SG - vom 24. Februar 1970 und des Landessozialgerichts - LSG - vom 19. Juli 1972). Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt Verletzung der Vorschriften in § 6 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), § 56 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), § 169 Nr. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und § 169 Abs. 1, 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Klägerin beantragt,

1.

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 19. Juli 1972 aufzuheben,

2.

auf die Berufung das Urteil des SG vom 24. Februar 1970 abzuändern und

a)

die Bescheide der Beklagten vom 8. Februar und 7. Mai 1968 aufzuheben sowie

b)

festzustellen, daß die zu ihr beurlaubten Beigeladenen B. und D. seit dem 1. Januar 1968, jedenfalls aber seit dem 12. Februar 1971 versicherungsfrei sind.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) - Beigeladene zu 1) - stellt keinen Antrag.

Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) - Beigeladene zu 2) - beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beigeladenen B. und D. sind nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im wesentlichen begründet. Die Klägerin hat für die Beigeladenen B. und D. lediglich Beiträge nach dem AFG für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 11. Februar 1971 zu entrichten.

Die Vorinstanzen haben die Beigeladenen B. und D. in ihren Beschäftigungsverhältnissen zur Klägerin in der Angestelltenversicherung nicht für versicherungsfrei und in der Arbeitslosenversicherung weder für versicherungsfrei bis zum 30. Juni 1969 noch für beitragsfrei vom 1. Juli 1969 an erklärt. Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, die Versicherungsfreiheit von Beamten auf Beschäftigungsverhältnisse übergreifen zu lassen, die - wie hier - außerhalb des Beamtendienstverhältnisses im Rahmen einer Beurlaubung unter Wegfall der Dienstbezüge zur Klägerin ausgeübt werden. Dabei ist es davon ausgegangen, daß die Beigeladenen B. und D. ihre Dienste bei einem anderen Arbeitgeber geleistet haben und daß mit diesem von den Beamtenverhältnissen unabhängige, entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse begründet worden sind. Die Versicherungsfreiheit aus den Beamtenverhältnissen der Beigeladenen B. und D. hat es für beendet erachtet, weil diese mit ihrer Beurlaubung unter gleichzeitigem Wegfall der Dienstbezüge im Sinne des Sozialversicherungsrechts aus ihrer bisherigen versicherungsfreien Beschäftigung als Bundesbahnbeamte ausgeschieden seien. Das LSG hat erwogen, ob aufgrund der Gewährleistungsentscheidung des Bundesministers für Verkehr vom 12. Februar 1971 Versicherungsfreiheit der Beigeladenen B. und D. in ihren Beschäftigungen bei der Klägerin nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG angenommen werden könne, weil sich dann eine etwaige Nachversicherung auch auf die Beschäftigungszeiten bei der Klägerin erstrecken würde (§ 9 Abs. 1 AVG). Zu einer solchen Lösung hat es sich aus doppeltem Grunde nicht für berechtigt gehalten, nämlich zum einen aus systematischen Erwägungen und zum anderen deshalb, weil mit einer Versicherungsfreiheit der Beigeladenen B. und D. die Klägerin, die eine Gesellschaft des Privatrechts sei, ungerechtfertigt von der Beitragspflicht entlastet werde.

Mit diesem so begründeten Ergebnis wird das Berufungsgericht der Eigenart des Falles nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seinen Erwägungen zu sehr davon leiten lassen, daß die Klägerin eine GmbH und insofern von der DB getrennt ist und daß die Beigeladenen B. und D. als ohne Dienstbezüge beurlaubte Bundesbahnbeamte zu der GmbH in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis stehen. Es durfte indes nicht außer Betracht bleiben, daß die klagende GmbH eine betriebliche Sozialeinrichtung ist, deren Aufrechterhaltung und Weiterführung der DB gemäß § 27 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 (BGBl III 931-1) übertragen sind. Ihr obliegt es, besondere Sozialaufgaben im Auftrag und im Interesse der DB gegenüber Bediensteten der DB dadurch wahrzunehmen, daß sie für Bedienstete der DB Wohnungen baut. Sie nimmt auf diese Weise in einem wichtigen Bereich der Fürsorge eines Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten dessen Fürsorgepflichten wahr. Die Beschäftigung der beiden beurlaubten Bundesbahnbeamten, der Beigeladenen B. und D., dient damit den öffentlichen Belangen der DB unter Voraussetzungen, denen die beamtenrechtliche Versorgung Rechnung trägt. Gemäß § 111 Abs. 1 Nr. 5 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) ist nämlich auch die im Dienst einer Einrichtung wie die der klagenden GmbH verbrachte Zeit einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit eines Beamten vorgesehen. Wenn der Bundesminister für Verkehr am 12. Februar 1971 gemäß §§ 169 Abs. 2 RVO, 6 Abs. 2 AVG entschieden hat, "daß den ohne Dienstbezüge zur Wohnungsbau Niedersachsen Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH, Hannover (= Eisenbahnwohnungsgesellschaft der Bundesbahndirektion Hannover) beurlaubten Bundesbeamten Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften mit dem in den Dienstverträgen vorgesehenem Vertragsbeginn gewährleistet ist" (Blatt 139 LSG-Akten), hat diese Entscheidung in der Vorschrift des § 111 Abs. 1 Nr. 5 BBG in Verbindung mit § 27 Bundesbahngesetz ihre Grundlage. Auf diese Gewährleistungsentscheidung darf rechtswirksam zurückgegriffen werden. Abgesehen davon, daß sie inhaltlich - wie dargetan - rechtlich bedenkenfrei ist, hat sie auch förmlich Bestand. Die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind an sie gebunden, weil sie nur von den Beschäftigten, nicht aber von den Versicherungsträgern angefochten werden kann (BSG 24, 45, 47 f; 32, 76, 82 = SozR Nr. 10 zu § 1403 RVO; SozR Nr. 4 zu § 1403 RVO Blatt Aa 7), die Beigeladenen B. und D. die Gewährleistungsentscheidung jedoch nicht angefochten haben.

Eine etwaige spätere Nachversicherung erstreckt sich daher aufgrund der ministeriellen Gewährleistungsentscheidung auch auf die Beschäftigungszeiten der Beigeladenen B. und D. bei der klagenden GmbH (§ 9 Abs. 1 AVG).

Diesem Ergebnis steht das Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1973 - 12/3 RK 4/71 - (SozR Nr. 2 zu § 6 AVG) nicht entgegen. In jenem Fall, in dem ein Beamter von seinem Dienstherrn ohne Dienstbezüge beurlaubt und während dieser Zeit von einem privaten Arbeitgeber als Angestellter gegen Entgelt beschäftigt worden war, ist Versicherungs- und Beitragspflicht angenommen worden, obschon sich der Dienstherr bereit erklärt hatte, die Beurlaubungszeit auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit insoweit anzurechnen, als dies erforderlich sei, um eine Schlechterstellung zu vermeiden. Dabei hat der erkennende Senat auch erwogen, ob es dem privaten Arbeitgeber gestattet sein könne, für die bei ihm verbrachten Beschäftigungszeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes in entsprechender Anwendung der Nachversicherungsvorschriften Beiträge nachzuentrichten, dies jedoch im Einklang mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. Juli 1972 - 5 RJ 112/71 - (SozR Nr. 16 zu § 1232 RVO) verneint. Der erkennende Senat hat hervorgehoben, anders als bei den in § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG genannten öffentlich-rechtlichen Dienstherren sei es bei privaten Arbeitgebern im allgemeinen nicht hinreichend sicher, daß die Nachversicherungsbeiträge geleistet würden, vielmehr die Gefahr bestehe, daß beim Ausfall der beamtenrechtlichen Versorgung zum Nachteil des Versicherten ein Beitragsschuldner für die Nachversicherung nicht vorhanden oder zahlungsunfähig sei. Diese die genannte Entscheidung tragenden Erwägungen sind damit begründet gewesen, daß dem Versicherten durch das Ausscheiden im sozialversicherungsrechtlichen Sinne aus dem Beamtendienstverhältnis und der anschließenden Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei einem privaten Arbeitgeber kein Nachteil in den Wechselfällen des Lebens wie Krankheit, der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, des Alters und der Arbeitslosigkeit entstehen dürfe und daß den Hinterbliebenen die ihnen zustehenden Ansprüche im Falle des Todes des Versicherten gesichert seien. Anlaß zu solcher Betrachtung besteht aber wegen der rechtlich einwandfreien Gewährleistungsentscheidung des Bundesministers für Verkehr vom 12. Februar 1971 im Falle der Beigeladenen B. und D. nicht.

Soweit dieser auf die §§ 169 Abs. 3 RVO, 6 Abs. 3 AVG gestützten Gewährleistungsentscheidung durch die Worte: "mit dem in den Dienstverträgen vorgesehenen Vertragsbeginn" rückwirkende Kraft beigelegt worden ist, ist dies für die Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung zulässig, wie sich dies aus § 6 Abs. 3 AVG ergibt. Dagegen läßt § 169 Abs. 3 Satz 2 RVO eine rückwirkende Kraft der Gewährleistungsentscheidung nicht zu. Die Gewährleistung wirkt vielmehr erst seit dem Zeitpunkt, an dem sie tatsächlich verliehen worden ist. Dies war am 12. Februar 1971. Während die beiden Beigeladenen in der Arbeitslosenversicherung gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG bis zum 30. Juni 1969 versicherungsfrei waren (vgl. SozR Nr. 8 zu § 56 AVAVG), so daß sich insoweit die Frage der Rückwirkung nicht stellte, ist diese Frage für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis zum 12. Februar 1971 anders zu beurteilen. Gemäß §§ 168, 169 Abs. 1 Nr. 1 AFG wurden sie mit dem Inkrafttreten des AFG zum 1. Juli 1969 beitragspflichtig. Für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis zum 12. Februar 1971 waren daher für die beiden Beigeladenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu leisten. Für die weitere Zeit sind sie beitragsfrei.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648242

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