Entscheidungsstichwort (Thema)

Fachfremde Tätigkeit von Kassenärzten

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Kassenarzt, der sich mit Duldung der KÄV längere Zeit hindurch fachfremd betätigt hat, weil an seinem Kassenarztsitz für das betreffende Fach kein Arzt zur Kassenpraxis zugelassen war, hat nach Zulassung eines solchen Arztes grundsätzlich keinen Anspruch auf weitere Honorierung seiner fachfremden Betätigung; das gilt auch für die stationäre Tätigkeit eines Belegarztes (Fortführung von BSG 1965-05-28 6 RKa 1/65 = BSGE 23, 97).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Kassenzulassung eines Facharztes beschränkt sich auf sein Fachgebiet, so daß er außerhalb seines Faches nicht zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung berechtigt ist; insoweit erwirbt er auch keinen Anspruch auf Vergütung seiner Leistungen, es sei denn, daß ein besonderer Grund (zB Notfall) die fachfremde Betätigung rechtfertigt.

 

Normenkette

RVO § 368a Fassung: 1955-08-17; GG Art. 12 Fassung: 1956-03-19; ÄBerufsO RP § 37 Fassung: 1960-01-16

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Juni 1967 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, ein Facharzt für Chirurgie, weiterhin frauenärztliche und geburtshilfliche Leistungen zu Lasten der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) erbringen darf.

Der 1905 geborene, seit 1939 als Chirurg tätige und 1946 zur Kassenpraxis zugelassene Kläger hat seit seiner Zulassung außer chirurgischen regelmäßig gynäkologische Leistungen abgerechnet, in der Hauptsache als Belegarzt am M.-krankenhaus in ... Nachdem am gleichen Ort Mitte 1962 ein Gynäkologe als Kassenarzt zugelassen worden war, teilte ihm die beklagte KÄV mit, sie beabsichtige, die Abrechnung gynäkologisch-geburtshilflicher Fälle durch den Kläger mit Ablauf des Jahres 1962 einzustellen (Schreiben vom 31. Juli 1962). Gegenvorstellungen des Klägers blieben im wesentlichen erfolglos, die Beklagte nahm jedoch die Behandlung von Notfällen von der beabsichtigten Regelung aus und setzte sie erst mit Wirkung vom 1. April 1963 in Kraft (Beschluß ihres Vorstandes vom 17. Oktober 1962 und Bescheid an den Kläger vom 3. Dezember 1962). Den Widerspruch des Klägers wies der Vorstand der Beklagten in der Sitzung vom 6. März 1963 zurück; er führte zur Begründung sinngemäß aus: Solange Gynäkologen nicht in dem erforderlichen Maße zur Verfügung gestanden hätten, sei die Behandlung frauenärztlicher Fälle durch Chirurgen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zeitweilig geduldet worden, dadurch habe aber der Kläger keinen rechtlich geschützten Besitzstand erworben (Bescheid vom 12. März 1963).

Die Klage wurde vom Sozialgericht (SG) Speyer als unbegründet abgewiesen, nachdem die Beklagte sich auf Anregung des Gerichts bereit erklärt hatte, noch für eine Übergangszeit bis Ende September 1965 gynäkologische Leistungen des Klägers zu vergüten (Urteil vom 1. Dezember 1965).

Auch die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz entschied - ebenso wie vorher das SG - unter Mitwirkung von zwei Kassenärzten als ehrenamtlichen Beisitzern: Der vom Kläger erhobene Anspruch auf Vergütung von stationär erbrachten belegärztlichen Leistungen richte sich gegen die KÄV und sei deshalb eine Angelegenheit allein der Kassenärzte. - Entgegen der Ansicht des Klägers habe der Vorstand der Beklagten als Widerspruchsstelle über die Rechtmäßigkeit einer von ihm selbst getroffenen Maßnahme entscheiden können. - Sachlich sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Nach ärztlichem Berufsrecht, dem der Kläger auch in der Eigenschaft als Kassenarzt unterstehe und das gleichermaßen für die stationäre belegärztliche Tätigkeit gelte, müsse er sich grundsätzlich auf sein chirurgisches Fachgebiet beschränken, dürfe sich also nicht regelmäßig fachfremd betätigen. Diese Beschränkung sei nicht verfassungswidrig, wie das Bundessozialgericht - BSG - (BSG 23, 97) zutreffend entschieden habe. Für Leistungen, die der Kläger unter Überschreitung seiner Kassenzulassung als Chirurg erbringe, könne er somit keine Vergütung beanspruchen. Daran ändere es nichts, daß er annähernd zwei Jahrzehnte "mit Wissen und Duldung" der Beklagten, jedoch ohne ihre ausdrückliche Gestattung fachfremde Leistungen abgerechnet habe. Dadurch sei weder seine Kassenzulassung unter Verletzung des Zulassungsrechts auf das Fachgebiet der Gynäkologie erweitert noch für ihn ein unwiderruflicher schutzwürdiger Besitzstand geschaffen worden. Er habe nicht annehmen können, daß die frühere Übung rechtens gewesen sei; vielmehr hätte er erkennen müssen, daß die Beklagte seine gynäkologischen Leistungen lediglich zur Überbrückung eines Notstands und für dessen Dauer vergütet habe. Nachdem die Verhältnisse sich durch Zulassung eines Gynäkologen in Bad Ems grundlegend geändert hätten, habe er kein rechtlich geschütztes Interesse mehr an der Fortdauer des bisherigen Zustandes (Urteil vom 30. Juni 1967). Dem Antrag der Beklagten, die vom SG verfügte Aussetzung ihrer Entscheidung wieder aufzuheben, hat das LSG nicht entsprochen.

Der Kläger rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision, dieses habe verkannt, daß der angefochtene Bescheid der Beklagten nicht auf die ärztliche Berufsordnung gestützt sei, sondern auf eine Bestimmung des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM), wonach Leistungen eines Facharztes außerhalb seines Fachgebietes, abgesehen von dringlichen Fällen, nicht honoriert würden. Diese Bestimmung sei mit der ärztlichen Berufsordnung, die die Fachärzte nur grundsätzlich auf ihr Fachgebiet beschränke, nicht vereinbar und deshalb nichtig. Im übrigen fehle auch der Berufsordnung eine gültige Ermächtigungsnorm. Entgegen der Ansicht des LSG habe der Kläger ferner im Hinblick auf die langjährige Duldung seiner gynäkologischen Tätigkeit durch die Beklagte "auf Grund der normativen Kraft des Faktischen", mindestens aber gewohnheitsrechtlich einen schutzwürdigen Besitzstand erworben, selbst wenn er nach der unrichtigen, wenn auch unangreifbaren Feststellung des LSG von Anfang an gewußt haben sollte, daß er auf dem für ihn fachfremden Gebiet der Gynäkologie nicht tätig sein dürfe. Diese Tätigkeit sei indessen gar nicht unrechtmäßig gewesen, da eine Trennung der chirurgischen und gynäkologischen Fachgebiete im Bereich der Beklagten nach dem Kriege zunächst nicht durchführbar gewesen sei. Das LSG habe nicht berücksichtigt, daß die gynäkologische Tätigkeit des Klägers fast 21 Jahre lang für die Versicherten unumgänglich gewesen sei und auch im Interesse der Beklagten gelegen habe; diese dürfe sich daher nach Treu und Glauben nicht auf einen angeblichen Rechtsverstoß des Klägers berufen. Schließlich habe das LSG nicht genügend aufgeklärt, ob die frauenfachärztliche Versorgung der weiblichen Versicherten in Bad Ems auch nach Zulassung eines Gynäkologen gesichert sei, ob sich also die maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse inzwischen wesentlich geändert hätten. Dem vom LSG zitierten Urteil des BSG (BSG 23, 97) habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Dort habe ein Röntgenologe eine fachfremde (elektrokardiographische) Tätigkeit nur 4 Jahre lang und nicht, wie der Kläger, auf Grund eines Notstandes gewohnheitsrechtlich ausgeübt. Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung sämtlicher Vorentscheidungen zu verurteilen, ihm über den 30. September 1965 hinaus auch die nicht dringlichen Behandlungsfälle auf dem Fachgebiet für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe zu honorieren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Ihrer Ansicht nach betreffen die gegen die ärztliche Berufsordnung für Rheinland-Pfalz und den HVM der Beklagten gerichteten Revisionsrügen des Klägers irrevisibles Recht. Ein zur Kassenpraxis zugelassener Facharzt müsse sich im übrigen schon nach allgemeinem ärztlichen Berufsrecht auf sein Fachgebiet beschränken, ohne daß es insoweit noch einer weiteren Bestimmung des HVM bedürfe. Jedenfalls sei eine fortdauernde fachfremde Tätigkeit, wie sie der Kläger weiterhin ausüben wolle, unzulässig. Für die Entscheidung über die Honorierung stationärer belegärztlicher Leistungen sei nur die KÄV zuständig, wenn die Leistungen durch Kassenärzte erbracht würden und ihre Vergütung, wie im Falle des Klägers, nicht durch das Krankenhaus aus dem Pflegesatz, sondern durch die KÄV erfolge. Entgegen der Ansicht des Klägers habe er auch durch seine jahrelange gynäkologische Betätigung keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung des früheren Zustands erworben, da dieser von der Beklagten geduldete Zustand für ihn erkennbar das Merkmal der Vorläufigkeit getragen habe und die für die Duldung maßgebend gewesenen Gesichtspunkte inzwischen entfallen seien. Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes schütze nur den Kern der Rechtsstellung des Kassenarztes, schließe aber Änderungen seines Rechte- und Pflichtenkreises nicht aus, auch wenn er durch sie wirtschaftlich schlechter gestellt werde. Außerdem betreue der Kläger ca. 50 Krankenhausbetten, also erheblich mehr als der Belegarztvertrag selbst für Übergangsfälle vorsehe.

II

Im Revisionsverfahren haben - ebenso wie in den Vorinstanzen - zwei Kassenärzte als ehrenamtliche Beisitzer mitgewirkt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt BSG 28, 84, 85) hängt die Besetzung der Richterbank in Kassenarztsachen - zwei kassenärztliche Beisitzer oder je ein Beisitzer aus den Kreisen der Kassenärzte und der Krankenkassen (§ 12 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) - davon ab, ob im Verwaltungsverfahren eine ausschließlich mit Kassenärzten besetzte Stelle oder eine Einrichtung der gemeinsamen Selbstverwaltung der Kassenärzte und Krankenkassen zu entscheiden hatte. Über den vom Kläger erhobenen Anspruch auf weitere Vergütung seiner gynäkologischen Leistungen hatte die beklagte KÄV zu entscheiden. Nur sie hat die von den Krankenkassen gezahlte Gesamtvergütung unter die Kassenärzte zu verteilen und dabei das Honorar für die einzelnen kassenärztlichen Leistungen festzusetzen (§ 368 f Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Das gilt auch für stationäre Leistungen, deren Honorierung, wie im Fall des als Belegarzt tätigen Klägers, nicht durch das Krankenhaus aus dem "großen Pflegesatz" erfolgt, sondern aus der Gesamtvergütung entnommen wird (§ 368 Abs. 4 RVO).

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das LSG hat mit Recht angenommen, daß die prozessualen Voraussetzungen für eine Sachentscheidung vorliegen. Ein Widerspruchsverfahren, das in kassenärztlichen Streitigkeiten der Klageerhebung grundsätzlich vorangehen muß (BSG 25, 120), hat stattgefunden. Widerspruchsstelle konnte nach § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG auch der Vorstand der beklagten KÄV sein (vgl. BSG 26, 174, 177 oben und BSG 28, 73, 74); dem stand nicht entgegen, daß er selbst die erste Verwaltungsentscheidung erlassen hatte.

Dem LSG ist auch in der Sache beizutreten. Für die noch streitige Zeit, d. h. seit Oktober 1965, hat der als Facharzt für Chirurgie zugelassene Kläger, abgesehen von dringenden Fällen, keinen Anspruch auf Vergütung von gynäkologischen Leistungen seitens der Beklagten.

Nach der Berufsordnung für die deutschen Ärzte vom 5. November 1937, die nach dem Kriege als Landesrecht fortgalt (BSG 23, 97, 98), und nach der hier einschlägigen Berufsordnung für die Ärzte in Rheinland-Pfalz, die dort am 1. Februar 1960 an die Stelle der Berufsordnung vom 5. November 1937 trat (BSG aaO), hatten und haben sich Fachärzte grundsätzlich auf ihr Fachgebiet zu beschränken. Daß diese Beschränkung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, hat der Senat in BSG 23, 97 näher ausgeführt. Daran hält er auch nach Prüfung der vom Kläger erhobenen Bedenken fest. Die ärztliche Berufsordnung für Rheinland-Pfalz ist am 16. Januar 1960 von der dortigen Landesärztekammer erlassen worden, und zwar auf Grund einer Ermächtigung in § 8 Abs. 3 des Landesgesetzes über die Kammern der Ärzte, Zahnärzte, Dentisten, Apotheker und Tierärzte vom 1. April 1953 (vgl. BSG 23, 99). Diese Ermächtigung verstößt nicht, was der Senat auch bei nicht revisiblen Vorschriften des Landesrechts zu prüfen hat, gegen übergeordnetes Bundesrecht, insbesondere nicht gegen die Kompetenzregelung in Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes (GG). Danach hat der Bund ua die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für die "Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen". Nicht zur Berufszulassung in diesem Sinne gehört, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG 23, 97 f), die Ordnung des Facharztwesens. Bestimmungen über die Führung einer Facharztbezeichnung, den zulässigen Umfang der jeweiligen Facharzttätigkeit sowie die Berufspflichten des Facharztes betreffen nicht die Zulassung zu einem eigenständigen Facharztberuf, sondern regeln nur die Ausübung des einheitlichen Arztberufes in der besonderen Form der verschiedenen Facharzttätigkeiten (ebenso OVG Berlin in DÄBl 1969, 1824; Weissauer in DÄBl 1968, 867; Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung, Drucksache V/ 4525 des 5. Deutschen Bundestages, zu § 10 des Gesetzentwurfs; anderer Ansicht Daniels/Bulling, Bundesärzteordnung, S. 48 ff).

Als Regelung der Berufsausübung bedarf die Bestimmung, daß der Facharzt sein Fachgebiet grundsätzlich nicht überschreiten darf, nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG formell eines Gesetzes; materiell unterliegt sie bestimmten, durch das Grundrecht der Berufsfreiheit vorgegebenen verfassungsrechtlichen Beschränkungen. Daß "Gesetz" i. S. von Art. 12 Abs. 1 GG auch eine in Gesetzesform erlassene Ermächtigungsvorschrift sein kann, hat der Senat im Anschluß an eine in der Rechtslehre vertretene Auffassung schon früher bejaht (BSG 23, 100; ebenso jetzt ausdrücklich die Neufassung des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vom 24. Juni 1968, nach der die Berufsausübung auch "auf Grund eines Gesetzes" geregelt werden kann). In der eben genannten Entscheidung des Senats ist weiter dargelegt, daß die hier in Frage stehende Ermächtigungsvorschrift (§ 8 Abs. 3 des Kammergesetzes von Rheinland-Pfalz) auch den Anforderungen genügt, die Art. 80 Abs. 1 GG für eine Ermächtigung zum Erlaß von Bundes-Rechtsverordnungen aufstellt, Dabei kann unentschieden bleiben, ob Art. 80 Abs. 1 GG überhaupt auf den Erlaß von Satzungsbestimmungen durch eine Landeskörperschaft entsprechend anzuwenden ist (verneinend OVG Berlin aaO; vgl. ferner Rupp, Archiv des öffentlichen Rechts, Band 92 S. 212, hier: S. 228 f).

Die den Fachärzten auferlegte Beschränkung auf ihr Fachgebiet überschreitet schließlich nicht die für Berufsausübungsregelungen geltenden materiellen Verfassungsschranken. Insbesondere verletzt sie nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel. Daß für sie "vernünftige Gründe des Gemeinwohls" angeführt werden können, hat der Senat schon in BSG 23, 97 (100) näher dargelegt. Neben den dort genannten "Rechtfertigungsgründen" wird neuerdings zutreffend darauf hingewiesen, daß ohne das Gebot der Fachgebietsbeschränkung das derzeitige deutsche Facharztsystem, das den Erfordernissen einer modernen Arbeitsteilung entspricht und damit sowohl dem wissenschaftlichen Fortschritt als auch den Interessen der Patienten dient, nicht funktionsfähig wäre; insbesondere könnte keinem Arzt zugemutet werden, die eigenen Patienten einem Spezialisten zu überweisen, wenn er nicht die Gewähr hätte, daß dieser seine Behandlung auf das eigene Spezialgebiet beschränkt (vgl. Weissauer aaO, S. 868; OVG Berlin aaO, S. 1825).

Ist die im allgemeinen ärztlichen Berufsrecht verankerte Fachgebietsbeschränkung hiernach verfassungsrechtlich unbedenklich, so gilt sie auch für die im Rahmen des ärztlichen Berufs auszuübende kassenärztliche Tätigkeit, gleichviel, ob diese ambulant oder - wie bei dem als Belegarzt tätigen Kläger - stationär verrichtet wird; denn der Kassenarzt unterliegt auch insoweit, als er stationäre Leistungen erbringt und gegenüber der KÄV abrechnet (§ 368 g Abs. 4 RVO), grundsätzlich den für die kassenärztliche Versorgung allgemein geltenden Vorschriften, soweit nicht Ausnahmen bestehen, was für die hier streitige Fachgebietsbeschränkung nicht der Fall ist (vgl. dazu Urteil des Berufsgerichts für die Heilberufe beim OLG Nürnberg, DÄBl 1964, 2395). Gilt die berufsrechtliche Fachgebietsbeschränkung aber auch für den Arzt in seiner Eigenschaft als Kassenarzt, so rechtfertigt sich schon damit die Bestimmung der Zulassungsordnung, daß Fachärzte nur für ihr Fachgebiet zugelassen werden (vgl. § 24 Abs. 3 der Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 28. Mai 1957). Ob eine solche gegenständliche Zulassungsbeschränkung im übrigen auch ohne eine entsprechende Bestimmung im allgemeinen ärztlichen Berufsrecht oder im Falle der Nichtigkeit jener Bestimmung gültig wäre, kann dahinstehen (zur Zulässigkeit differenzierender Regelungen im allgemeinen ärztlichen Berufsrecht und im kassenärztlichen Zulassungsrecht vgl. neuerdings Bundesverfassungsgericht vom 25. Februar 1969, BVerfGE 25, 236 unter D II 3).

Beschränkt sich hiernach die Kassenzulassung eines Facharztes auf sein Fachgebiet, so ist er außerhalb seines Faches nicht "zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung berechtigt" (§ 368 a Abs. 4 RVO) und hat infolgedessen insoweit keinen Anspruch auf Vergütung seiner Leistungen durch die KÄV, sofern nicht ausnahmsweise ein besonderer Grund (Notfall uä) die fachfremde Betätigung rechtfertigt (vgl. BSG 23, 103). Damit ist nicht entschieden, ob die KÄV nicht auch fachfremde Leistungen in gewissem Umfange bei der Verteilung der Gesamtvergütung berücksichtigen kann, wie dies anscheinend gelegentlich geschehen ist.

Daß sich der Kläger hier bei der Behandlung von gynäkologischen Fällen außerhalb seines chirurgischen Fachgebietes, für das er allein zugelassen ist, bewegt, wird von ihm selbst nicht bezweifelt. Ein Anspruch auf Honorierung der fraglichen Leistungen steht ihm deshalb grundsätzlich nicht zu. Daran ändert es nichts, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, daß der Kläger zunächst bis März 1963 und später nach einer im Prozeß getroffenen Übergangsregelung bis September 1965 im Einverständnis mit der Beklagten gynäkologische Leistungen ihr gegenüber abgerechnet hat. Da dies nicht auf Grund eines Verwaltungsakts oder einer sonstigen Erklärung der Beklagten geschehen ist, die ausdrücklich auf Begründung einer entsprechenden Rechtsposition des Klägers gerichtet war, kann unerörtert bleiben, ob in einem solchen Falle der Kläger einen nicht mehr entziehbaren "Besitzstand" erlangt hätte. Wenn die Beklagte früher die Abrechnung von frauenfachärztlichen Leistungen durch den Kläger geduldet hat, so deswegen, weil bis 1961 am Kassenarztsitz des Klägers kein Gynäkologe zugelassen war, der die kassenärztliche Versorgung der weiblichen Versicherten hätte übernehmen können. Dieser Zustand nötigte die Beklagte, wenn sie ihren gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (§ 368 n Abs. 1 RVO) erfüllen wollte, einstweilen auch eine fachfremde Betätigung des Klägers zu dulden. Seine Tätigkeit auf gynäkologischem Fachgebiet entsprach mithin - ähnlich wie bei Notfällen, in denen ein Gynäkologe nicht rechtzeitig hinzugezogen werden konnte - durchaus dem Sinn und Zweck des Kassenarztrechts. Andererseits stand sie, wie jede fachfremde Notfalltätigkeit, unter dem auch für den Kläger erkennbaren Vorbehalt, daß sie nur wegen des Notstandes und für dessen Dauer ausgeübt werden durfte. Nachdem hier der Notstand durch die Zulassung eines Gynäkologen beseitigt war, entfiel somit der rechtfertigende Grund für die bisherige Tätigkeit des Klägers auf dem fremden Fachgebiet. Seitdem gilt für ihn wieder die allgemeine Regel, daß fachfremde Leistungen nur unter besonderen Umständen, namentlich bei Vorliegen eines individuellen Notfalls, gegenüber der KÄV abgerechnet werden dürfen.

Daß im übrigen selbst eine ausdrücklich zur Behebung eines Notstandes ausgesprochene Beteiligung an der Kassenpraxis keinen unwiderruflichen "Besitzstand" bis zum Ablauf der Beteiligungsfrist begründet, zeigt § 30 Abs. 6 der Zulassungsordnung für Kassenärzte; danach kann nämlich die Beteiligung schon vor ihrem Ablauf widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen, die zur Beteiligung geführt haben, nicht mehr vorliegen. Gerade dieser Umstand - Wegfall der wesentlichen tatsächlichen Voraussetzungen für die Duldung der früheren gynäkologischen Tätigkeit des Klägers - unterscheidet seinen Fall von dem in BSG 23, 97 entschiedenen eines Röntgenologen, der nebenbei eine EKG-Tätigkeit aufgenommen hatte. Dort hatte sich nachträglich nur die ärztliche Auffassung über die Zugehörigkeit einer EKG-Tätigkeit zum röntgenologischen Fachgebiet geändert. Gleichwohl hat der Senat selbst in jenem, vergleichsweise problematischeren Fall dem Kläger die Berufung auf ein "wohlerworbenes" Recht auf Fortsetzung seiner fachfremden Tätigkeit versagt. Um so weniger kann der Kläger hier ein solches Recht für sich in Anspruch nehmen. Dabei hat der Senat noch unberücksichtigt gelassen, daß der Kläger als Belegarzt anscheinend erheblich mehr Betten versorgt, als der Belegarztvertrag vorsieht (vgl. BSG 16, 164, 167). Seine Revision gegen das Urteil des LSG ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 83

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