Leitsatz (redaktionell)

Referendare und Assessoren, die während ihres Vorbereitungsdienstes im Justizdienst wegen ihrer wissenschaftlichen Ausbildung versicherungsfrei waren, sind nicht nachzuversichern, wenn sie vor dem des Inkrafttretens des neuen Nachversicherungsrechts (1957-03-01) aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden sind.

 

Normenkette

AVG § 9 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 1958 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger möchte für die Zeit von Januar 1946 bis August 1948 in der Rentenversicherung der Angestellten (AV.) nachversichert werden. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG. befand er sich während dieser Zeit als Assessor (K) zur Vorbereitung auf die große juristische Staatsprüfung im Justizdienst des beklagten Landes. Er erhielt Diäten als außerplanmäßiger Beamter. Mit dem Bestehen des Assessorexamens im August 1948 schied er aus dem Beamtenverhältnis aus. Seit August 1950 betreibt er das Verfahren auf seine Nachversicherung, und zwar zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen, später gegen die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gerichtet. Seine Klage wurde in zweiter Instanz abgewiesen, die Revision zugelassen (Urteil des LSG. vom 1.10.1958). Er legte gegen das Urteil des LSG., das ihm am 12. Februar 1959 zugestellte worden war, am 11. März 1959 Revision ein und begründete sie am 1. April 1959. Er beantragte, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Beigeladene zu verurteilen, ihn für die Zeit vom 14. Januar 1946 bis 7. August 1948 zur Nachversicherung zu bringen, hilfsweise, festzustellen, daß er für diese Zeit nachzuversichern war. Nach seiner Meinung ist die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der juristische Vorbereitungsdienst sei als "wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf" eine versicherungsfreie Tätigkeit (§ 1 AVG, § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO, beide in der Fassung der Vereinfachungsverordnung vom 17.3.1945) und werde deshalb von den - damals geltenden - Vorschriften über die Nachversicherung (§ 1 Abs. 6 AVG a.F., § 1242 a RVO a.F.) nicht mit erfaßt, nicht richtig und widerstreitet den Tendenzen der Gesetze zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherungen und des Grundgesetzes. Das beklagte Land und die Beigeladene beantragten, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Das LSG. hat die während des Verfahrens geänderten Anträge des Klägers mit Recht als zulässig erachtet (§ 99 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Es durfte auch, obwohl der Kläger ursprünglich eine Verurteilung des beklagten Landes und erst später eine Verurteilung der Beigeladenen erstrebte, davon absehen, die Parteistellung der Beteiligten richtigzustellen, weil im sozialgerichtlichen Verfahren ein beigeladener Versicherungsträger wie ein Beklagter verurteilt werden kann (§ 75 Abs. 5 SGG).

Die Entscheidung des LSG. ist im Ergebnis richtig und zutreffend begründet. Der Kläger ist 1948, also vor dem 1. März 1957 (Tag des Inkrafttretens des neuen Nachversicherungsrechts, vgl. § 9 AVG n.F., Art. 3 § 7 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten vom 23.2.1957 - AnVNG -) aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden. Sein Anspruch ist daher noch nach dem bis dahin in der früheren britischen Besatzungszone geltenden Nachversicherungsrecht zu beurteilen, d.h. nach § 1 Abs. 6 AVG a.F. in Verbindung mit § 1242 a RVO a.F. Diese Vorschriften sehen eine Pflicht zur Nachversicherung in bestimmten Fällen vor, schließen sie aber unter anderem aus, wenn während der in Frage kommenden Zeiten die Versicherungsfreiheit schon deswegen bestand, weil die entgeltliche Beschäftigung des sonst Berechtigten seiner "wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf" diente (§ 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO a.F.). Letzteres trifft auf den Kläger zu. Seine Beschäftigung im Justizdienst des beklagten Landes diente einer solchen Ausbildung. Der Senat hat bereits in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 10.2.1960 - 1 RA 23/59) klargestellt, daß der für die Laufbahn des Richters und Staatsanwalts vorgeschriebene Vorbereitungsdienst eine wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf darstellt (vgl. auch BSG. Urteil vom 11.3.1960 - 3 RK 62/56 -). Er ist dabei der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts gefolgt, nach der eine Tätigkeit regelmäßig dann als zur wissenschaftlichen Ausbildung gehörig angesehen werden muß, wenn sie notwendiger Bestandteil einer Berufsausbildung ist, bei der ein Hochschulstudium bestimmend ist und im Mittelpunkt steht. Auch eine überwiegend praktisch ausgerichtete Tätigkeit, die einem Hochschulstudium nachfolgt, hat wissenschaftlichen Charakter, wenn der Beschäftigte während dieser Zeit lernen soll, in seinem späteren Beruf nach wissenschaftlichen Methoden zu arbeiten. Das ist beim Vorbereitungsdienst für die Gerichtsreferendare der Fall. Er bildet mit dem vorausgegangenen Universitätsstudium einen einheitlichen Werdegang und erhält durch dieses seine Grundlagen und seine Gepräge; er bietet den Referendaren Gelegenheit, unter Aufsicht und Anleitung wissenschaftliches Denken an konkreten Sachverhalten zu erproben und wird dadurch wissenschaftliche Ausbildung. An dieser Auffassung hält der Senat - auch nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage - fest. Versicherungsfreien Vorbereitungsdienst leisteten nach Beendigung ihres Kriegsdienstes auch die Assessoren (K). Sie befanden sich bis zur Ablegung der großen Staatsprüfung weiterhin in der Ausbildung (Nr. I, 2 des Erlasses über den Härteausgleich für Beamtenanwärter im Kriegswehrdienst vom 15.2.1943 - Deutsche Justiz 1943 S. 125) und standen insoweit, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, den Referendaren gleich. Der Kläger war also in der Zeit von Januar 1946 bis August 1948 auf Grund der Vorschriften des § 1 AVG a.F., § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO a.F. in der AV. versicherungsfrei und ist folglich nicht nachzuversichern, weil dies das Gesetz für diesen Fall der Versicherungsfreiheit nicht vorsieht. War der Kläger aber während der Beschäftigung im Justizdienst wegen seiner wissenschaftlichen Ausbildung versicherungsfrei, dann sind auch nicht die besonderen Voraussetzungen gegeben, unter denen unterbliebene Nachversicherungen nachgeholt werden können (Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG in Verbindung mit der Nachversicherungs-Härte-Verordnung vom 28.7.1959); die Nachversicherung des Klägers ist nämlich nicht deswegen unterblieben, weil er, wie dies Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG voraussetzt, freiwillig oder in Unehren aus dem versicherungsfreien Verhältnis ausgeschieden ist, sondern deshalb, weil er während seiner Beschäftigung in einem versicherungsfreien Ausbildungsverhältnis gestanden hat.

Der Senat ist - wie schon bei seiner früheren Entscheidung (Urteil vom 10.2.1960 - 1 RA 23/59) - der Überzeugung, daß dieses Ergebnis auch im Hinblick auf die inzwischen durch das AnVNG erfolgte Neuregelung der Nachversicherung vertretbar bleibt und keine höherrangigen Normen des Grundgesetzes verletzt, insbesondere mit dem Gleichbehandlungssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) vereinbar ist. Das neue Nachversicherungsrecht gilt für Referendare und Assessoren (K) nur dann, wenn sie nach dem Inkrafttreten der Neuregelung, d.h. nach Februar 1957 aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden sind; für die vorher Ausgeschiedenen soll es nach der ausdrücklichen Gesetzesvorschrift bei der alten Regelung bleiben (Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG). Daß bestimmte Beamtengruppen dadurch hinsichtlich der Nachversicherung unterschiedlich behandelt werden, nämlich je nachdem, ob sie vor oder nach dem Stichtag aus dem Staatsdienst ausgeschieden sind, mag zwar im Einzelfall nicht voll befriedigen, kann aber nicht dazu führen, daß nunmehr eine neue Auslegung der alten Vorschriften zwingend geboten erscheint. Gründe, die einen solchen Wandel in der Auslegung rechtfertigen könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Einführung des Stichtages für die in Frage stehende Regelung ist nicht willkürlich; es lassen sich dafür sachliche Erwägungen anführen. Wie der Senat in dem erwähnten Urteil bereits ausgeführt hat, dürfen gesetzliche Vergünstigungen, besonders wenn sie sich finanziell erheblich auswirken, sehr wohl im wesentlichen auf die Zukunft beschränkt eingeführt werden. Auch der vom Kläger vorgetragene Vergleich, daß Personen, die in Unehren ausgeschieden sind, hinsichtlich der Nachversicherung unter Umständen günstiger gestellt sind als Referendare (Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Im Gegensatz zu dem Personenkreis, für den diese Vorschrift gedacht ist, hat der Referendar durch die Aufnahme des Vorbereitungsdienstes eine Beschäftigung gewählt, die einem üblichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis, das versicherungsrechtlich in jedem Fall geschützt sein und geschützt bleiben soll, nicht vergleichbar ist, sondern von vornherein seiner Aus- und Weiterbildung dient, im wesentlichen auf diesen Zweck beschränkt ist und deshalb nach dem früheren Recht versicherungsfrei war. Die damalige Regelung erscheint auch von der heutigen Sicht her unbedenklich.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Gebühr des Rechtsanwalts wird nach dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 nicht mehr vom Senat festgesetzt (Art. VIII § 12, Art. X § 11 dieses Gesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380359

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