Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitteilung über Kinderzuschuß keine Anzeige nach dem BKGG

 

Leitsatz (amtlich)

Liegen die Voraussetzungen für die Entziehung des Kindergeldes ohne schriftlichen Bescheid (§ 25 Abs 2 BKGG) nicht vor, stellt die bloße Zahlungseinstellung keine wirksame Entziehung des Kindergeldes dar.

 

Orientierungssatz

Eine Mitteilung des Rentenversicherungsträgers über die Gewährung von Kinderzuschuß zur Rente ist keine Anzeige iS des § 25 Abs 2 Nr 1 BKGG.

 

Normenkette

BKGG § 8 Abs 1, § 25 Abs 1, § 25 Abs 2 Nr 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 30.01.1987; Aktenzeichen L 6 Kg 8/86)

SG Speyer (Entscheidung vom 27.06.1986; Aktenzeichen S 9 Kg 41/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit von März 1982 bis April 1984 Kindergeld nachzuzahlen ist.

Der Kläger erhielt aufgrund seines Antrages vom 4. Dezember 1967 für seine in den Jahren 1964 bis 1968 geborenen vier Kinder Kindergeld bis Februar 1982. Vom 1. März 1982 an bezog er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld zuzüglich des Kinderzuschusses. Ebenfalls seit März 1982 erhält der Kläger Ruhegeld nach § 23 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung, zu dem ebenfalls ein Kindergeld gewährt wird.

Die BfA hatte der Beklagten mit Schreiben vom 1. April 1982 mitgeteilt, daß sie dem Kläger ab 1. März 1982 den Kinderzuschuß zur Rente für vier Kinder zahle. Die Beklagte hatte sich daraufhin die für März bis Mai 1982 gezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 1.520 DM gemäß § 8 Abs 3 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) von der BfA erstatten lassen und die Zahlung des Kindergeldes mit Ablauf des Monats Mai 1982 eingestellt.

Mit dem auf § 45 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) gestützten, bindend gewordenen Bescheid vom 9. Juli 1984 hatte die BfA die Bewilligung des Altersruhegeldes und des Kinderzuschusses zur Rente aus der Angestelltenversicherung rückwirkend ab März 1982 aufgehoben und die dem Kläger gewährten Leistungen gemäß § 50 SGB X zurückgefordert, weil der Kläger der BfA den Empfang der Leistungen aus der Bayerischen Ärzteversorgung nicht angegeben habe, die ua nach § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) den Kinderzuschuß ausgeschlossen habe.

Der Kläger hat ua den für die Zeit von März 1982 bis August 1984 erhaltenen Kinderzuschuß zur Rente aus der Angestelltenversicherung zurückgezahlt und am 29. April 1985 um Nachzahlung des Kindergeldes ab März 1982 gebeten.

Mit Bescheid vom 25. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1985 gewährte die Beklagte dem Kläger unter Anwendung des § 28 SGBX Kindergeld ab Mai 1984; hierbei sah sie die berufsständische Versorgungsleistung aus der Bayerischen Ärzteversorgung nicht als Leistung im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) an.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung des Kindergeldes auch für die streitige Zeit verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung zurückgewiesen: Da die BfA den Bewilligungsbescheid hinsichtlich des Kinderzuschusses mit bindender Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen habe, stehe dem Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG ein Anspruch auf Kinderzuschuß zu einer Rente aus der Angestelltenversicherung nicht entgegen. Der Kindergeldanspruch des Klägers sei nach der rückwirkenden Aufhebung der Gewährung des Kinderzuschusses aufgrund der Antragstellung vom 4. Dezember 1967 wiederaufgelebt. Das Kindergeld aus der Bayerischen Ärzteversorgung sei keine Leistung im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG. Schließlich sei auch die schlichte Einstellung der Leistung durch die Beklagte ab März 1982 rechtswidrig gewesen. Die Beklagte habe diese nur durch Bescheid entziehen dürfen. Die Erteilung eines Entziehungsbescheides stehe aber nicht fest, weil nicht festgestellt werden könne, daß dem Kläger der in der Akte der Beklagten als Entwurf enthaltene Bescheid vom 21. April 1982 zugegangen ist. Da wegen der rückwirkenden Aufhebung der Kinderzuschußbewilligung zum Altersruhegeld durchgehend ein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe, sei eine erneute Antragstellung nicht erforderlich gewesen. Auf die Vorschrift des § 28 SGB X komme es deshalb für die Nachzahlung des Kindergeldes nicht an. Schließlich sei der Anspruch nicht verjährt, da der Kläger ihn am 29. April 1985 und damit innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist geltend gemacht habe.

Die Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision die Verletzung des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG, des § 28 SGB X und des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft überschritten, indem es angenommen habe, der Entziehungsbescheid vom 21. April 1982 sei nicht abgeschickt worden. Außerdem sei ein Entziehungsbescheid nach § 25 Abs 2 Nr 1 BKGG nicht erforderlich gewesen. Der Kläger habe gewußt, Rente einschließlich Kinderzuschuß beantragt zu haben. Er habe auch keine Einwendungen gegen die Erstattung des für März bis Mai 1982 gezahlten Kindergeldes aus seiner Rentennachzahlung erhoben. Die Mitteilung der BfA über die Bewilligung der Rente einschließlich des Kinderzuschusses und der darauf beruhende Anspruchsübergang nach § 8 Abs 3 BKGG seien dem Kläger wie eine eigene Anzeige über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen zuzurechnen. Desweiteren verlange die Subsidiarität des Familienlastenausgleichs, daß neben einer berufsständischen Versorgungsleistung Kindergeld nach dem BKGG nicht gewährt werde. Eine Rücknahme des bindenden Aufhebungsbescheides vom 21. April 1982 gemäß § 44 Abs 1 SGB X iVm § 20 Abs 5 BKGG komme nicht in Betracht, da bei der Aufhebung der Kindergeldbewilligung nicht von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich später als unrichtig erwiesen habe. Selbst wenn § 44 SGB X anwendbar sei, sei nach § 20 Abs 5 Halbs 2 BKGG im Wege des Ermessens zu entscheiden, ob eine Aufhebung des Bescheides vom 21. April 1982 für die Vergangenheit in Frage komme. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei keine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen. Allenfalls komme die analoge Anwendung des § 28 SGB X in Betracht mit der Folge, die Leistung rückwirkend für ein Jahr zu gewähren. Hingegen scheide die Anwendung des § 9 Abs 4 BKGG aus.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1987 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27. Juni 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet, die Vorinstanzen haben zu Recht die Leistungspflicht der Beklagten auch für die streitige Zeit bejaht, weil die von der Beklagten auf seinen Antrag vom 4. Dezember 1967 erfolgte Kindergeldbewilligung auch für diese Zeit wirkt.

Die Beklagte ist zwar zu Recht davon ausgegangen, daß sie das Kindergeld zunächst für den im Streit stehenden Zeitraum nicht zu gewähren hatte, weil der Kläger zum Altersruhegeld aus der Rentenversicherung auch einen Kinderzuschuß bezog. In einem solchen Fall wird nach § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG (aF) Kindergeld nicht gewährt. Das Kindergeld und die in § 8 Abs 1 BKGG (auch in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986, -BGBl I, 222-) genannten Leistungen stehen in einem Konkurrenzverhältnis, in dem der Gesetzgeber den letztgenannten Leistungen den Vorrang eingeräumt hat (Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juli 1985, SozR 1200 § 14 Nr 19).

Liegt ein solches Konkurrenzverhältnis vor, so hat die Beklagte das Kindergeld durch schriftlichen Bescheid zu entziehen (§ 25 Abs 1 BKGG). § 25 Abs 1 BKGG ist eine besondere Formvorschrift, durch die für bestimmte Entscheidungen im Kindergeldrecht die im Bereich des Sozialrechts grundsätzlich bestehende Formfreiheit von Verwaltungsakten (§ 33 Abs 2 SGB X) aufgehoben ist.

§ 25 Abs 1 BKGG ist eine Schutzvorschrift zugunsten des Leistungsempfängers, die inhaltlich eng abzugrenzen ist. Soll das Kindergeld in einem nicht von § 25 Abs 2 BKGG erfaßten Fall entzogen werden, ist ein förmlicher Bescheid zu erteilen; geschieht das nicht, hat der Berechtigte jedenfalls dann Anspruch auf Weiterzahlung der gewährten Leistung (BSG, Urteil vom 25. Januar 1979 - 8b RKg 4/78 -, SozR 5870 § 25 Nr 1), wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs 1 SGB X vorliegen.

Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG hat die Beklagte dem Kläger einen schriftlichen Entziehungsbescheid nicht erteilt. Das LSG hat aus dem Umstand, daß sich in den Akten der Beklagten zwar der Entwurf eines solchen Bescheides, jedoch keine Absendungs- oder Zustellungsnachweise befinden, rechtsfehlerfrei geschlossen, daß die Erteilung eines Entziehungsbescheides iS des § 25 Abs 1 BKGG an den Kläger nicht feststeht und daß die Nichtfeststellbarkeit zu Lasten der Beklagten geht.

Nicht zutreffend ist auch die Ansicht der Beklagten, sie habe im Hinblick auf die Mitteilung der BfA vom 1. April 1982 an die Beklagte über die Gewährung des Kinderzuschusses gemäß § 25 Abs 2 Nr 1 BKGG von der Erteilung eines Bescheides absehen können, weil diese Mitteilung als Anzeige des Berechtigten anzusehen sei, daß die Voraussetzungen für die Berücksichtigung seiner Kinder nicht mehr erfüllt seien. Die Anzeige iS des § 25 Abs 2 Nr 1 BKGG ist eine Erklärung des Berechtigten, und es muß sich aus den Gesamtumständen auch zweifelsfrei ergeben, daß er sie abgeben wollte; nur dann kann von einem förmlichen Entziehungsbescheid abgesehen werden (BSG aaO). Eine Mitteilung des Rentenversicherungsträgers über die Gewährung von Kinderzuschuß zur Rente erfüllt diese Anforderungen auch dann nicht, wenn - was das LSG im übrigen nicht festgestellt hat - die BfA dem Kläger den Inhalt ihrer Mitteilung an die Beklagte bekanntgegeben hätte.

Die Einstellung der Kindergeldzahlung ist unwirksam. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob in der formlosen Zahlungseinstellung überhaupt ein Verwaltungsakt zu sehen ist. Ferner kann dahingestellt bleiben, ob - entsprechend dem für das Zivilrecht in § 125 Satz 1 BGB normierten Rechtsgedanken - allein schon der Mangel der Schriftform zur Unwirksamkeit der Regelung führt und diese Rechtsfolge von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist, weil die gesetzliche Bindung des Entziehungsbescheides an Bescheiderteilung in schriftlicher Form bedeutet, daß er nur in der vorgeschriebenen Form in Wirkung treten kann (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd I, Allgemeiner Teil, 10.  Aufl, S 237; Dölker, Bayer.VerwBl 1974, 400, 402 mwN), oder ob die Nichtigkeitsvoraussetzungen des § 40 Abs 1 SGB X erfüllt sein müssen. Denn die formlose Einstellung der Kindergeldzahlung bei Hinzutreten einer konkurrierenden Leistung leidet an einem schweren Fehler, und dies ist auch bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände iS von § 40 Abs 1 SGB X offenkundig. Offenkundig fehlerhaftes Verwaltungshandeln ist zumindest dann anzunehmen, wenn der Betroffene nicht erkennen kann, ob eine Entscheidung der Behörde vorliegt (vgl dazu Kopp, VwVfG, 4. Aufl, RdNr 10 zu § 44 mwN; Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 2. Aufl, RdNr 12 zu § 44). Nach den Feststellungen des LSG ist ein solcher Fall hier gegeben. Auch wenn die BfA ab März 1982 den Kinderzuschuß zur Rente zahlte, konnte der Kläger weder daraus noch aus den weiteren Umständen entnehmen, daß die beklagte Bundesanstalt für Arbeit eine Entscheidung über den Kindergeldbezug getroffen hatte. Die schlichte Einstellung der Kindergeldzahlung ohne schriftliche Mitteilung des Grundes erscheint deshalb als offenkundig fehlerhaft. In diesem Zusammenhang kann der Senat unentschieden lassen, ob bei der Anwendung des § 40 Abs 1 SGB X auf die Sicht desjenigen abzustellen ist, der Gesetzeskenntnisse hat, also weiß, daß die Verwaltung die vorgeschriebene Schriftform nicht eingehalten hat, oder ob ein Fehler nur dann offenkundig ist, wenn auch der Laie das Verhalten der Verwaltung als offenbar unrichtig erkennt. Denn die formlose Entziehung von Kindergeld erfüllt nach den vom LSG festgestellten Umständen hier in jedem Falle die Voraussetzungen des § 40 Abs 1 SGB X.

Im Rahmen der Prüfung des Anfechtungs- und Leistungsbegehrens des Klägers gegen den Bescheid vom 25. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1985 ist nicht erheblich, welche Bedeutung das Leistungshindernis der Gewährung des Kinderzuschusses zum Altersruhegeld hatte, insbesondere inwieweit die Reflexwirkung gemäß § 8 Abs 1 BKGG auf den Kindergeldanspruch nach der rückwirkenden Rücknahme der Leistungsbewilligung fortbestand. Ebensowenig ist zu prüfen, ob die Kindergeldleistung der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG fällt. In beiden Fällen könnte eine Entscheidung ihre Rechtsgrundlage nur in § 48 SGB X finden. Die angefochtenen Bescheide könnten jedoch nicht entsprechend umgedeutet werden, ohne daß zugleich auch der Regelungsgehalt und das Wesen dieser Bescheide inhaltlich verändert würden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664118

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