Leitsatz (amtlich)

Zeiten des militärischen Dienstes, in welchen der Versicherte eine Invalidenrente gemäß RVO § 1253 aF bezog, sind im Hinblick auf die damalige Versicherungsfreiheit (RVO § 1236, AVG § 13 in den bis zum 1945-05-31 geltenden Fassungen) keine Ersatzzeiten iS der RVO § 1251 Abs 1 Nr 1, AVG § 28 Abs 1 Nr 1 (Anschluß an BSG 1974-02-06 12 RJ 380/72 = SozR 2200 § 1251 Nr 2 und 1974-08-30 11 RA 100/73).

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1236 Fassung: 1938-09-01; AVG § 13 Fassung: 1938-09-01; RVO § 1253 Fassung: 1934-05-17

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. Dezember 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der dem Kläger gewährten Versichertenrente die Zeit von Januar 1942 bis Juli 1943 - trotz des damaligen Bezugs einer Invalidenrente - als Ersatzzeit zu berücksichtigen ist.

Der 1914 geborene Kläger war vor seiner Einberufung zum Wehrdienst (November 1937) als Malergeselle versicherungspflichtig beschäftigt. Am 18. Dezember 1941 erlitt er einen Durchschuß des rechten Schultergelenkes und Verletzungen am linken Oberarm, die zu dessen Amputation im oberen Drittel führten. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein gewährte ihm vom 1. Januar 1942 an Invalidenrente nach § 1253 der Reichsversicherungsordnung (RVO) alter Fassung (aF). Am 11. Mai 1943 wurde der Kläger aus dem Lazarett und gleichzeitig aus dem Wehrdienst entlassen. Am 12. Mai 1943 meldete er sich in E/Belgien arbeitslos und arbeitete sodann vom 12. Juli 1943 bis 31. Oktober 1944 als Lohnhilfsrechner. Die in dieser Zeit entrichteten Beiträge wurden von der LVA Freie und Hansestadt H mit Bescheid vom 8. Juli 1970 beanstandet. Nachdem die Zahlung der Invalidenrente wegen des Bezugs von Kriegsbeschädigtenrente zum 31.Juli 1947 eingestellt worden war, arbeitete der Kläger von August 1948 bis September 1956 als Angestellter bei der Deutschen Bundesbahn. Anschließend wurde er in das Beamtenverhältnis übernommen.

Die Beklagte gewährte dem Kläger vom 1. Dezember 1970 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dabei erkannte sie die Zeit vom 1. Januar 1942 bis 30. November 1948 als Ausfallzeit an, lehnte jedoch die Anrechnung derselben ab, weil die nach § 36 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) notwendige Halbdeckung nicht erfüllt sei (Bescheid vom 1. Juli 1971).

Mit der Klage begehrte der Kläger, bei der Rentenberechnung zusätzlich eine Ersatzzeit vom 1. Januar 1942 bis 11. Juli 1943 und eine Beitragszeit vom 12. Juli 1943 bis 31. Oktober 1944 zu berücksichtigen. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete die Beklagte, die Rente des Klägers "unter Berücksichtigung weiteren Kriegsdienstes mit anschließender Krankheit vom 1.1.1942 bis 11.7.1943 festzustellen". Im übrigen wies es die Klage ab (Urteil vom 26. März 1973). Auf die - nur von der Beklagten eingelegte - Berufung änderte das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des Erstgerichts und wies die Klage in vollem Umfang ab. Zur Begründung führte das LSG im wesentlichen aus: Der Grund für die Gleichstellung der Ersatzzeiten des § 28 AVG mit Beitragszeiten sei darin zu suchen, daß der Gesetzgeber wegen der mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhnlichen Umstände eine Beitragsleistung nicht erwarte. Dagegen könnten Zeiten, in denen dem Versicherten Beitragsleistungen aus rechtlichen Gründen ohnehin unmöglich gewesen seien, keine Ersatzzeiten sein. Der Kläger sei aber nach § 13 AVG aF (§ 1236 RVO aF) wegen des Bezugs der Invalidenrente ab 1. Januar 1942 versicherungsfrei gewesen. Er habe somit keine Pflichtbeiträge und - unter Berücksichtigung der §§ 190 AVG aF, 1443 RVO aF - auch keine freiwilligen Beiträge nach Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität mehr entrichten können. Die allein noch streitige Zeit vom 1. Januar 1942 bis 11. Juli 1943 könne folglich auch nicht als Ersatzzeit anerkannt werden (Urteil vom 11. Dezember 1973).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 28 AVG durch das Berufungsgericht.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 26. März 1973 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Zeit von Januar 1942 bis Juli 1943 keine Ersatzzeit ist.

Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG werden zwar - unter den in Abs. 2 der Vorschrift genannten Voraussetzungen - u.a. Zeiten des während eines Krieges geleisteten Wehrdienstes und einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit als Ersatzzeiten auf die Versichertenrente angerechnet (§ 35 Abs. 1 AVG). Entsprechend dem Sinn der Ersatzzeitenregelung, nämlich Beitragszeiten zu ersetzen (vgl. § 27 Abs. 1 AVG), wird dabei aber die rechtliche Möglichkeit der Entrichtung gültiger Beiträge vorausgesetzt (so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -: vgl. SozR Nrn. 21, 22, 28, 43, 44 und 61 zu § 1251 RVO, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ob der Kläger in der streitigen Zeit Beiträge wirksam hätte leisten können, richtet sich nach dem damals gültigen Recht (BSG 25, 284, 287). Insoweit hat das LSG ohne Rechtsfehler ausgeführt, daß der Kläger vom 1. Januar 1942 an infolge des Bezugs der Invalidenrente nach den §§ 13 AVG, 1236 RVO in den bis zum 31. Mai 1945 geltenden Fassungen (vgl. Art. 4, 7 und 25 der VereinfachungsVO vom 17. März 1945, RGBl I 41) sowohl in der damaligen Invalidenversicherung, als auch in der Angestelltenversicherung versicherungsfrei war und daß gemäß den §§ 190 AVG aF, 1443 RVO aF nach Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität (18. Dezember 1941) in beiden Versicherungsbereichen eine freiwillige Beitragsleistung ebenfalls ausgeschlossen war. Der Kläger konnte somit in der streitigen Zeit weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge entrichten.

Der Auffassung der Revision, die aufgezeigte Rechtsprechung des BSG bedürfe einer Überprüfung und Korrektur, ist entgegenzuhalten, daß nunmehr diese Rechtsprechung vom 12. Senat (Urteil vom 6. Februar 1974 - 12 RJ 380/72) und vom 11. Senat (Urteil vom 30. August 1974 - 11 RA 100/73) übereinstimmend bestätigt worden ist. Danach ist gerade für den - auch hier vorliegenden - Fall, daß ein während des militärischen Dienstes eingetretener Versicherungsfall der Invalidität (§ 1254 RVO aF) bzw. der Berufsunfähigkeit (§ 27 AVG aF) der weiteren Beitragsentrichtung entgegenstand, die Anerkennung einer Ersatzzeit ausgeschlossen. In beiden Entscheidungen wird betont, daß die "Ersatzfunktion" von Beitragszeiten zwingend zur Prüfung führt, ob der Versicherte in der fraglichen Zeit überhaupt rechtlich imstande war, Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten. Wenn Rechtsgründe die Versicherungsmöglichkeiten ausschlossen, fehlt es bereits an der Ausgangslage für den Ausgleich einer versicherungsrechtlichen Benachteiligung. Die - auch hier von der Revision vorgetragenen - grundsätzlichen Bedenken gegen die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung weist das BSG dort mit dem Argument zurück, daß die nicht immer befriedigenden Auswirkungen allein auf den damaligen gesetzlichen Vorschriften zur Versicherungsberechtigung beruhen und diese Folgen durch die Rechtsprechung nicht beseitigt werden können.

Auch das sonstige Vorbringen der Revision rechtfertigt es nicht, von dieser Rechtsprechung, die sich der erkennende Senat zu eigen macht, abzuweichen. Insbesondere kann nicht angenommen werden, daß die gefestigte Rechtsauffassung des BSG - wie die Revision sinngemäß meint - regelmäßig zu unbilligen Ergebnissen führt. Denn die ausschließlich auf das frühere Recht zurückgehende Nichtberücksichtigung der Rentenbezugszeiten während des 2. Weltkrieges als Ersatzzeiten wird weitgehend dadurch ausgeglichen, daß diese Zeiten im allgemeinen als Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 AVG anrechenbar sind. Auch im Falle des Klägers hat die Beklagte die gesamte Zeit des früheren Rentenbezugs von Januar 1942 bis November 1948 als Ausfallzeit anerkannt. Diese hat nur deshalb nicht zur Erhöhung der bewilligten Versichertenrente geführt, weil infolge der Ernennung des Klägers zum Beamten bereits mehr als 14 Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit die Beitragsentrichtung eingestellt worden war und deswegen die zur Anrechnung der Ausfallzeit erforderliche Halbdeckung im Sinne des § 36 Abs. 3 AVG nicht erfüllt ist. Zum Ausgleich dafür erhält der Kläger andererseits bei seiner Versetzung in den Ruhestand als Beamter eine zusätzliche Versorgung entsprechend den §§ 106 ff des Bundesbeamtengesetzes (BBG). Unter Beachtung dieses Aspektes kann auch im Falle des Klägers nicht von einem unbilligen Ergebnis gesprochen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648693

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