Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung der Arbeitnehmer bei Beitragserstattungsstreit

 

Orientierungssatz

1. Hängt bei einem Beitragserstattungsstreit des Arbeitgebers gegen die Bundesanstalt für Arbeit der Anspruch vom Bestehen oder Nichtbestehen der Versicherungspflicht des Arbeitnehmers ab, ist dieser (hier: Heimarbeiter) gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen.

2. Etwaige Erstattungsanträge sind auch bei Verjährung der Erstattungsansprüche nicht ausgeschlossen. Über dies ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2; SGB 4 § 27 Abs 2 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.11.1986; Aktenzeichen L 9 Ar 224/85)

SG Dortmund (Entscheidung vom 08.08.1985; Aktenzeichen S 27 Ar 248/83)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin den Arbeitgeberanteil an den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung für 53 Heimarbeiter zu erstatten hat.

Das Erstattungsbegehren betrifft den Zeitraum von Januar 1976 bis März 1981, in dem diese Heimarbeiter nach Auffassung der Klägerin mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als 20 Stunden beschäftigt und damit nicht beitragspflichtig in der Arbeitslosenversicherung waren. Bei ihrer Berechnung der Wochenarbeitszeit ging die Klägerin von dem erzielten reinen Arbeitsentgelt (bei dem keine Zuschläge berücksichtigt wurden) aus, das sie durch die in ihrem Bereich (Metall-Elektrowaren und optische Industrie) vorgegebenen Mindeststundenentgelte dividierte. Die zuvor abgezogenen Zuschläge seien erst wieder zur Bestimmung der Beitragshöhe hinzuzurechnen, falls Versicherungspflicht festgestellt sei.

Die Beklagte lehnte den Erstattungsantrag ab (Bescheid vom 1. August 1983; Widerspruchsbescheid vom 12. September 1983). Sie schloß dabei für die Zeit ab 1. Januar 1981 gemäß einem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom November 1980 in Anlehnung an § 8 Abs 1 Nr 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) bei einem monatlichen Arbeitsentgelt von mehr als zwei Neunteln der Bezugsgröße (für das Kalenderjahr 1981 = 520,-- DM) auf eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden. Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Dortmund vom 8. August 1985). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufungen der Beklagten und der beigeladenen Ortskrankenkasse zurückgewiesen (Urteil vom 27. November 1986). Es hat die Berechnungsweise der Beklagten für unzulässig gehalten, weil sie die nach den §§ 169 Nr 6, 102 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) geforderte individuelle Bestimmung der von dem jeweiligen Heimarbeiter aufgewendeten Arbeitszeit nicht enthalte. Dieser Mangel sei der von der Klägerin geltend gemachten Zeitaufwandbestimmung in weit geringerer Weise anzulasten.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Beklagte weiterhin die Auffassung, daß bei der Berechnung der wöchentlichen Arbeitszeit von Heimarbeitern die Heranziehung des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 zulässig und geboten sei.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen, jedoch keinen eigenen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Die Aufhebung des Urteils des LSG ist geboten, weil das Verfahren an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. In dem Rechtsstreit waren die Beschäftigten der Klägerin (Heimarbeiter), um deren wöchentliche Arbeitszeit gestritten wird, notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG).

Streitgegenstand ist vordergründig zwar nur ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der von ihr getragenen Arbeitgeberanteile an den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, während über einen etwaigen Anspruch der Heimarbeiter auf Erstattung ihrer Arbeitnehmeranteile mangels Antrags nicht zu befinden war. Dennoch greift der Rechtsstreit unmittelbar auch in die Rechtssphäre der betreffenden Heimarbeiter ein. Voraussetzung für den streitigen Anspruch der Klägerin ist nämlich das Nichtvorliegen der von der Beklagten behaupteten "Versicherungspflicht" (Beitragspflicht) der Heimarbeiter. Wie der Senat bei Streitigkeiten über die Entrichtung von Beiträgen in ständiger Rechtsprechung (vgl BSGE 41, 297, 299) angenommen hat, enthält ein an den Arbeitgeber gerichteter Beitragsbescheid stets auch eine Entscheidung über die Versicherungspflicht des Arbeitnehmers, für den Beiträge gefordert werden, und zwingt deshalb zu dessen notwendiger Beiladung im Sozialgerichtsverfahren. Hängt bei einem Beitragserstattungsstreit der Anspruch in umgekehrter Weise ebenfalls vom Bestehen oder Nichtbestehen der Versicherungspflicht des Arbeitnehmers ab, dann ist dessen Rechtssphäre in gleicher Weise betroffen (vgl Urteil des Senats vom 11. Dezember 1987 - 12 RK 22/86 -). Seine notwendige Beiladung könnte allenfalls dann entbehrlich sein, wenn erwartet werden müßte, daß sich die Entscheidung für ihn praktisch nicht mehr auswirken werde. Das kann aber hier nicht angenommen werden. Mit dem Ausgang dieses Verfahrens (Verneinung oder Bejahung der "Versicherungspflicht") wird auch präjudiziert, ob für die betreffenden Heimarbeiter die Beiträge zu Unrecht oder zu Recht entrichtet wurden und ob sie deshalb grundsätzlich ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung ihrer Arbeitnehmeranteile haben. Da von der Klägerin in den einzelnen Erstattungsanträgen die Frage nach der Gewährung von Leistungen nach dem AFG verneint wurde, besteht kein Anhalt dafür, daß die einer Erstattung entgegenstehenden Voraussetzungen des § 26 Abs 1 SGB 4 vorliegen. Auch soweit Erstattungsansprüche der Heimarbeiter hinsichtlich des im Streit stehenden Zeitraumes bereits verjährt sein sollten (§ 27 Abs 2 Satz 1 SGB 4), würde dies ebenfalls etwaige Erstattungsanträge nicht ausschließen, über die die Beklagte dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hätte (vgl Hauck/Haines, SGB 4, K § 27 Rz 9).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664664

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