Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztliche Kunstfehler. Öffentlich-rechtlicher Anspruch und Rechtsschutzbedürfnis. Gerichtszuständigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Schadensersatzanspruch gegen den Kassenarzt, der durch Verletzung von Regeln der ärztlichen Kunst der gesetzlichen Krankenkasse Krankenhauskosten verursacht hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Prüfeinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen müssen auch den ärztlichen Kunstfehler feststellen.

2. Die Verpflichtung des Kassenarztes gegenüber der KÄV, Verstöße gegen die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst zu unterlassen (§§ 368a ff, 368e Abs 1 RVO) und die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich durchzuführen (§ 182 Abs 2, § 368e RVO), ergeben auf dem Hintergrund der den KÄV gegenüber den Krankenkassen (nach § 368n Abs 1 RVO) obliegenden Gewährleistungspflicht, daß der Kassenarzt gegenüber der KÄV verpflichtet ist, durch Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst Vermögensnachteile, die typischerweise mit solchen Regelverletzungen verbunden sind, vom Versicherungsträger abzuhalten.

3. Die Krankenkasse könnte ihren Schadensersatzanspruch gegen den Kassenarzt selbst dann (sozial-)gerichtlich geltend machen, wenn der Beschwerdeausschuß nicht für eine solche Feststellung zuständig wäre.

 

Orientierungssatz

1. Rechtsschutzbedürfnis der Krankenkasse zur Geltendmachung eines gegen den Kassenarzt gerichteten öffentlich-rechtlichen Anspruchs kann nicht deshalb verneint werden, weil ihr auch ein auf sie übergegangener Anspruch des Versicherten gegen den Kassenarzt zusteht, der, wie sich aus § 368d Abs 4 RVO ergibt, was die Haftungsfrage anlangt, privatrechtlicher Natur ist.

2. Zur Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Anspruch (§§ 368e, 368n Abs 1, 368a ff, 368a Abs 4 S 1, 182 Abs 2 RVO) sind die Sozialgerichte zuständig.

 

Normenkette

RVO § 368a Fassung: 1976-12-28, § 368d Abs. 4 Fassung: 1976-12-28, § 368e Fassung: 1977-06-27, § 368g Abs. 1 Fassung: 1977-06-27, Abs. 3 Fassung: 1977-06-27, § 368n Abs. 1, 5, § 1542; SGB 10 § 116 Fassung: 1980-08-18; BMV-Ä § 34 Abs. 3, § 35; SGG § 51 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.08.1980; Aktenzeichen S 2 Ka 192/79)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Die bei der Klägerin krankenversicherte Frau Renate P. ist von dem Internisten Dr. H. in B. mit blutgerinnungshemmenden Substanzen behandelt worden. Nachdem ihr Arzt am 15. Juli 1976 in Urlaub gegangen war, hat sie am 27. Juli 1976 wegen Leib- und Rückenschmerzen dessen Urlaubsvertreter, den Beigeladenen, aufgesucht. Der Beigeladene, der als Facharzt für innere Krankheiten zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen ist, hat nach einer Urinuntersuchung, die ein blutiges Sediment ergab, und nach einer mit einem Urologen dahingehend getroffenen Vereinbarung, daß dieser die Behandlung - am nächsten Tag - übernehme, der Patientin eine intramuskuläre Injektion (Vitamin K 1) zur Normalisierung der Blutgerinnung verabreichen lassen, die einen ausgedehnten Bluterguß hervorgerufen hat. In dem von der Patientin vorgelegten, von Dr. H. ausgestellten Paß war vermerkt, daß bei Blutungen "mit langsamer intravenöser Injektion von 2 x 10 mg Konakion (Vitamin K 1) die Blutgerinnung normalisiert werden" könne und daß unter der vorgenommenen Therapie intramuskuläre Injektionen "nach Möglichkeit vermieden werden" sollten; außerdem ging daraus hervor, daß der sogenannte Quickwert - die Zeit bis zum Eintritt der Blutgerinnung - letztmals am 15. Juli 1976 mit 34 % gemessen worden sei. Eine erneute Messung des Quickwertes hat der Beigeladene nicht veranlaßt. Der Urologe, der die Patientin am 28. Juli 1976 übernommen hatte, leitete sie an den Urologen des Städtischen Krankenhauses in K. weiter, der aufgrund einer Untersuchung eine ambulante Behandlung für ausreichend hielt. Am 3. August 1976 kam es bei der Patientin zu inneren Blutungen, die eine Einweisung in die genannte Klinik erforderlich machten. Dort wurde festgestellt, daß eine Woche zuvor der Quickwert auf 10 % abgefallen gewesen sei. Durch die Krankenhausbehandlung (vom 3. August bis 1. September 1976) sind der Klägerin Kosten in Höhe von 5.490 DM entstanden.

Die Klägerin hat beim Prüfungsausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein beantragt festzustellen, daß der Beigeladene ihre Klinikkosten in Höhe von 5.490 DM zu ersetzen habe. Sie ist der Ansicht, der Beigeladene habe dadurch, daß er eine intramuskuläre anstelle einer intravenösen Injektion habe geben lassen, einen ärztlichen Kunstfehler begangen, der zur Klinikeinweisung und damit zu den genannten Kosten geführt habe. Der Prüfungsausschuß hat sich für unzuständig erklärt. Der Beklagte hat den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Nach § 368g Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehöre zum Aufgabenbereich der Prüfungsgremien nicht die Feststellung eines ärztlichen Kunstfehlers. Die Anwendung des § 23 Abs 2 des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) aF (-§ 34 Abs 3 BMV-Ä in der ab 1. Juli 1978 geltenden Fassung -) sei unzulässig, da er vom gesetzlichen Wortlaut des § 368g Abs 1 RVO nicht gedeckt sei. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt: Die Feststellung eines auf einem ärztlichen Kunstfehler beruhenden Schadens falle nicht in die Zuständigkeit der Prüfungseinrichtungen, da sich deren Aufgabenbereich nach § 368n Abs 5 RVO in der "Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung" erschöpfe. Wenn sie nach § 23 Abs 2 BMV-Ä aF auch den "sonstigen Schaden" festzustellen haben, "den der Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenärztlichen Pflichten einer Krankenkasse verursacht hat", könne es sich daher nur um einen solchen Schaden handeln, den der Kassenarzt der Krankenkasse unmittelbar zugefügt habe. Daraus folge, daß nur der Patient aus einer fehlerhaften Behandlung durch den Arzt diesem gegenüber Schadensersatzansprüche herleiten könne. Nach § 1542 RVO werde der Krankenkasse als mittelbar Geschädigter durch den Übergang von Schadensersatzansprüchen des Versicherten gegen den Arzt zwar ein Ausgleich gewährt; der Versicherte habe aber gegen den Arzt nur einen bürgerlich-rechtlichen Ersatzanspruch. Aus diesen Gründen könne es dahingestellt bleiben, ob der Beigeladene hier schuldhaft gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen habe und der Kunstfehler für die Klinikbehandlung adäquat ursächlich gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Da der in § 368n Abs 5 RVO gebrauchte Begriff der Wirtschaftlichkeit den in den §§ 368e, 182 Abs 2 RVO umschriebenen Inhalt der kassenärztlichen Versorgung in sich trage, fielen in den Aufgabenbereich der Prüfungseinrichtungen alle sich hieraus ergebenden kassenärztlichen Pflichten. Daraus folge, daß sie inzidenter auch über einen ärztlichen Kunstfehler zu entscheiden hätten, der zu einer unwirtschaftlichen Maßnahme geführt habe. § 23 Abs 2 BMV-Ä aF unterscheide nicht zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schäden. Entscheidend sei, daß der Schaden in einem ursächlichen Zusammenhang mit der unsachgemäßen Durchführung der ärztlichen Behandlung stehe. Davon sei hier auszugehen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. August 1980 - S 2 Ka 192/79 - sowie den Bescheid des Beklagten vom 31. Oktober 1979 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, hilfsweise: den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, daß es hier nicht um die Frage der Wirtschaftlichkeit gehe. Zwar könne im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch ein ärztlicher Kunstfehler relevant werden. Bei seiner - des Beklagten - Prüftätigkeit gehe es aber ausschließlich um die Feststellung der Wirtschaftlichkeit. Bei der Behandlung des Versicherten oblägen dem Kassenarzt Sorgfaltspflichten nicht gegenüber der Krankenkasse, sondern, wie sich aus § 368d Abs 4 RVO und § 4 Abs 2 BMV-Ä ergebe, nur gegenüber dem Versicherten. Gerade auf der Erwägung, daß bei der Behandlung von Versicherten unmittelbare Beziehungen zwischen Kassenarzt und Krankenkasse nicht bestünden, beruhe die Vorschrift des § 1542 RVO.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt; er blieb unvertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Der Klägerin sind durch den Krankenhausaufenthalt der Versicherten unstreitig Kosten in Höhe von 5.490,-- DM - somit ein entsprechender Vermögensnachteil - entstanden. Ihr Vorbringen, der Beigeladene habe durch eine schuldhafte Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst, nämlich durch fahrlässige Außerachtlassung der ärztlichen Sorgfaltspflicht, eine adäquate Bedingung für das den Schaden auslösende Ereignis der Krankenhauseinweisung gesetzt und sei ihr daher zum Schadensersatz verpflichtet, ist schlüssig. Denn treffen die entsprechenden Tatsachenbehauptungen - worüber weder das SG noch die Prüfungsgremien Ermittlungen angestellt haben - zu, dann ist der Klägerin ein solcher Anspruch erwachsen.

Eine solche Ersatzpflicht konnte freilich nur dann entstehen, wenn der Beigeladene durch das behauptete Verhalten Rechtspflichten verletzt haben würde, die ihm gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) oblagen, deren Einhaltung also seitens der KÄV von ihm verlangt werden konnte (Rechtswidrigkeitszusammenhang; vgl BGHZ 57, 137, 142). Das war hier aber der Fall. Wenn es in § 368e Satz 1 RVO heißt, der Versicherte habe Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" zweckmäßig und ausreichend ist, dann bedeutet dies, daß er die Verpflichtung, Verstöße gegen die anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft zu unterlassen, auch gegenüber der KÄV trägt, die ihrerseits nach § 368n Abs 1 RVO die ärztliche Versorgung sicherzustellen und den Krankenkassen gegenüber "die Gewähr dafür zu übernehmen (hat), daß die kassenärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht". Indem die KÄV dieser ihrer Verpflichtung u.a. durch die Zulassung von Kassenärzten (§§ 368a ff RVO) nachkommt - wodurch der Kassenarzt zu ihrem Mitglied wird (§ 368a Abs 4 Satz 1 RVO) -, hat sie auch das Recht, von diesen ihren kassenärztlichen Mitgliedern die Einhaltung der genannten Verpflichtung zu verlangen. Das gleiche gilt aber auch hinsichtlich der Verpflichtung des Kassenarztes, die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich durchzuführen (§ 182 Abs 2, § 368e RVO). Auch insoweit ist der Kassenarzt gegenüber seiner KÄV verpflichtet. Beide Verpflichtungen zusammen ergeben aber auf dem Hintergrund der den KÄV'en gegenüber den Kassen (nach § 368n Abs 1 RVO) obliegenden Gewährleistungspflicht, daß der Kassenarzt gegenüber der KÄV verpflichtet ist, durch Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst Vermögensnachteile, die typischerweise mit solchen Regelverletzungen verbunden sind, vom Versicherungsträger abzuhalten.

Der Umstand aber, daß hier der Rechtsinhaber - die KÄV - mit dem Geschädigten - die Krankenkasse - nicht identisch ist, steht dem Ersatzanspruch der KÄV nicht entgegen. Die Klägerin hat keine (direkte) Leistung an sich selbst verlangt, also keine eigene (materielle) Sachbefugnis hinsichtlich der Ersatzleistung geltend gemacht, sondern lediglich (- im Hinblick auf den in § 35 BMV-Ä nF, § 24 BMV-Ä aF geregelten Ausgleich zwischen KÄV und Kassen -) die Feststellung begehrt, daß der Beigeladene ihre Klinikkosten in Höhe von 5.490,-- DM zu ersetzen habe. Daher brauchte auch nicht geprüft zu werden, ob (in Anwendung des Rechtsgrundsatzes, daß der Schädiger keinen Rechtsvorteil daraus ziehen darf, daß Rechtsinhaber und Geschädigter aufgrund eines zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses auseinanderfallen), der Klägerin wegen ihrer besonderen Stellung als Versicherungsträger eine eigene Sachbefugnis zur Geltendmachung der Ersatzleistung - wie ein Rechtsinhaber - zusteht. Darauf aber, ob die Klägerin für ihren Feststellungsantrag ein Rechtsschutzbedürfnis hat, ist später einzugehen.

Es ist zwar richtig, daß - worauf das SG abhebt - grundsätzlich nur der Schaden zu ersetzen ist, der dem Rechtsinhaber entstanden ist, nicht aber darüber hinaus Schäden Dritter, deren Vermögenslage mittelbar durch das Schadensereignis nachteilig beeinflußt wurde (vgl Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht, 15. Aufl 1958, § 17 zum Schadensumfang). Um einen solchen Dritten handelt es sich bei der Klägerin aber nicht. Denn der Kassenarzt weiß und kann daher auch damit rechnen, daß Vermögensnachteile, die durch Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst zu Lasten des Versicherungssystems entstehen, regelmäßig nicht bei der KÄV, sondern bei der Krankenkasse eintreten. Ist der Schädiger aber schon dann, wenn (nur) zwischen Rechtsinhaber und Geschädigtem eine besondere rechtliche Interessenverknüpfung besteht, nicht von der Ersatzpflicht befreit, dann hat das erst recht zu gelten, wenn er, wie hier, als Kassenarzt selbst zu dem öffentlich-rechtlichen System der gesetzlichen Krankenversicherung gehört und institutionell mit ihm verbunden ist. Im übrigen wird einer Ausweitung des Schadensbegriffs aber dadurch begegnet, daß der Vermögensnachteil über die bloße kausale Verknüpfung hinaus dem Schadensereignis auch adäquat sein muß. Der Schaden muß, mit anderen Worten, im Verhältnis zu dem schädigenden Ereignis als nicht unwahrscheinlich, als in einem inneren Zusammenhang stehend und nicht nur als zufällig angesehen werden können (BGHZ aaO, S 141). Ob das zutrifft, ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Im vorliegenden Fall ist eine solche Adäquanz aber nicht auszuschließen.

Mit ihrem Verlangen, den Beigeladenen zur Schadensersatzleistung zu verurteilen, steht der Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis zu. Durch die Übertragung der Aufgabe auf die KÄV'en, die ärztliche Versorgung sicherzustellen, haben diese Vereinigungen eine primär den Krankenkassen obliegende Verpflichtung übernommen (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand Januar 1983, Vorbemerkung zu § 368 RVO, S 17/1461). Darüber hinaus haben sie, wie oben ausgeführt, gegenüber den Krankenkassen aber auch die Gewähr übernommen, daß die kassenärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Unter diesen Umständen hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, dann, wenn die KÄV selbst nicht bereit ist, die Ersatzleistung gegen ihr kassenärztliches Mitglied geltend zu machen, eine Verurteilung zur Leistung an die KÄV zu verlangen, die ihrerseits nach dem Inhalt des BMV-Ä (§ 24 aF, § 35 nF) verpflichtet ist, den zuerkannten Betrag an sie - die Klägerin - abzuführen oder (falls sie - die KÄV - gegenüber dem Kassenarzt nicht gegen Honorarforderungen aufrechnen kann) den Anspruch an sie - die Klägerin - abzutreten. Dies zeigt auch, daß die Klägerin ihr Verlangen, den Kassenarzt zum Schadensersatz zu verpflichten, gerichtlich selbst dann geltend machen könnte, wenn der Beklagte für die hier streitige Entscheidung nicht zuständig wäre. Einem vergleichbaren Interesse der Krankenkassen (trotz der Rechtsstellung der KÄV'en), zur eigenen Anrufung der zuständigen Verwaltung und der Gerichte befugt zu sein, hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß er den Landesverbänden der Krankenkassen ein Widerspruchsrecht sowohl gegen die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse nach § 368b Abs 4 RVO als auch gegen die Entscheidungen der (Wirtschaftlichkeits-) Prüfungsausschüsse nach § 368n Abs 5 RVO einräumte. Dieses Rechtsschutzinteresse der Krankenkassen hat der Senat im übrigen aber auch bei einem Streit über die Zulässigkeit einer Gemeinschaftspraxis bejaht (Urteil vom 22. April 1983 - 6 RKa 7/81 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Ein solches Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin wäre auch dann gegeben, wenn sie einen eigenen Anspruch gegen den Kassenarzt nach § 1542 RVO hätte. Nach dieser Vorschrift, die durch die am 1. Juli 1983 in Kraft getretene Bestimmung des § 116 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ersetzt wurde, handelt es sich bei dem in ihr geregelten Rückgriffsanspruch des Versicherungsträgers um einen Ersatzanspruch, der in der Person des Versicherten entstanden und im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs (cessio legis) auf den Versicherungsträger übergegangen ist (BGH, Großer Zivilsenat, BGHZ 9, 179; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl 1981, S 974 mwH). Nach einhelliger Auffassung geht der Ersatzanspruch des Verletzten im Augenblick seiner Entstehung in der Person des Versicherten durch diesen hindurch auf den Versicherungsträger über (BGHZ, aaO; Brackmann, aaO, S 974a, mwH). Demnach gehören zu dem übergegangenen Anspruch grundsätzlich auch die von dem Dritten gegenüber dem Versicherten verursachten Krankenhauskosten. Durch die Vorschrift soll verhindert werden, daß der Versicherte entweder zu Lasten der Versicherung eine doppelte Entschädigung erhält oder daß die Versicherungsleistung auf den Schaden angerechnet (- sog Vorteilsausgleich -) und damit der Schädiger ungerechtfertigt entlastet wird. Beide Gefahren bestehen aber dort nicht, wo der Schädiger selbst zum Versicherungssystem gehört und er ohnehin verpflichtet ist, den Schaden gegenüber dem Versicherungsträger zum Ausgleich zu bringen. Aus diesen Gründen hat der Senat schon Bedenken, ob § 1542 RVO (§ 116 SGB X) auch dort anwendbar ist, wo der (die Versicherungsleistung auslösende) Schaden vom Kassenarzt verursacht wurde. Über diese Frage brauchte letztlich aber nicht entschieden zu werden, da das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der Geltendmachung des gegen den Kassenarzt gerichteten öffentlich-rechtlichen Anspruchs nicht deshalb verneint werden kann, weil ihr auch ein auf sie übergegangener Anspruch des Versicherten gegen den Kassenarzt zusteht, der, wie sich aus § 368d Abs 4 RVO ergibt, was die Haftungsfrage anlangt, privatrechtlicher Natur ist. Indem die Klägerin darauf verzichtet, aus dem Verhältnis Patient/Arzt aufgrund eines übergegangenen Anspruchs auf Schadenersatz zu klagen, kann ihr jedenfalls ein Interesse an der Geltendmachung des primären Anspruchs nicht abgesprochen werden. Das schon deshalb, weil es sich - trotz desselben Verlangens nach Ersatz dieses Schadens - um zwei rechtlich völlig verschieden gestaltete Ansprüche handelt: hier ein öffentlich-rechtlicher Anspruch gegen den Kassenarzt wegen Verletzung der ihm gegenüber der KÄV bzw der Kasse obliegenden Verpflichtungen; dort ein übergegangener, nach den Grundsätzen des privatrechtlichen Haftungsrechts ausgestalteten Anspruch (vgl die - von der herrschenden Lehre abweichende - Unterscheidung zwischen Anspruchskonkurrenz und Anspruchsnormenkonkurrenz bei Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 2. Bd, 12. Aufl 1981, S 689f; danach läge selbst bei solcher Unterscheidung hier jedenfalls eine echte Anspruchskonkurrenz vor). Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin ist daher auch unter Beachtung des § 1542 RVO/§ 116 SGB X zu bejahen.

Zur Entscheidung über den hier geltend gemachten öffentlichrechtlichen Anspruch (§§ 368e, 368n Abs 1, 368a ff, 368a Abs 4 Satz 1, 182 Abs 2 RVO) sind die Sozialgerichte zuständig. Denn nach § 51 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind Angelegenheiten der Sozialversicherung "auch die Angelegenheiten, die aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen (Kassenarztrecht) im Rechtsweg zu entscheiden sind". Das ist hier der Fall. Gegenüber dieser in die sozialgerichtliche Prozeßordnung aufgenommenen speziellen Bestimmung tritt die allgemeine Vorschrift der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, der ordentliche Rechtsweg gegeben ist (§ 40 Abs 2 Satz 1 VwGO), zurück, so daß die Zuweisung derartiger Streitigkeiten an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit hiervon unberührt bleibt (Stelkens/Bonk/Leonhard, Verwaltungsverfahrensgesetz -VwVfG- Kommentar, 1978, S 740, RdNr 3), ganz abgesehen davon, daß § 40 Abs 2 Satz 1 VwGO "keineswegs alle Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten... den ordentlichen Gerichten zugewiesen" (BGHZ 43, 269, 278), sondern nur den bisherigen "Besitzstand" der Zivilgerichte auf gewissen Teilbereichen des öffentlichen Rechts aufrechterhalten hat, so daß Ansprüche wie hier, über die die Zivilgerichte niemals zu entscheiden hatten, nicht unter die genannte Vorschrift fallen (BSGE 26, 129, 134).

Dem Gerichtsverfahren vorgeschaltet ist hier jedoch ein obligatorisches Verwaltungsverfahren, für das der Beklagte auch zuständig ist. Das haben die Parteien des BMV-Ä in § 23 Abs 2 aF, § 34 Abs 3 nF ausdrücklich vereinbart. Die Vorschrift, wonach die Prüfungseinrichtungen auch den sonstigen Schaden festzustellen haben, "den der Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenärztlicher Pflichten einer Krankenkasse verursacht hat", umgreift nach ihrem klaren Wortlaut auch den hier geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Sie hält sich insoweit aber auch innerhalb des in § 368g Absätze 1, 3 RVO gesetzten Rahmens. Denn der Rechtszweck, die kassenärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse so zu regeln, daß ua eine gleichmäßige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken gewährleistet ist, wird durch die genannten organisatorischen Vorschriften des BMV-Ä nicht verfehlt. Wie oben bereits dargelegt, ist der Kassenarzt aufgrund der genannten gesetzlichen Bestimmungen gegenüber der KÄV verpflichtet, durch Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst Vermögensnachteile, die typischerweise mit solchen Regelverletzungen verbunden sind, von der Kasse abzuhalten. Die Parteien des Gesamtvertrages durften daher dem Prüfungsgremium die Kompetenz zuweisen, über die aus solchen Verstößen resultierenden Schadensersatzansprüche zu entscheiden. Daß dabei die in § 368n Abs 5 RVO genannte, dem Prüfungsgremium zugewiesene Aufgabe der "Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung" eine gewisse Ergänzung erfuhr, ist rechtlich nicht zu beanstanden, da sie unter Beachtung des in § 368g Absätze 1, 3 RVO gesetzten Rahmens erfolgte.

Auf die Revision der Klägerin war das Urteil des SG daher aufzuheben. Da der Beklagte unter Ablehnung einer Sachentscheidung die seinem verwaltungsmäßigen Aufgabenbereich zugehörenden Feststellungen insgesamt nicht getroffen hat, hat der Senat den Widerspruchsbescheid ebenfalls aufgehoben und den Beklagten verurteilt, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 2. Aufl 1981, RdNr 12 zu § 131 mwN; Eyermann/Fröhler, Kommentar VwGO, 8. Aufl 1980, § 113 RdNr 62a mwN). Der Beklagte hat demnach Feststellungen darüber nachzuholen, ob der Beigeladene schuldhaft gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen, ob dieser Verstoß die Krankenhauseinweisung adäquat verursacht hat und ob er bei Anwendung der ihm als Kassenarzt obliegenden Sorgfalt diese Folge hätte erkennen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 144

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