Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiladung des Arbeitgebers bei Unwirksamkeit von Pflichtbeiträgen

 

Orientierungssatz

Bei der Entrichtung von Pflichtbeiträgen aus einer Beschäftigung ist auch der Arbeitgeber beteiligt, weil er die Beiträge getragen und bei Unwirksamkeit einen Erstattungsanspruch hat; das hat zur Folge, daß über die Rechtswirksamkeit der Beiträge gegenüber dem Versicherten und seinem Arbeitgeber nur einheitlich entschieden werden kann (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG). Daher ist zu einem Rechtsstreit über die vom Rentenversicherungsträger gegenüber einem Versicherten beanstandete Wirksamkeit von entrichteten Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber des Versicherten nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.09.1983; Aktenzeichen L 6 An 588/83)

SG Mannheim (Entscheidung vom 11.02.1983; Aktenzeichen S 12 An 1483/82)

 

Tatbestand

Streitig sind die Gewährung eines Altersruhegeldes nach dem Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und eine Beitragsbeanstandung.

Der im Mai 1909 geborene Kläger, der zum Kreis der rassisch Verfolgten gehört, wanderte im Juni 1934 in die Vereinigten Staaten aus, ist seit Juli 1940 amerikanischer Staatsbürger und bezieht seit 1974 ein Altersruhegeld der US-Social Security. 1980 kehrte er nach Deutschland zurück und übte vom 1. Dezember 1980 bis 15. Februar 1981 eine Beschäftigung als Angestellter bei dem Steuerberater Prof. Dr. R. (R.) in H. aus, für die Rentenversicherungsbeiträge entrichtet wurden.

Im November 1980 meldete der Kläger Ansprüche aus dem deutschamerikanischen Sozialversicherungsabkommen (DASVA) vom 7. Januar 1976 (BGBl II,1358) iVm dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), insbesondere auf Nachentrichtung, an und beantragte im Februar 1981 Altersruhegeld nach dem AVG. Die Beklagte lehnte die Zulassung einer Nachentrichtung sowie die Gewährung des Altersruhegeldes mit Bescheiden vom 12. Januar 1982 ab; beim Altersruhegeld hielt sie die Wartezeit für nicht erfüllt. Dabei berief sie sich ua darauf, daß der Kläger in der Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 15. Februar 1981 wegen des amerikanischen Altersruhegeldes gemäß § 6 Abs 1 Nr 1 AVG iVm Nr 7a des Schlußprotokolls zum DASVA versicherungsfrei gewesen sei; die für diese Zeit entrichteten Pflichtbeiträge könnten bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse H. zurückgefordert werden. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte beanstandete sodann mit Bescheid vom 15. Februar 1982 die für die Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 15. Februar 1981 entrichteten Beiträge, womit sich der Kläger ebenfalls nicht einverstanden erklärte. Durch Widerspruchsbescheid vom 6.Mai 1982 wurden die Widersprüche des Klägers zurückgewiesen.

In der mit Schriftsatz vom 27. Mai 1982 erhobenen Klage beantragte der Kläger, die Beklagte unter Berücksichtigung einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit von Juni 1934 bis Dezember 1949 und der Versicherungszeit vom 1. Dezember 1980 bis 15. Februar 1981 zur Gewährung von Altersruhegeld zu verurteilen; er sei in dieser Zeit versicherungspflichtig gewesen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) rechnete zum Streitgegenstand außer dem Anspruch auf Altersruhegeld auch den Beanstandungsbescheid vom 15. Februar 1982, der von der Beklagten zu Recht nach § 86 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens angesehen worden sei. Die Erfüllung der Wartezeit für das begehrte Altersruhegeld hinge entscheidend davon ab, ob der Auslandsaufenthalt von Juni 1934 bis Dezember 1949 als Ersatzzeit (§ 28 Abs 1 Nr 4 AVG) anrechenbar sei; der Kläger erfülle hierfür jedoch nicht die Anrechnungsvoraussetzungen des § 28 Abs 2 AVG. Bei dem mit R. begründeten Beschäftigungsverhältnis habe es sich um kein versicherungspflichtiges iS des hier in Betracht kommenden § 28 Abs 2 Satz 2 Buchst b gehandelt, weil der Kläger aus dem bereits angeführten Grund versicherungsfrei gewesen sei; die Beklagte habe die dafür entrichteten Beiträge zu Recht beanstandet.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 6 Abs 1 Nr 1 AVG, Nr 7a des Schlußprotokolls zum DASVA und des Londoner Schuldenabkommens. Nach der Revisionsbegründung stellt er "auch in der Revisionsinstanz den Antrag aus der Klageschrift".

Die Beklagte beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Sie meint, daß in der vorliegenden Beitragsstreitigkeit der Arbeitgeber R. nach § 75 Abs 2 SGG hätte beigeladen werden müssen, was im Revisionsverfahren nicht nachholbar sei.

Im Hinblick hierauf hat der Kläger im Schriftsatz vom 29. Februar 1984 ebenfalls die Zurückverweisung an das LSG beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit ist unter Aufhebung des Berufungsurteils an das LSG zurückzuverweisen.

Wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, ist außer dem die Rente ablehnenden Bescheid Gegenstand des Rechtsstreits auch der Bescheid vom 15. Februar 1982, in dem die Beklagte die für die Beschäftigungszeit bei R. entrichteten Beiträge beanstandet hat. Das ergibt sich schon daraus, daß der Kläger in der Klageschrift ausdrücklich die Berücksichtigung dieser Zeit als Versicherungszeit beantragt hat; damit mußte sein Begehren zugleich auf die Beseitigung des Beanstandungsbescheides gerichtet sein, weil dieser einer solchen Berücksichtigung entgegensteht. Vor der Erhebung der Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid war dessen Rechtmäßigkeit in einem Vorverfahren nachgeprüft worden, wie das § 78 SGG verlangt; ob das auf der Grundlage von § 86 Abs 1 SGG geschehen konnte, ist unerheblich.

Über die Anfechtungsklage gegen den Beanstandungsbescheid durfte jedoch nicht ohne Beiladung von R. entschieden werden. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat bereits klargestellt (SozR 1500 § 75 Nr 36), daß zu einem Rechtsstreit über die vom Rentenversicherungsträger gegenüber einem Versicherten beanstandete Wirksamkeit von entrichteten Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber des Versicherten nach § 75 Abs 2 SGG beigeladen werden muß. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Mit der Beanstandung, deren Charakter als Verwaltungsakt nicht mehr streitig ist, stellt der Versicherungsträger die Unwirksamkeit von Beiträgen fest. An diesem Rechtsverhältnis ist bei Pflichtbeiträgen aus einer Beschäftigung auch der Arbeitgeber beteiligt, weil er die Beiträge getragen und bei Unwirksamkeit einen Erstattungsanspruch hat; das hat zur Folge, daß über die Rechtswirksamkeit der Beiträge gegenüber dem Versicherten und seinem Arbeitgeber nur einheitlich entschieden werden kann (§ 75 Abs 2 SGG, 1. Fall). Die unterbliebene Beiladung vermag der Senat nicht nachzuholen.

Damit leidet das Verfahren vor dem LSG, soweit es die Anfechtungsklage gegen den Beanstandungsbescheid betrifft, an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel, der dazu zwingt, den Rechtsstreit jedenfalls insoweit an das LSG zurückzuverweisen. Der Senat hat in die Zurückverweisung jedoch weiter den Teil des Rechtsstreits einbezogen, der den Anspruch auf das Altersruhegeld betrifft, obgleich der Arbeitgeber R. hierzu nicht beizuladen ist. Eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache hierüber erscheint nämlich untunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, hängt der Anspruch auf Altersruhegeld entscheidend davon ab, ob der Kläger mit der Beschäftigung bei R. iS des § 28 Abs 2 Buchst b AVG "eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatte". Dazu gehört, daß die Beschäftigung rentenversicherungspflichtig war und daß Pflichtbeiträge dafür wirksam entrichtet sind (ständige Rechtsprechung seit SozR Nr 6 zu § 1251 RVO). Beides wird in dem Rechtsstreit über die Anfechtungsklage gegen die Beitragsbeanstandung eigens geprüft. Unter diesen Umständen gebietet es die Prozeßökonomie, daß hinsichtlich der Beschäftigung des Klägers bei R. die Versicherungspflicht und die Beitragswirksamkeit nach der Beiladung von R. in dem Rechtsstreit insgesamt einheitlich beurteilt wird.

Mit seiner abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666620

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