Orientierungssatz

Zur Anrechnung nachgewiesener Beschäftigungszeiten gemäß VuVO § 3 Abs 1 S 1.

 

Normenkette

VuVO § 3 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-03-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Juni 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob auf die dem Kläger von der Beklagten mit den Bescheiden vom 27. September und 28. November 1966 gewährte Versichertenrente eine Versicherungszeit voll und anstelle einer Beitragszeit eine Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit anzurechnen ist.

Nachdem der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. November 1965, mit dem diese dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 203,40 DM gewährt hatte, Klage erhoben hatte, erkannte die Beklagte eine Arbeitslosenzeit des Klägers vom 2. Oktober 1948 bis zum 30. September 1954 als Ausfallzeit und eine Versicherungszeit vom 1. August 1944 bis 28. Februar 1945 als nachgewiesene Versicherungszeit an und erteilte alsdann die Bescheide vom 27. September und 28. November 1966; der monatliche Zahlbetrag wurde auf 254,- DM festgesetzt. Der Kläger beanstandete danach zweierlei: Seine Tätigkeit bei den S Stadtwerken von März oder April 1941 bis zum Ende des Krieges sei nicht als nachgewiesen, sondern nur als glaubhaft gemachte Versicherungszeit mit 5/6 und die weitere Zeit seiner Arbeitslosigkeit vom 1. Oktober 1954 bis zum 31. August 1959 sei nicht als Ausfallzeit angerechnet worden. Aufgrund der vorgelegten Erklärung des Maschinenmeisters R vom 14. Juni 1955 sowie des Lohnstreifens und der Lohnbescheinigung der Stadtwerke S habe er ausreichend Unterlagen beigebracht, um diese Zeit als nachgewiesene Versicherungszeit ansehen zu können. Für die weitere Arbeitslosenzeit von Oktober 1954 bis August 1959 seien zwar Pflichtbeiträge für ihn entrichtet worden, seiner Auffassung nach jedoch zu Unrecht, denn er habe während dieses Zeitraums für die bei der Firma G in B ausgeübte Nebenbeschäftigung monatlich nur 15,- DM erhalten. Dieser geringfügige Arbeitsverdienst habe neben der weiter gewährten Arbeitslosenunterstützung keine Versicherungspflicht begründen können; die Beiträge hätten als freiwillig entrichtet zu gelten und daher sei eine weitere Ausfallzeit anzurechnen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. März 1967).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) für den Kreis Rendsburg beigeladen. Das LSG hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte unter Änderung des Urteils des SG sowie der angefochtenen Bescheide verurteilt, bei der Rentenberechnung für März 1945 ein Arbeitsentgelt von 240,- DM zugrunde zu legen. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 14. Juni 1968).

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Er rügt Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie der §§ 168, 1250, 1255, 1256, 1258, 1259, 1260 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der §§ 3 und 4 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei verlorengegangenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen (VuVO).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 14. Juni 1968 insoweit zu ändern, als die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Kiel vom 14. März 1967 zurückgewiesen worden ist und die Beklagte in weiterer Änderung des Urteils des SG Kiel vom 14. März 1967 und der Bescheide der Beklagten vom 27. September und 28. November 1966 zu verurteilen, ihm unter Anrechnung einer nachgewiesenen Versicherungszeit von April 1941 bis Juli 1944 und einer Ausfallzeit von Oktober 1954 bis September 1959 eine höhere Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das LSG hat wie das SG eine Beitragszeit von April 1941 bis Juli 1944 nicht für nachgewiesen gehalten und daher die Anrechnung mit 5/6 als Beitragszeit gemäß § 3 Abs. 1 VuVO gebilligt, weil der Lohnstreifen für Februar 1945, die Lohnbescheinigung für denselben Monat und die Erklärung des K R vom 14. Juni 1955 für den Beitragsnachweis für die genannte Zeit nicht ausreichten. Das räumt zwar auch die Revision ein, rügt aber, das LSG habe dadurch seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, daß es die mit Schriftsatz vom 4. Juni 1968 bezeichneten Schreiben und Bescheinigungen weder beigezogen noch in seinem Urteil darauf eingegangen sei, obschon sich aus dieser, den Zeitraum von drei Jahren umfassenden fortlaufenden Reihe von Bescheinigungen ergebe, daß der Kläger in dieser Zeit tatsächlich ständig und ununterbrochen bei den Stadtwerken S beschäftigt gewesen sei und dementsprechend für ihn auch die Pflichtbeiträge, die sich unschwer aus den Lohnbescheinigungen errechnen ließen, abgeführt worden seien. Damit sei der bisher vermißte Beitragsnachweis erbracht.

Der Revision kann zugegeben werden, daß das LSG - ausweislich der Akten - die vom Kläger im Schriftsatz vom 4. Juni 1968 bezeichneten Unterlagen weder beigezogen noch auf sie eingegangen ist. Das ist indes nicht zu beanstanden. Der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat nämlich den genannten Unterlagen lediglich den vollen Nachweis der Beschäftigung des Klägers entnehmen wollen. Dies entsprach auch der Auffassung des LSG und mußte notwendigerweise zur Anrechnung von 5/6 der nachgewiesenen Beschäftigungszeiten gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VuVO führen. Eine Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) läßt sich daher dem LSG nicht vorwerfen.

Zudem ist diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zutreffend. Zwar ist im Ausschuß für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages erörtert worden, ob nachgewiesene Beschäftigungszeiten voll angerechnet werden könnten. Indes hat diese Auffassung nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit gefunden (BT-Drucks. 1532; vgl. Verb.Komm., VuVO, § 3 Anm. 3). Auch der Verordnungsgeber geht davon aus, daß Beitragszeiten, die voll angerechnet werden sollen, nachgewiesen werden müssen. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 7. Oktober 1968 - 1 BvR 515/68 - (SozR GG Art. 3 Nr. 73) ausgeführt hat, steht § 3 Abs. 1 VuVO auch nicht im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Die Anrechnung von lediglich 5/6 der nicht nachgewiesenen Beitragszeiten beruht nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auf sachgerechten, durch die Erfahrung begründeten Erwägungen und führt nicht zur Beeinträchtigung einer auf eigenen Leistungen des Versicherten beruhenden Rechtsposition.

Der Beitragsnachweis kann geführt werden durch die bei den Versicherungsträgern lagernden Versicherungs- oder Quittungskarten, Beitragskonten, aber auch durch in Händen des Versicherten befindliche Versicherungsunterlagen wie zB Rentenbescheide, Aufrechnungsbescheinigungen (vgl. Verb. Komm. aaO, Friederichs in Koch/Hartmann, VuVO, § 1 Anm. 2, 5, § 3 Anm. 4). Derartiges hat der Kläger aber nicht vorlegen können, so daß die volle Anrechnung der streitigen Zeit als Beitragszeit nicht in Betracht kommen konnte. Erstreckt sich der Nachweis auf Beschäftigungszeiten, ist nur die Anrechnung einer solchen Zeit mit 5/6 als Beitragszeit zulässig, wie dies das LSG mit Recht angenommen hat.

Da der Versicherungsfall des Klägers im April 1964 eingetreten ist, sind für die Beurteilung der Frage, ob dem Kläger anstelle der Beitragszeit von Oktober 1954 bis September 1959 eine Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit angerechnet werden kann, die §§ 1258 Abs. 1, 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO, letztere Vorschrift in der vor dem Inkrafttreten des Rentenversicherungsänderungsgesetzes (RVÄndG) gültigen Fassung anzuwenden. Die Neufassung des § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO durch das RVÄndG (Art. 1 § 1 Nr. 22 c) ist nicht anzuwenden, da sie erst ab 1. Juli 1965 in Kraft getreten ist (Art. 10 Abs. 1 Buchst. e RVÄndG). Die Vorschrift des § 1258 Abs. 1 RVO, wonach bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre im Sinne der §§ 1253 und 1254 RVO die auf die Wartezeit anzurechnenden Versicherungszeiten, die Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit zusammengerechnet werden, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen, enthält eine Rangfolge, so daß ein mit einem Beitrag belegter Kalendermonat stets nur Beitragszeit und nicht etwa auch Ausfallzeit sein kann. Trifft eine Beitragszeit mit einer beitragslosen Zeit zusammen, so ist grundsätzlich die Beitragszeit zu berücksichtigen (Verb.Komm. § 1258 Anm. 2; Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, AVG, § 35 Anm. B I, B II 3; von Gellhorn, BArbBl. 1965, 591). Soll dagegen die beitragslose Zeit anstelle der Beitragszeit angerechnet werden, muß es das Gesetz ausdrücklich bestimmen (von Gellhorn, aaO). In der hier anzuwendenden Fassung der RVO vor dem Inkrafttreten des RVÄndG ist das nicht geschehen. Eine derartige Ausnahme ist erst durch den neuen, durch das RVÄndG angefügten Satz 2 des § 1255 Abs. 7 RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1966 geschaffen worden (Art. 1 § 1 Nr. 19 d); Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. d)), ist also auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden (vgl. BSG 11, 278; 14, 97; 15, 51).

Nach den von der Revision nicht angefochtenen und daher das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) sind für den Kläger vom 1. Oktober 1954 bis zum 31. August 1959 wegen der Beschäftigung in der Firma G in B Beiträge entrichtet worden. In derselben Zeit war der Kläger arbeitslos, bei einem Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet und bezog Arbeitslosenunterstützung. Wegen des oben dargetanen Vorrangs der Beitragszeit vor dem gleichzeitigen Ausfallzeitsachverhalt der Arbeitslosigkeit durfte bei der Rentenberechnung nur die Beitragszeit vom Oktober 1954 bis August 1959 zugrundegelegt werden. Dies hat das LSG richtig erkannt.

Dieses Ergebnis kann die Revision nicht dadurch ausräumen, daß sie die von Oktober 1954 bis August 1959 entrichteten Beiträge deshalb für zu Unrecht als Pflichtbeiträge entrichtet ansieht, weil sie für die streitige Zeit jetzt eine Versicherungspflicht des Klägers leugnet. Sie übersieht, daß die Beigeladene als die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht zu entscheiden hatte. Es hätte beim Kläger gelegen, sich gegen die von der Beigeladenen ununterbrochen angenommene Versicherungspflicht schon während der Heranziehung zur Beitragsleistung zur Wehr zu setzen (vgl. § 1399 Abs. 3 RVO). Das ist aber unterblieben, so daß die Beklagte zu Recht von Pflichtbeiträgen ausgehen konnte. Daß in der notwendigen Berücksichtigung der niedrigen Beiträge anstelle der Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit für den Kläger eine Härte liegen mag, will die Beklagte nicht ausschließen. Indes hat die Beklagte die Rente insoweit nach dem Gesetz und damit richtig berechnet. Der Gesetzgeber hat diese Härte auch erkannt, ihr aber erst ab 1. Januar 1966 abgeholfen, wie sich aus dem Gesetz ergibt.

Auch der Monat September 1959 kann, wie das LSG richtig entschieden hat, nicht als Ausfallzeit angerechnet werden. Nach § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO in der vor dem Inkrafttreten des RVÄndG gültigen Fassung sind Ausfallzeiten solche Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine länger als sechs Wochen andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist, vom Ablauf der sechsten Woche an. Wie das LSG festgestellt hat, ist der Kläger bis zum 31. August 1959 bei der Firma G in B beschäftigt worden. Von diesem Zeitpunkt an sind die sechs Wochen zu rechnen, die erst abgelaufen sein müssen, damit die weitere Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit angerechnet werden kann. Danach konnte der Monat September 1959 nicht als Ausfallzeit berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284970

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