Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschädigten-Grundrente. Verrechnung. Hilfebedürftigkeit iS des BSHG

 

Orientierungssatz

Bei der im Rahmen des § 51 Abs 2 SGB 1 erforderlichen Prüfung der Frage, ob eine Aufrechnung und damit eine Verrechnung dazu führt, daß der Leistungsberechtigte, dessen Anspruch zwangsweise gemindert werden soll, hilfsbedürftig iS der Bestimmungen des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird, ist die Beschädigten-Grundrente nach dem BVG vorab vor der allgemeinen Einkommensgrenze zu berücksichtigen; denn nach § 76 Abs 1 BSHG gelten als Einkommen, das zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhaltes heranzuziehen ist (§§ 11, 12, 22-24 BSHG), alle Einkünfte in Geld und Geldeswert mit Ausnahme der Grundrente nach dem BVG.

 

Normenkette

BVG § 31 Abs 1; SGB 1 § 51 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; BSHG § 76 Abs 1 Fassung: 1976-02-13

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.07.1981; Aktenzeichen L 10 V 102/80)

SG Augsburg (Entscheidung vom 22.01.1980; Aktenzeichen S 11 V 498/79)

 

Tatbestand

Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vH. Er war persönlich haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft, die ein Bauunternehmen betrieb. Die Gesellschaft mußte die Zahlungen einstellen. Die Eröffnung eines Konkursverfahrens wurde mangels Masse abgelehnt. Die beigeladene Bundesanstalt ermächtigte das Versorgungsamt, ihre Forderung gegen den Kläger in Höhe von 43.060,45 DM wegen rückständiger Winterbau-Umlagebeträge (einschließlich Säumniszuschlägen und Verzugszinsen) mit Ansprüchen des Klägers gegen den Beklagten nach dem BVG zu verrechnen. Mit Bescheid vom 23. Januar 1979 entschied die Versorgungsverwaltung, im Wege der Verrechnung nach § 52 iVm § 51 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) werde die Hälfte der monatlichen Grundrente des Klägers (damals 118,- DM von 236,- DM) der Beigeladenen zur Tilgung der fälligen Umlageschuld überwiesen; nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen führe diese Verrechnung nicht zu einer Hilfsbedürftigkeit des Klägers iS des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Das Sozialgericht (SG) hob diesen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1979 auf (Urteil vom 22. Januar 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des beklagten Landes und der Bundesanstalt zurückgewiesen (Urteil vom 14. Juli 1981). Nach seiner Auffassung ist die Winterbau-Umlage kein verrechnungsfähiger Beitrag iS des § 51 Abs 2 SGB I.

Mit ihren Revisionen rügen der Beklagte und die Beigeladene die Verletzung der §§ 51 und 52 SGB I. Sie stützen ihre Auffassung, daß die Winterbau-Umlage verrechnungsfähig sei, auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Juni 1981 - 5b/5 RJ 18/80 -.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen sinngemäß, die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage ab- zuweisen.

Der Beklagte beantragt hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Ent- scheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Ergänzend zum Berufungsurteil vertritt er die Auffassung, eine Grundrente sei überhaupt nicht verrechenbar.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der beteiligten Verwaltungen haben keinen Erfolg.

Das SG hat, bestätigt durch das LSG, die von der Beigeladenen veranlaßte, vom Beklagten vorgenommene Verrechnungsentscheidung im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

Allerdings steht die Auffassung der Vorinstanzen, mit der Forderung der Beigeladenen auf Winterbau-Umlage (§ 186a Arbeitsförderungsgesetz vom 19. Mai 1979 - BGBl I 791 / 23. Juli 1979 - BGBl I 1189 -; §§ 161, 128, 129 Handelsgesetzbuch) könne überhaupt nicht aufgerechnet und daher nicht verrechnet werden, im Gegensatz zu einem Urteil des 5. Senats des BSG (SozR 1200 § 51 Nr 10). Nach dieser Entscheidung ist diese Umlage doch ein Beitrag iS des Sozialgesetzbuches, so daß ein Anspruch darauf nach § 51 Abs 2 SGB I für eine Aufrechnung und dementsprechend nach § 52 SGB I für eine Verrechnung geeignet ist. Über diese Streitfrage braucht indes der erkennende Senat nicht abschließend zu befinden.

Jedenfalls waren die angefochtenen Verwaltungsakte deshalb aufzuheben, weil die Verrechnung der gesetzlichen Aufrechnungsgrenze der Hilfsbedürftigkeit gem § 51 Abs 2 SGB I idF des Art II § 28 Nr 4 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469, 1980) nicht gerecht wird. Nach dieser Einschränkung darf eine Aufrechnung und damit eine Verrechnung nicht dazu führen, daß der Leistungsberechtigte, dessen Anspruch zwangsweise gemindert werden soll, hilfsbedürftig iS der Bestimmungen des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird. Diese Begrenzung, die als ausdrücklich angeordnete erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten ist, aber nach - umstrittener - Auffassung schon vorher zu beachten gewesen wäre, gilt auch für die zu diesem Zeitpunkt noch anhängigen Verfahren wie das gegenwärtige (Art II § 40 SGB X; BSGE 52, 98, 99 ff = SozR 1200 § 51 Nr 11). Der Beklagte hat beim Erlaß der Verrechnung, ungeachtet vorausgegangener Ermittlungen der Beigeladenen und einer darauf bezogenen Begründung im ersten Bescheid, jedenfalls nicht in der gebotenen Weise die Beschädigten-Grundrente des Klägers (§ 31 Abs 1 und 2 BVG) beachtet. Diese Versorgungsleistung ist bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit zugunsten des Hilfesuchenden und damit des Leistungsberechtigten, der einer Aufrechnung oder Verrechnung ausgesetzt werden soll, vorab vor der allgemeinen Einkommensgrenze zu berücksichtigen; denn nach § 76 Abs 1 BSHG idF vom 13. Februar 1976 (BGBl I 289, 1150) / 24. Mai 1983 (BGBl I 613) gelten als Einkommen, das zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhaltes heranzuziehen ist (§§ 11, 12, 22-24 BSHG), alle Einkünfte in Geld und Geldeswert mit Ausnahme der Grundrente nach dem BVG. Da der Beklagte dies bei der vorgenommenen Verrechnung nicht beachtet hat, auch nicht durch die gebotene Selbstkontrolle während des anhängigen Verfahrens, ist seine Entscheidung als rechtswidrig aufzuheben. Ob der Kläger im übrigen durch die vorgenommene Verrechnung hilfsbedürftig im sozialrechtlichen Sinne würde, kann der erkennende Senat nicht prüfen; die dafür rechtserheblichen Tatsachen hat das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht verbindlich nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgestellt.

Da die Verwaltungsentscheidungen aus dem zuvor genannten Grund aufzuheben sind, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob der Beklagte den Anspruch auf Beschädigten-Grundrente überhaupt nicht durch eine Verrechnung nach § 52 SGB I hätte kürzen dürfen, weil die nach § 30 Abs 1 BVG bemessene Versorgungsleistung schädigungsbedingte Mehraufwendungen ausgleichen soll (vgl zB BSG SozR 3100 § 30 Nr 13), grundsätzlich als unantastbar gilt und deshalb möglicherweise nicht zu den "Ansprüchen auf laufende Geldleistungen" iS des § 51 Abs 2 SGB I zu rechnen ist. Aus jenem Grund kann weiter dahingestellt bleiben, ob die ersuchte Versorgungsverwaltung, falls sie den höchstpersönlichen Anspruch auf Grundrente doch durch eine Aufrechnung oder Verrechnung kürzen dürfte, über ihre Ermächtigung hinaus nach ihrem Ermessen (vgl zur Pfändung: BSGE 52, 98 f) darüber zu befinden hätte, ob im Einzelfall von der Verrechnung abzusehen ist, zumal dann, wenn dem Grundrenten-Anspruch eine von einem Arbeitgeber im Interesse seiner Belegschaft zu erfüllende Forderung auf Beiträge oder Umlagen gegenübersteht, und dann, wenn der Beschädigte - wie es beim Kläger möglicherweise gegeben ist - im übrigen nur freie Kost und Wohnung erhält, die nicht alle Bedarfslagen im sozialhilferechtlichen Sinn abdecken (§ 12 Abs 1 BSHG).

Da die Revisionen zurückzuweisen sind, haben die Revisionskläger die Kosten des Klägers im Revisionsverfahren je zur Hälfte zu tragen (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655700

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