Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage, ob es verbindliche Feststellungen der ArbA gegenüber dem Lehrgangsveranstalter bezüglich der Förderungsfähigkeit der von ihm veranstalteten Bildungsmaßnahme geben kann und wenn ja, ob eine derartige Feststellung, die dem Maßnahmeträger bzw Lehrgangsveranstalter gegenüber erklärt wird, Wirkung gegenüber dem einzelnen Bildungswilligen, der an der Maßnahme teilnehmen will, zeitigt.

 

Normenkette

AFG § 151 Fassung: 1969-06-25, § 41 Fassung: 1969-06-25, § 36 Fassung: 1969-06-25, § 34 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1969-06-25, § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 20.10.1975; Aktenzeichen L 7 Ar 11/75)

SG Aurich (Entscheidung vom 22.11.1974; Aktenzeichen S 5 Ar 88/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Oktober 1975 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist gelernter Bankkaufmann. Er hat die Fachprüfung im Buchhaltungs- und Finanzwesen bestanden und wurde am 19. Januar 1972 als Steuerbevollmächtigter bestellt. Seit 1967 war er bei dem Steuerbevollmächtigten Günter B (B.) in I beschäftigt. Er übte vom 1. Januar 1973 an seinen Beruf selbständig in Sozietät mit B. aus. Am 15. Oktober 1971 hatte der Kläger ein sechs-semestriges Studium an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA) L aufgenommen mit dem Ziel des Diploms als Betriebswirt. Das Arbeitsamt L bewilligte ihm dafür Förderungsleistungen (Lehrgangsgebühren, Fahrkosten und Kosten für Lernmittel), zuletzt am 27. September 1972 für das 3. Semester (vom 25. September 1972 bis zum 14. Februar 1973). Mit Bescheid vom 13. Juni 1973 hob das Arbeitsamt die Entscheidung über die Bewilligung von Förderungsleistungen mit Wirkung vom 1. Januar 1973 auf, weil die Förderung seit dem Tag der Selbständigmachung nicht mehr zweckmäßig sei. Das Arbeitsamt forderte gleichzeitig die überzahlten Förderungsbeträge in Höhe von 114,80 DM vom Kläger zurück. Mit dem - erfolglosen - Widerspruch verlangte der Kläger neben der Aufhebung des Bescheides und Rückerstattung der von ihm bereits gezahlten 114,80 DM, das vierte Semester zu fördern. Er beantragte im anschließenden Klageverfahren darüber hinaus, die Beklagte auch zur Förderung des fünften und sechsten Semesters zu verurteilen. Durch Urteil vom 22. November 1974 hat das Sozialgericht (SG) Aurich die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Die zugelassene, später aber hinsichtlich der Rückforderung zurückgenommene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 20. Oktober 1975 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Dem Kläger stehe der Förderungsanspruch über den 1. Januar 1973 hinaus nach §§ 41 und 45 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Anspruch nach § 151 Abs 1 AFG zu entziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Förderung einer Maßnahme der beruflichen Bildung nicht deshalb unzweckmäßig, weil der Teilnehmer das Ziel habe, anschließend als Selbständiger tätig zu werden. Wer Kenntnisse erworben habe, die ihm neben seiner bisher schon vorhandenen Befähigung zu einer bestimmten unselbständigen Tätigkeit auch die Möglichkeit geben, selbständig zu werden, habe in aller Regel bessere Möglichkeiten, sich im Wirtschaftsleben zu behaupten, als derjenige, der es nur bei einer bisher schon vorhandenen Ausbildung belasse. Diese berufliche Veränderung beeinflusse den Arbeitsmarkt, weil der Bildungswillige nach dem Überwechseln in die selbständige Tätigkeit nicht mehr als Unselbständiger vermittelt zu werden brauche (BSG SozR 4100 § 36 Nr 7). Auf den vorliegenden Fall seien diese Grundsätze anzuwenden. Zugrunde zu legen sei die unselbständige Tätigkeit des Klägers iVm der Absicht, sich mit B. zu soziieren. Wenn durch das beabsichtigte Ziel, sich selbständig zu machen, die negative Beziehung zum Arbeitsmarkt erst hergestellt werde, dann könne nicht durch die Verwirklichung dieses Zieles die Beziehung zum Arbeitsmarkt entfallen. Dies gelte jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, wo das mit der Bildungsmaßnahme angestrebte Ziel der Selbständigmachung bereits vor Abschluß der Maßnahme in Erwartung dieses Abschlusses vorweggenommen worden sei. B. habe als Zeuge glaubhaft angegeben, daß das zu erwartende Wirtschaftsdiplom ein wesentlicher Grund für die Aufnahme des Klägers als Sozius in die Praxis gewesen sei.

Mit der zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend: Die Rechtsprechung des BSG, auf die sich das LSG stütze, betreffe den Fall, daß gerade durch die Förderung die Möglichkeit zur selbständigen Tätigkeit zusätzlich eröffnet werde. Dagegen sei die selbständige Tätigkeit des Klägers nicht erst durch den erfolgreichen Abschluß der Bildungsmaßnahme möglich geworden. Da er schon vor Beginn der hier streitigen Maßnahmeabschnitte selbständig gewesen sei, fehle die Beziehung zum Arbeitsmarkt. Darüber hinaus habe der Lehrgang keine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung vorausgesetzt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 22. November 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht geltend, wenn sich die Beklagte jetzt auf das Fehlen der Zugangsvoraussetzungen i.S. des § 41 AFG berufe, so stehe das im Gegensatz zu dem Bescheid vom 16. September 1971, mit dem das Arbeitsamt L die Förderungsfähigkeit des Lehrgangs gegenüber dem Maßnahmeträger ausdrücklich anerkannt habe.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist gemäß § 160 Abs 1 SGG zulässig und i.S. der Zurückverweisung begründet.

Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens ist nicht nur der Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, sondern auch der Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Förderung des Besuchs der VWA L im vierten bis sechsten Semester. Gemäß § 54 Abs 4 SGG ist der Antrag zulässig. Das Arbeitsamt hatte dem Kläger allerdings mit den früheren Bescheiden stets nur Leistungen für jeweils ein Semester bewilligt, so daß für das vierte bis sechste Semester kein Bewilligungsbescheid vorliegt. Da aber der ursprüngliche Antrag des Klägers sich auf das gesamte Studium bezogen hatte, muß der Bescheid vom 13. Juni 1973 dahin verstanden werden, daß nicht nur der Bewilligungsbescheid für das dritte Semester aufgehoben werden sollte, sondern darüber hinaus Leistungen für die folgenden Semester abgelehnt wurden. Mit dem Widerspruch hat der Kläger ausdrücklich nochmals Leistungen für das vierte Semester beantragt. Das Arbeitsamt hat den Widerspruch in vollem Umfange zurückgewiesen. Somit liegt jedenfalls hinsichtlich des vierten Semesters ein (negativer) Bescheid über die Bewilligung von Leistungen vor, der auch als Ablehnung von Leistungen für die Zukunft aufzufassen ist.

Dementsprechend ist nicht nur darüber zu entscheiden, ob einzelne Voraussetzungen für den Leistungsanspruch des Klägers weggefallen sind. Es sind vielmehr alle Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zu prüfen. Im übrigen würde dies auch dann gelten, wenn nur ein Aufhebungsbescheid nach § 151 Abs 1 AFG streitig wäre. Ein solcher Bescheid ist rechtmäßig, wenn eine Leistungsvoraussetzung fehlt, auch wenn das Arbeitsamt sie bisher als vorliegend angenommen und deshalb Leistungen bewilligt hat. Das Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen ist von Amts wegen festzustellen.

Der Anspruch des Klägers auf Förderung des Besuchs der VWA Leer kann nach § 41 AFG begründet sein. Ein Bankkaufmann mit Fachprüfung im Buchhaltungs- und Finanzwesen übernimmt in den Beruf des Betriebswirts in wesentlichem Umfang seine bisherigen beruflichen Kenntnisse. Für ihn ist ein Studium zum Betriebswirt inhaltlich eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung.

Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Maßnahme eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung vorausgesetzt hat (§ 41 AFG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die abgeschlossene Berufsausbildung oder die angemessene Berufserfahrung objektive Bedingungen für die Teilnahme an der Maßnahme sein, wenn diese als berufliche Fortbildung förderbar sein soll (BSG SozR Nr. 1 zu § 41 AFG = BSGE 36, 48 und SozR 4100 § 41 Nr 1 sowie besonders für den Besuch der VWA SozR 4100 § 41 Nr 21). Entgegen der Auffassung des Klägers sind die objektiven Zugangsvoraussetzungen für die Maßnahme nicht schon dann und deshalb als gegeben anzusehen, wenn das Arbeitsamt Leer dem Maßnahmeträger erklärt hat, es fördere den Besuch der VWA. Eine solche Erklärung ist kein Verwaltungsakt und entfaltet insbesondere keine Bindungswirkung gegenüber den einzelnen Teilnehmern. Allenfalls klärt das Arbeitsamt damit Elemente des Anspruchs auf Förderung. Die verbindliche Feststellung der Zugangsvoraussetzungen i.S. des § 41 AFG gegenüber Lehrgangsträgern ist aber im Gesetz nicht vorgesehen (BSG SozR 4100 § 41 Nr 22).

Das LSG wird demnach noch feststellen müssen, ob von den Teilnehmern der vom Kläger besuchten Maßnahme die objektiven Zugangsvoraussetzungen des § 41 Abs 1 AFG gefordert wurden.

Für den Fall einer förderungsfähigen beruflichen Fortbildung hat das LSG aufgrund seiner Feststellungen mit zutreffender Begründung die Zweckmäßigkeit i.S. des § 36 AFG angenommen. Die Maßnahme hatte einen allgemeinen Bezug zum Arbeitsmarkt, denn für den Kläger war es ihr Ziel, sich mit B. zu soziieren. Es ist unerheblich, daß er sich schon vor dem Abschluß des Studiums selbständig gemacht hat, denn das geschah nach den bindenden Feststellungen des LSG in Erwartung des Abschlusses der Maßnahme. Das genügt aber - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - um insoweit den Bezug zum Arbeitsmarkt - negativ - herzustellen. Wenn die Beklagte vorbringt, die selbständige Tätigkeit des Klägers sei nicht erst durch den erfolgreichen Abschluß der Bildungsmaßnahme ermöglicht worden, dann erhebt sie insoweit keine zulässigen Rügen gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG. Zweifel daran, daß durch die Fortbildung des Klägers arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Bedürfnissen besser entsprochen werden kann als dies ohne die berufliche Fortbildung möglich wäre, sind nicht ersichtlich.

Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654151

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