Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsklägerin

…, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die 1943 geborene Klägerin begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg). Sie war von August 1957 bis zum 31. Dezember 1981 als Bürokaufmann bei der Firma "M ... M ... K ... GmbH, S ..." beschäftigt. Im Dezember 1981 hatte sie ein Bruttomonatsentgelt von 4.041,-- DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.

Das Stammkapital der GmbH betrug 1979 200.000,-- DM. Hiervon hatte der Vater der Klägerin, Kurt K ... eine Stammeinlage von 102.000,-- DM übernommen, ihre Mutter war mit 8.000,-- DM, die beiden Brüder der Klägerin und sie selbst waren mit je 30.000,-- DM beteiligt. Am 1. Dezember 1981 trat die Klägerin ihren Geschäftsanteil an ihren Vater ab. Dieser war bereits im Gründungsvertrag zum alleinigen Geschäftsführer bestellt worden und von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu einer Reihe von Rechtshandlungen befreit.

Bei der Arbeitslosmeldung am 7. Januar 1982 gab die Klägerin an, sie könne wegen der Versorgung ihres 14-jährigen Sohnes nur noch eine Teilzeitarbeit von 20 Stunden wöchentlich verrichten. Mit Bescheid vom 19. Januar 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1982 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg nach einem gerundeten Arbeitsentgelt von wöchentlich 265,-- DM. Dabei ging das Arbeitsamt davon aus, daß die Klägerin bei ihrem Vater beschäftigt gewesen war, da dieser die Geschicke der Gesellschaft entscheidend beeinflußt habe. Deshalb müsse als Arbeitsentgelt das Entgelt zugrundegelegt werden, das die Klägerin als Bürokaufmann nach dem Tarifvertrag für die weiterverarbeitende Metallindustrie erzielen würde. Das dort vorgesehene höchstmögliche Arbeitsentgelt von 2.295,-- DM monatlich bei Vollzeitbeschäftigung wurde auf 20 wöchentliche Arbeitsstunden umgerechnet.

Die Klage hatte ebenso wie die vom Sozialgericht (SG) in seinem Urteil von 10. März 1983 zugelassene Berufung keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 29. April 1986 im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Das für die Höhe des Alg gem § 111 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) maßgebliche Arbeitsentgelt habe die Beklagte abweichend von § 112 Abs 2 AFG zutreffend nach dem durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz eingefügten § 112 Abs 5 Nr 3 AFG berechnet, wonach für die Zeit einer Beschäftigung bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7, höchstens aber das Arbeitsentgelt dieser Beschäftigung zugrunde zu legen sei. Die Klägerin sei im Sinne dieser Vorschrift bei ihrem Vater beschäftigt gewesen. Ihre Arbeitgeberin im arbeitsrechtlichen Sinne sei zwar die GmbH, also eine juristische Person gewesen. § 112 Abs 5 Nr 3 AFG sei jedoch auch dann anzuwenden, wenn der Arbeitgeber eine Personen- oder Kapitalgesellschaft sei und der Ehegatte oder Verwandte in gerader Linie die Gesellschaft maßgebend beeinflusse. Der Regelung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG liege die Erwägung zugrunde, Manipulationen des Bemessungsentgelts entgegenzuwirken. Die Gefahr einer mißbräuchlichen Beeinflussung des Bemessungsentgelts bestehe ebenso wie bei einer Beschäftigung von Ehegatten und Verwandten in gerader Linie, wenn der Ehegatte oder Verwandte des Arbeitnehmers als Gesellschafter einer Personen- oder Kapitalgesellschaft einen entscheidenden Einfluß auf die Beschlüsse der Gesellschaft ausüben könne. Das sei hier der Fall. Der Vater der Klägerin habe als alleiniger Geschäftsführer der GmbH schon aufgrund seiner Kapitalbeteiligung einen so maßgeblichen Einfluß auf die Entscheidungen der GmbH gehabt, daß kein Beschluß gegen seinen Willen habe gefaßt werden können. Darüber hinaus habe er zu einer Reihe von Rechtshandlungen, die üblicherweise der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürften, keinen Beschränkungen unterlegen. Gegen diese Auffassung könne nicht eingewandt werden, daß der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG für derartige Fälle ausdrücklich geregelt hätte, wenn er eine solche Rechtsfolge gewollt hätte. Der Gesetzgeber habe auch für die Fragen des Versicherungsschutzes eines Geschäftsführers einer GmbH, der gleichzeitig deren Mitgesellschafter ist, keine ausdrückliche Regelung getroffen, sondern diese Beurteilung der Rechtsprechung überlassen, obwohl sich bereits das Reichsversicherungsamt damit befaßt habe.

Bei der Berechnung des Alg nach § 112 Abs 5 Nr 3 AFG sei allerdings Satz 2 dieser Bestimmung, der durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingefügt worden sei, zu berücksichtigen. Hiernach sei das Arbeitsentgelt dann nicht nach Absatz 7 zugrunde zu legen, wenn der bei seinem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie beschäftigt gewesene Arbeitslose für diese Beschäftigung ein Arbeitsentgelt erzielt habe, das auch familienfremden Arbeitnehmern bei gleichartiger Beschäftigung nicht nur in Ausnahmefallen gezahlt werde. Diese Regelung komme jedoch nicht zum Tragen. Die GmbH habe an familienfremde Arbeitnehmer keine entsprechenden Entgelte gezahlt wie an die Klägerin. Die Klägerin hätte daher das ihr von der GmbH gezahlte Arbeitsentgelt bei gleichartiger Beschäftigung nicht erzielen können, zumal da dieses Entgelt die nach dem Tarifvertrag vorgesehene Vergütung um mehr als 76 vH übersteige.

Das hiernach bei der Berechnung des Alg zugrunde zu legende tarifliche Arbeitsentgelt, das auf die Woche umgerechnet einen gerundeten Arbeitsentgelt von 530,-- DM entsprochen habe, könne jedoch nicht ungekürzt der Berechnung des Alg zugrunde gelegt werden. Die Klägerin habe bei der Antragstellung erklärt, sie könne wegen der Betreuung ihres Sohnes wöchentlich nur 20 Stunden arbeiten. Hierin liege eine tatsächliche Bindung iS von § 112 Abs 8 AFG, so daß bei der Feststellung des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 2 AFG statt des Durchschnitts der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit die Zahl von Arbeitsstunden zugrunde zu legen sei, die der Arbeitslose wöchentlich zu leisten imstande sei. Bei einer regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden, wie sie hier vorliege, ergebe sich bei einer Einschränkung der Arbeitszeit auf die Hälfte mithin ein Bemessungsentgelt von 265,-- DM.

Der Auffassung der Klägerin, Art 14 Grundgesetz (GG) werde verletzt, wenn der Arbeitslose Alg nicht nach den Einkünften erhalte, für die er Beiträge entrichtet habe, sei unzutreffend.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Verletzung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG rügt. Sie ist der Auffassung, diese Vorschrift könne nicht auf Kapitalgesellschaften angewandt werden. Das lasse schon ihr eindeutiger Wortlaut nicht zu. Im übrigen habe die Klägerin eine Anwartschaft auf Alg in fast 25-jähriger Beschäftigung erlangt und bis zum 31. Dezember 1981 Beiträge entrichtet. Seit Anfang 1982 sei sie arbeitslos. Zum selben Zeitpunkt sei § 112 Abs 5 Nr 3 AFG in Kraft getreten, ohne daß eine Übergangsregelung getroffen worden sei. Darin liege ein Verstoß gegen die Art 3 Abs 1 und 14 Abs 1 GG.

Außerdem habe das LSG § 112 Abs 5 Nr 3 Satz 2 AFG unzutreffend angewandt. Es habe nur geprüft, ob die GmbH einem anderen Arbeitnehmer dasselbe Arbeitsentgelt bezahlt hätte, wie sie es bei der Klägerin getan habe. Das LSG habe dabei weder die Dauer der Beschäftigung noch die Berufserfahrung der vergleichsweise herangezogenen Beschäftigten noch deren Lebensalter in Betracht gezogen. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Schließlich hätte das LSG seine Entscheidung nicht auf den Vortrag der Beklagten stützen dürfen, dieser sei eine Vergütung, wie sie die Klägerin erhalten habe, nicht bekannt.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1983 zu verurteilen, der Klägerin ab 7. Januar 1982 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts von wöchentlich 935,-- DM, hilfsweise unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts von wöchentlich 530,-- DM zu gewähren.

Die Beklagte beantragtdie Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, daß Geschäftsführer einer GmbH mit maßgeblichem Einfluß auf die Gesellschaft im sozialversicherungsrechtlichen Sinne nicht als Arbeitnehmer gelten und damit quasi als Arbeitgeber behandelt werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Alg, bei dessen Bemessung als Arbeitsentgelt nicht wie bisher 265,-- DM wöchentlich, sondern 465,-- DM zugrunde zu legen sind. Im übrigen kann sie mit ihrem Begehren nicht durchdringen.

Nach § 111 Abs 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz - HBegleitG -) 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532, 1556) galt (1. Januar 1984), beträgt das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG). Arbeitsentgelt iS des § 112 AFG ist grundsätzlich das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt ohne Mehrarbeitszuschläge, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der regelmäßigen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG). Abweichend hiervon ist nach § 112 Abs 5 Nr 3 AFG, eingefügt durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497), in der nunmehr gültigen Fassung durch das Achte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602), die auch im vorliegenden Fall anzuwenden ist (§ 242h Abs 8 AFG), für die Zeit einer Beschäftigung bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie höchstens das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten. Wie hoch dieses Arbeitsentgelt im vorliegenden Falle wäre, kann dahingestellt bleiben. Hierauf kommt es nämlich nicht an. Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG ist im vorliegenden Falle nicht anzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, daß die Klägerin bei ihrem Vater beschäftigt war. Das trifft nicht zu. Sie war vielmehr bei der Firma "M ... M ... K ... GmbH, S ..." beschäftigt.

Bei der GmbH handelt es sich um eine juristische Person, die rechtsfähig ist und damit auch Arbeitgeberin sein kann. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG war die Klägerin auch bei der GmbH und nicht bei ihren Vater beschäftigt. Dieser kann, da keine entsprechenden vertraglichen Bestimmungen bestehen, in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter und Geschäftsführer der GmbH nicht gleichfalls Arbeitgeber der Klägerin sein. Dem steht die Rechtsform des Unternehmens entgegen, die für die Arbeitgebereigenschaft entscheidend ist. So wäre der Vater der Klägerin ihr gegenüber allein aufgrund seiner Stellung als Mitgesellschafter und Geschäftsführer der GmbH zB nicht persönlich verpflichtet, der Klägerin das zwischen ihr und der GmbH vereinbarte Gehalt zu zahlen. Diese Verpflichtung trifft gem § 13 Abs 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) lediglich die GmbH. So hat das Bundessozialgericht (BSG) auch schon mehrfach entschieden, daß eine GmbH Unternehmerin ihres Betriebes ist und ein Mitgesellschafter nicht ihr Mitunternehmer sein kann. Selbst in den Fällen, in denen das gesamte Kapital einer juristischen Person in einer Hand ist, wird die Rechtsform, unter der das Unternehmen betrieben wird, als entscheidend angesehen und die Unternehmereigenschaft des Kapitalinhabers verneint (BSGE 23, 83, 85; 45, 279, 280 f). Nur in besonderen Ausnahmefällen kann deswegen im Rahmen des Instituts der Durchgriffshaftung die haftungsausschließende Trennung gem § 13 Abs 2 GmbHG zwischen Gesellschafter und Gesellschaft, dh die Schuldverpflichtung der Gesellschaft aufgehoben werden und auf einen Gesellschafter durchgreifen (vgl BSGE 56, 706, 80 ff = SozR 7685 § 13 Nr 1). Ausgegangen wird in Rechtsprechung und Literatur (vgl die Nachweise in BSGE 56, 81 f) davon, daß entscheidend ist, ob das Festhalten am gesetzlich angeordneten Trennungsprinzip zu Ergebnissen führt, die mit der geltenden Rechtsordnung - und sei es im weitesten Sinne - noch vereinbar sind. Deshalb darf, wie der Bundesgerichtshof (BGH) mehrfach ausgeführt hat, über die Rechtsform der juristischen Person nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden (BGHZ 54, 224; 61, 380, 383; BSGE 56, 76, 82 = SozR 7685 § 13 Nr 1). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat betont, aus der Verselbständigung der GmbH sei herzuleiten, daß ihre Gesellschafter gegen Durchgriffe in ihr Privatvermögen grundsätzlich abgeschirmt sind (BVerfGE 13, 331, 340). Dies zeigt, daß auch für die Frage der Arbeitgebereigenschaft die Rechtsform des Unternehmens entscheidend ist und daher neben einer GmbH nicht deren Mitgesellschafter oder Geschäftsführer gleichzeitig Arbeitgeber sein können.

Soweit sich die Vorinstanzen und die Beklagte darauf stützen, daß der Vater der Klägerin wegen seines beherrschenden Einflusses auf die GmbH nach der Rechtsprechung des BSG nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und deshalb der Beitragspflicht nicht unterliegt, weil ihm kraft seiner Gesellschafterrechte die für das Arbeitnehmerverhältnis typische Abhängigkeit von einem Arbeitgeber fehlt und er deshalb nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein kann, so folgt hieraus nicht, daß er Arbeitgeber der in der Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer ist. Eine Tätigkeit für ein Unternehmen kann nicht nur im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder als Unternehmer, sondern auch aufgrund eines selbständigen Dienstverhältnisses erfolgen. Deshalb wird bei der Frage, ob der Betroffene beitragsfrei ist, in erster Linie auf die Selbständigkeit abgestellt und nicht darauf, ob der Betreffende als Arbeitgeber anzusehen ist (BSG SozR 2100 § 7 Nr 7). So ist das BSG auch in dem von der Beklagten angeführten Urteil vom 13. Dezember 1960 - 3 RK 2/56 - verfahren. Im übrigen ist diese Rechtsprechung, wie bereits ausgeführt wurde, zur Beitragspflicht des Geschäftsführers der GmbH entwickelt worden. Sie besagt jedoch nichts darüber, ob der Mitgesellschafter einer GmbH gleichzeitig Arbeitgeber neben oder anstelle der Gesellschaft sein kann. Dies richtet sich ausschließlich nach der Rechtsform der juristischen Person. Nach allem ist es daher nicht gerechtfertigt, § 112 Abs 5 Nr 3 AFG dahin auszulegen, daß der Mitgesellschafter einer GmbH, der aufgrund seiner Kapitalbeteiligung und seiner Stellung als alleiniger Geschäftsführer die Geschicke der GmbH verantwortlich bestimmt, neben der GmbH auch Arbeitgeber der bei dieser beschäftigten Arbeitnehmer ist. Hiernach ist nach dem Wortlaut des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG eine Auslegung dieser Vorschrift im Sinne der Beklagten im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen nicht möglich.

Auch eine analoge Anwendung der Bestimmung scheidet in vorliegenden Fall aus. Zwar spricht auf den ersten Blick der Umstand, daß dieser Regelung erklärtermaßen die Erwägung zugrunde liegt, Manipulationen des Bemessungsentgelts entgegenzuwirken (vgl Begründung zu Art 1 § 1 Nr 32 des Entwurfs eines AFKG der Fraktionen der SPD und FDP, BT-Drucks 9/799 S 42 f; Begründung zum Entwurf eines AFKG der Bundesregierung, BT-Drucks 9/846 S 43 f) für eine entsprechende Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG. Dies folgt aus der Überlegung, daß die an sich bei jedem Beschäftigungsverhältnis mögliche Gefahr einer mißbräuchlichen Beeinflussung des Arbeitsentgelts bei der Beschäftigung von Ehegatten und Verwandten gerader Linie allgemein eher besteht als bei anderen Beschäftigungsverhältnissen. Indessen hätte eine analoge Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG auch zur Folge, daß die Selbständigkeit der GmbH, die von der Rechtsordnung gewollt ist, nicht beachtet würde. Diese Konfliktsituation läßt sich im Hinblick darauf, daß das Gesetz lediglich an die Ehe bzw an die Verwandtschaft mit dem Arbeitgeber anknüpft, also Rechtsverhältnisse, an denen die GmbH nicht beteiligt sein kann, nur dahin lösen, daß der Selbständigkeit der GmbH der Vorrang gebührt und sie nicht unter die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG fallen kann. Ob dies auch gilt, wenn die Rechtsform der GmbH zu einer Manipulation des Arbeitsentgelts mißbraucht wird, kann dahinstehen. Anhaltspunkte für einen solchen Mißbrauch bestehen nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht.

Eine Lücke im Gesetz scheidet aus. Hätte der Gesetzgeber gewollt, daß die Rechtsform, unter der das Unternehmen betrieben wird, für Fälle der vorliegenden Art nicht entscheidend sein soll, hätte eine einfache Bestimmung dieses Inhalts genügt. Dafür, daß er dies übersehen hat, spricht nichts. Er hat bei der ursprünglichen Fassung des AFG überhaupt davon abgesehen, für den hier in Betracht kommenden Personenkreis entsprechende Regelungen gegen Manipulationen des für die Bemessung maßgebenden Arbeitsentgelts zu treffen, obwohl diese Gefahr seit jeher bestand. Der Gesetzgeber des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) hatte mit den Bestimmungen des § 65 AVAVG versucht, ihr zu begegnen, indem er den betroffenen Personenkreis von der Teilnahme an der Arbeitslosenversicherung ausschloß, was das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig angesehen hat (BVerfGE 18, 366, 572 ff; 20, 379, 381). Es hat aber auch in den bezeichneten Entscheidungen darauf hingewiesen, daß der Gefahr einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung durch andere geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Wenn der Gesetzgeber dennoch bis zum Inkrafttreten des AFKG keine entsprechenden Maßnahmen getroffen hat, dann spricht dies dafür, daß er zunächst das besondere Versicherungsrisiko, das durch die Einbeziehung naher Angehöriger in die Versichertengemeinschaft zweifellos besteht, offenbar als hinnehmbar angesehen hat. Wenn er nunmehr zu einer anderen Erkenntnis gekommen ist und dem Risiko von Manipulationen bei bestimmten Gruppen naher Angehöriger begegnen will, dann muß davon ausgegangen werden, daß sich seine Maßnahmen nur auf diesen Personenkreis erstrecken sollen, im konkreten Fall also die Angehörigen eines Gesellschaftsgeschäfts einer GmbH nicht von dieser Regelung erfaßt werden. Hierfür spricht, daß dem Gesetzgeber diese Problematik durch die Rechtsprechung im Hinblick auf die Versicherungspflicht des Gesellschaftsgeschäftsführers bekannt ist. Er hätte daher nach Auffassung des Senats die Anwendbarkeit auf Fälle der vorliegenden Art ausdrücklich geregelt, wenn er ein solches Ergebnis gewollt hätte.

Der Einwand des LSG, der Gesetzgeber habe auch für die Fragen der Versicherungspflicht des Gesellschaftergeschäftsführers einer GmbH keine ausdrückliche Regelung getroffen, sondern diese Beurteilung der Rechtsprechung überlassen, ist nicht überzeugend. Das LSG übersieht, daß es sich insoweit nicht um die Auslegung eines Rechtsbegriffes, sondern um die Subsumtion eines einzelnen konkreten Sachverhalts unter einen Rechtsbegriff handelt. In vorliegenden Fall geht es hingegen um die Frage ob ein bestimmter Tatbestand von einer gesetzlichen Regelung erfaßt werden soll.

Für diese Auslegung spricht auch, daß der Gesetzgeber den betroffenen Personenkreis im Vergleich zu der Regelung des § 65 AVAVG eingeschränkt hat. Betroffen sind nunmehr gemäß § 112 Abs 5 Nr 3 AFG nur Ehegatten und Verwandte gerader Linie, während früher eine Beschäftigung auch bei Stief- und Pflegekindern oder deren Ehegatten und den Ehegatten von Abkömmlingen sowie bei Schwieger-, Stief- und Pflegeeltern versicherungsfrei war. Das zeigt, daß der Gesetzgeber des AFKG den betroffenen Personenkreis eng begrenzen wollte, was eine erweiternde Auslegung verbietet. Bestätigt wird dies durch die spätere Rechtsentwicklung. Die Änderungen des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG durch das HBegleitG 1984 und das 8. AFGÄndG betrafen lediglich das zu berücksichtigende Arbeitsentgelt. Für eine Änderung des betroffenen Personenkreises sah der Gesetzgeber keine Veranlassung, obwohl das 8. AFGÄndG, wie bereits aus seiner Titulierung hervorgeht, auch zum Schutz der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch geschaffen worden ist. Insoweit hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts zur Verhinderung von Leistungsmißbrauch in dem neuen § 112 Abs 2 AFG bei außergewöhnlichen Steigerungen des Arbeitsentgelts, die im letzten Jahr vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis eingetreten sind, den Bemessungszeitraum von drei Monaten auf ein Jahr verlängert.

Infolgedessen ist davon auszugehen, daß sich im Falle der Klägerin das Arbeitsentgelt, das für die Bemessung des Alg maßgebend ist, an sich nach § 112 Abs 2 AFG idF des AFKG richtet. Das wäre das zuletzt abgerechnete Bruttoarbeitsentgelt von 4.041,-- DM monatlich. Jedoch bestimmt § 112 Abs 8 AFG, daß dann, wenn der Arbeitslose infolge tatsächlicher oder rechtlicher Bindungen nicht mehr die Zahl von Arbeitsstunden leisten kann, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt, bei der Feststellung des Arbeitsentgelts nach Abs 2 aF für die Zeit, während der die Bindungen vorliegen, statt des Durchschnitts der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit die Zahl von Arbeitsstunden zugrunde zu legen ist, die der Arbeitslose wöchentlich zu leisten vermag. Diese Regelung trifft auf die Klägerin zu. Mit der Einschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft auf 20 Stunden in der Woche wegen der Betreuung ihres Sohnes ist die Klägerin eine entsprechende tatsächliche Bindung eingegangen. Das führt dazu, daß nunmehr bei der Berechnung des Alg bei der wöchentlichen Arbeitszeit statt von 40 von 20 Wochenstunden auszugehen ist. Dies bedeutet, daß sich das maßgebliche Arbeitsentgelt von 4.041,-- DM monatlich auf 2.020,50 DM vermindert, was zu einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 466,26 DM führt, das gemäß § 112 Abs 9 AFG auf 465,-- DM zu runden ist.

Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, daß entsprechend ihrem Arbeitseinkommen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt worden seien und dies auch bei der Leistung berücksichtigt werden müsse, übersieht sie, daß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Systeme von Verfassungs wegen nicht gehalten ist, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen (BVerfGE 51, 115, 124 = SozR 4100 § 112 Nr 10; BVerfGE 53, 313, 323 = SozR 4100 § 168 Nr 12; BSG SozR 4100 § 112 Nr 25).

Die Revision der Klägerin kann nach allem nur in dem aufgezeigten Umfang Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517992

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