Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Kriegseinwirkung. Zwangsarbeiter

 

Orientierungssatz

1. Bei Unfällen infolge von Kriegseinwirkungen ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

2. Nicht jeder Unfall, den ein Beschäftigter während des Aufenthaltes in einer im betrieblichen Interesse erstellten Gemeinschaftsunterkunft erleidet, erfüllt die Voraussetzungen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls iS des § 542 RVO. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind auch in sogenannten Betriebslagern die rein eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, bei denen die Verfolgung persönlicher Interessen derart im Vordergrund steht, daß die Beziehung zu dem Beschäftigungsunternehmen bei der Bewertung der Unfallursachen als rechtlich unwesentlich ausgeschieden werden muß.

Unfallversicherungsschutz ist bei Unfällen in sogenannten Betriebslagern im allgemeinen nicht gegeben, wenn der Unfall sich nachts während der arbeitsfreien Zeit ereignet hat.

 

Normenkette

RVO § 542; SozSichAbkBELG

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 09.02.1971)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Februar 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob wegen des Todes des belgischen Staatsangehörigen L J C (C.), der im Jahre 1944 als zwangsverpflichteter Arbeiter in Deutschland bei einem Luftangriff ums Leben kam, Entschädigungsleistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind.

C. wurde im Oktober 1942 von deutschen Behörden zur Arbeit nach Deutschland dienstverpflichtet. Er gehörte der 2. Kompanie des Arbeitsbataillons L 11 an, das im Oktober 1944 im Raum S eingesetzt wurde. Als Gemeinschaftsunterkunft für die dem Arbeitsbataillon zugewiesenen Arbeitskräfte diente die S-Schule in S. Dort kam C. bei einem Luftangriff auf S am 20. Oktober 1944 um 1.10 Uhr nachts im Luftschutzkeller des Gebäudes ums Leben.

Die Witwe des C. erhielt bis zu ihrer Wiederheirat am 20. September 1947 wegen des Todes ihres Ehemannes vom belgischen Staat eine Rente.

Im Jahre 1965 beantragte der Generalinspektor der Verwaltung für Rentenzahlungen an zivile Kriegsopfer bei der deutschen Verbindungsstelle unter Bezugnahme auf das deutsch-belgische Sozialversicherungsabkommen, eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Tod des C. sei nicht Folge eines Arbeitsunfalls.

Der Unfall stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit. Er sei auf eine Kampfmaßnahme des Krieges zurückzuführen.

Das Königreich Belgien hat Klage erhoben und geltend gemacht: C. sei infolge eines Arbeitsunfalls ums Leben gekommen. Bei der Unterkunft in der S-Schule habe es sich um ein sog. Betriebslager gehandelt. Dort seien alle Arbeitskräfte des Arbeitsbataillons L 11 untergebracht worden. Das Lager sei von der Organisation T errichtet und unterhalten worden. Die Arbeiter seien gezwungen gewesen, in dem Lager zu wohnen. Die in dem Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - aufgeführten Voraussetzungen seien gegeben.

Das SG Oldenburg hat die Klage abgewiesen: Es sei zwar wahrscheinlich, daß C. zur Zeit seines Todes in einem nach § 537 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. versicherten Arbeitsverhältnis zum früheren Deutschen Reich gestanden habe. Es fehle aber an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall. Da C. nachts während der Freizeit durch Bombeneinwirkung ums Leben gekommen sei, müsse eine Kampfmaßnahme des Krieges als beherrschende Ursache für den Tod angesehen werden. Diese allgemein wirkende Gefahr könne dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers jedenfalls dann nicht zugerechnet werden, wenn der Versicherte ihr während der Freizeit erliege. Auch bei einem Aufenthalt in einem Betriebslager werde zwischen versicherter und unversicherter eigenwirtschaftlicher Tätigkeit unterschieden. Das ergebe sich auch aus dem Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944. Es spreche nichts dafür, daß C. den tödlichen Unfall im Zusammenhang mit einem besonderen Dienst im Luftschutz (§ 537 Nr. 4 RVO aF) erlitten habe.

Der Kläger hat Berufung eingelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die - zugelassene - Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: C. sei als Angehöriger des Arbeitsbataillons L 11 gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Er sei jedoch nicht durch einen Arbeitsunfall getötet worden. Es fehle an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall. Er sei nicht einer der betrieblichen Tätigkeit eigentümlichen Gefahr, sondern einer allgemeinen Gefahr erlegen, der auch die gesamte Zivilbevölkerung in ihrer Wohnung ausgesetzt gewesen sei. Die S-Schule habe in einem Wohngebiet gelegen und nicht auf der Arbeitsstätte oder in deren unmittelbarer Nähe. Es sei nicht ersichtlich, daß sich der Bombenangriff auf die Arbeitsstätte gerichtet habe. Auch bei einem zwangsweisen Aufenthalt in einem Betriebslager sei zwischen versicherter und unversicherter Tätigkeit zu unterscheiden. Erforderlich sei stets ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Betriebstätigkeit oder der besonderen Beschaffenheit der Betriebseinrichtungen, die der Lagerinsasse habe benutzen müssen. Es sei aber nichts darüber bekannt geworden, daß die S-Schule irgendwelche baulichen Mängel oder sonstige Gefahrenstellen aufgewiesen habe, die den Einsturz des Gebäudes und damit den Tod des C. wesentlich mitverursacht haben könnte. Nach dem Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. vom 13. Juli 1944 sei ebenfalls zwischen versicherter und nur eigenwirtschaftlicher Tätigkeit zu unterscheiden. Im übrigen seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Unterkunft des Arbeitsbataillons in der S-Schule im Interesse eines bestimmten Betriebes auf dessen Betriebsstätte oder in unmittelbarer Nähe errichtet worden sei. Die Unterkunft sei vielmehr im allgemeinen Interesse des Arbeitseinsatzes von Ausländern durch die OT errichtet worden. Auf den Erlaß des Bundesministers für Arbeit vom 17. Dezember 1952 (BVBl 1953, 4) könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil darin das Vorliegen eines Arbeitsunfalls vorausgesetzt werde. Die Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes bei Dienstreisen lasse sich auf einen langfristigen Aufenthalt in Betriebslagern nicht übertragen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es u.a. wie folgt begründet: Nach dem Erlaß des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA) vom 8. September 1942 - Va 5780/5838/42 - sei C. gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Das Arbeitsbataillon sei für die Beseitigung von Fliegerschäden und die Durchführung besonderer Bauarbeiten der OT zuständig gewesen. Entsprechend dem Risiko, das gerade mit solchen Arbeiten in von Luftangriffen besonders bedrohten Städten verbunden gewesen sei, habe den Angehörigen des Baubataillons ein weitgehender Schutz seitens der gesetzlichen Unfallversicherung zuteil werden soll. Die Auffassung, daß der Versicherungsschutz nur wirksam werden solle, wenn der Dienstverpflichtete sich im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bei einer dienstlichen Verrichtung befunden habe, seit rechtsirrig. Die Angehörigen der Arbeitsbataillone seien kaserniert untergebracht worden und hätten nicht die Möglichkeit gehabt, ihre Freizeit selbst zu gestalten. Sie hätten auch nicht für eine bessere Sicherung ihres Lebens bei Luftangriffen sorgen können und seien gezwungen gewesen, nur notdürftig hergerichtete Luftschutzkeller der S-Schule zu benutzen. Der Zivilbevölkerung hätten dagegen die sicher gebauten öffentlichen Bunker zur Verfügung gestanden. Das Korrelat einer solchen Bindung mit den sich daraus ergebenden erhöhten Gefahren sei ein möglichst umfassender Versicherungsschutz. Diese Auffassung werde gestützt durch den Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 18. November 1939 (AN 1939, 525) das Rundschreiben des Reichsversicherungsamtes vom 18. Juli 1940 (AN 1940, 268) und den Erlaß des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 17. Dezember 1952 (BVBl 1953, 4). Allen diesen Regelungen sei gemeinsam, daß sie für Unfälle, von denen Arbeitnehmer durch Kampfmaßnahmen während des Krieges betroffen worden seien, eine Abgrenzung zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung und nicht der Versorgung vornähmen. Es seien auch die Voraussetzungen für die Anerkennung des Lagerunfalls als Arbeitsunfall nach dem Erlaß des RAM vom 9. Juni 1944 - II c 697/44 - in Verbindung mit dem Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 gegeben. Der Sitz des Arbeitsbataillons in der S-Schule sei mit aller Wahrscheinlichkeit die Betriebsstätte selbst gewesen und das Lager in der Schule somit auf der Betriebsstätte errichtet. Den "Betrieb" des kasernierten Baubataillons könne man sich nicht anders vorstellen, als daß die S-Schule selbst ein Zweigbetrieb des Unternehmens OT in S gewesen sei. Da die Kosten der Errichtung und Unterhaltung des Lagers von der OT getragen und in dem Lager lediglich Angehörige des Baubataillons untergebracht worden seien, seien alle in dem Rundschreiben aufgestellten Bedingungen erfüllt. Nach dem angeführten Erlaß des RAM genüge es im übrigen, daß nur eine der drei Voraussetzungen gegeben sei. Die Auffassung des LSG, daß auch bei einem Aufenthalt in einem Betriebslager zwischen versicherter und unversicherter Tätigkeit unterschieden werden müsse, stütze sich zu Unrecht auf die Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes (RVA) in EuM 45, 2 und 46, 5. Nach einer Entscheidung des RVA aus dem Jahre 1944 könnten die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Lösung vom Betrieb durch eigenwirtschaftliche Handlungen nur mit Einschränkungen auf Lagerunfälle angewendet werden. Es komme darauf an, ob das Wohnen in einer Wohnbaracke aus Bequemlichkeit im Interesse des Versicherten oder im Interesse des Betriebes gelegen habe. Zugunsten des Klägers seien desweiteren die in der Rechtsprechung für den Unfallversicherungsschutz bei Dienst- und Geschäftsreisen entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Die Zuständigkeit der Beklagten für die Entschädigung des tödlichen Unfalls des C. ergebe sich aus aus dem Erlaß des RAM vom 17. Oktober 1944 (AN 1944, 280). Sofern es dem LSG darauf ankomme, ob bestimmte Gefahrenquellen im Bereich der S-Schule den Einsturz des Gebäudes und damit den Tod des C. wesentlich mitverursacht haben, hätte es ermitteln müssen, wie die Einrichtung des Luftschutzkellers im Hinblick auf bauliche Mängel und sonstige Gefahrenquellen gewesen sei. Luftschutzkeller, insbesondere solche in größeren Gebäuden mit entsprechenden Deckenflächen, hätten für das Schutzbedürfnis der Bevölkerung nicht ausgereicht. Es müsse davon ausgegangen werden, daß die Kellerdecken des Luftschutzraumes der S-Schule einem Bombenangriff schon bei Verwendung leichter Bomben nicht standhielten und daß die Abstützung der Decken durch die übliche Verwendung von Stützbalken nicht ausreichte. Das LSG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit der Feststellung begnügt habe, über bauliche Mängel des Luftschutzraumes sei nichts bekannt geworden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Urteile I. und II. Instanz sowie des Bescheides der Beklagten vom 29.4.1968 zu verurteilen, der belgischen Staatsangehörigen Frau Elisa L J in M, nach ihrem am 20.10.1944 verstorbenen Ehemann L J C Hinterbliebenenentschädigung für die Zeit vom 20.10.1944 bis zum 20.9.1947 zu gewähren und der Beklagten aufzuerlegen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aller drei Instanzen zu erstatten,

hilfsweise,

den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landessozialgericht Niedersachsen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Die Befugnis des Königreichs Belgien, mit der Klage die Ansprüche der Hinterbliebenen des belgischen Staatsangehörigen C. geltend zu machen, ergibt sich aus Art. 7 Abs. 3 der Dritten Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 - Allgemeines Abkommen - über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 (BGBl 1963 II 404 - 3. ZV), in der Fassung des Art. 5 des Zusatzprotokolls vom 10. November 1960 (abgedruckt bei Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungssicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, Teil X - Belgien - S. 46, 48). Nach dieser Vorschrift kann das Königreich Belgien, das der Hinterbliebenen nach belgischen Rechtsvorschriften wegen des Todes des Versicherten eine Rente zahlt, die Feststellung der Leistungen - aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung - betreiben und Rechtsmittel einlegen. Die 3. ZV ist ungeachtet der Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWG-VO Nr. 3) weiterhin anwendbar, da sie im Anhang D zu dieser Verordnung als weitergeltend aufgeführt ist (vgl. Art 6 Abs. 2 Buchst. e der EWG-VO Nr. 3).

Die Klage ist nicht begründet. Der Hinterbliebenen des in der Nacht vom 19. zum 20. Oktober 1944 bei einem Luftangriff in Deutschland tödlich verunglückten belgischen Staatsangehörigen C. steht ein Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu. C. hat keinen Arbeitsunfall im Sinne der deutschen Rechtsvorschriften erlitten.

Die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch erfüllt sind, ist nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu beurteilen. Sowohl nach der EWG-VO Nr. 3 (vgl. Art. 12 Abs. 1) als auch nach dem deutsch-belgischen Allgemeinen Abkommen (vgl. Art. 5 Abs. 1) unterliegen die Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Mitglieds- bzw. Vertragsstaates, in welchem sie beschäftigt sind oder waren. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob C. zu dem in Art. 4 Abs. 1 der EWG-VO Nr. 3 aufgeführten Personenkreis gehörte - den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist dies nicht zu entnehmen - und daher die EWG-VO Nr. 3 mit der in ihren Anhang D aufgenommenen 3. ZV (vgl. Art. 5 Buchst. a der EWG-VO Nr. 3) oder ob das Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV anzuwenden ist. Maßgebend dafür, ob C. als Angehöriger des Arbeitsbataillons L 11 bei seiner Tätigkeit während des 2. Weltkrieges in Deutschland zu dem in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall versicherten Personenkreis gehört hat und die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vorliegen, sind die Vorschriften, die im Unfallzeitpunkt in Kraft waren: §§ 537 bis 541, 542 der Reichsversicherungsordnung idF des 6. Gesetzes über Änderung in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (6. ÄndG) - RGBl I 107 - (RVO aF) sowie die seinerzeit geltenden Sondervorschriften (z.B. die Notdienst-VO vom 15. Oktober 1938 - RGBl I 1441 -). Dies entspricht dem aus sozialversicherungsrechtlichen Erwägungen in der deutschen Sozialversicherung bestehenden Grundsatz, daß für Ansprüche aus Versicherungsfällen vor Inkrafttreten neuen Rechts die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften anzuwenden sind, sofern das neue Recht sich nicht ausdrücklich rückwirkende Kraft beilegt (vgl. BSG 22, 63, 65; 23, 139, 140 ff; 24, 88, 89 jeweils mit weiteren Nachweisen). Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - BGBl I 214 - (UVNG) gilt gemäß Art. 4 § 1 nur die Arbeitsunfälle, die sich nach seinem Inkrafttreten ereignen; die in Art. 4 §§ 2 ff UVNG geregelten Ausnahmen greifen hier nicht ein.

Mit Recht hat das LSG den Hinterbliebenenrentenanspruch nicht schon mit der Begründung als ausgeschlossen erachtet, daß C. als dienstverpflichteter belgischer Staatangehöriger bei seiner Tätigkeit in Deutschland dem Unfallversicherungsschutz nicht unterlegen habe. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG war C. durch die damaligen deutschen Arbeitseinsatzbehörden im Jahre 1942 längerfristig zur Beseitigung von Kriegsschäden in den von Luftangriffen hauptsächlich heimgesuchten Städten - und damit zur Bekämpfung öffentlicher Notstände, also zu typischen Notdienstleistungen - herangezogen worden (vgl. § 1 Abs. 1 der Notdienst VO). Er unterstand bei seiner - entlohnten - Tätigkeit der Verfügungsgewalt der Arbeitseinsatzbehörden und war diesen gegenüber zur Arbeitsleistung verpflichtet. Für dieses einem Arbeitsverhältnis entsprechende Beschäftigungsverhältnis galten die allgemeinen Vorschriften über Sozialversicherung (vgl. § 3 der 2. DurchführungsVO zur Notdienst VO vom 10. Oktober 1939 - RGBl I 2018 -). § 1 Abs. 4 der NotdienstVO, der eine Dienstverpflichtung ausländischer Arbeitskräfte ausschloß, ist außer Kraft gesetzt worden durch die Anordnung Nr. 10 des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ... vom 22. August 1942 (RABl 1942, 382) i.V.m. der 6. VO des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich (MBN) vom 6. Oktober 1942 (VOBl des MBN 1942, 1059).

Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF sind jedoch, wie das LSG im Ergebnis mit Recht angenommen hat, nicht gegeben. Es fehlt an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall. Allerdings entfällt der Versicherungsschutz nicht schon deshalb, weil die Kriegsgefahr, von welcher C. betroffen wurde, als eine allgemein wirkende Gefahr - wie z.B. Erdbeben, Überschwemmungen und sonstige Naturkatastrophen - anzusehen wäre, die wegen eines nur rein zufälligen Zusammentreffens mit der betrieblichen Tätigkeit den für einen Arbeitsunfall erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit nicht begründen würde (vgl. Brackmann Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 480 r, vgl. auch BSG 23, 79, 81 sowie Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., geschichtliche Entwicklung, S. 82). Bei den im 2. Weltkrieg von den Luftangriffen der Alliierten auf Deutschland ausgehenden Bedrohungen handelte es sich nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht schlechthin um solche allgemein wirkenden Gefahren, obwohl die Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Laufe des Krieges immer mehr verstärkt worden sind. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, daß schädigende Ereignisse durch Kriegseinwirkungen (§ 1 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG) rechtlich zugleich Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO sein können (§ 54 BVG; vgl. BSG 23, 79, 81). Bei Unfällen infolge von Kriegseinwirkungen ist deshalb stets im Einzelfall zu prüfen, ob zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

C. ist von dem Luftangriff während der Nacht vom 19. zum 20. Oktober 1944 - außerhalb seiner Arbeitszeit - im Luftschutzkeller der S-Schule in S betroffen worden. Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß die S-Schule, wie die Revision geltend macht, als Gemeinschaftsunterkunft im betrieblichen Interesse errichtet war und die hierfür vom Reichsverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Rundschreiben vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - für erforderlich erachteten Voraussetzungen vorlagen (vgl. auch die Zustimmung des RAM vom 29. Juni 1944). Dies allein reicht jedoch nicht aus, den Versicherungsschutz für alle Unfälle zu begründen, die sich in der Unterkunft ereignen. Nicht jeder Unfall, den ein Beschäftigter während des Aufenthaltes in einer im betrieblichen Interesse erstellten Gemeinschaftsunterkunft erleidet, erfüllt die Voraussetzungen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind auch in sogenannten Betriebslagern die rein eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, bei denen die Verfolgung persönlicher Interessen derart im Vordergrund steht, daß die Beziehung zu dem Beschäftigungsunternehmen bei der Bewertung der Unfallursachen als rechtlich unwesentlich ausgeschieden werden muß. Der Beschäftigte kann auch in einem Betriebslager privaten Verrichtungen nachgehen, die in keiner näheren Beziehung zur versicherten Tätigkeit stehen. Maßgebend ist somit auch bei Unfällen in Gemeinschaftslagern, die im betrieblichen Interesse errichtet sind, ob zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der Tätigkeit im Unternehmen ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. RVA in EuM 46, 5, 7; RVA in BG 1944, 20; Brackmann aaO, S. 486a; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand: Juni 1971, Kennzahl 123, S. 2/3). Etwas anderes ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht dem Erlaß des RAM vom 18. November 1939 (AN S. 525) zu entnehmen, da in ihm zu der Abgrenzung zwischen versicherter und eigenwirtschaftlicher Tätigkeit nicht Stellung genommen wird. Auch der Erlaß des RAM vom 17. Oktober 1944 (AN S. 280) hat den Versicherungsschutz nicht auf eigenwirtschaftliche Tätigkeiten ausgedehnt. Die Formulierung "unabhängig von der Dauer ihres Einsatzes" bezieht sich nur auf die Unterscheidung zwischen kurz- und langfristigem Notdienst. Im Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 werden Personen bei ihrem Aufenthalt in einem im betrieblichen Interesse errichteten Wohnlager ebenfalls nicht schlechthin als versichert angesehen. Es wird auch hier zwischen dem unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich und der betrieblichen Sphäre unterschieden. Unfallversicherungsschutz ist bei Unfällen in sogenannten Betriebslagern im allgemeinen nicht gegeben, wenn der Unfall sich - wie hier - nachts während der arbeitsfreien Zeit ereignet hat. Die Eigenart der Unterbringung kann allerdings dazu führen, daß auch Handlungen, die an sich der privaten Sphäre des Versicherten zuzurechnen sind, als solche betriebsbezogener Art anzusehen sind (Lauterbach aaO, § 548 Anm. 36; Podzun aaO, S. 5 zu 5).

Das RVA ging davon aus, daß sich die Unfallversicherung der Arbeiter, die in einem Betriebslager untergebracht waren, auf Unfälle erstreckte, welche sich bei eigenwirtschaftlichen Handlungen während des Aufenthalts im Lager ereigneten, wenn der Unfall auf die besonderen Verhältnisse des Lagers zurückzuführen war (RVA in BG 1944, 114). Diese Auffassung kommt auch in früheren Entscheidungen des RVA (vgl. EuM 45, 2, 3; 46, 5, 6, 7) zum Ausdruck. In beiden Fällen ist der Versicherungsschutz bejaht worden, weil der Unfall durch die Beschaffenheit der im betrieblichen Interesse errichteten Wohngelegenheit oder Gemeinschaftseinrichtung oder durch besondere mit der Gemeinschaftsunterbringung verbundene Gefahren verursacht worden war. Durch solche Gefahren ist der Unfall des C. indessen nicht wesentlich beeinflußt worden. Der Tod durch Fliegerbomben im Luftschutzkeller ist nicht auf die Art der Unterbringung zurückzuführen. Die Verpflichtung, den in der S-Schule eingerichteten Luftschutzraum zu benutzen, ist nicht als eine besondere, mit der Unterbringung verbundene Gefahr anzusehen. Eine betriebsbezogene erhöhte Unfallgefahr ist hier nicht gegeben, denn die S-Schule ist bei einem allgemeinen Luftangriff auf S zerstört worden. Beherrschende Ursache für den Tod des Verunglückten waren unter den gegebenen Umständen Kriegsereignisse. Die Gefahren der versicherten Tätigkeit treten auch bei der Unterbringung in einer im betrieblichen Interesse errichteten Gemeinschaftsunterkunft jedenfalls dann hinter die von derartigen Luftangriffen ausgehende Gefahrenlage zurück, wenn sie den Beschäftigten bei der Verrichtung privater Dinge betrifft. Der Aufenthalt des C. im Luftschutzkeller während der Nachtzeit ist nicht dem betrieblichen Bereich zuzurechnen. Dem Interesse des Arbeitgebers daran, die Arbeitskraft der Beschäftigten zu erhalten, kommt gegenüber dem persönlichen Interesse des Beschäftigten, sich durch Aufsuchen des Luftschutzkellers vor gesundheitlichem Schaden zu bewahren, keine unfallversicherungsrechtlich wesentliche Bedeutung zu (vgl. BSG 9, 222, 225, 226). Daran ändert nichts, daß C. nach den damaligen Vorschriften verpflichtet war, einen Schutzraum aufzusuchen. Diese Verpflichtung galt für die gesamte Bevölkerung, sie bestand nicht wesentlich im betrieblichen Interesse. Ebenso war die gesamte Bevölkerung durch den nicht ausreichenden Schutz der Keller von Bombenangriffen betroffen. Entgegen den Ausführungen der Revision standen auch der deutschen Bevölkerung bei weitem nicht ausreichend eigens gebaute, sicherere Luftschutzbunker zur Verfügung. Anhaltspunkte dafür, daß die S-Schule gegenüber den meisten anderen Häusern einen außergewöhnlich geringen Schutz bietenden, mit wesentlichen baulichen Mängeln behafteten Keller hatte und daß ohne sie der Keller den Bomben standgehalten hätte, sind auch dem insoweit unsubstantiierten Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen.

Die zwangsweise Dienstverpflichtung des C. rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Zwangsverpflichtung aus den besetzten belgischen Gebieten nach Deutschland ist nicht dem Beschäftigungsverhältnis zuzurechnen. Die Gefahrenlage, in die C. durch die Zwangsverpflichtung gekommen ist, gehört nicht zu den Risiken, die der Arbeitgeber und damit die gesetzliche Unfallversicherung zu tragen haben. Arbeitspolitische Maßnahmen des Staates, wie sie die Zwangsverpflichtung ausländischer Arbeitskräfte während des 2. Weltkrieges darstellen, bewirken - ohne entsprechende gesetzliche Regelung - für sich allein nicht ohne weiteres eine Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes auf den gesamten Aufenthalt des Beschäftigten.

Das deutsch-belgische Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV sieht keine Wiedergutmachungsleistungen vor, es stellt vielmehr eindeutig darauf ab, ob nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung ein Anspruch besteht. Es bezweckt - wie bei zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen üblich - die Gleichbehandlung von belgischen und deutschen Staatsangehörigen und beruht daher im wesentlichen auf den gleichen Grundsätzen, die in den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 enthalten sind. Es liegen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß die Vertragsstaaten bei Abschluß des Allgemeinen Abkommens und der 3. ZV übereinstimmend davon ausgegangen sind, die im 2. Weltkrieg aus arbeitspolitischen Gründen von den zuständigen deutschen Stellen möglicherweise vertretene, mit den Rechtsvorschriften der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht in Einklag stehende und deshalb unbeachtliche Auffassung, Fliegerschäden seien bei lagermäßig untergebrachten Ausländern allgemein als Arbeitsunfälle zu werten, zur Grundlage ihrer Vereinbarung zu machen.

Aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung steht der Hinterbliebenen des C. sonach eine Entschädigung nicht zu. Der Senat verkennt nicht, daß nach § 7 Abs. 2 BVG eine Leistungsverpflichtung der Versorgungsverwaltung nach dem BVG daran scheitert, daß die Hinterbliebene des C. nach den Rechtsvorschriften des Königreichs Belgien über Entschädigungsrenten für zivile Opfer des Krieges 1940 - 1945 und ihrer Hinterbliebenen vom 15. März 1954 wegen des in Deutschland erlittenen Unfalls in Belgien einen Versorgungsanspruch hat und keine diese Vorschriften ausschließende zwischenstaatliche Vereinbarung besteht. Ein Entschädigungsanspruch für die Folgen der Zwangsmaßnahmen könnte den belgischen Opfern des nationalsozialistischen Regimes in Fällen der vorliegenden Art nur durch besondere Regelungen eingeräumt werden, etwa durch eine zwischenstaatliche Vereinbarung, wie sie für die aus den belgischen Ostkreisen stammenden Kriegsopfer, die zum Dienst in der deutschen Wehrmacht zwangsweise verpflichtet worden sind, mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Kriegsopferversorgung vom 21. September 1962 (BVBl 1964, 63 ff) abgeschlossen worden ist.

Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach § 114 Abs. 2 SGG war nicht erforderlich. Da Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts selbst dann nicht gegeben sind, wenn die 3. Zusatzvereinbarung als Bestandteil der EWG-VO Nr. 3 auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 Abs. 1 Buchst. b Ab. 3 des EWG-Vertrages nicht in Betracht (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 -). Ein Anlaß zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des in Art. 52 Abs. 2 des Allgemeinen Abkommens genannten Schiedsgerichts besteht schon deswegen nicht, weil dieses nur auf Verlangen eines Vertragsstaates tätig werden kann und ein entsprechender Antrag nicht vorliegt.

Das LSG hat somit zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen.

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649742

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