Leitsatz (amtlich)

1. Verlangt ein früherer Behördenangestellter unter Berufung auf das G 131 von der Versorgungsdienststelle (Pensionsfestsetzungsbehörde) eine Bescheinigung über die dienstrechtlichen Voraussetzungen der fiktiven Nachversicherung (G 131 § 72), so ist für eine Klage gegen den ablehnenden Bescheid dieser Behörde nicht das Sozialgericht, sondern das Verwaltungsgericht zuständig.

2. Die Zuständigkeitsregelung in G 131 § 79 (Fassung: 1957-09-11) ist auch bei den zur Zeit des Inkrafttretens dieser Vorschrift (1957-09-14) bei den Sozialgerichten schwebenden Streitfällen zu beachten.

 

Normenkette

G131 §§ 72, 79 Fassung: 1957-09-11; SGG § 51 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

1. Die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Oktober 1957 und des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Januar 1957 werden aufgehoben.

2. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist unzulässig.

3. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht erster Instanz der Freien und Hansestadt Hamburg verwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Bescheinigung über seine Nachversicherung nach § 72 des "Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" (G 131) vom 11. Mai 1951. Er war von 1938 an Betriebsprüfer im Angestelltenverhältnis beim Oberfinanzpräsidenten in Hamburg; im Mai 1945 wurde er wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP entlassen. Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten (AV.) wurden für ihn nicht geleistet, weil er als "alter Kämpfer" der NSDAP galt und nach den hierfür bestehenden Vorschriften als versicherungsfrei geführt wurde. Im Jahre 1950 beantragte er seine Nachversicherung nach § 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a. F. (bzw. nach den in der britischen Besatzungszone an dessen Stelle getretenen Vorschriften); diesen Antrag ließ er aber nach dem Inkrafttreten des G 131 fallen und beschränkte sich darauf, seine Nachversicherung nach § 72 G 131 zu betreiben. Dabei vertrat er die Auffassung, daß für ihn während der angegebenen Beschäftigung eine Anwartschaft auf beamtenrechtliche Versorgung bestanden habe; diese Anwartschaft habe er durch seine Entlassung verloren.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab: Die Oberfinanzdirektion habe den Kläger gutgläubig als "alten Kämpfer" der NSDAP geführt, weil er entsprechende Schriftstücke vorgelegt und sich während seiner Beschäftigung auch so verhalten habe. Nach 1945 habe sich herausgestellt, daß der Kläger nicht "alter Kämpfer" im Sinne der damaligen Vorschriften und zu Unrecht versicherungsfrei gewesen sei. Die Voraussetzungen für die fiktive Nachversicherung nach § 72 G 131 seien daher nicht gegeben (Bescheid vom 6.5.1955).

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 17.5.1955).

Der Kläger verfolgte seinen Anspruch vor dem Sozialgericht (SG.) Hamburg weiter. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA.) wurde zum Verfahren beigeladen. Das SG. wies die Klage ab (Urteil vom 29.1.1957), das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg die Berufung zurück (Urteil vom 25.10.1957). Beide Gerichte hielten sich zur Entscheidung über das Klagebegehren für sachlich zuständig, verneinten jedoch den Anspruch des Klägers, weil es an der Voraussetzung fehle, daß er vor dem 8. Mai 1945 wegen seiner Beschäftigung im öffentlichen Dienst nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war.

Das LSG. ließ die Revision zu. Der Kläger legte gegen das ihm am 3. Dezember 1957 zugestellte Urteil am 30. Dezember 1957 Revision ein und begründete sie gleichzeitig. Er machte geltend, das LSG. habe die Verfügung in seinen Personalakten, in der über seine Anwartschaft auf beamtenrechtliche Versorgung entschieden worden sei, unrichtig gewürdigt, es habe auch die Beweispflicht verkannt und den Tatbestand nicht genügend erforscht. Er beantragte sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Bescheinigung über die Nachversicherung für die Zeit vom 1. April 1938 bis zum 31. Mai 1945 zu erteilen;

vorsorglich beantragte er,

den Rechtsstreit an das für die Entscheidung zuständige Gericht zu verweisen.

Die Beklagte beantragte,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragte,

die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zurückzuweisen:

Die Vordergerichte hätten in der Sache nicht entscheiden dürfen, weil der Rechtsweg zu den SG.en nicht gegeben sei.

Dies gehe aus § 79 G 131 i. d. F. des Art. I Nr. 73 des Zweiten Änderungsgesetzes vom 11. September 1957 (BGBl. I S. 1275/1290) hervor; diese Vorschrift habe schon zur Zeit der Entscheidung des LSG. gegolten; danach seien die Verwaltungsgerichte zuständig. Die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Klägers ist statthaft, weil das LSG. sie im angefochtenen Urteil zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), sie ist auch ordnungsgemäß begründet worden.

Im angefochtenen Urteil hat das LSG. - ebenso wie zuvor das SG. - den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für zulässig angesehen und in der Sache entschieden. Der Senat hat zu prüfen, ob die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit dem vorliegenden Streitfall befaßt werden durften. Die Prüfung dieser Prozeßvoraussetzung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen, und zwar auch noch in der Revisionsinstanz vorzunehmen (BSG. 2 S. 23 (25), S. 245 (253); 8 S. 3 (9)). Sie führt zu dem Ergebnis, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ausgeschlossen ist.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Kriegsopferversorgung (§ 51 SGG). Sie sind zur Entscheidung nur berufen, wenn der Streitgegenstand einer dieser Gruppen von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zuzurechnen ist. Für die Zuordnung ist entscheidend, ob das Rechtsverhältnis, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, seinem Wesen nach den in § 51 SGG genannten Rechtsgebieten angehört. Nur ein Rechtsstreit, der sich aus der Durchführung dieser Rechtsgebiete ergibt, fällt in die sachliche Zuständigkeit der Sozialgerichte. Im vorliegenden Fall kommt allein in Betracht, ob eine "Angelegenheit der Sozialversicherung" im Streit ist. Dies muß - entgegen den Auffassungen des LSG. und des SG. - verneint werden.

Der Kläger stützt seine Klage, mit der er von der Beklagten verlangt, daß sie ihm eine Bescheinigung über seine Nachversicherung für die Zeit von 1938 bis 1945 erteile, auf § 72 G 131. Diese Vorschrift begründet für einen bestimmten Personenkreis unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetzes ein Versicherungsverhältnis in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die auf Grund dieser Sonderregelung durchgeführte Nachversicherung unterscheidet sich von der im AVG geregelten Nachversicherung (§ 9 AVG, Art. 2 § 4 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz - AnVNG) vor allem dadurch, daß bei ihr der - vielfach nicht mehr vorhandene - Arbeitgeber (Dienstherr) die Beiträge nicht tatsächlich an den Träger der Rentenversicherung nachzuentrichten hat, das Versicherungsverhältnis vielmehr in Auswirkung eines dienstrechtlichen Tatbestands kraft Gesetzes hergestellt (fingiert) wird. Infolgedessen ist auch das Verfahren, daß der Durchführung der Nachversicherung dient, bei beiden Arten unterschiedlich. Der Auffassung des LSG., die Unterschiede zwischen den beiden Arten der Nachversicherung seien für die Zuweisung der Streitigkeiten ohne Bedeutung, die aus § 72 G 131 erwachsenen Streitigkeiten seien wie diejenigen aus einer Nachversicherung nach dem AVG Streitigkeiten in "Angelegenheiten der Sozialversicherung", über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden haben, kann der Senat - jedenfalls was den vorliegenden Rechtsstreit betrifft, in dem es darum geht, ob die Beklagte dem Kläger eine Bescheinigung zu erteilen hat, - nicht zustimmen. Um § 72 G 131 richtig auszulegen und in seiner Bedeutung zu erkennen, müssen die zum Gesetz ergangenen Verwaltungsvorschriften und § 79 des G 131 i. d. F. vom 11. September 1957 herangezogen sowie gesetzliche Regelungen ähnlicher Art berücksichtigt werden.

Wegen der Durchführung der fiktiven Nachversicherung ist das Nähere in den Verwaltungsvorschriften bestimmt, welche die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen hat (Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften - §§ 72 bis 74 - des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen vom 15. Juni 1954 - Bundesanzeiger vom 19. Juni 1954 -). Diese Vorschriften erläutern das Gesetz für die bundeseinheitliche Anwendung durch die Verwaltungsbehörden und lassen insoweit die Vorstellung erkennen, die die Bundesregierung mit dem Begriff der Nachversicherung im Sinne von § 72 G 131 verbindet. Nach Nr. 2 der Verwaltungsvorschriften bescheinigen die Versorgungsdienststellen (Pensionsfestsetzungsbehörden), daß die dienstrechtlichen Voraussetzungen für die Nachversicherung vorliegen; das "weitere" Verfahren führen die Träger der Rentenversicherung durch. Die Verwaltungsvorschriften tragen mit dieser Regelung einem Umstand Rechnung, der im Wortlaut des § 72 G 131 nicht augenfällig zum Ausdruck kommt, der sich aber aus dem Sinn und Wesen der fiktiven Nachversicherung ergibt. Mit ihrer Durchführung sind nämlich sowohl die Versorgungsdienststellen als auch die Träger der Rentenversicherung befaßt. Dieses Zusammenwirken mehrerer Stellen entspricht der Regelung, wie sie zur Zeit der Einführung der fiktiven Nachversicherung auch bei der im AVG geregelten Nachversicherung bestand. Danach haben über die dienstrechtlichen Vorfragen nicht die Träger der Sozialversicherung und die Sozialgerichte entschieden, sondern die obersten Bundes- und Landesbehörden; ihre Entscheidungen waren für die Träger der Sozialversicherung und für die Sozialgerichte verbindlich (vgl. § 1242 a Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 18 AVG in der bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Fassung und für das heutige Recht §§ 1229 Abs. 2, 1231 Abs. 1, 1232 RVO, §§ 6 Abs. 2, 8 Abs. 1 und 9 AVG). Ähnliche Verfahren finden sich auch in anderen Gesetzen. So sind z. B. die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an die Entscheidungen der Wiedergutmachungsbehörden gebunden, wenn es für die Entscheidung auf die Feststellung eines Verfolgungstatbestandes ankommt (§ 1 Abs. 3 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes - FremdRG). Ebenso sind die Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen an die Entscheidungen der Arbeitgeber (Dienstherren) darüber gebunden, ob vor dem 8. Mai 1945 ausgeschiedene Angehörige des öffentlichen Dienstes, die von bestimmten Rechtsträgern für die Zeit ihrer versicherungsfreien Beschäftigung nachzuversichern waren und nicht nachversichert worden sind, nach § 99 des Allg. Kriegsfolgengesetzes vom 5. November 1957 als nachversichert gelten (vgl. hierzu Rundschr. des BdF. vom 22.10.1958 - BArbBl. 1958 S. 697 -) oder ob ein Fall besonderer Härte im Sinne des Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - oder Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 2 AnVNG vorliegt (§ 1 der VO über die Durchführung der Nachversicherung in Härtefällen vom 28.7.1959 - BGBl. I S. 550 -). In diesen Fällen werden die Tatbestände, die nicht auf sozialversicherungsrechtlichem Gebiet liegen, sondern anderen Rechtskreisen angehören (z. B. dem Recht der Wiedergutmachung oder dem Beamtenrecht), nicht von den Versicherungsträgern und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beurteilt, sondern von den dafür zuständigen Stellen. Bei der fiktiven Nachversicherung haben diese Aufgabe die nach dem G 131 zuständigen Versorgungsdienststellen. Ihnen obliegt die Prüfung, ob die dienstrechtlichen Voraussetzungen des § 72 G 131 vorliegen, wie sie in den Eingangsworten dieser Vorschrift genannt sind. Hierüber treffen sie in eigener Verantwortung ihre Feststellungen, und zwar je nach dem Ergebnis der Prüfung entweder (im Falle der Bejahung) in der Form einer Bescheinigung - nach einem vorgeschriebenem Muster (Formblatt 2) - oder (im Falle der Verneinung) in der Form eines ablehnenden Bescheids (vgl. Nr. 11 der Verwaltungsvorschriften). Es handelt sich dabei nicht nur um Akte der Amtshilfe, welche die Versorgungsdienststellen den Trägern der Rentenversicherungen leisten oder um unverbindliche Stellungnahmen oder interne Vorgänge innerhalb verschiedener Ressorts, sondern um nach außen wirkende Feststellungen, welche - ähnlich wie die Gewährleistungsbescheide der in § 1229 Abs. 2 RVO, § 6 Abs. 2 AVG genannten Stellen - die Rechtsstellung des Antragstellers unmittelbar berühren und die deshalb Verwaltungsakte sind. Der Träger der Rentenversicherung trifft, wenn bei ihm noch kein Antrag auf Gewährung einer Rente gestellt worden ist, seine Maßnahmen erst dann, wenn ihm die Versorgungsdienststelle eine Ausfertigung der Bescheinigung oder eine Abschrift des ablehnenden Bescheides übersandt hat (Nr. 11 Abs. 3 und Nr. 12 Abs. 1 der Verwaltungsvorschriften). Er hat in der Regel keine Möglichkeit, auf die Entschließungen der Versorgungsdienststellen einzuwirken oder sie nachzuprüfen.

Die Bescheinigung, die der Kläger von der Beklagten verlangt und die die Beklagte dem Kläger verweigert, hat nach Nr. 11 Abs. 1 der Verwaltungsvorschriften zum Inhalt, daß der Antragsteller zu dem unter Art. 131 GG fallenden Personenkreis gehört, sowie daß und weshalb er nach der vom Gesetz getroffenen Regelung keinen Anspruch oder keine Anwartschaft auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung hat; ferner soll die Bescheinigung über Beginn und Ende der für die Nachversicherung in Betracht kommenden Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst und über die Höhe der Bruttoentgelte Aufschluß geben. Diese Fragen gehören ihrer Natur nach nicht dem Recht der Sozialversicherung, sondern dem öffentlichen Dienstrecht an. Ein Rechtsstreit, der die Erteilung einer Bescheinigung dieses Inhalts zum Ziel hat und gegen die Versorgungsdienststelle gerichtet ist, betrifft deshalb nicht eine "Angelegenheit der Sozialversicherung", auch wenn die Bescheinigung später für Zwecke der Sozialversicherung verwendet werden soll. In einem solchen Rechtsstreit geht es vielmehr um die Nachwirkungen des früheren Dienst- oder Arbeitsverhältnisses; hierin findet - wie auch ein Vergleich mit den ähnlichen Regelungen in § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes und in § 1 der Verordnung vom 28. Juli 1959 zeigt - der Klageanspruch seine Grundlage. Von dieser Auffassung gehen ersichtlich auch die Verwaltungsvorschriften aus, die für die Rechtsmittelbelehrung in ablehnenden Bescheiden der Versorgungsdienststellen außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit stehende Gerichte vorsehen (Nr. 11 Abs. 2). Vor allem aber wird die Auffassung des Senats bestätigt durch die Regelung, die in § 79 G 131 in der Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes getroffen wurde. Diese Regelung ist auch im vorliegenden Rechtsstreit zu beachten.

Nach § 79 Abs. 1 G 131 gelten für alle Klagen aus dem G 131 die Vorschriften in den §§ 126, 127 und 136 des Beamtenrechtsrahmengesetzes; dies bedeutet, daß für solche Klagen der Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten gegeben ist. Hiervon ausgenommen sind nach § 79 Abs. 2 G 131 die Streitigkeiten von Angestellten und Arbeitern; für sie sind - wie die Vorschrift sinngemäß ergänzt werden muß - regelmäßig die Arbeitsgerichte zuständig. Abs. 1 gilt ferner nicht für Streitigkeiten aus den §§ 72 bis 74 G 131, die - auch insoweit bedarf es der Ergänzung der Vorschrift - hinsichtlich aller unter das G 131 fallender Personen grundsätzlich der Zuständigkeit der Sozialgerichte unterliegen. Eine Ausnahme von den Ausnahmen bilden die Streitigkeiten, die die Zugehörigkeit zum Personenkreis des G 131, das Bestehen oder den Wegfall einer Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 72 und die Dauer und Brutto-Entgelte im öffentlichen Dienst vor dem 9. Mai 1945, also gerade diejenigen Fragen betreffen, die den Inhalt der Bescheinigungen der Versorgungsdienststellen bilden. Für diese Streitigkeiten verbleibt es bei der Regel des § 79 Abs. 1 G 131 und damit bei der Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichte, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um Streitigkeiten von ehemaligen Beamten oder um solche von Angestellten oder Arbeitern handelt. Daß die hier genannten Streitsachen - auch soweit sie Angestellte oder Arbeiter betreffen - nicht von den Arbeitsgerichten, sondern von den allgemeinen Verwaltungsgerichten zu entscheiden sind, muß nicht nur aus der - insoweit allerdings wenig klaren - Wortfassung des § 79, sondern auch aus dessen Sinn und Zielsetzung geschlossen werden. Diese Vorschrift will erreichen, daß alle sachlich zusammengehörigen Streitfragen aus dem Anwendungsbereich des G 131 von ein und demselben Zweig der Gerichtsbarkeit entschieden werden. Soweit es sich um die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung handelt, wird dieses Ziel am besten erreicht, wenn der Rechtsschutz durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte gewährt wird; diese sind nach ihrem Aufgabenkreis, nach ihrer Sachkunde und nach ihrer Besetzung als zuständige Gerichte zur Entscheidung über diese Fragen berufen.

Die Vorschrift des § 79 G 131 in der Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes ist am 14. September 1957 in Kraft getreten (Art. IX Nr. 12 des Zweiten Änderungsgesetzes), also zu einer Zeit, als das angefochtene Urteil noch nicht ergangen, der Rechtsstreit aber vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bereits anhängig war. Eine besondere Übergangsregelung für schwebende Streitfälle enthält das Gesetz nicht. Nach den Grundsätzen, wie sie vor allem das Reichsgericht für den ordentlichen zivilen Rechtsweg entwickelt hat, sind neue Verfahrensvorschriften, die eine Regelung des Rechtswegs enthalten und die für schwebende Fälle nichts besonderes bestimmen, auch auf bereits anhängige Rechtsstreitigkeiten anzuwenden (vgl. RGZ. 101 S. 426, 146 S. 245, 149 S. 391, 150 S. 122). Der Senat trägt keine Bedenken, diesen Grundsätzen auch bei der Anwendung des § 79 G 131 Rechnung zu tragen und diese Vorschrift im vorliegenden Rechtsstreit zu berücksichtigen.

Mit der Neufassung des § 79 hat das Gesetz eine bisher bestehende Ungewissheit beseitigt, die sich daraus ergab, daß die Frage, ob und wie die Entscheidungen der Versorgungsdienststellen angefochten werden können, nur in den Verwaltungsvorschriften (Nr. 11 Abs. 2) geregelt war, an die weder die Antragsteller noch die Gerichte gebunden waren. Auf Grund der Neuregelung kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Streitfällen aus § 72 G 131 nur insoweit entscheiden, als es sich um sozialversicherungsrechtliche Fragen handelt, so z. B. wenn nach der Ausstellung der Bescheinigung durch die Versorgungsdienststelle Streit über die Einordnung in den zuständigen Zweig der Rentenversicherung oder über die Berechtigung zur Weiterversicherung entsteht. Dagegen werden Streitigkeiten, die sich auf die dienstrechtlichen Voraussetzungen der fiktiven Nachversicherung beziehen, allein vor den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgetragen. Es handelt sich insoweit nicht um Vorfragen, die als solche von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen eines dort anhängigen Rechtsstreits mit entschieden werden können. Die Folgen, die in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zu ziehen sind, ergeben sich erst nach der Beantwortung der dienstrechtlichen Fragen. Diese allein bilden den Kern des vorliegenden Streitfalles. Einer Spruchtätigkeit auf dem Gebiet des Dienstrechts müssen sich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit jedoch enthalten, weil hierzu die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit berufen sind. Mit dieser Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem Urteil des 11. Senats des Bundessozialgerichts vom 28. Juli 1959 - 11/8 RV 67/57 -. Dem hierin entschiedenen Rechtsstreit lagen Ansprüche nach § 66 des G 131 und der Bescheid eines Versorgungsamts zugrunde. Wenn in dieser Entscheidung angenommen wird, der Rechtsstreit betreffe eine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung, weshalb die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 SGG zuständig seien, so handelt es sich dabei um einen Sachverhalt, der sich von demjenigen des vorliegenden Streitfalles deutlich unterscheidet. Der erkennende Senat war deshalb nicht gehalten, die Entscheidung des Großen Senats nach § 42 SGG herbeizuführen.

Danach ist für das Klagebegehren der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ausgeschlossen. Das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts müssen deshalb aufgehoben und der Rechtsweg zu diesen Gerichten für unzulässig erklärt werden. Damit wird nicht gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen, weil hier nur Rechtsfolgen auszusprechen sind, die sich aus dem Fehlen einer Prozeßvoraussetzung notwendigerweise ergeben (BSG. 2 S. 225). Entsprechend dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers muß der Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige erstinstanzliche Gericht der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, also an das Verwaltungsgericht erster Instanz der Freien und Hansestadt Hamburg verwiesen werden (§ 52 Abs. 3 SGG). Diesem Gericht muß auch in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 3 SGG die Entscheidung über die Kosten des bisherigen Verfahrens überlassen bleiben (BSG. 2 S. 23/29).

 

Fundstellen

BSGE, 63

DVBl. 1960, 690

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