Entscheidungsstichwort (Thema)

KVdR für Bezieher von Höherversicherungsrenten. Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR. KVdR. Höherversicherungsrente. Mitgliedschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Rentenleistungen aus der Höherversicherung begründen keine Versicherungspflicht in der KVdR nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3.

2. Die KVdR gehört rechtssystematisch zur Krankenversicherung; der Rentenversicherungsträger kann daher gegenüber einem Rentner nicht verbindlich über die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung entscheiden.

3. Eine Klage kann nicht deshalb als unzulässig abgewiesen werden, weil das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren nicht durchgeführt wurde; in der Klage ist vielmehr die Erhebung des Widerspruchs enthalten, so daß den Beteiligten - auch nach der Verhandlung in der Revisionsinstanz - Gelegenheit gegeben werden muß, das Vorverfahren nachzuholen.

4. Die Feststellungsklage ist gegenüber einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage subsidiär.

 

Orientierungssatz

Erläßt ein Rentenversicherungsträger einen Verwaltungsakt, der die Mitgliedschaft in der KVdR und damit eine "Angelegenheit der KV" zum Gegenstand hat, so ist nach SGG § 80 Nr 1 in der bis 1974-12-31 geltenden Fassung, der bei vor dem 1975-01-01 zugestellten Verwaltungsakten noch anzuwenden ist, das Vorverfahren zwingend vorgeschrieben.

Ein Vorverfahren ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil es sich bei dem Bescheid - was dahingestellt bleiben kann - um einen wegen absoluter Unzuständigkeit nichtigen Verwaltungsakt gehandelt haben kann, der mit der vorverfahrensfreien Klage auf Feststellung der Nichtigkeit nach SGG § 55 Abs 1 Nr 4 hätte angefochten werden können.

 

Normenkette

SGG § 80 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 26.02.1976; Aktenzeichen L 6 An 956/74)

SG Darmstadt (Entscheidung vom 23.08.1974; Aktenzeichen S 5 An 90/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1976 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Bezieher eines Altersruhegeldes, das nur auf Beiträgen zur Höherversicherung beruht, als Mitglied in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nach § 165 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufzunehmen ist.

Der am 16. Oktober 1900 geborene Kläger ist seit 1946 selbständiger Buchhändler. Im Rahmen einer in der Zeit vom 1. Juli 1972 bis 31. Oktober 1972 ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtete er neben Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung der Angestellten vier Monatsbeiträge zur Höherversicherung nach § 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu je 17,- DM. Am 16. November 1972 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Altersruhegeld, und zwar ausdrücklich nur aus den Beiträgen zur Höherversicherung. Mit Bescheid vom 7. Dezember 1973 gab die Beklagte diesem Antrag statt und bewilligte ab 1. November 1972 das ausschließlich auf den Höherversicherungsbeiträgen beruhende Altersruhegeld in Höhe von 0,60 DM monatlich. Am 11. Februar 1974 erteilte die Beklagte dem Kläger einen weiteren Bescheid folgenden Inhalts: "Den von Ihnen am 16.11.1972 gestellten Antrag auf Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) kann nicht zugestimmt werden, da Renten, die ausschließlich auf Höherversicherungsbeiträgen beruhen, nicht als Rentenbezüge im Sinne des § 381 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelten."

Auf die hiergegen erhobene Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) Darmstadt die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides, dem Antrag des Klägers auf Mitgliedschaft in der KVdR zuzustimmen (Urteil vom 23. August 1974).

Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts - LSG - vom 26. Februar 1976). Das LSG hat - wie schon das SG - die Auffassung vertreten, daß auch eine nur auf Höherversicherungsbeiträgen beruhende Rente die Versicherungspflicht in der KVdR nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO begründe.

Die Beklagte hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die streitige Rechtsfrage, ob eine nur auf Beiträgen zur Höherversicherung beruhende Rente die Mitgliedschaft des Rentenbeziehers in der KVdR begründet, ist vom 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Urteil vom 14. Juli 1977 - 3 RK 66/76 - entschieden worden. Hiernach ist eine Leistung lediglich aus der Höherversicherung keine "Rente" im Sinne des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO; sie begründet keine Mitgliedschaft in der KVdR, auch wenn die Beiträge vor dem Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes - RRG - (1. Januar 1973) entrichtet worden waren. Der erkennende Senat würde keine Bedenken haben, sich dieser Rechtsprechung anzuschließen. Er sieht sich jedoch aus prozeßrechtlichen Gründen an einer Entscheidung in der Sache selbst gehindert.

Das LSG durfte die vom Kläger erhobene Aufhebungs- und Verpflichtungsklage nicht in eine auf Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR gerichtete Klage umdeuten. Der Kläger hat ein Feststellungsbegehren nicht geltend gemacht. Für ein solches, gegen die Beigeladene als den für die KVdR zuständigen Versicherungsträger zu richtendes Begehren hätte es zudem an der für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erforderlichen Voraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses gefehlt. Der Kläger hätte nämlich sein Begehren auf Aufnahme in die KVdR durch einen entsprechenden Antrag an die Beigeladene, im Ablehnungsfalle mit der gegenüber einer Feststellungsklage vorrangigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen die Beigeladene geltend machen können. In seinem Ausspruch über die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers in der KVdR muß daher das Urteil des LSG schon aus diesem Grunde aufgehoben werden.

Die Aufhebung ist darüber hinaus aber auch geboten, soweit es die Zurückweisung der Berufung der Beklagten und damit die Bestätigung des Urteils des SG betrifft.

Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 11. Februar 1974 darüber befunden, daß "dem Antrag auf Mitgliedschaft in der KVdR nicht zugestimmt werden könne". Als Rentenversicherungsträger hatte sie nicht über die Mitgliedschaft in der KVdR zu entscheiden, weil dies in den Entscheidungsbereich der zuständigen Krankenkasse fällt. Auch eine Zustimmung des Rentenversicherungsträgers zur Aufnahme eines Rentners in die KVdR ist gesetzlich nicht vorgesehen. Gleichwohl hat die Beklagte einen Verwaltungsakt erlassen, der die Mitgliedschaft in der KVdR und damit eine "Angelegenheit der Krankenversicherung" zum Gegenstand hatte. Sie hat zwar die Vorschrift des § 381 Abs 4 RVO angeführt, aber keineswegs über den - weder beantragten noch überhaupt in Rede stehenden - Anspruch auf Beitragszuschuß entschieden. Möglicherweise wollte sie einem solchen Anspruch vorbeugen. Zum Gegenstand des Verwaltungsakts hat sie ihn jedoch nicht gemacht; dieser beschränkte sich vielmehr auf die Verneinung der die Mitgliedschaft in der KVdR begründenden Eigenschaft der Höherversicherungsrente und betraf damit unmittelbar die Mitgliedschaft selbst. Anders als bei Streitigkeiten über die Gewährung von Beitragszuschüssen nach § 381 Abs 4 RVO, die trotz ihrer Regelung innerhalb der Vorschriften der RVO über die Krankenversicherung als Angelegenheit der Rentenversicherung anzusehen sind (BSGE 14, 112 = SozR Nr 1 zu § 381 RVO), handelt es sich bei der KVdR selbst um ein Rechtsgebiet, das - obwohl es von der Rentenversicherung finanziert wird - rechtssystematisch zur Krankenversicherung gehört (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd I/2, 234aX, Bd II, 448).

Nach § 80 Nr 1 SGG in der bis 31. Dezember 1974 geltenden Fassung, der bei vor dem 1. Januar 1975 zugestellten Verwaltungsakten noch anzuwenden ist (Art III des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 30. Juli 1974 - BGBl I, 1625 -), ist in Angelegenheiten der Krankenversicherung das Vorverfahren zwingend vorgeschrieben. Dieses ist jedoch nach Erlaß des Bescheides der Beklagten vom 11. Februar 1974 nicht durchgeführt worden, so daß die Klage unzulässig war. Diese mangelnde Prozeßvoraussetzung wirkt sich auf das gesamte Verfahren aus und ist daher auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten (BSGE 8, 3, 9; 16, 21 = SozR Nr 5 zu § 78 SGG). Ein Vorverfahren war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil es sich bei dem Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1974 - was dahingestellt bleiben kann - um einen wegen absoluter Unzuständigkeit nichtigen Verwaltungsakt gehandelt haben kann, der mit der vorverfahrensfreien Klage auf Feststellung der Nichtigkeit nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG hätte angefochten werden können. Die vom Kläger mit dem Begehren auf ein Verwaltungshandeln verbundene Anfechtungsklage in eine solche Feststellungsklage umzudeuten, besteht aber kein Anlaß, denn § 55 Abs 1 Nr 4 SGG unterstellt den nichtigen Verwaltungsakt zwar primär der Feststellungsklage, ohne jedoch die Möglichkeit der Anfechtungsklage auszuschließen (Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, SGG § 55 Anm 5). Diese wäre dann aber auch gegen einen nichtigen Verwaltungsakt nur nach ordnungsgemäß durchgeführtem Vorverfahren möglich (Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., § 43 Rd Nr 20). Gleichwohl ist es nicht angängig, die wegen fehlendem Vorverfahren unzulässige Klage abzuweisen, denn in der unstatthaften Klage ist die Erhebung des gesetzlich vorgesehenen Widerspruchs enthalten. Es würde einen Verfahrensfehler darstellen, wenn das Gericht die Klage als unzulässig abwiese, ohne den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das - auch noch nach Klageerhebung durchführbare - Vorverfahren nachzuholen (BSGE 20, 199 = SozR Nr 11 zu § 79 SGG; BSGE 25, 66 = SozR Nr 13 zu § 78 SGG). Da der etwa ergehende Widerspruchsbescheid nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens nur vor den Tatsachengerichten, nicht aber, weil diese Vorschrift im Revisionsverfahren nicht anwendbar ist, vor dem Revisionsgericht werden kann, ist die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651062

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