Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungszugehörigkeit eines Masseurs und medizinischen Bademeisters (Praktikantin), und Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Praktikantin für den Beruf einer Masseurin und medizinischen Bademeisterin wird für einen Angestelltenberuf ausgebildet.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters gehört heute - nach der Regelung seiner Ausbildung, aber auch nach den in den letzten Jahrzehnten eingetretenen tatsächlichen Veränderungen der Berufsausübung - vom Berufsbild her zu den Angestelltenberufen, selbst wenn einzelne Berufsangehörige, etwa sogenannte Sportmasseure, nicht oder nicht überwiegend zu Heilzwecken tätig sein mögen. Ihre Tätigkeit ist daher angestelltenversicherungspflichtig. Masseure und medizinische Bademeister sind ebenso wie die Praktikanten für diesen Beruf berechtigt, Mitglieder der Ersatzkasse (DAK) zu werden.

 

Normenkette

AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Fassung: 1935-12-24; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 1973 wird zurückgewiesen.

Die beigeladene Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um das Recht der Klägerin zum Beitritt zu der beklagten Ersatzkasse und um ihre Rentenversicherungszugehörigkeit.

Die Klägerin, 1943 geboren, war seit dem 1. Februar 1971 als Praktikantin für den Beruf einer Masseurin und medizinischen Bademeisterin in der Kur- und Badeanstalt "A" in H tätig. Noch im gleichen Monat beantragte sie bei der Beklagten die Aufnahme zum 1. Februar 1971. Ihr Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 23. Februar 1971 abgelehnt, ihr Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 1971 zurückgewiesen: Da die Ausbildung der Klägerin nicht auf einen Beruf gerichtet sei, der bei Ausübung in abhängiger Beschäftigung stets die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten begründe, sei die Klägerin als Praktikantin nicht angestelltenversicherungspflichtig. Aus diesem Grunde könne sie auch der Beklagten nicht beitreten.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten und der beigeladenen Rentenversicherungsträger hat das Landessozialgericht (LSG) - nach Vernehmung eines berufskundlichen Sachverständigen - zurückgewiesen (Urteil vom 21. Februar 1973): Die Klägerin unterliege als Praktikantin für den Beruf der Masseurin und medizinischen Bademeisterin nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) der Angestelltenversicherungspflicht, denn der von ihr angestrebte Beruf, dessen Berufsbild sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt habe, sei der Angestelltenversicherung zuzuordnen. Er bestehe in einer überwiegend geistigen Tätigkeit; dies ergäbe sich insbesondere aus den Anforderungen auf theoretischem und praktischem Gebiet, die die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Masseure und für Masseure und medizinische Bademeister vom 7. Dezember 1960 an den zukünftigen Masseur und medizinischen Bademeister stelle. Wenn heute noch Masseure und medizinische Bademeister eine arbeiterrentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübten, so könne diese Tätigkeit nicht mit dem Berufsziel der Klägerin, das eine umfassende Ausbildung voraussetze, verglichen werden und stehe der Zugehörigkeit der Klägerin zur Angestelltenversicherung nicht entgegen.

Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) rügt mit der zugelassenen Revision die Verletzung der §§ 1227 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG. Zu Unrecht habe das Berufungsgericht die Zugehörigkeit der Klägerin zur Angestelltenversicherung bejaht. Der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters sei ein sog. Mischberuf, da seine Angehörigen nicht stets eine angestelltenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübten. Das angestrebte Berufsziel der Klägerin könne nicht das entscheidende Kriterium für ihre Zuordnung zur Angestelltenversicherung sein, da die Klägerin bis zum Abschluß ihrer Ausbildung in der Wahl ihrer späteren beruflichen Tätigkeit frei sei. Eine Bestimmung der Versicherungszugehörigkeit nach den Vorstellungen der Klägerin über ihr Berufsziel würde auch zu Unsicherheiten und unbefriedigenden Ergebnissen führen und sei daher als unpraktikabel abzulehnen.

Im übrigen komme es nicht darauf an, ob das Berufsbild des Masseurs und medizinischen Bademeisters dem eines Angestellten entspreche; denn die Klägerin übe als Praktikantin keine überwiegend geistige Tätigkeit aus, sondern verrichte ihre Arbeit ohne eigene Verantwortung unter Aufsicht und Anleitung des Ausbilders. Die beigeladene LVA beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist der Auffassung der LVA beigetreten, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Die Beklagte hat ebenfalls keinen Antrag gestellt: Sie habe von der Einlegung der Revision abgesehen und schließe sich nunmehr - unter Aufgabe ihrer in den Vorinstanzen vertretenen Ansicht - den ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts an; sie bejahe mithin die Zugehörigkeit der Klägerin zur Rentenversicherung der Angestellten.

Die Klägerin und der Beigeladene N. sind im Revisionsverfahren nicht durch zugelassene Prozeßbevollmächtigte vertreten.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der beigeladenen LVA, die sich in erster Linie gegen die Feststellung des LSG richtet, die Klägerin sei während ihrer praktischen Ausbildung für den Beruf einer Masseurin und medizinischen Bademeisterin (Praktikantenzeit) angestelltenversicherungspflichtig gewesen, ist nicht begründet. Nicht zu folgen ist allerdings der Ansicht des LSG, von der Entscheidung über die Rentenversicherungszugehörigkeit der Klägerin hänge auch ihre Berechtigung zum Beitritt zur beklagten Ersatzkasse ab. Nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten in der hier maßgebenden Fassung vom 1. Januar 1971 können u.a. Mitglieder der Kasse werden: Männliche und weibliche Angestellte sämtlicher Berufszweige, wenn sie versicherungspflichtig (§ 165 ff RVO) sind, ebenso Lehrlinge in Angestelltenberufen (Abschnitt A 1a). Der Teil dieser Bestimmung, auf den es im vorliegenden Zusammenhang ankommt ("Lehrlinge in Angestelltenberufen"), entspricht zwar inhaltlich dem § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG ("Personen, die ... als Lehrling oder sonst zu ihrer Ausbildung für den Beruf eines Angestellten beschäftigt sind"); formal handelt es sich jedoch um eine selbständige Regelung, die den Rückgriff auf die genannte Vorschrift des AVG nicht unmittelbar erfordert. Wegen der inhaltlichen Entsprechung beider Bestimmungen haben indessen die Ausführungen des LSG zur Angestelltenversicherungspflicht der Klägerin, denen der Senat im wesentlichen zustimmt, auch für die Frage ihrer Beitrittsberechtigung zur Beklagten Bedeutung.

Der Beruf einer Masseurin und medizinischen Bademeisterin, für den die Klägerin seit dem 1. Februar 1971 als Praktikantin ausgebildet wurde, ist als solcher weder in der RVO (§ 165 b) noch im AVG (§ 3) bei den Angestelltenberufen aufgeführt. Auch in der Bestimmung von Berufsgruppen der Angestelltenversicherung vom 8. März 1924 (idF vom 4. Februar und 15. Juli 1927) ist er nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl gehört er seinem Berufsbild nach zu den Angestelltenberufen, die in den genannten Vorschriften nur beispielhaft, nicht erschöpfend aufgezählt sind (BSG 10, 82, 83). Besonderes Gewicht für die Frage des Berufsbildes hat dabei, worauf der Senat schon wiederholt und gerade auch bei der Masseurtätigkeit hingewiesen hat, der für den Beruf vorgesehene Ausbildungsgang (vgl. BSG 10, 82, 84; ferner BSG 29, 108 für Dorfhelferinnen und SozR Nr. 13 zu § 3 AVG für Krankenpflegerinnen).

Die Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister regelt seit dem 1. Juli 1959 das Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958 (BGBl I 985) idF der Änderungsgesetze vom 1. Juli 1965 (BGBl I 593) und vom 22. Mai 1968 (BGBl I 470). Danach darf die Berufsbezeichnung "Masseur und medizinischer Bademeister" oder die entsprechende weibliche Form der Bezeichnung (vgl. § 6 des genannten Gesetzes) grundsätzlich, d.h. von besonderen Übergangs- und Gleichstellungsvorschriften abgesehen, nur führen, wer die Prüfung als Masseur bestanden und eine praktische Tätigkeit abgeleistet hat (§ 2 Abs. 2 des Gesetzes). Der Prüfung muß ein mindestens einjähriger Lehrgang in der Massage vorausgehen (§ 8 Abs. 1, § 9 des Gesetzes). Der Lehrgang umfaßt nach § 1 der aufgrund des Gesetzes erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 7. Dezember 1960 (BGBl I 880) folgende Lehrfächer:

1.

Grundzüge der Anatomie und Physiologie,

2.

Krankheitslehre und Hygiene, soweit sie für die Ausübung des Berufs erforderlich sind,

3.

Lehre von der allgemeinen und speziellen Massage, insbesondere Reflexzonen- und Unterwassermassage,

4.

Praktische Ausführung der Massage in Verbindung mit Bewegungsübungen,

5.

Grundlagen und Technik der Wärme- und Lichtbehandlung, Einführung in die Elektrotherapie, Grundbegriffe der Strahlenheilkunde,

6.

Grundbegriffe der Badeheilkunde, Grundlagen und Ausführung medizinischer Bäder, sämtlicher Badeanwendungen einschließlich der Kneippschen Verfahren,

7.

Medizinische Fußpflege,

8.

Verbandlehre und Erste Hilfe,

9.

Berufslehre (gesetzliche Vorschriften, Umgang mit Kranken, Berufskrankheiten, Unfallschutz).

Der Lehrgang gliedert sich in theoretischen Unterricht von mindestens 600 Stunden und praktische Übungen von mindestens 1.200 Stunden (§ 2 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung). Der bei jeder Lehranstalt für Massage zu bildende Prüfungsausschuß hat einen Medizinalbeamten als Vorsitzenden; ihm gehört weiter ein an der Lehranstalt unterrichtender Arzt an (§ 6 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung). Die praktische Tätigkeit in der Massage dauert ein Jahr und ist in einer zur Annahme von Praktikanten ermächtigten Krankenanstalt unter Aufsicht eines geprüften Masseurs oder eines Krankengymnasten und unter Verantwortung eines Arztes abzuleisten; sie kann bis zur Dauer von sechs Monaten auch in einer medizinischen Badeanstalt, die zur Annahme von Praktikanten ermächtigt ist, unter Aufsicht eines medizinischen Bademeisters abgeleistet werden (§ 10 des Gesetzes). Personen, die die Bezeichnung "Masseur und medizinischer Bademeister" führen wollen, müssen eine halbjährige praktische Tätigkeit in der Massage und eine einjährige praktische Tätigkeit in einer medizinischen Badeanstalt ableisten (§ 11 des Gesetzes).

Wie diese Bestimmungen, namentlich die Abgrenzung des Ausbildungsstoffes, die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses und die Regelung der praktischen Tätigkeit zeigen, dient die Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister vor allem der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten auf dem Gebiet der Heilkunde, in Sonderheit der Heilmassage und der Heilbäder. Ein in dieser Weise, d.h. zu Heilzwecken tätiger Masseur und Bademeister übt aber jedenfalls einen Angestelltenberuf aus (vgl. mit näherer Begründung BSG 10, 82 und SozR Nr. 4 zu § 3 AVG für Masseure und Bademeister, die in Krankenanstalten oder medizinischen Abteilungen städtischer Bäder aufgrund ärztlicher Anordnung tätig sind). Der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters gehört deshalb heute - nach der Regelung seiner Ausbildung, aber auch nach den in den letzten Jahrzehnten eingetretenen tatsächlichen Veränderungen der Berufsausübung (vgl. BSG 10, 85) - vom Berufsbild her zu den Angestelltenberufen, selbst wenn einzelne Berufsangehörige, etwa sog. Sportmasseure, nicht oder nicht überwiegend zu Heilzwecken tätig sein mögen. Das Berufsbild des Masseurs und medizinischen Bademeisters wird durch diese - auch zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallende - Randgruppe nicht geprägt. Der Masseurberuf wird durch sie nicht, wie die LVA meint, zu einem "Mischberuf". Von einem solchen könnte nur die Rede sein, wenn der - das Berufsbild maßgeblich bestimmende - Ausbildungsgang darauf angelegt wäre, zu verschiedenartigen, einerseits der Rentenversicherung der Arbeiter, andererseits der Angestelltenversicherung zuzuordnenden Ausübungsformen hinzuführen. Das trifft indessen für den Masseur und medizinischen Bademeister nicht zu.

Da die Klägerin somit während ihrer Praktikantenzeit zu einem Angestelltenberuf ausgebildet wurde, war sie berechtigt, der beklagten Ersatzkasse beizutreten. Aus dem gleichen Grunde gehörte sie der Angestelltenversicherung an. Das Urteil des LSG ist deshalb im Ergebnis richtig, die Revision der LVA als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648529

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