Orientierungssatz

Eine versicherungspflichtige Beschäftigung wird durch die anschließende Zeit der Arbeitslosigkeit iS des RVO § 1259 Abs 1 Nr 3 auch dann unterbrochen, wenn für die letzten fünf Monate wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse von dem Arbeitgeber Beitragsmarken nicht mehr in die Versicherungskarte eingeklebt und somit keine Beiträge an den Versicherungsträger entrichtet worden sind, obgleich das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit fortbestanden und der Arbeitgeber von dem Gehalt des Versicherten die Arbeitnehmeranteile zu den Versicherungsbeiträgen der Rentenversicherung einbehalten hat.

 

Normenkette

RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Juni 1969 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. August 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1900 geborene Kläger bezieht vom 1. Dezember 1965 an Altersruhegeld auf Grund des Bescheides der Beklagten vom 4. Januar 1966. Die Beklagte lehnte es in dem Bescheid ab, die Zeiten der Arbeitslosigkeit des Klägers in den Jahren 1931, 1932 und 1933 als Ausfallzeiten gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anzurechnen, weil sie nicht ausreichend nachgewiesen seien. Das Sozialgericht (SG) München hat durch Urteil vom 22. August 1967 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 4. Januar 1966 verurteilt, die Zeiten der Arbeitslosigkeit des Klägers vom 1. Oktober 1931 bis 31. März 1932 und vom 1. August 1932 bis 27. Februar 1933 im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen als Ausfallzeiten anzurechnen. Mit der gegen das Urteil eingelegten Berufung begehrte die Beklagte, das Urteil des SG insoweit abzuändern und die Klage abzuweisen, als es sich um die Anrechnung der Zeit vom 1. Oktober 1931 bis zum 31. März 1932 handelt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG München aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen.

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Arbeitslosigkeit des Klägers vom 31. Oktober 1931 bis zum 31. März 1932 habe das letzte versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 36 Abs. 1 AVG nicht unterbrochen und könnte deshalb nicht als Ausfallzeit angerechnet werden. Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger noch bis zum 30. September 1931 als Angestellter beschäftigt. Der Arbeitgeber hatte für die Zeit von Mai bis September 1931 von dem Gehalt des Klägers den Arbeitnehmeranteil der Beiträge zur Rentenversicherung abgezogen, jedoch wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse - die Firma ist später in Konkurs gegangen - keine Beitragsmarken mehr in die Karte geklebt und somit keinen Beitrag mehr entrichtet. Deshalb habe, so hat das LSG ausgeführt, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG mit April 1931 geendet, so daß bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit am 1. Oktober 1931 eine Lücke von fünf Monaten bestehe. Die Arbeitslosigkeit könne nur dann als Ausfallzeit angerechnet werden, wenn sie das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis "unterbrochen" habe. Eine Unterbrechung liege grundsätzlich aber nur dann vor, wenn das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis von der Arbeitslosigkeit abgelöst werde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)setze eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des Gesetzes voraus, daß für diese Zeit die Pflichtbeiträge auch abgeführt worden seien.

Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt, mit der er Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG rügt. Er ist der Auffassung, die Arbeitslosigkeit vom 1. Oktober 1931 bis 31. März 1932 habe eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen und sei deshalb Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG; denn bis September 1931 habe der Kläger in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden und die Arbeitslosigkeit habe sich unmittelbar daran angeschlossen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Bayerischen LSG vom 11. Juni 1969 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 22. August 1967 zurückzuweisen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist begründet.

Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 17. Februar 1970 - 1 RA 145/69 - ausgesprochen, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch die anschließende Zeit der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) (= § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG) auch dann unterbrochen worden ist, wenn für die letzten drei Monate einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Beiträge zur Rentenversicherung wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr entrichtet worden sind. Diese Entscheidung hat in gleicher Weise zu gelten, wenn, wie in dem vorliegenden Fall, für die letzten fünf Monate wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse, wie das LSG unangegriffen festgestellt hat, von dem Arbeitgeber Beitragsmarken nicht mehr in die Versicherungskarte eingeklebt und somit keine Beiträge an den Versicherungsträger entrichtet worden sind, obgleich das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit fortbestanden und der Arbeitgeber von dem Gehalt des Versicherten die Arbeitnehmeranteile zu den Versicherungsbeiträgen der Rentenversicherung einbehalten hat.

Der Senat hat in den Gründen seiner Entscheidung vom 17. Februar 1970 dargelegt, zwar könne nach der Rechtsprechung des BSG eine Zeit der Arbeitslosigkeit in der Regel nur dann eine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG sein, wenn sie sich an eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, für die grundsätzlich auch Beiträge entrichtet sein müssen, unmittelbar anschließt. Das BSG (BSG 29, 120, 122) habe aber auch ausgesprochen, daß eine anrechenbare Ausfallzeit der Arbeitslosigkeit nicht immer zeitlich unmittelbar an eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anschließen müsse; das ergebe sich grundsätzlich schon aus der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 2 AVG, nach der mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Zeiten nach den Nummern 1, 2 a und 3 als Ausfallzeiten angerechnet werden könnten, obschon sich davon nur die erste unmittelbar an die versicherungspflichtige Beschäftigung anschließen könne; eine zeitliche Lücke zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Tätigkeit und dem Beginn einer Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit werde deshalb ggf. insbesondere durch eine Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit überbrückt. Die Überbrückung einer zeitlichen Lücke zwischen versicherungspflichtiger Beschäftigung und Ausfallzeit sei aber auch dann möglich, wenn mit der Beendigung der Beschäftigung zwar bereits Arbeitslosigkeit eingetreten sei, die Meldung beim Arbeitsamt und der Leistungsbezug aber erst später erfolgt seien. Eine völlige "Nahtlosigkeit" sei also nicht erforderlich. Deshalb könnten Zeiten, die zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und der in Anspruch genommenen Ausfallzeit liegen und in denen der Versicherte unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig gewesen sei, oder Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG als Überbrückungstatbestände auch dann berücksichtigt werden, wenn sie selbst keine Ausfallzeiten seien.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 17. Februar 1970 ausgesprochen, daß dies erst recht dann zu gelten hat, wenn sich an die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung, für die Beiträge entrichtet worden sind, noch drei Monate derselben versicherungspflichtigen Beschäftigung anschließen, für die aber deswegen keine Beiträge mehr entrichtet worden sind, weil der Arbeitgeber in Konkurs geraten ist. Ein solcher Zeitraum kann nicht anders behandelt werden, als die Zeit einer Arbeitslosigkeit, für die eine Arbeitslosenmeldung nicht erfolgt ist (BSG 21, 21, 23; 29, 120, 123).

Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung ist der Ansicht des SG beizupflichten, daß auch die Zeit der Arbeitslosigkeit des Klägers vom 1. Oktober 1931 bis 31. März 1932 gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers als Ausfallzeit anzurechnen ist. Auf die Revision des Kläger muß deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669887

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