Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Rechtswidrigkeit eines bindenden Bescheides wegen Unrichtigkeit in der tatsächlichen Würdigung so offensichtlich ist, daß auch der Versicherungsträger für die Neufeststellung der Leistung gemäß AVG § 79 ( = RVO § 1300) davon überzeugt zu sein hat, daß die Leistung zu Unrecht abgelehnt worden ist, nämlich wenn es darauf ankommt, ob die Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge von Gesundheitsstörungen - zwecks Beurteilung der Berufsunfähigkeit - in einem früheren, dem bindenden Bescheid zugrunde liegenden ärztlichen Gutachten zutreffend bewertet worden ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des die Neufeststellung ablehnenden Bescheides ist nicht entscheidend, ob das Gericht von der Unrichtigkeit des ersten Bescheides überzeugt ist, sondern ob auch der Versicherungsträger hiervon überzeugt zu sein hat.

In den vom Gesetz verwendeten Begriff "Überzeugung" ist ein subjektives Element enthalten, das die Gerichte zu respektieren haben. Die Gerichte dürfen in die Überzeugungsbildung des Versicherungsträgers nicht eingreifen, wenn der vom Versicherungsträger beurteilte Sachverhalt oder die von ihm vertretene Rechtsauffassung seine Überzeugung vertretbar erscheinen lassen.

Bei der Prüfung, ob dem Versicherungsträger bei der Überzeugungsbildung ein Ermessensfehler unterlaufen ist, sind dieselben Grundsätze anzuwenden, die auch sonst gelten, wenn der Versicherungsträger nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu handeln hat.

Der in RVO § 1300 (AVG § 79) geregelte besondere Behelf der nochmaligen Feststellung einer Leistung dient nicht dazu, den früher erhobenen, unter Umständen nach Ausschöpfung aller Rechtsbehelfe und nach rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung abgelehnten Leistungsanspruch einer völlig neuen Prüfung zu unterziehen, als ob der bindende Bescheid oder das rechtskräftige Urteil nicht ergangen wäre. Nur wenn die Unrichtigkeit des früheren Bescheides außer Zweifel steht, erscheint es geboten, dem Versicherten die besonderen Rechte auf Neufeststellung einzuräumen.

Eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit schließt jede denkbare andere Möglichkeit nicht aus. Dies gilt insbesondere für die Frage, wenn Gesundheitsstörungen und die sich daraus ergebenden Leistungseinschränkungen zu beurteilen sind. Hat das Gericht begründete Zweifel, ob die bestehenden Gesundheitsstörungen zur Zeit des früheren Bescheides richtig beurteilt worden sind, so darf es für die Feststellung, ob die früheren ärztlichen Begutachtungen zweifelsfrei unrichtig waren, ein ärztliches Sachverständigengutachten einholen.

 

Normenkette

AVG § 79 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1300 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. März 1969 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30. November 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin erhält vom 1. November 1960 an Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Sie begehrt gemäß § 79 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Neufeststellung der Leistung hinsichtlich ihrer Rente wegen BU für die Zeit von Mai 1958 an, die die Beklagte durch bindenden Bescheid vom 10. Oktober 1958 abgelehnt hat. Zu entscheiden ist darüber, ob im Rahmen der Prüfung nach § 79 AVG die Versicherungsträger und die Gerichte Beschränkungen unterworfen sind, ob insbesondere zur Feststellung der früheren Leistungsfähigkeit der Versicherten ein neues ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt und bei der Neufeststellung verwertet werden darf.

Die im Jahre 1923 geborene Klägerin war von 1941 bis 1957 als Krankenschwester, zuletzt als Irrenpflegerin in der Landesheilanstalt W versicherungspflichtig beschäftigt. Ihren Antrag vom 2. Mai 1958, ihr Versichertenrente aus der Angestelltenversicherung (AV) zu gewähren, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Oktober 1958 ab, weil sie noch nicht berufsunfähig sei; sie leide zwar an anlagebedingter Nervenschwäche, diese habe jedoch keinen Krankheitswert. Der Bescheid beruhte im wesentlichen auf dem Gutachten des Nervenarztes Dr. L vom 8. Juli 1958, der eine allgemeine Nervenschwäche sowie eine Cholecystopathie angenommen und sich dahin geäußert hatte, die Klägerin sei bei ihrem Alter von 35 Jahren durchaus in der Lage, bei richtiger Willenseinstellung zu ihren Beschwerden ihren Beruf als Krankenschwester voll auszuüben. Die gegen den Bescheid erhobene Klage nahm die Klägerin im März 1960 zurück, nachdem das Sozialgericht (SG) u. a. das von dem Frauenarzt Dr. Z am 28. Dezember 1959 und das von dem Chefarzt der Klinik für Innere und Nervenkrankheiten am St. J-Hospital in D, Prof. Dr. N am 2. Februar 1960 erstattete Gutachten eingeholt hatte.

Im Juni 1960 beantragte die Klägerin, ihr die Rente wegen BU doch seit 1958 zu bewilligen. Im anschließenden Klageverfahren nahm sie diesen Antrag am 3. November 1960 zurück, beantragte aber bereits am 4. November 1960 "im Anschluß" an ihren Antrag vom 2. Mai 1958 erneut Rente. Durch Bescheid vom 30. Oktober 1961 bewilligte die Beklagte ihr Rente wegen BU vom 1. November 1960 an. Diesem Bescheid lagen die von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G am 15. Juni 1961 und von dem Facharzt für innere Krankheiten Dr. B am 18. April 1961 erstatteten Gutachten sowie dessen Stellungnahme vom 15. September 1961 zugrunde. Dr. F hatte sich dahin geäußert, die vorgebrachten zahlreichen körperlichen und seelischen Beschwerden und Störungen seien zum Teil als psychisch bedingt anzusehen infolge einer sich allmählich steigernden hypochondrisch-querulatorischen Entwicklung, die nach Ablehnung des Rentenantrages eingesetzt habe und bei der von Haus aus psychopathischen Persönlichkeit der Klägerin durch Begehrensvorstellungen aufrechterhalten werde. Wegen der offenbar vorhandenen querulatorischhypochondrischen Entwicklung und der damit verbundenen affektiven Verstimmungen dürfte die Klägerin für den Beruf einer Krankenschwester nicht mehr in Frage kommen, vor allem nicht für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Irrenpflegerin. Dies werde auch in den Gutachten der Medizinischen Klinik in D vom 2. Februar 1960 bereits angedeutet. Dr. B hat sich dieser Auffassung angeschlossen und dahin geäußert, unter Berücksichtigung des von Dr. F erstatteten Gutachtens und des erhobenen Befundes halte er die Klägerin für nicht mehr fähig, Kranken- bzw. Irrenpflege zu übernehmen und durchzuführen. Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte die Klägerin, ihr die Rente bereits von Mai 1958 an zu gewähren. Das SG wies die Klage durch rechtskräftiges Urteil vom 22. Februar 1962 ab, weil der Ablehnungsbescheid vom 10. Oktober 1958 bindend geworden sei und der Antrag von November 1960 als neuer Antrag nur für die Zukunft Wirkung habe.

Im März 1962 beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 10. Oktober 1958 nach § 79 AVG zu überprüfen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 10. Oktober 1962 mit der Begründung ab, die Überprüfung des Bescheides vom 10. Oktober 1958 habe ergeben, daß er nicht rechtswidrig sei. Auf die Klage gegen diesen Bescheid verpflichtete sich die Beklagte in einem Vergleich, ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Sie ließ die Klägerin durch den Facharzt für innere Krankheiten Dr. K und durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Landesmedizinalrat Dr. N untersuchen, die ihre Gutachten am 11. Juli 1964 bzw. am 11. September 1964 erstattet haben. Durch Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1964 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Das SG Dortmund hat durch Urteil vom 30. November 1965 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 26. März 1969 das Urteil des SG sowie den Bescheid vom 10. Oktober 1962 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1964 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts der Klägerin einen neuen Bescheid über die Rente wegen BU während der Zeit vom 1. Mai 1958 bis zum 31. Oktober 1960 zu erteilen; es hat die Revision zugelassen.

Bei der Neufeststellung der Rente gemäß § 79 AVG - so hat das LSG ausgeführt - habe die Beklagte eine Neufeststellung auch dann vorzunehmen, wenn die Rechtswidrigkeit der früheren Ablehnung auf Grund der objektiv vorliegenden Umstände offensichtlich sei; in diesem Falle müsse sie sich als von der Unrechtmäßigkeit der früheren Ablehnung überzeugt behandeln lassen (BSG 28, 179). Es sei aber offensichtlich, daß der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 1958 auf Grund der objektiv vorliegenden Umstände rechtswidrig sei, denn die Leistung an die Klägerin sei im Jahre 1958 zu Unrecht abgelehnt worden, weil sie damals bereits berufsunfähig gewesen sei. Das ergebe sich aus einer eingehenden und kritischen Würdigung des gesamten Streitstoffes, insbesondere des vom Senat eingeholten Gutachtens der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der Universität Heidelberg vom 17. September 1968.

Der Senat habe sich für berechtigt und veranlaßt gesehen, dieses Gutachten einzuholen. Zwar habe sich das Gericht - ebenso wie der Versicherungsträger - im Verfahren nach § 79 AVG auf die Prüfung zu beschränken, ob einer weiteren Beweisaufnahme Bedeutung für die Bildung einer von dem ersten Bescheid abweichenden Auffassung (Überzeugung) des Versicherungsträgers zukommen könne, wie das Bundessozialgericht (BSG) entschieden habe (BSG 28, 173 = SozR Nr. 7 zu § 1300 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Das habe der Senat aber bejaht. Ein weiteres Gutachten zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit der Klägerin in der Zeit von Mai 1958 bis Oktober 1960 sei erforderlich gewesen, weil die Klägerin nach Beendigung des ersten Rentenverfahrens im Jahre 1960 bei der späteren Untersuchung im Jahre 1961 durch Dr. F als nicht mehr leistungsfähig für eine Tätigkeit als Krankenschwester angesehen worden sei, obwohl Dr. F im wesentlichen keine anderen psychischen Auffälligkeiten bei der Klägerin festgestellt gehabt habe als 1958 Dr. L. Da auch das Gutachten von Dr. N aus dem Jahre 1964 die gleichen psychischen Ausfallserscheinungen festgestellt habe, wie die früher gehörten Nervenfachärzte, sei der immer wieder vorgetragenen Behauptung der Klägerin, sie sei 1958 nicht weniger krank gewesen als 1961, eine solche Bedeutung zugekommen, daß ernsthafte Zweifel daran bestanden hätten, ob Dr. L im Jahre 1958 die Leistungsfähigkeit der Klägerin richtig beurteilt habe.

Auf Grund des Gutachtens der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der Universität H vom 17. September 1968 bestünden keine Zweifel, daß die Klägerin nicht erst seit 1960 sondern schon seit 1958 nicht mehr in der Lage sei, ihren Beruf als Krankenpflegerin insbesondere die Tätigkeit als Irrenpflegerin auszuüben. Die Gutachter seien zu dem Schluß gekommen, daß die abnorme Entwicklung bei der Klägerin in den Jahren 1955 bis 1957 begonnen und bereits 1958 zu einer solchen Störung geführt habe, daß die Klägerin von der Krankenkasse ausgesteuert worden sei. Die abnorme hypochondrische Entwicklung habe bereits mit Stellung des Rentenantrages am 2. Mai 1958 Krankheitswert erlangt gehabt, so daß die Klägerin in der Zeit von Mai 1958 bis Oktober 1960 eine regelmäßige Tätigkeit als verantwortliche Krankenschwester nicht mehr habe ausüben können. Bei den ein - deutigen Feststellungen durch die gerichtlichen Sachverständigen sei offensichtlich, daß Dr. L im Jahre 1953 die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) der Klägerin damals nicht richtig eingeschätzt habe. Dabei sei unter "offensichtlich" hier eine solche Beweissituation zu verstehen, die einem verständigen Beurteiler, der ohne Voreingenommenheit die Sach- und Rechtslage zu überschauen in der Lage sei, dieses Ergebnis aufzwinge. Der Senat sei zu der Überzeugung gelangt, daß ein objektiver Betrachter die Klägerin seit Mai 1958 als nicht mehr in der Lage ansehe, ihren Beruf als Krankenschwester auszuüben.

Da auch eine andere Tätigkeit, für die die Klägerin in der Lage sei und die ihr sozial zumutbar sei, nicht ersichtlich sei, müsse sie seit 1958 als berufsunfähig angesehen werden. Die Beklagte habe deshalb von der Unrechtmäßigkeit ihres Bescheides vom 10. Oktober 1958 als überzeugt zu gelten.

Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt, mit der sie Verletzung des § 79 AVG und des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) rügt.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Dortmund vom 30. November 1965 zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die Revision der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist begründet.

Entgegen der Auffassung des LSG sind die Voraussetzungen nicht dafür erfüllt, daß die Beklagte im Sinne des § 79 AVG bei erneuter Prüfung überzeugt zu sein hat, daß die Rente wegen BU in dem früheren Bescheid vom 10. Oktober 1958 zu Unrecht abgelehnt worden ist und daß sie deshalb gemäß § 79 AVG verpflichtet ist, die Leistung für die Zeit vom 1. Mai 1958 bis zum 31. Oktober 1960 neu festzustellen.

Die beklagte BfA hat es in dem hier angefochtenen Bescheid vom 10. Oktober 1962 abgelehnt, den Anspruch der Klägerin auf Rente wegen BU für die Zeit von Mai 1958 bis Oktober 1960 neu festzustellen, weil sie bei erneuter Prüfung nicht davon überzeugt ist, daß der Klägerin in dem Bescheid vom 10. Oktober 1958 die Rente wegen BU zu Unrecht abgelehnt worden ist. Die Beklagte hat es mithin in dem Bescheid vom 10. Oktober 1962 abgelehnt, gemäß § 79 AVG die Leistung neu, und zwar zugunsten der Klägerin festzustellen. Auf die Klage gegen einen solchen Bescheid können die Gerichte prüfen, ob der Versicherungsträger bei der Bildung seiner Überzeugung fehlerhaft verfahren ist. Zum Erlaß des nach § 79 AVG erstrebten Zugunstenbescheides darf der Versicherungsträger nur verurteilt werden, wenn er auf Grund der erneuten Prüfung davon überzeugt ist, daß die Rente in dem früheren Bescheid zu Unrecht abgelehnt worden ist, oder wenn die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides so offensichtlich ist, daß die Beklagte bei der erneuten Prüfung zu der Überzeugung von der Rechtswidrigkeit hätte gelangen müssen (BSG in SozR Nr. 1 zu § 93 RKG; BSG 19, 38 = SozR Nr. 1 zu § 619 RVO aF; BSG 28, 173 = SozR Nr. 7 zu § 1300 RVO; vgl. auch BSG in SozR Nr. 1 zu § 1300 RVO). Entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des die Neufeststellung ablehnenden Bescheides ist nicht, ob das Gericht von der Unrichtigkeit des ersten Bescheides überzeugt ist, sondern ob auch die Beklagte hiervon überzeugt zu sein hat.

Von diesen Grundsätzen ist auch das LSG bei seiner Entscheidung ausgegangen. Es ist vornehmlich auf Grund des von ihm eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachtens der Universitätsklinik H vom 17. September 1968 zu dem Ergebnis gelangt, daß der Bescheid vom 10. Oktober 1958 auf Grund der objektiv vorliegenden Umstände rechtswidrig sei, weil es nach den eindeutigen Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen offensichtlich sei, daß Dr. L in seinem Gutachten vom 8. Juli 1958 die MdE der Klägerin damals nicht richtig eingeschätzt habe. Dabei ist das LSG davon ausgegangen, unter "offensichtlich" sei hier eine solche Beweissituation zu verstehen, die einem verständigen Beurteiler, der ohne Voreingenommenheit die Sach- und Rechtslage zu überschauen in der Lage sei, dieses Ergebnis aufzwinge; der Senat sei der Überzeugung, daß ein objektiver Betrachter die Klägerin seit Mai 1958 als nicht mehr in der Lage ansehe, ihren Beruf als Krankenschwester auszuüben.

Diesen Ausführungen des LSG kann für die Prüfung im Rahmen des § 79 AVG, ob der Versicherungsträger davon überzeugt zu sein hat, daß die Leistung in dem früheren Bescheid zu Unrecht abgelehnt worden ist, nicht gefolgt werden. Das BSG hat bereits klargestellt, daß in dem vom Gesetz verwendeten Begriff "Überzeugung" ein subjektives Element enthalten ist, das die Gerichte bei ihrer Prüfung und Entscheidung zu respektieren haben. Die Gerichte dürfen in die Überzeugungsbildung des Versicherungsträgers nicht eingreifen, wenn der vom Versicherungsträger beurteilte Sachverhalt oder die von ihm vertretene Rechtsauffassung seine Überzeugung vertretbar erscheinen lassen. Deshalb kann es bei der Prüfung, ob der die Neufeststellung nach § 79 AVG ablehnende Bescheid rechtmäßig oder rechtswidrig ist, nicht entscheidend sein, ob das Gericht von der Unrichtigkeit der früheren Rentenablehnung überzeugt ist, sondern nur, ob die gegenteilige Überzeugung des Versicherungsträgers von der Richtigkeit der früheren Ablehnung unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu halten ist (BSG 28, 173 = SozR Nr. 7 zu § 1300 RVO). Es kommt also nicht darauf an, wie das LSG dargelegt hat, ob nach Überzeugung des entscheidenden Gerichts jeder Zweifel beseitigt und die Beweissituation so ist, daß sich einem objektiven und verständigen Beurteiler ein bestimmtes Ergebnis aufzwingt. Vielmehr muß offensichtlich, d. h. für jeden ohne weiteres erkennbar sein, daß jede andere tatsächliche Würdigung oder jede andere rechtliche Beurteilung als unvertretbar ohne weiteres ausscheidet.

Diese Auffassung steht auch allein im Einklang mit den sonst geltenden Grundsätzen, nach denen ein Versicherungsträger zu einer Ermessensleistung verurteilt werden kann, nämlich nur dann, wenn die Ablehnung der Ermessensleistung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt einen Ermessensmißbrauch darstellen würde (BSG 9, 233). Da hier die Überzeugungsbildung des Versicherungsträgers zur Nachprüfung steht und nur geprüft werden kann, ob diese fehlerhaft ist, die Überzeugungsbildung als ein innerer Vorgang aber nur in das pflichtgemäße Ermessen des Versicherungsträgers gestellt sein kann, kommt es bei der hier anzustellenden Prüfung auch nur darauf an, ob dem Versicherungsträger bei der Überzeugungsbildung ein Ermessensfehler unterlaufen ist, so daß hier dieselben Grundsätze anzuwenden sind, die auch sonst gelten, wenn der Versicherungsträger nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu handeln hat.

Wenn es dafür, ob der Versicherungsträger von der Unrichtigkeit des früheren Bescheides überzeugt zu sein hat, darauf ankommt, ob seine gegenteilige Überzeugung unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu halten ist und ob die gegenteilige Überzeugung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt einen Ermessensfehlgebrauch darstellen würde, so unterscheidet sich diese Prüfung nicht wesentlich von anderen im Gesetz vorgesehenen oder von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Regelungen, in denen die Neufeststellung einer Leistung oder die Anspruchsberechtigung davon abhängig gemacht ist, daß die tatsächliche oder rechtliche Unrichtigkeit der früher getroffenen Entscheidung oder daß die Voraussetzungen eines Anspruchs zweifelsfrei feststehen, also Regelungen, wie sie das Gesetz in § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung getroffen hat und wie es der Große Senat des BSG zu § 58 Abs. 1 BVG aF entschieden hat (nämlich daß diese Fristvorschrift nicht für Fälle gilt, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind - BSG 14, 246).

Nur wenn diese strengen Voraussetzungen erfüllt sind, wird auch dem Zweck Rechnung getragen, den das Gesetz mit dem besonderen Behelf des § 79 AVG, nämlich der Neufeststellung der Leistung trotz der schon vorliegenden bindenden oder rechtskräftigen Entscheidung über den erhobenen Anspruch zugunsten des Versicherten verfolgt und den das Gesetz neben die Rechtsbehelfe nach den § 1744 RVO, § 179 SGG (neue Prüfung, Wiederaufnahme des Verfahrens) stellt. Während § 77 SGG den Versicherten davor schützt, daß zu seinen Lasten ein bindender Bescheid geändert werden kann und dies, von offenbaren Schreib- oder Rechenfehlern abgesehen (BSG 15, 96), nur in den durch Gesetz bestimmten Fällen (z. B. § 63 AVG, §§ 1286, 1744 RVO) geschehen kann, schützt § 77 SGG aber auch den Versicherungsträger grundsätzlich davor, einen bindenden Bescheid zugunsten des Versicherten ändern zu müssen. Nicht nur im Interesse des Versicherten, sondern auch im Interesse des Versicherungsträgers, der den Versicherten auf die getroffene Entscheidung verweisen darf, mißt das Gesetz den Bescheiden der Versicherungsträger - ähnlich wie rechtskräftigen Urteilen - eine Bindung im Sinne einer endgültigen Wirkung bei, die nur in den vom Gesetz besonders genannten Fällen durchbrochen werden darf (BSG 30, 154, 156). Der Versicherungsträger ist sogar zu einer neuen Prüfung des Anspruchs auf Grund eines neuen Sachverhalts nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 1635 RVO, der gemäß § 204 AVG auch in der Angestelltenrentenversicherung gilt, verpflichtet. Zu einer nochmaligen und neuen Feststellung derselben Leistung zugunsten des Versicherten in dem Sinne, daß der Versicherungsträger denselben Sachverhalt auf Grund neuer Ermittlungen unter nochmaliger Beurteilung und Entscheidung über den früher erhobenen Anspruch neu zu regeln hat, ist der Versicherungsträger grundsätzlich nicht verpflichtet, es sei denn, es seien die Ausnahmefälle des § 1744 RVO oder des § 179 SGG gegeben.

Ein solcher Ausnahmefall, daß der Versicherungsträger verpflichtet ist, trotz Vorliegens eines bindenden Bescheides und trotz der Wirkungen des § 77 SGG denselben Sachverhalt nochmals zugunsten des Versicherten zu prüfen und die Leistung neu festzustellen, wird in § 79 AVG begründet. Dieser in § 79 AVG geregelte besondere Behelf der nochmaligen und neuen Feststellung einer Leistung, nachdem über den Leistungsanspruch bereits abschließend durch bindenden Bescheid oder sogar durch rechtskräftiges Urteil entschieden worden ist (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 2 zu § 619 RVO aF), bezweckt aus Gründen der sozialen und materiellen Gerechtigkeit der Sach- und Rechtslage zugunsten des Versicherten Geltung zu verschaffen, die zur Zeit der Entscheidung über den früher gegebenen Sachverhalt in Wirklichkeit bestanden hat. Ursprünglich war die entsprechende frühere Vorschrift des § 1319 RVO idF von 1911, wie ihre Entstehungsgeschichte ausweist, vom Gesetzgeber in die RVO nur deshalb eingefügt worden, um dem Versicherungsträger die rechtliche Möglichkeit einer neuen Prüfung und Feststellung der Leistung einzuräumen, weil sich die Versicherungsträger gegenüber den Anregungen des Reichsversicherungsamtes, eine rechtskräftig feststehende Leistung zu ändern, in manchen Fällen darauf berufen hatten, daß ihnen hierzu die gesetzliche Grundlage fehle (Hanow-Lehmann, RVO 4. Band 3. Aufl. § 1319 Anm. 2). Die Vorschrift dient aber nicht dazu, den früher erhobenen, unter Umständen nach Ausschöpfung aller Rechtsbehelfe und nach rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung abgelehnten Leistungsanspruch einer völlig neuen Prüfung wie bei der ersten Feststellung einer Leistung zu unterziehen, und zwar so, als ob der bindende Bescheid oder das rechtskräftige Urteil nicht ergangen wären. Die Vorschrift will nur unter gebührender Beachtung der aus Gründen der Rechtssicherheit mit hoher Bestandskraft ausgestatteten bindenden Bescheide oder rechtskräftigen Urteile im Interesse und zugunsten des Versicherten berücksichtigt haben, daß diese Bestandskraft solchen bindenden Bescheiden oder rechtskräftigen Urteilen nicht zukommen soll, die auf offensichtlichen Unrichtigkeiten in der Rechtsanwendung oder in den tatsächlichen Feststellungen beruhen.

Zu beachten bleibt deshalb, daß es sich bei der Prüfung, ob der Versicherungsträger von der Unrichtigkeit des bereits ergangenen bindenden Bescheides - entgegen seiner wirklichen Überzeugung - überzeugt zu sein hat, nicht darum handelt, ob er seiner Beurteilung die Rechtsauffassung zugrunde gelegt hat, die das entscheidende Gericht für richtig hält, oder ob er bei Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu denselben tatsächlichen Feststellungen gelangt ist, die das entscheidende Gericht auf Grund seiner eigenen Beweiswürdigung für vorliegend erachtet. Das gerichtliche Verfahren zur Prüfung, ob der Versicherungsträger von der Unrichtigkeit der bindenden Rentenablehnung überzeugt zu sein hat, ist - worauf das BSG bereits ebenfalls hingewiesen hat (BSG 28, 173 = SozR Nr. 7 zu § 1300 RVO; 28, 179 = SozR Nr. 8 zu § 1300 RVO = SozR Nr. 49 zu § 103 SGG) - anders geartet, als das Verfahren zur Prüfung, ob der Versicherungsträger eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, zu Recht oder zu Unrecht abgelehnt hat.

Im letzteren Verfahren steht allein die Anspruchsberechtigung des Versicherten zur Nachprüfung; das Gericht würdigt in diesem Falle anstelle des Versicherungsträgers den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, stellt also unter eigener Beweiswürdigung die nach seiner Auffassung rechtserheblichen Tatsachen fest und beurteilt sie ausschließlich nach der von ihm für richtig befundenen Rechtsansicht. Die Prüfung im Rahmen des § 79 AVG umfaßt zwar ebenfalls dieses Verfahren, soweit die Überzeugung des entscheidenden Gerichts in Frage steht; sie endet aber nicht mit der abschließenden Beurteilung, daß der Versicherungsträger die Leistung z. B. zu Unrecht abgelehnt hat und deshalb zu dieser Leistung zu verurteilen wäre, sondern geht darüber hinaus. Sie ist des weiteren darauf gerichtet, ob auch der Versicherungsträger von der Auffassung des Gerichts, also von der Rechtswidrigkeit der früheren Rentenablehnung überzeugt zu sein hat. Dies ist aber, wie bereits dargelegt, nur dann der Fall, wenn die Fehlerhaftigkeit des früheren Bescheides so offensichtlich ist, daß auch der Versicherungsträger zu der Überzeugung von der Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides hätte gelangen müssen, weil die gegenteilige Überzeugung unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu halten ist, was gleichbedeutend ist damit, daß aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Unrichtigkeit des früheren Bescheides außer Zweifel steht. Nur unter diesen strengen Voraussetzungen erscheint es gerechtfertigt, in die subjektive Einstellung des Versicherungsträgers in der Weise einzuwirken, daß auch er wie jeder andere von der Unrichtigkeit des früheren Bescheides überzeugt zu sein hat. Nur wenn die Unrichtigkeit des früheren Bescheides außer Zweifel steht, erscheint es geboten, dem Versicherten die besonderen Rechte auf Neufeststellung der Leistung gemäß § 79 AVG einzuräumen.

Diesen Anforderungen, daß die Unrichtigkeit des früheren Bescheides außer Zweifel steht, ist, wenn es sich um die Feststellung der Tatsachen handelt, die der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sind, nur dann genügt, wenn jede auch fern liegende Möglichkeit ausscheidet, daß ein tatsächlicher Vorgang sich anders ereignet hat oder eine als vorliegend angenommene Tatsache in Wirklichkeit nicht vorliegt (vgl. hierzu BSG 6, 106). Um eine dahingehende Feststellung treffen zu können, reicht es mithin nicht aus, daß nach den Regeln der freien Beweiswürdigung das Gericht nach seiner freien Überzeugung eine Tatsache für bewiesen und deshalb als vorliegend erachtet, weil dafür eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit spricht; denn dieser hohe Grad von Wahrscheinlichkeit schließt jede andere denkbare Möglichkeit nicht aus (vgl. hierzu Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht 10. Aufl. Seite 560). Dies gilt insbesondere für die Frage, ob innere Tatsachen vorliegen, nämlich wenn der Gesundheitszustand eines Versicherten, wenn Gesundheitsstörungen und die daraus sich ergebenden Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist. Für die ärztliche Auffassung über das Bestehen von Gesundheitsstörungen, für die Beurteilung, ob den festgestellten Gesundheitsstörungen Krankheitswert zukommt und inwieweit durch Krankheit die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, gibt es nur in Ausnahmefällen absolut gültige Beurteilungsmaßstäbe (vgl. hierzu BSG 13, 227, 230). Die Versicherungsträger und Gerichte sind vielfach gehalten, bei unterschiedlichen und oft gegensätzlichen ärztlichen Beurteilungen sich im Wege der freien Beweiswürdigung der für richtig gehaltenen Auffassung anzuschließen, ohne daß damit die vom Gericht abgelehnte ärztliche Auffassung als unvertretbar und nicht möglich zurückgewiesen wird. Die zweifelsfreie Unrichtigkeit einer ärztlichen Begutachtung könnte nur dann angenommen werden, wenn in einer anderen ärztlichen Stellungnahme die besonderen Umstände und Gründe dafür dargelegt sind, daß jede Möglichkeit einer anderen ärztlichen Bewertung ausscheidet. Eine solche Bedeutung kommt dem von der Universitätsklinik Heidelberg am 17. September 1968 erstatteten gerichtlichen Gutachten nicht zu.

Zu Unrecht macht die Revision dem LSG zwar zum Vorwurf, daß es ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten darüber eingeholt hat, an welchen Gesundheitsstörungen die Klägerin im Mai 1958 wirklich gelitten hat, ob sie damals bereits Krankheitswert hatten und in welchem Maße die Leistungsfähigkeit der Klägerin seit Mai 1958 eingeschränkt gewesen ist. Allerdings findet im Rahmen der Prüfung, ob der Versicherungsträger die Neufeststellung der Leistung gemäß § 79 AVG zu Recht abgelehnt hat, keine Aufklärung des Sachverhalts statt, wie sie bei der ersten Feststellung der Leistung zu erfolgen hat. Im Rahmen jener Prüfung ist aber die Einholung eines solchen Sachverständigengutachtens auch nicht ausgeschlossen. Der Grundsatz, daß in einem Rechtsstreit das Gericht und nicht die Verwaltung den Sachverhalt zu erforschen hat, gilt auch in den Streitigkeiten um eine Neufeststellung nach § 79 AVG (= § 1300 RVO), wie das BSG bereits ausgesprochen hat (BSG 28, 179). Hatte das LSG begründete Zweifel, ob die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen und ihre dadurch eingeschränkte Leistungsfähigkeit zur Zeit des früheren Bescheides vom 10. Oktober 1958 richtig beurteilt worden sind, so durfte es für die Feststellung, ob die früheren ärztlichen Begutachtungen zweifelsfrei unrichtig waren, ein entsprechendes neues ärztliches Sachverständigengutachten einholen.

Die Revision wendet sich jedoch zu Recht gegen die Auffassung des LSG, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und bei neuer Prüfung der Anspruchsberechtigung der Klägerin seit Mai 1958 habe die Beklagte davon überzeugt zu sein, daß in dem Bescheid vom 10. Oktober 1958 die Rente zu Unrecht abgelehnt worden ist. Entgegen der Auffassung des LSG brauchte die Beklagte nicht davon überzeugt zu sein, daß die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin durch Dr. L in seinem Gutachten vom 8. Juli 1958 unrichtig gewesen ist, daß die Klägerin in Wirklichkeit bereits seit Mai 1958 nicht mehr in der Lage ist, ihren Beruf als Krankenschwester auszuüben, und daß sie deshalb seit dieser Zeit berufsunfähig ist. In dem von der Universitätsklinik Heidelberg erstatteten Gutachten sind nach den Feststellungen des LSG keine Ausführungen enthalten, die dafür sprechen, daß die von Dr. F im Jahre 1958 vertretene Auffassung nicht möglich und als zweifelsfrei unrichtig zu beurteilen ist. Es ist lediglich der Fall gegeben, daß ärztliche Sachverständige unter sorgfältiger Abwägung aller erhobenen Befunde und ärztlichen Stellungnahmen und unter Verwertung der Kenntnis von der weiteren Entwicklung der bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen aus den Jahren 1960 bis 1964 rückschauend den Krankheitswert der Gesundheitsstörungen und ihren Einfluß auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin anders beurteilen, als die damals in den Jahren 1958, 1959 und 1960 angehörten Gutachter. Dafür, daß die damaligen ärztlichen Beurteilungen zweifelsfrei unrichtig gewesen sind, besteht kein Anhalt. Die Überzeugung der Beklagten, daß der Rentenanspruch der Klägerin in dem Bescheid vom 10. Oktober 1958 zu Recht abgelehnt worden ist, erscheint mithin aus dem tatsächlichen Gesichtspunkt vertretbar, daß nach den früheren ärztlichen Gutachten die Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht in einem Berufsunfähigkeit begründenden Umfang herabgesunken war.

Wäre die Auffassung des LSG zutreffend, daß es für die Pflicht des Versicherungsträgers zur Neufeststellung der Leistung gemäß § 79 AVG bereits ausreichte, wenn auf Grund nochmaliger sorgfältiger Prüfung ärztliche Sachverständige die Krankheitsbefunde anders würdigen als die früheren Gutachter, so wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Klägerin selbst nach rechtskräftigem Abschluß des hier anhängigen Verfahrens erneut den Antrag stellt, gemäß § 79 AVG die Leistung seit Mai 1958 dahin neu festzustellen, daß ihr anstelle der Rente wegen BU eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zustehe. Es ist auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß ärztliche Sachverständige unter Berücksichtigung des heute feststellbaren Krankheitszustandes der Klägerin bei nochmaliger eingehender Prüfung rückschauend zu dem Ergebnis gelangen, daß die Leistungsfähigkeit der Klägerin bereits seit Mai 1958 in dem Maße eingeschränkt ist, daß die Voraussetzungen für eine Rente wegen EU erfüllt sind. Eine solche ärztliche Stellungnahme kann weder die hier ergehende rechtskräftige Entscheidung noch den bindenden Bescheid vom 10. Oktober 1958 und ebensowenig den bindenden Bescheid vom 10. Oktober 1962 berühren. Ein solches Gutachten kann der Klägerin nur zur Begründung eines neuen Antrages auf Gewährung von Rente gemäß § 204 AVG i. V. m. § 1635 RVO dienen.

In Wirklichkeit liegt auch hier der vom BSG bereits entschiedene Fall vor, daß ein die Rente ablehnender Bescheid bindend geworden ist und daß das Begehren auf erneute Prüfung und auf Neufeststellung der Leistung auf keine wesentlich anderen Tatsachen gestützt wird als auf die bereits bei Erlaß des früheren Bescheides gewürdigten Tatsachen; in einem solchen Fall ist die Überzeugung des Versicherungsträgers von der Rechtmäßigkeit des früheren Bescheides nicht offensichtlich fehlerhaft (BSG 28, 173 = SozR Nr. 7 zu § 1300 RVO).

Aus diesen Gründen ist auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Dortmund zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669149

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge