Entscheidungsstichwort (Thema)

Abhängigmachen des Anwartschaftsrechts von ununterbrochener Zulassung in Schleswig-Holstein. erweiterte Honorarverteilung für Kassenzahnärzte

 

Orientierungssatz

1. Ein Anwartschaftsrechtsverlust durch Verlust der Zulassung darf umso weniger angenommen werden, je länger die ordentliche Mitgliedschaft des Kassenzahnarztes gedauert hat. Das bedeutet, daß sich die Kassenzahnärztliche Vereinigung aus Gründen des Art 14 GG nicht schlechthin auf die Regelung berufen kann, daß der Zulassungsverlust auch zum Verlust der Anwartschaft führe, sondern von Fall zu Fall unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles nach § 7 Abs 2 der "Bestimmungen über eine Vorsorge für den Fall des Alters, der Invalidität und des Todes" (AIHV) vom 1.5.1957 (idF vom 24.11.1979) überprüfen muß, ob von einer Fortsetzung des Anwartschaftsrechts auszugehen ist.

2. Es entsteht bei Verfassungswidrigkeit einer Versorgungseinrichtung kein Rückzahlungsanspruch für einen Kassenzahnarzt, selbst wenn zwischen dem gegenwärtig abgesicherten Versorgungsrisiko und den hierfür zu duldenden Honorarabzügen eine Äquivalenz besteht.

3. Für die Prüfung der Verfassungswidrigkeit des Verlustes von Anwartschaftsrechten in einem für Kassenzahnärzte eingerichteten Versorgungswerk besteht ein Rechtsschutzbedürfnis; für die satzungsmäßige Gestaltung kann das Gericht jedoch keine Satzungsregelung anstelle der hierfür berufenen Selbstverwaltungsorgane treffen.

 

Normenkette

GG Art 14

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 22.05.1987; Aktenzeichen L 6 Ka 5/87)

SG Kiel (Entscheidung vom 26.11.1986; Aktenzeichen S 8 Ka 12/85)

 

Tatbestand

Die Kläger sind als Kassenzahnärzte in Schleswig-Holstein zugelassen. Sie fallen unter die sogenannte erweiterte Honorarverteilung der Beklagten, nämlich die "Bestimmungen über eine Vorsorge für den Fall des Alters, der Invalidität und des Todes" (AIHV) vom 1. Mai 1957 (idF vom 24. November 1979). Das "Ruhegeld" aus der AIHV beträgt zur Zeit monatlich 864,-- DM. Der Anspruch auf Teilnahme endet ua mit dem Verzicht auf die Zulassung (§ 7 Abs 1). Zur Vermeidung von Härten können einem Leistungsempfänger, der seinen Anspruch verloren hat, Leistungen zugebilligt werden; die Entscheidung darüber trifft ein Kuratorium (§ 7 Abs 2). Die Kläger haben gegenüber der Beklagten geltend gemacht, daß es sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren lasse, wenn ein Mitglied die Anwartschaft auch noch nach zwanzigjähriger Teilnahme verlieren könne; sie baten um die Bestätigung, daß jedenfalls aufgrund der Härtevorschrift des § 7 Abs 2 nach 20 Jahren (hilfsweise nach 21 bzw 25 Jahren) eine Anwartschaft nicht mehr verfallen könne. Die Beklagte hat auf die Zuständigkeit der Vertreterversammlung verwiesen, zugleich aber Bedenken gegen eine derartige Satzungsänderung geltend gemacht. Die Kläger haben daraufhin entsprechende Satzungsänderungen und für den Fall der Nichtänderung beantragt, die Abzüge an den Gesamtvergütungen zu unterlassen und ihnen die bisher als Beiträge einbehaltenen Vergütungen auszuzahlen. Nachdem die nachfolgende Vertreterversammlung die Anträge der Kläger abgelehnt hatte, hat die Beklagte einen förmlichen Ablehnungsbescheid erlassen. In ihrem Widerspruchsbescheid vom 29. März 1985 wurde ausgeführt, daß eine Befreiungsmöglichkeit von der Teilnahme an der AIHV nicht bestehe; sie sei satzungsgemäß verpflichtet, von den Klägern Einbehalte gemäß der AIHV vorzunehmen; die Satzung sei nicht grundgesetzwidrig; das habe das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1968 bestätigt.

Die Kläger haben Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1985 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, jeden Abzug von ihren Gesamtvergütungen nach § 2 AIHV zu unterlassen und die bisher einbehaltenen Vergütungen auszuzahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Januar 1985; hilfsweise beantragten sie festzustellen, daß nach Ablauf von 5 Jahren (hilfsweise nach 8, 10, 12, 15, 20 Jahren) der Teilnahme an der AIHV die von ihnen erworbene Anwartschaft auf Ruhegeld, Witwen- und Waisengeld nicht mehr verfallbar ist. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Die auf Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) gestützten Rügen der Kläger würden nicht durchgreifen. Die Vorschriften der AIHV seien durch entsprechende Ermächtigungsnormen, zu denen das BSG schon in seinem Urteil vom 20. Februar 1968 (BSGE 28, 9) eingehend Stellung genommen habe, hinreichend gedeckt. Den Vertreterversammlungen der kassenärztlichen Körperschaften stehe hier eine ähnlich weite Gestaltungsfreiheit zu wie dem Gesetzgeber. Die Tatsache allein, daß im Rahmen des beschlossenen Honorarverteilungsmaßstabes Abzüge für einen gesetzlich zulässigen Zweck vorgenommen werden, sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der Hauptzielpunkt der von den Klägern geltend gemachten Bedenken sei § 7 Abs 1 AIHV mit der Regelung der Fälle, in denen ein Anspruch auf Teilnahme ende. Diese Beendigung trete dann ein, wenn ein Zahnarzt nicht mehr den Status eines zugelassenen Zahnarztes besitze mit Ausnahme des Risikofalles der Berufsunfähigkeit. Die langjährige Teilnahme an der AIHV begründe zwar eine Rechtsposition, auf die sich der Eigentumsschutz des Art 14 GG erstrecke. Die ohne Einschränkungen aus den Gründen des § 7 Abs 1 AIHV erfolgende Beseitigung der durch langjährige Leistungsträgerschaft erworbenen Eigentumsposition würde mit Art 14 GG nicht vereinbar sein. Jedoch könne § 7 Abs 1 AIHV nicht gesondert von § 7 Abs 2 AIHV betrachtet werden, der eine verfassungsrechtlich zulässige Ermessensregelung in Härtefällen vorsehe. Bei einheitlicher Betrachtung beider Vorschriften und bei verfassungsgerechter Anwendung und Auslegung des § 7 Abs 2 AIHV stelle sich die Gesamtvorschrift als eine nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken der Eigentumsposition dar. Die Gestaltungsfreiheit verenge sich, je stärker Rentenansprüche oder Rentenanwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistung des Versicherten geprägt sei. Auf die 12 Kläger des Berufungsverfahrens seien bis einschließlich 1986 anteilige Honorarabzüge von rund 45.000,-- DM bis 75.000,-- DM entfallen. Als "Gegenleistung" würden die Leistungsempfänger monatlich einen Betrag von 864,-- DM erhalten. Diese Zahlen entsprächen in ihrer Größenordnung der Möglichkeit, auf privater Grundlage etwa durch Abschluß einer Lebensversicherung in ähnlicher Weise eine Altersversorgung durchzuführen. Auch bei einem Ruhen der Zulassung habe der Zahnarzt statt der Duldung einer Honorarverkürzung in entsprechender Höhe Beiträge an die Beklagte zu entrichten. Zwar könne der Risikofall auch dann eintreten, wenn der Zahnarzt erst kurze Zeit Mitglied gewesen sei, da es keine Wartezeit gebe, sodaß insoweit der Fürsorgegedanke noch überwiegen möge. Jedoch würden im Regelfall Leistungen erst bei Erreichen der Altersgrenze gewährt (90 % der Leistungsfälle). Dies bedeute, daß der Kassenzahnarzt, da er nach Vollendung des 45. Lebensjahres nicht mehr Teilnehmer werden könne, vor Eintritt des Leistungsfalles typischerweise mindestens zwanzig Jahre Mitglied gewesen sein müsse. Die alleinige Anknüpfung eines Leistungsanspruchs an den Eintritt des Risikofalles während fortbestehender Mitgliedschaft sei hier unter dem Aspekt des Art 14 GG noch zulässig, da diese Anknüpfung durch die Härteregelung nach § 7 Abs 2 AIHV ergänzt werde. Ohne diese Härteregelung wäre die Regelung nicht verfassungsgemäß. Denn durch die Beendigung der Zulassung, deren Gründe zumindest nicht in jedem Fall dem jeweiligen Zahnarzt zurechenbar sein müßten, würde gegebenenfalls einem langjährigen Mitglied generell und ohne Differenzierung entschädigungslos eine Eigentumsposition entzogen. Die Härteregelung des § 7 Abs 2 stelle insoweit ein hinreichendes Korrektiv dar, wobei jedoch das dort eingeräumte Ermessen verfassungsgemäß ausgeübt werden müsse. Je länger ein Kassenzahnarzt mit seinen Beiträgen an der erweiterten Honorarverteilung teilgenommen habe, desto stärker sei seine Eigentumsposition und desto geringer werde der Ermessensspielraum. Nach zwanzig Jahren Mitgliedschaft werde regelmäßig ein Leistungsanspruch bestehen. Ein Ermessensspielraum möge insoweit noch bei der Höhe der zu gewährenden Leistung vorhanden sein. Eine sachgemäße Ermessensausübung habe hier gegebenenfalls auch die persönlichen Gründe zu berücksichtigen, die zur Beendigung der Zulassung als Kassenzahnarzt in Schleswig-Holstein geführt haben. Die Rechtsprechung des BSG stehe all dem nicht entgegen. Aber auch die Vorschrift des § 12 AIHV, wonach bei einer Änderung oder Einstellung der erweiterten Honorarverteilung keine Leistungsansprüche erhoben werden können, sei in verfassungskonformer Weise dahin auszulegen, daß die genannten Rechtspositionen nicht durch die Vertreterversammlung bzw durch behördliche Maßnahmen ersatzlos gestrichen werden könnten. Der auf Feststellung einer Anwartschaft gerichtete Hilfsantrag sei unzulässig, da er sich letztlich als ein Begehren auf abstrakte Normenkontrolle darstelle, das im Sozialgerichtsbereich nicht möglich sei; die den Klägern als klärungsbedürftig erscheinenden Fragen seien schon im Bereich des Hauptantrages beantwortet worden.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Was unter einem Härtefall iS des § 7 Abs 2 AIHV zu verstehen sei, bleibe völlig unbestimmt. Die Auffassung des LSG verstoße daher gegen das Rechtsstaatsprinzip. Kein Schleswig-Holsteinischer Zahnarzt könne sich bei Anwendung der weitgehend unbestimmten Vorschrift des § 7 Abs 2 AIHV eine auch nur annähernd sichere Vorstellung darüber machen, welche Entscheidung er erwarten könne. Die Anwendung des § 7 Abs 2 AIHV im Sinne des LSG verstoße aber auch insoweit gegen Art 14 GG, als die Festlegung auf die Beklagte verlagert sei und es an der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz gerade fehle. Ein Verstoß gegen die Art 3, 14 GG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip liege insoweit vor, als die Bestimmung des § 2 Nr 1 Abs 2 AIHV nicht ersichtlich mache, in welcher Höhe ein Honorarabzug für den einzelnen Kassenzahnarzt erfolgen soll, sondern lediglich von einem Abzug von vier Fünftel bis sechs Fünftel des durchschnittlichen Abzugs die Rede sei. Auch § 2 Ziff 3 Abs 1 AIHV verstoße gegen Art 14 GG, da der auf die Zulassung Verzichtende gleichwohl Beitragszahler bleibe ohne jemals Leistungsempfänger werden zu können. Darin liege auch ein Verstoß gegen Art 3 GG. Zudem begründe diese Vorschrift eine unverhältnismäßige Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art 12 GG; wer sich Abzüge gefallen lassen müsse, ohne Kassenarzt zu sein, werde in seiner Entscheidungsfreiheit, nicht mehr als Kassenarzt tätig sein zu wollen, ohne jeden Grund behindert. § 3 Nrn 1 bis 3 AIHV verstoße deshalb gegen die Art 14 und 3 GG, weil derjenige, der die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit nicht erfülle, auch dann noch Leistungsträger bleibe, wenn er wegen einer nur wenig unter 80 % liegenden Berufsunfähigkeit überhaupt nicht mehr in der Lage sei, auch nur seine Praxiskosten durch eigene Leistungen zu erwirtschaften. Auch § 3 Ziff 6 AIHV verstoße gegen die Art 14 und 3 GG, weil hier beim Absinken der Berufsunfähigkeit ein Erlöschen der Anwartschaft bestimmt werde. Ein solcher Verstoß ergebe sich aber auch aus § 4 Nr 2d, § 6, § 12 AIHV. Der Hilfsantrag sei zulässig. Die Kläger seien fast alle seit über zwanzig Jahren Teilnehmer an der AIHV. Auch dann, wenn die AIHV in das zahnärztliche Versorgungswerk (vom 1. Juni 1974) übergeleitet werden oder eine andere Übergangsregelung wegen der "Altlasten" getroffen werden sollte, seien die Kläger auf die Feststellung ihrer Anwartschaften angewiesen. Den Klägern sei nicht zuzumuten, die Klärung ihrer Anspruchslage bis zum Eintritt des Versorgungsfalles zurückzustellen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. Mai 1987, L 6 Ka 5/87, und des Urteils des Sozialgerichts Kiel vom 26.November 1986, S 8 Ka 12/85, 1.

die Bescheide der Beklagten vom 15. Mai 1984 und vom 23. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 13./29. März 1985 aufzuheben,

2.

die Beklagte zu verurteilen, jeden Abzug von den Gesamtvergütungen der Kläger nach § 2 AIHV in Zukunft zu unterlassen und ihnen die Gesamtvergütung ohne Einbehalt für das Versorgungswerk laufend auszuzahlen,

3.

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger alle in der Vergangenheit aufgrund der AIHV einbehaltenen Vergütungen auszuzahlen, und zwar die einbehaltenen Vergütungen für die einzelnen (ursprünglichen) Kläger wie folgt: dem Kläger zu 1.) (Revisionskläger zu 1.) ab 1. Mai 1957, dem Kläger zu 9.) (Revisionskläger zu 2.) ab 1. Februar 1961, dem Kläger zu 10.) (Revisionskläger zu 3.) ab 1. Mai 1957, dem Kläger zu 11.) (Revisionskläger zu 4.) ab 1. Dezember 1971, dem Kläger zu 12.) (Revisionskläger zu 5.) ab 1. Juli 1964 und dem Kläger zu 15.) (Revisionskläger zu 6.) ab 1. Februar 1977,

4.

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger auszuzahlende Beträge jeweils mit 4% Zinsen seit dem 25. Januar 1985 zu zahlen,

5.

hilfsweise festzustellen, daß spätestens nach Ablauf von fünf Jahren - weiterhin hilfsweise nach Ablauf von acht Jahren, weiterhin hilfsweise nach Ablauf von 10 Jahren, weiterhin hilfsweise nach Ablauf von 12 Jahren, weiterhin hilfsweise nach Ablauf von spätestens 20 Jahren - der Teilnahme als Leistungsträger an der AIHV eine nicht mehr verfallbare Anwartschaft auf Ruhegeld, Witwen- und Waisengeld von den Klägern am Versorgungswerk erworben ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die rechtliche Argumentation des LSG nicht für zutreffend. Das LSG verkenne oder ignoriere den Fürsorgecharakter der Einrichtung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist nicht begründet.

1. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die (unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsakte) auf Unterlassung der Abzüge und Rückzahlung der Beiträge gerichteten Hauptanträge der Kläger allenfalls dann begründet sein könnten, wenn die streitige Versorgungseinrichtung (AIHV) gegenüber den Klägern keinen rechtlichen Bestand hätte. Das ist aber nicht der Fall.

2. Das LSG hat weiter mit Recht ausgeführt, daß die streitige Versorgungseinrichtung als eine Einrichtung der Zwangsmitgliedschaft durch eine gesetzliche Ermächtigung hinreichend gedeckt ist. Das wird auch von den Klägern nicht bestritten und wurde speziell im Hinblick auf die AIHV vom Senat schon in seinem Urteil vom 20. Februar 1968 zum Ausdruck gebracht (BSGE 28, 9, 12 f).

3. Die auf Unterlassung künftiger und auf Auszahlung der vergangenen Abzüge gerichteten Hauptanträge der Kläger setzen rechtlich voraus, daß die streitige Versorgungseinrichtung wegen Verfassungswidrigkeit insgesamt unheilbar nichtig wäre. Wie sich aus ihren an die Vertreterversammlung gerichteten Anträgen vom 15. Oktober 1984 einerseits (- Bl 16 des Berufungsurteils -) und aus ihrem Hilfsantrag andererseits ergibt, steht bei den von den Klägern gegenüber einzelnen Regelungen erhobenen Rügen diejenige im Vordergrund, daß durch einen vor Eintritt des Risikofalles erfolgten Verlust der kassenzahnärztlichen Zulassung in Schleswig-Holstein, insbesondere bei einem Wechsel in einen anderen Zulassungsbereich, die rechtlich gesicherte Anwartschaft verloren geht. Selbst wenn diese (untergesetzliche, daher nicht vom Bundesverfassungsgericht zu beurteilende) Regelung aber als verfassungswidrig anzusehen wäre, so könnte damit jedenfalls noch nicht ohne weiteres von der Nichtigkeit der gesamten Versorgungseinrichtung ausgegangen werden, was die Hauptanträge der Kläger, wie oben ausgeführt, doch gerade voraussetzen.

4. Die Hauptanträge der Kläger scheitern aber schon aus einem anderen Grunde. Die Kläger haben im Rahmen der Bestimmungen des AIHV eine rechtlich gesicherte Anwartschaft und einen gegenwärtigen Versorgungsschutz erworben. Beim Eintritt des Versorgungsfalles wären aus der Versorgungseinrichtung der Beklagten, also von der Gemeinschaft der zusammengeschlossenen Kassenzahnärzte Schleswig-Holstein, bestimmte Leistungen zu zahlen gewesen. Wie der Senat bereits in der oben zitierten Entscheidung vom 29. Februar 1968 ausgeführt hat, hatten die Kläger als Äquivalent für die Übernahme dieses Versorgungsrisikos gewisse Abzüge von ihrem Kassenhonorar zu dulden, mit denen Leistungen finanziert wurden, die die Beklagte während der Mitgliedschaft der Kläger anderen Kassenzahnärzten gewährte, bei denen der Versorgungsfall tatsächlich eingetreten war. Da bei solcher Äquivalenz sich die Risiken der Beklagten gegenüber den Abzügen auf Seiten der Kläger aber ausgleichen, können die Kläger die ihnen in Abzug gebrachten Beträge für die Vergangenheit selbst dann nicht zurückverlangen, wenn die gesamte Versorgungseinrichtung für verfassungswidrig anzusehen wäre. Dafür, daß die Höhe der Abzüge sich nicht nach dem tatsächlichen Versorgungsrisiko gerichtet, sondern dieses wesentlich überstiegen hätte, liegen auch keinerlei Anhaltspunkte vor.

5. Auch der sich auf die Unterlassung zukünftiger Abzüge beziehende Hauptantrag setzt, wie oben (Ziff 3) ausgeführt, voraus, daß die streitige Versorgungseinrichtung wegen Verfassungswidrigkeit insgesamt jedenfalls für die Zukunft ohne Rechtswirkung wäre. Eine solche Feststellung wäre aber selbst dann nicht zu treffen, wenn das Hauptanliegen der Kläger durchgreifen würde, nämlich der Verlust der Anwartschaft durch den Verlust der kassenzahnärztlichen Zulassung in Schleswig-Holstein als verfassungswidrig anzusehen wäre. Eine solche Feststellung würde keineswegs die Rechtsunwirksamkeit der Versorgungseinrichtung als solche nach sich ziehen. Denn die Beklagte könnte das Werk fortsetzen, die vertraglichen Bestimmungen entsprechend ändern und die Beträge dem damit veränderten Versorgungsrisiko anpassen. Eine volle Wirkungslosigkeit des Versorgungswerks tritt aber auch nicht durch die zusätzliche Berücksichtigung der weiteren Rügen ein, mit denen die Kläger auch andere Regelungsinhalte als verfassungswidrig bezeichnen. Solche zusätzlichen, eine Gesamtnichtigkeit bewirkenden Verfassungswidrigkeiten liegen jedenfalls nicht vor.

a) Die Regelung, daß die Abzüge zwischen vier und sechs Fünfteln des durchschnittlichen Abzugs betragen (§ 2 Nr 1 Abs 2 AIHV) verstößt entgegen der Ansicht der Kläger nicht deshalb gegen Verfassungsrecht, weil die Abzüge "nicht im einzelnen den bestimmten Abzugsbetrag bei den beteiligten Leistungsträgern im voraus erkennen lassen". Die jeweils erforderlichen Mittel werden nach Abs 1 der Bestimmung vierteljährlich von den Gesamtvergütungen unter Festsetzung eines Prozentsatzes in Abzug gebracht, insofern sind sie normativ nicht näher zu bestimmen, aber konkret rechnerisch bestimmbar. Das gilt auch von der Angleichungsregelung des Absatzes 2, wonach der Abzug "bei dem einzelnen Kassenzahnarzt mindestens vierfünftel, höchstens sechsfünftel des durchschnittlichen Abzuges" beträgt. Es wird hier also ein Vergleich des auf den einzelnen Kassenzahnarzt entfallenden, jenen Prozentsatz seines Honorarvergütungsanteils darstellenden Einzelbetrages mit dem Durchschnittsbetrag aller Teilnehmer angestellt sowie der Mindest- und Höchstbetrag auf vier Fünftel bzw sechs Fünftel des Durchschnittsbetrages begrenzt. Eine solche Regelung, die im übrigen, da die Höhe des Ruhegeldes nicht von der Höhe der Abzüge abhängt, lediglich der Gleichstellung dient, ist rechnerisch durchaus nachvollziehbar, wenn dem teilnehmenden Arzt zugleich auch die Grunddaten mitgeteilt werden (erforderliche Mittel, prozentualer Abzug, durchschnittlicher Abzug).

b) Zu der Vorschrift des § 2 Ziff 3 Abs 1 AIHV, wonach der allein auf die RVO-Zulassung verzichtende Zahnarzt (mit seiner Ersatzkassen-Beteiligung) Teilnehmer der Versorgungseinrichtung bleibt, hat das LSG keine Auslegung der (irrevisiblen) Norm vorgenommen; daß der insoweit teilnehmende Zahnarzt aber nicht als Leistungsberechtigter ausgeschlossen wird, ist offensichtlich. Selbst bei gegenteiliger Auslegung würde dies nur zu einer Teilnichtigkeit führen.

c) Eine Verletzung von Verfassungsrecht ist auch insoweit nicht erkennbar, als nach § 3 Ziff 1 AIHV der Risikofall erst bei einer Berufsunfähigkeit von 80 % eintritt, gleichwohl aber, wenn nicht gleichzeitig auf die Zulassung verzichtet wird, die Teilnahme und damit die Leistungspflicht nicht entfällt. Die Kläger haben auch hier nicht dargelegt, inwiefern hierin ein enteignungsgleicher, gegen Art 14 GG verstoßender Eingriff oder eine gegen die Regelungsprinzipien der AIHV verstoßende Ungleichbehandlung nach Art 3 GG liegen soll, wobei sie insbesondere auch nicht in Betracht ziehen, daß dem Mindestabzug nach § 2 Ziff 1 Abs 2 AIHV ausgleichend das Prinzip gegenübersteht, daß die Höhe des Ruhegeldes unabhängig von der Höhe der Abzüge gestaltet ist.

d) Die ebenfalls von den Klägern als verfassungswidrig angesehene Regelung des § 3 Abs 6 AIHV, wonach bei einem Absinken der Berufsunfähigkeit auf unter 60 %, wenn nicht innerhalb eines halben Jahres die erneute Zulassung beantragt wird, der Anspruch auf Ruhegeld verlorengeht, hat in dem gegebenen Zusammenhang keine gegenüber dem § 3 Abs 1 AIHV selbständige Bedeutung; auf die vorstehenden Ausführungen (Ziff d) wird daher verwiesen.

e) Von der Regelung des § 4 Abs 2b AIHV, wonach grundsätzlich dann kein Witwen- bzw Witwergeld bezahlt wird, wenn die Ehe weniger als 12 Monate gedauert hat, wurde von den Klägern mitgeteilt, daß sie zwischenzeitlich gestrichen worden sei.

f) Die Regelung des § 6 AIHV, wonach Leistungsansprüche unter bestimmten Voraussetzungen bei einem Praxistausch ausgetauscht werden können, hat gegenüber der Rüge der Kläger, daß selbst nach langjähriger Dauer der Mitgliedschaft die Anwartschaft zB durch eine Praxisverlegung in einen anderen Zulassungsbezirk noch verloren gehen kann, keine selbständige Bedeutung.

g) Gemäß § 12 AIHV können keine Ansprüche auf Leistungen erhoben werden, falls "die erweiterte Honorarverteilung durch behördliche Maßnahmen oder Beschluß der Vertreterversammlung geändert oder eingestellt werden" sollte. Die Kläger halten auch diese Bestimmung für verfassungswidrig. Das LSG hat dazu ausgeführt, daß bei schon eingetretenen Risikofällen und langjährigen Mitgliedschaften die entsprechenden Rechtspositionen nicht ersatzlos beseitigt werden könnten. Darüber braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Denn eine Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung könnte auch dann, wenn sie zu einer Verfassungswidrigkeit des von den Klägern gerügten Anwartschaftsverlustes hinzukäme, nicht zu einer die Hauptanträge stützenden Nichtigkeit der Gesamtinstitution führen. Das ergibt sich hinsichtlich des Antrages auf zukünftige Unterlassung der Abzüge unmittelbar aus der Natur dieser bloß hypothetischen, die Rechtswirksamkeit des Gesamtregelungswerkes nicht in Frage stellenden Vorschrift; im übrigen wird auf die obigen Ausführungen (- Ziff 3 bis 5 -) verwiesen.

6. Der Hilfsantrag der Kläger ist entgegen der Ansicht des LSG insoweit zulässig, als ein Rechtsschutzbedürfnis auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Anwartschaftsrechtsverlustes zu bejahen ist. Den Klägern geht es nicht um die bloße Feststellung der Gültigkeit einer abstrakten Norm, sondern insbesondere um die Klärung ihrer rechtlichen Möglichkeit, ohne Verlust ihrer Anwartschaft den Zulassungsbezirk wechseln zu können. Es liegt durchaus in einem nachvollziehbaren Interesse, wenn sie meinen, einen solchen Schritt nicht ohne entsprechende rechtliche Vergewisserung tun zu können; davon aber, daß ein solcher Wechsel bei einem Zahnarzt nicht außerhalb beruflicher Erwägungen steht, kann allgemein ausgegangen werden. Das Rechtsschutzbedürfnis kann hier auch nicht mit der berufungsgerichtlichen Begründung verneint werden, die für die Kläger insoweit klärungsbedürftig erscheinenden Fragen seien schon im Bereich des Hauptantrages behandelt worden. Dies deswegen nicht, weil der Senat die Hauptanträge unabhängig von der Frage der Verfassungswidrigkeit des Anwartschaftsrechtsverlustes für unbegründet hält, insoweit also diese Frage gerade dahingestellt sein lassen konnte.

7. In der tatsächlich gestellten Form ist der Hilfsantrag unbegründet. Denn selbst wenn der Anwartschaftsrechtsverlust als verfassungswidrig anzusehen wäre, wäre es dem Gericht versagt, der Beklagten eine konkrete Gestaltung vorzuschreiben. Das wäre aber der Fall, wenn die auf bestimmte, wenn auch fürsorglich gestaffelt beantragte Jahresgrenzen erkannt werden würde. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß die Kläger die Feststellung eines jeweils spätesten Zeitpunktes begehren. Denn auch eine solche Feststellung würde der Vertreterversammlung der Beklagten in ihrer Gestaltungsfreiheit, die sie möglicherweise einen ganz anderen Regelungsmodus wählen lassen könnte, vorgreifen.

8. Der Hilfsantrag der Kläger kann allerdings dahin ausgelegt werden, daß sie die Feststellung begehren, daß die AIHV-Satzung der Beklagten insoweit nichtig ist, als diese Satzung die Aufrechterhaltung des Anwartschaftsrechtes von der ununterbrochenen Fortführung der Zulassung in Schleswig-Holstein abhängig macht. Das LSG hat hierzu ausgeführt daß die Anknüpfung an die fortbestehende Zulassung in Schleswig-Holstein nach § 2 Abs 1 AIHV mit Art 14 GG dann unvereinbar wäre, wenn diese Anknüpfung nicht durch die Härteregelung des § 7 Abs 2 AIHV ergänzt werden würde ("In den Fällen des Abs 1 können zur Vermeidung von Härten einem Versorgungsempfänger, der gemäß Abs 1 seinen Anspruch verloren hat, Leistungen ... zugebilligt werden. Die Entscheidung darüber, ob ein Härtefall vorliegt und in welcher Höhe Leistungen erfolgen sollen, trifft das Kuratorium"). Das eingeräumte Ermessen müsse freilich verfassungskonform ausgeübt werden. Je länger der Kassenzahnarzt mit seinen Abzügen teilgenommen habe, desto stärker sei sein personaler Bezug zu der für ihn in Aussicht stehenden späteren Versorgung. Je stärker folglich die Eigentumsposition sei, desto geringer werde der Ermessensspielraum nach § 7 Abs 2 AIHV. Jedenfalls müsse nach zwanzigjähriger Mitgliedschaft der Ermessensspielraum als auf nur eine richtige Entscheidung eingeschränkt angesehen werden. Für einen Kassenzahnarzt werde in einem solchen Fall regelmäßig ein Leistungsanspruch entstehen. Ein Ermessensspielraum möge insoweit noch hinsichtlich der Höhe der Leistung vorhanden sein. Eine sachgemäße Ermessensausübung habe hier auch die persönlichen Gründe zu berücksichtigen, die zur Beendigung der Zulassung in Schleswig-Holstein geführt hätten.

Der Senat stimmt diesen Ausführungen des LSG insoweit zu, als es den engen Zusammenhang zwischen langjähriger Mitgliedschaft und verfassungsmäßigem Verbot eines unfreiwilligen Verlustes der Anwartschaft zum Ausdruck bringt. Seine darüber hinausgehenden Ausführungen über das Verhältnis von unbedingtem Anspruch und Ermessensausübung müssen jedoch rechtlichen Bedenken begegnen. Denn könnten nach zwanzigjähriger Mitgliedschaft im Rahmen der Ermessensausübung noch persönliche Gründe der Zulassungsbeendigung erwogen werden, so wäre auch nach dieser Mitgliedschaftsdauer keine unfreiwillige Beendigung der Anwartschaft unbedingt ausgeschlossen; und andererseits wäre, wenn solche persönlichen Gründe keine Rolle mehr spielen dürften, ein Anspruch also unbedingt bestünde, kein Raum mehr für eine Ermessensausübung. Dieser Widerspruch wird auch nicht durch den Hinweis beseitigt, ein Ermessensspielraum werde regelmäßig nur noch hinsichtlich der Leistungshöhe bestehen, ganz abgesehen davon, daß auch eine normative Bindung hinsichtlich des Anspruchsgrundes bei fortbestehendem Ermessen zur Anspruchshöhe zu einer tendenziellen Beseitigung des Anspruchs, also praktisch zu einer Rücknahme der Bindung führen könnte.

Die gerichtliche Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der streitigen Satzung kann hier nicht dazu führen festzustellen, daß der durch einen Zulassungsverlust eintretende Verlust des Anwartschaftsrechts unter ganz bestimmten Bedingungen rechtlich ausgeschlossen sei. Das verbietet zum einen der Umstand, daß zeitliche Mindestanforderungen an einen solchen Fortbestand jedenfalls nicht schlechthin gemäß Art 14 GG unzulässig sind, und zum anderen der Gesichtspunkt, daß die Festlegung einer bestimmten Zeitgrenze durch die Gerichte mit dem Gestaltungsspielraum der Beklagten unvereinbar wäre. Daraus folgt, daß die von den Klägern begehrte gerichtliche Überprüfung des Anwartschaftsverlustes jeweils nur bei einer konkreten Fallentscheidung erfolgen kann, was freilich schon vor dem Zulassungsverlust im Wege einer Feststellungsklage möglich sein wird. Die Beklagte hat bei der Ausübung ihres Ermessens den vom LSG herausgestellten und zutreffend begründeten Grundsatz zu beachten, daß ein Anwartschaftsrechtsverlust durch Verlust der Zulassung umso weniger angenommen werden darf, je länger die ordentliche Mitgliedschaft des Kassenzahnarztes gedauert habe. Das bedeutet, daß sich die Beklagte aus Gründen des Art 14 GG nicht schlechthin auf die Regelung berufen kann, daß der Zulassungsverlust auch zum Verlust der Anwartschaft führe, sondern von Fall zu Fall unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles nach § 7 Abs 2 AIHV überprüfen muß, ob von einer Fortsetzung des Anwartschaftsrechts auszugehen ist. Dabei wird die Beklagte (bzw ihr Kuratorium) aber auch den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten und sich mit anderen Worten zu überlegen haben, von welchen anspruchsbejahenden bzw anspruchsverneinenden Sachverhaltstypen sie auszugehen gedenkt. Dies wird die Mitglieder auch in die Lage versetzen, die Entscheidungsprinzipien wenigstens in groben Zügen schon im voraus zu erkennen und ihre Planungen danach einzurichten. Eine andere Entscheidung konnte hier aber nicht ergehen.

Das LSG hat daher die Berufung gegen das klagabweisende erstinstanzliche Urteil im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen. Die Revision der Kläger konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653363

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