Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassungsklage im sozialgerichtlichen Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Verordnen von Zahnersatz gehört zur zahnärztlichen Behandlung und deshalb zur "kassenzahnärztlichen Versorgung" iS des RVO § 368 Abs 1 S 4, Abs 2 S 1.

2. Der Prothetik-Vertrag vom 1949-06-14 ("Alsbacher Abkommen") ist ein Vertrag über die kassenzahnärztliche Versorgung iS des GKAR Art 4 § 12 S 1 und deshalb bei Inkrafttreten des GKAR gültig geblieben.

3. Die Krankenkassen sind im Rahmen des Prothetik-Vertrages berechtigt, durch angestellte Beratungszahnärzte oder Vertrauenszahnärzte des Vertrauensärztlichen Dienstes Zahnersatzanträge ihrer Versicherten begutachten und prothetische Leistungen von Kassenzahnärzten nachprüfen zu lassen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nicht zur zahnärztlichen Versorgung gehört die Herstellung von Zahnersatz.

2. Die Verordnung von Zahnersatz und die Überprüfung des hergestellten Zahnersatzes auf funktionsgerechte Eingliederung gehört jedoch nicht zu dem Bereich der kassenzahnärztlichen Versorgung, für den die KK nach RVO § 368f Abs 1 S 1 mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung entrichtet; die Verordnung von Zahnersatz wird deshalb nicht durch die Gesamtvergütung, sondern mit der gesondert zu entrichtenden Gebühr abgegolten.

3. Der Prothetik-Vertrag ist ein gemischter Vertrag, bei dem die eigentliche zahnärztliche Leistung so im Vordergrund steht, daß der Vertrag hierdurch sein Gepräge erhält und im Kern als Vertrag über die kassenzahnärztliche Versorgung angesehen werden muß.

4. Ist es im Bereich einer KZÄV nicht zur Vereinbarung eines Gebührentarifs gekommen, so berührt das nicht die Gültigkeit des Prothetik-Vertrages; in diesem Falle entfällt die zugunsten der Kassenzahnärzte in den Prothetik-Vertrag aufgenommene Sperrklausel, nach der die KK zur Versorgung der Versicherten mit herausnehmbarem Zahnersatz keine kasseneigenen Institute neu einrichten und keine Vertragszahnärzte bestellen dürfen.

 

Orientierungssatz

Die Unterlassungsklage ist im sozialgerichtlichen Verfahren zulässig. Sie ist ein Unterfall der in § 54 Abs 5 SGG genannten "echten" Leistungsklage. Für das Rechtsschutzinteresse ist die Wiederholungsgefahr für die Rechtsbeeinträchtigung erforderlich.

 

Normenkette

RVO § 368 Abs. 1 S. 4 Fassung: 1955-08-17, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1955-08-17; KARG Art. 4 § 12; ProthetikVtr Fassung: 1949-06-14; SGG § 54 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; RVO § 368f Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 3. April 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Landesverband der Ortskrankenkassen Niedersachsen bestellte auf Grund des § 5 Abs. 3 des Prothetik-Vertrages vom 14. Juni 1949 ("Alsbacher Abkommen", abgedruckt bei Wieglow-Roth, "Die Kassenarztgebühren", 5. Aufl., Stand März 1965 S. 238 ff und DOK 1949, 231) hauptamtlich angestellte Beratungszahnärzte zur Überprüfung und Begutachtung in Aussicht genommener oder ausgeführter zahnprothetischer Leistungen. Mit Schreiben vom 5. Mai 1959 zeigte er der klagenden Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) die Aufnahme der Tätigkeit zweier solcher Beratungszahnärzte mit Wirkung vom 1. April 1959 unter Bezugnahme auf vorhergegangene schriftliche und mündliche Unterrichtungen sowie auf beiderseits geführte Verhandlungen an.

In der Folgezeit beanstandeten die drei beklagten Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK'n) auf Grund gutachtlicher Äußerungen der Beratungszahnärzte oder auch von Vertrauenszahnärzten des Vertrauensärztlichen Dienstes bei den jeweils behandelnden Zahnärzten sowohl Behandlungspläne als auch Ausführungen zahnprothetischer Leistungen. Auch wurde in Einzelfällen bei der klagenden KZÄV zur Sprache gebracht, daß von behandelnden Kassenzahnärzten mehr prothetische Leistungen berechnet als tatsächlich ausgeführt worden seien.

Die klagende KZÄV ist der Auffassung, daß die Überwachung der zahnärztlichen Tätigkeit ausschließlich in die Kompetenz der KZÄV falle. Unterziehe eine Krankenkasse zahnärztliche Leistungen einer vertrauenszahnärztlichen Nachuntersuchung, so greife sie damit ohne gesetzliche Grundlage in die gesetzlichen Befugnisse der KZÄV ein. Sie hat daher vor dem Sozialgericht (SG) gegen die genannten AOK'n Klagen erhoben mit dem Antrag,

1. festzustellen, daß die Überwachung der kassenzahnärztlichen Tätigkeit ausschließlich Angelegenheit der KZÄV ist und daß darunter auch die Aufgabe fällt, Heilbehandlungen der Zahnärzte mit Zahnersatz einer Reihen- bzw. Stichprobenuntersuchung zu unterziehen;

2. die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, durch die vom Landesverband der Ortskrankenkassen angestellten Beratungszahnärzte oder durch Ärzte des Vertrauensärztlichen Dienstes der Landesversicherungsanstalten Reihen- oder Stichprobenuntersuchungen in Bezug auf prothetische Behandlungen durchführen zu lassen.

Das SG verband diese Verfahren sowie ein weiteres Verfahren gegen eine vierte Krankenkasse zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung und wies die Klagen mit Urteil vom 26. Oktober 1960 ab.

Gegen dieses Urteil hat die klagende KZÄV Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihren Feststellungsantrag zurückgenommen und die Unterlassungsklage auf die Unterlassung der Nachprüfung prothetischer Behandlungen als Ermessensleistungen begrenzt. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Teilurteil vom 3. April 1963 die Berufung zurückgewiesen, soweit sie die drei beklagten AOK'n betraf, und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin habe, weil sie nach § 368 n Abs. 1 und 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die den Krankenkassen nach § 182 RVO obliegende zahnärztliche Versorgung sicherzustellen sowie die Erfüllung der den Kassenzahnärzten obliegenden Pflichten zu überwachen habe, eine vom Gesetz geschützte Rechtsstellung, die bei rechtswidriger Beeinträchtigung durch die Beklagten und der Gefahr der Wiederholung die Unterlassungsklage rechtfertigen würde. Die Unterlassungsklagen seien daher zulässig.

Sie seien jedoch nicht begründet. Die zahnprothetische Behandlung sei keine Leistung nach § 182 RVO, sondern eine Kann- oder Ermessensleistung mit Kostenerstattung. Insoweit liege keine Krankenhilfe i. S. von § 182 Abs. 1 RVO, sondern eine Leistung besonderer Art vor. Bei dieser entfalle die ausschließliche Zuständigkeit des Vertrauensärztlichen Dienstes der Landesversicherungsanstalten oder auch der klagenden KZÄV zur Vornahme der strittigen Untersuchungen (§ 368 n Abs. 3 RVO). Hier greife vielmehr der Grundsatz des § 369 b RVO durch, wonach die Krankenkassen verpflichtet seien, auch diese Leistungen rechtzeitig nachprüfen zu lassen. Daran habe auch das Gesetz über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 - GKAR - (BGBl I 513) nichts geändert. Es habe, wie aus Art. 4 § 12 folge, Verträge der Verbände über die prothetische Versorgung und damit auch den Prothetik-Vertrag vom 14. Juni 1949 unberührt gelassen. Aus seinem § 5 Abs. 3 des Vertrags ergebe sich aber eindeutig, daß zur Begutachtung in Aussicht genommener oder ausgeführter Leistungen sich die Krankenkassen bei Behandlungsfällen von Kassenzahnärzten der Mitarbeit von Vertrauenszahnärzten bedienen dürften. Allerdings würden diese nach § 5 Abs. 3 Satz 2 "im Benehmen" mit der KZV bestellt. Dieses "Benehmen" sei mindestens in zwei Fällen durch Mitteilung der Namen der eingestellten Ärzte und des Zeitpunktes der Aufnahme ihrer Tätigkeit auch hergestellt worden. Im übrigen bedeute "im Benehmen" nicht "im Einvernehmen", und das fehlende Benehmen würde auf Bestellung und Handlungsfähigkeit des Beratungszahnarztes ohne Bedeutung sein. Solche "Vertrauenszahnärzte" nach § 5 des Prothetik-Vertrages könnten mangels anderer Bestimmungen im Vertrag frei praktizierende Zahnärzte (mit und ohne Kassenzulassung), angestellte Zahnärzte der Landesversicherungsanstalten oder auch hauptamtlich für die Krankenkassen tätige Zahnärzte (sog. Beratungszahnärzte) sein.

Gegen dieses Urteil hat die klagende KZÄV Revision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil dahin zu ändern, daß der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 26. Oktober 1960, soweit sie sich gegen die beklagten AOK'n richtet, stattgegeben wird und diese verurteilt werden, es zu unterlassen, durch die Beratungszahnärzte oder durch Ärzte des Vertrauensärztlichen Dienstes Reihen- oder Stichprobenuntersuchungen in Bezug auf prothetische Behandlungen als Ermessensleistungen durchführen zu lassen.

Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt:

Die Bestimmung des § 369 b RVO biete keine Rechtsgrundlage für die von den beklagten Krankenkassen vorgenommenen Nachuntersuchungen; § 369 b beziehe sich - abgesehen von der Nachprüfung der Arbeitsunfähigkeit - lediglich auf die Verordnung von Versicherungsleistungen, d. h. Krankenhilfe und sonstige Sachleistungen. Zahnersatz als solcher werde aber von den Krankenkassen nicht als Sachleistung gewährt. Ferner müsse § 368 n RVO i. d. F. des GKAR als Spezialregelung angesehen werden, die gegenüber § 369 b RVO Vorrang habe. Auch stelle die Nachuntersuchung von Patienten eines Arztes durch außenstehende Personen stets eine Gefährdung der zwischen Arzt und Patienten bestehenden Beziehungen dar. Ein solcher Eingriff durch Außenstehende bedürfe einer den rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechenden Verfahrensregelung und bestimmter Rechtsgarantien.

Das LSG habe es auch unterlassen, die Weitergeltung des Prothetik-Vertrages nach dem GKAR zu prüfen. Art. 4 § 12 GKAR lasse nur diejenigen Verträge fortbestehen, die die "kassenärztliche Versorgung" zum Gegenstand haben. Diese umfasse die ärztliche Behandlung (§ 368 Abs. 2 RVO), also die den Krankenkassen obliegende Krankenhilfe (§ 182 RVO i. V. m. § 368 n Abs. 1 RVO). Die Zahnlosigkeit sei jedoch keine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, die Heilbehandlung erfordere (Hinweis auf RVA GE 4067, AN 1931, 219). Der Prothetik-Vertrag vom 14. Juni 1949 sei somit kein Vertrag über die kassenzahnärztliche Versorgung. Zudem bestehe im Lande Niedersachsen seit Mai 1961 kein Gebührentarif nach § 4 des Prothetik-Vertrages mehr.

Schließlich ergebe sich aus der Überschrift zu § 5 des Vertrages, daß die Begutachtungen in Abs. 3 nur in Streitfällen durchgeführt werden sollten. Auch müsse das in § 5 Abs. 3 des Vertrages geforderte "Benehmen" seit Inkrafttreten des GKAR ein Zusammenwirken darstellen.

Die beklagten AOK'n haben die Zurückweisung der Revision beantragt. Sie halten die Ausführungen der Revisionsklägerin für nicht zutreffend.

Die Revision ist nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG die beklagten niedersächsischen Krankenkassen für berechtigt gehalten, durch angestellte Beratungszahnärzte oder Vertrauenszahnärzte des Vertrauensärztlichen Dienstes Zahnersatzanträge ihrer Versicherten begutachten und prothetische Leistungen von Kassenzahnärzten nachprüfen zu lassen.

Gegen die Zulässigkeit der Unterlassungsklage bestehen keine Bedenken. Sie ist ein Unterfall der in § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten "echten" Leistungsklage; denn "Leistung" i. S. dieser Vorschrift meint ein "Tun, Dulden oder Unterlassen" (Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Stand: Mai 1966 § 54 Anm. 6 a mit Hinweisen auf die Begründung des "Arbeitsstabs" und die erste amtliche Begründung). Die für das Rechtsschutzinteresse bei Unterlassungsklagen auch im öffentlichen Recht erforderliche Wiederholungsgefahr für die Rechtsbeeinträchtigung (vgl. Eyermann-Fröhler, VwGO 4. Aufl. § 42 Anm. 24) ist im vorliegenden Fall gegeben, weil die beklagten Krankenkassen auch für die Zukunft das Recht auf Nachprüfung prothetischer Behandlungen für sich in Anspruch nehmen.

Die Unterlassungsklage ist jedoch nicht begründet. Nach § 5 Abs. 3 des Prothetik-Vertrages sind die beklagten Krankenkassen berechtigt, sich zur Begutachtung in Aussicht genommener oder ausgeführter zahnprothetischer Leistungen der Mitarbeit von Vertrauenszahnärzten zu bedienen. Diese Regelung steht zwar unter der dem ganzen § 5 gegebenen Überschrift "Schlichtung von Streitigkeiten". Doch ist dadurch - entgegen der Meinung der klagenden KZÄV - das Recht der Krankenkassen zur Heranziehung von Vertrauenszahnärzten nicht auf die Fälle beschränkt, in denen es bereits zum Streit gekommen ist. Die Überschrift soll vielmehr nur zum Ausdruck bringen, daß in § 5 insgesamt Regelungen getroffen sind, wie Streitigkeiten bei Durchführung des Prothetik-Vertrages ausgetragen, aber auch verhütet werden können. Dazu gehört auch § 5 Abs. 3.

Der Prothetik-Vertrag ist noch gültig. Er ist auf unbestimmte Zeit geschlossen (vgl. § 6 Abs. 1 des Vertrages). Keine Vertragspartei hat bisher von der in § 6 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages vorgesehenen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht.

Der Vertrag ist auch nicht, wie die Revision meint, durch das Inkrafttreten des GKAR gegenstandslos geworden. Nach Art. 4 § 12 Satz 1 GKAR i. V. m. § 368 Abs. 1 Satz 4 RVO sind die bei Inkrafttreten des GKAR zwischen den bestehenden Vereinigungen der Kassenzahnärzte und den Krankenkassen und ihren Verbänden geltenden Verträge über die kassenzahnärztliche Versorgung in Kraft geblieben. Was "kassenzahnärztliche Versorgung" in diesem Sinne ist, hat das GKAR selbst in dem neugefaßten § 368 Abs. 2 RVO geregelt: Er umfaßt als Kernbereich "die zahnärztliche Behandlung" (Satz 1); dazu kommen kraft ausdrücklicher Aufzählung einige im einzelnen aufgeführte Tätigkeiten (Satz 2).

Zur zahnärztlichen Behandlung gehört das Verordnen von Zahnersatz. Allerdings war das Reichsversicherungsamt anderer Auffassung (vgl. Grunds.Entsch. Nr. 4067; AN 1931, 219): Der Zustand der bloßen Zahnlosigkeit stelle zwar einen von der Regel abweichenden Körperzustand dar, sei aber im allgemeinen nicht behandlungsbedürftig. Auch wenn ausnahmsweise der Zahnersatz zur Beseitigung oder zur Linderung einer durch die Zahnlosigkeit verursachten Krankheit erforderlich sei, stellten die Verrichtungen des Zahnarztes nach der Beendigung des der etwaigen Entfernung von Zähnen folgenden Heilungs- und Schrumpfungsvorgangs sowie die Abformung des Kiefers und die dem Zahntechniker zu erteilenden Anweisungen über die Gestaltung des Zahnersatzes keine zahnärztliche Behandlung dar. Sie seien vielmehr nur vorbereitende Handlungen für die demnächstige Lieferung des Zahnersatzes im Rahmen des Herstellungsvorgangs und unterschieden sich insofern nicht wesentlich von der ebenfalls nicht als ärztliche Behandlung zu erachtenden Mitwirkung des Arztes bei der Herstellung einer sonstigen Prothese.

Dieser Betrachtungsweise kann nur insofern gefolgt werden, als sie zwischen der Verordnung von Zahnprothesen und ihrer Herstellung unterscheidet. Wie der Senat bereits für die komplexe Leistung der Lieferung orthopädischer Fußstützen, die ein Facharzt für Orthopädie nach seiner Verordnung in eigener Werkstätte anfertigen läßt, ausgeführt hat, ist ein Arzt, der orthopädische Heil- oder Hilfsmittel selbst anfertigt oder in der von ihm betriebenen Werkstätte herstellen läßt, insofern nicht mehr als Arzt tätig; denn es handelt sich hier nicht mehr um eine Leistung, die wesentlich durch die Anwendung medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse bestimmt wird und daher in der typischen Tätigkeitsphäre des Arztes liegt (BSG 23, 176, 179). Das gleiche gilt für die Herstellung von Zahnprothesen durch Zahntechniker, sei es als Arbeitnehmer des behandelnden Zahnarztes, sei es als Unternehmer im Rahmen eines Werkvertrages.

Hingegen kann die zahnärztliche Tätigkeit vor und nach dem eigentlichen Fertigungsprozeß - die Verordnung des Zahnersatzes und die Überprüfung des hergestellten Zahnersatzes, ob er funktionsgerecht eingegliedert ist - entgegen der Meinung des Reichsversicherungsamts nicht als ein bloßes Hilfsgeschäft "im Rahmen des Herstellungsvorgangs" angesehen werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine typisch zahnärztliche Tätigkeit, die nur auf der Grundlage medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse möglich ist und sich deutlich von der handwerklich-technischen Fertigung des Zahnersatzstücks abhebt (vgl. für die entsprechende Tätigkeit des Facharztes für Orthopädie BSG aaO S. 178 f.). Diese zahnärztliche Tätigkeit ist "zahnärztliche Behandlung" i. S. des § 368 Abs. 2 Satz 1 RVO und gehört somit zur "kassenzahnärztlichen Versorgung" i. S. der genannten Vorschrift.

Mit Recht haben daher die Vertragsparteien des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte vom 2. Mai 1962 die Verordnung von Zahnersatz zur kassenzahnärztlichen Versorgung gerechnet (§ 2 Abs. 1 Satz 2 des genannten Vertrages).

Allerdings gehört diese kassenzahnärztliche Tätigkeit nicht zu dem Bereich der kassenzahnärztlichen Versorgung, für den die Krankenkasse mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die KZÄV entrichtet (vgl. § 368 f Abs. 1 Satz 1 RVO). In dieser Vorschrift sind nur die kassenzahnärztlichen Behandlungen erfaßt, die von den Krankenkassen als "Sachleistungen" geschuldet werden. Kraft ausdrücklicher Regelung ist die Versorgung mit Zahnersatz aber keine Sachleistung, sondern eine Leistung eigener Art mit teilweiser oder völliger Kostenerstattung an den Versicherten (Erlaß des Reichsarbeitsministers betr. Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 2. November 1943 - AN 1943, 485 - Abschn. I Nr. 4). Deshalb wird die kassenzahnärztliche Versorgung, die die Verordnung von Zahnersatz betrifft, nicht durch die Gesamtvergütung, sondern mit der gesondert zu entrichtenden Gesamtgebühr des Prothetik-Vertrages abgegolten. Wenn § 368 f Abs. 1 Satz 1 RVO noch daran festhält, daß für die "gesamte" kassenzahnärztliche Versorgung die Gesamtvergütung entrichtet wird, so kommt darin noch die überholte Auffassung zum Ausdruck, die die Verordnung von Zahnersatz nicht zur zahnärztlichen Behandlung und damit nicht zur kassenzahnärztlichen Versorgung rechnete. Auf der Grundlage des jetzt gültigen Begriffs der kassenzahnärztlichen Versorgung muß § 368 f Abs. 1 Satz 1 RVO einschränkend dahin verstanden werden, daß nur die kassenzahnärztliche Versorgung mit der Gesamtvergütung abgegolten wird, die als Sachleistung von der Krankenkasse geschuldet wird. An der aus der Natur der Sache, d. h. der richtigen Erfassung des Begriffs der zahnärztlichen Behandlung, zu gewinnenden Abgrenzung des Bereichs der kassenzahnärztlichen Versorgung kann jedenfalls die hierfür sekundäre Regelung über die Entrichtung der Gesamtvergütung nichts ändern. Demnach gehört die Verordnung vom Zahnersatz zur "kassenzahnärztlichen Versorgung" i. S. des § 368 Abs. 2 Satz 1 RVO.

Nun betrifft allerdings der hier zu beurteilende Prothetik-Vertrag nicht nur die Verordnung vom Zahnersatz. Er regelt vielmehr die Versorgung der Versicherten sowie deren anspruchsberechtigten Familienangehörigen mit herausnehmbaren Zahnersatz als einheitliche Leistung des jeweils behandelnden Kassenzahnarztes, die mit einer Gesamtgebühr abgegolten wird. Er ist somit ein gemischter Vertrag. Indessen steht die eigentlich zahnärztliche Leistung dabei so im Vordergrund, daß der Vertrag hiervon sein Gepräge erhält und im Kern als Vertrag über die kassenzahnärztliche Versorgung angesehen werden muß. Als solcher ist er bei Inkrafttreten des GKAR (Art. 4 § 12 Satz 1) gültig geblieben, selbst wenn er mit einzelnen Regelungen in Widerspruch zum neuen Recht stünde (BSG, Urt. vom 21. Januar 1966 - 6 RKa 19/63 -; Sozialrecht, GKAR Art. 4 § 12 Nr. 1).

Zu Unrecht meint die klagende KZÄV, der Prothetik-Vertrag sei jedenfalls im Lande Niedersachsen nicht mehr anwendbar, weil eine Bezirksvereinbarung über den Gebührentarif seit 1961 in Niedersachsen nicht mehr bestehe. In der Tat liegt, was die Prothetik-Gebühren betrifft, nur eine vom 1. Januar 1964 an gültige "Empfehlung" vor, die zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der RVO-Krankenkassen vereinbart ist und jedenfalls in Niedersachsen nicht durch eine entsprechende Bezirksvereinbarung i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 des Prothetik-Vertrages zur vertraglichen Verpflichtung geworden ist. Indessen berührt das Fehlen eines Bezirks-Gebührentarifs nicht die Gültigkeit des Prothetik-Vertrages. § 4 Abs. 1 Satz 2 des Prothetik-Vertrages sieht für diesen Fall nur die Anrufung des "Vertragsausschusses" vor. Daß der Prothetik-Vertrag als Ganzes aber hiervon unberührt bleibt, zeigt insbesondere § 1 Abs. 2 Satz 2 des Vertrages, wonach an der Versorgung der Versicherten mit herausnehmbarem Zahnersatz nur Kassenzahnärzte (und Kassendentisten) beteiligt sind, wenn ein Gebührentarif nach § 4 Abs. 1 besteht. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß die Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten mit herausnehmbaren Zahnersatz keine kasseneigenen Institute neu einrichten oder Vertragszahnärzte bestellen dürfen, wenn ein Bezirks-Gebührentarif vereinbart ist, und daß diese Sperrklausel zugunsten der Kassenzahnärzte bei Fehlen eines solchen Tarifs entfällt. Hieraus folgt aber, daß der Prothetik-Vertrag im übrigen nicht davon berührt wird, daß ein Bezirks-Gebührentarif nicht besteht.

Demnach ist der Prothetik-Vertrag im Lande Niedersachsen in Kraft geblieben. Er bietet eine genügende Grundlage für die von der klagenden KZÄV beanstandete Heranziehung von Beratungs- und Vertrauenszahnärzten durch die beklagten Krankenkassen. Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte offenbleiben, ob die beklagten Krankenkassen nicht sogar nach § 369 b Abs. 1 Satz 1 RVO verpflichtet sind, die Verordnung von Zahnersatz durch Vertrauenszahnärzte nachprüfen zu lassen.

Die Revision der klagenden KZÄV war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 116

NJW 1967, 317

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