Entscheidungsstichwort (Thema)

KVdR. Beitragszuschuß. Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen durch nachentrichtete Beiträge. Gleichbehandlung im Unrecht

 

Orientierungssatz

1. Die nach § 10a WGSVG nachentrichteten Beiträge sind nicht auf die Wartezeit des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG anrechenbar.

2. An diesem Ergebnis vermag nichts zu ändern, daß andere Rentenversicherungsträger in der Auslegung des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG bisher offenbar einen anderen Rechtsstandpunkt vertreten. Das kann auch bei Berücksichtigung des Gleichheitssatzes nicht zur Folge haben, daß hier entgegen dem Gesetz entschieden werden müßte.

 

Normenkette

ArVNG Art 2 § 51a Abs 4 Fassung: 1977-06-27; WGSVG § 10a Fassung: 1975-04-28; RVO § 381 Abs 4 S 2 Fassung: 1970-12-21, § 1304e Fassung: 1977-06-27; ArVNG Art 2 § 51a Fassung: 1972-10-16; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 09.04.1981; Aktenzeichen L 16 Kr 144/80)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.09.1980; Aktenzeichen S 8 (14) J 221/78)

 

Tatbestand

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) lehnte den Antrag der in Israel lebenden Klägerin auf Beitragszuschuß zu ihrer privaten Krankenversicherung in Anwendung des Art 2 § 51a Abs 4 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) ab, da die Rente der Klägerin ausschließlich auf gemäß Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG nachentrichteten und weiteren auf der Grundlage vorgenannter Beiträge gemäß § 10a des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) nachentrichteten Beiträgen beruhe.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte zur Zahlung des Beitragszuschusses für die Zeit ab 20. Dezember 1976 verurteilt. Das LSG meint, entgegen der Ansicht der Beklagten scheitere der Anspruch nicht an Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG. Denn die Klägerin erfülle auch ohne Anrechnung von Beiträgen nach Abs 2 vorgenannter Bestimmung noch die Wartezeit von 60 Monaten mit den dann verbleibenden 120 Monatsbeiträgen nach § 10a WGSVG. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar entschieden, daß beitragslose Zeiten nach § 9a des Art 2 ArVNG, die nur aufgrund von Beitragszeiten nach Abs 2 des Art 2 § 51a ArVNG anrechenbar seien, ebenso wie letztgenannte Beitragszeiten nicht auf die Wartezeit von 60 Monaten angerechnet werden könnten (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 1); die Beiträge nach § 10a WGSVG seien aber unabhängig von den Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG anrechenbar, auch wenn diese Beiträge nur aufgrund der letztgenannten Beiträge hätten entrichtet werden dürfen. Die im gesamten Recht der Wiedergutmachung zutagetretende Begünstigungsabsicht des Gesetzgebers verbiete es, den Anspruchsausschluß des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG auf Verfolgte zu erstrecken, die mehr als 60 Kalendermonate an Beitragszeit durch eine Beitragsnachentrichtung nach § A0a WGSVG vorzuweisen haben.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG.

Sie beantragt,

das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung

der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts

Düsseldorf zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie weist wie in den Vorinstanzen insbesondere darauf hin, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in vergleichbaren Fällen den Zuschuß zahle.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten war das klageabweisende Urteil erster Instanz wiederherzustellen.

Anspruch auf Beitragszuschuß hat für die Zeit bis zum 30. Juni 1977 gemäß § 381 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF nur, wer die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt, und für die anschließende Zeit gemäß § 1304e RVO idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes (20. RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1040), wer eine solche Rente bezieht, sofern auch die übrigen dort genannten Voraussetzungen gegeben sind. Einschränkend bestimmt jedoch Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG (idF des Rentenreformgesetzes -RRG- vom 16. Oktober 1972, für die Zeit ab 1. Juli 1977 idF des 20. RAG; im folgenden: Abs 4, ohne Angabe des Gesetzes), daß Renten nicht als Renten iS der §§ 165, 381 Abs 4 bzw § 1304e RVO gelten, wenn "weder die Wartezeiten nach § 1246 Abs 3, § 1247 Abs 3 und § 1248 Abs 7 Satz 2 der RVO ohne Anrechnung von Beiträgen nach Abs 2 (gemeint des Art 2 § 51a ArVNG, im folgenden ohne Angabe des Gesetzes), noch die Voraussetzungen des § 1259 Abs 3 der RVO erfüllt sind". Eine Rente mit derart nachentrichteten Beiträgen gilt mithin nur dann als Rente iS der Vorschriften über den Beitragszuschuß, wenn - 1. Alternative - die Wartezeit auch ohne die derart nachentrichteten Beiträge erfüllt ist oder, wenn - 2. Alternative - die Halbbelegung gegeben ist (BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 1).

Das LSG hat die 1. Alternative zu Unrecht bejaht. Die nach Abs 4 maßgebende Wartezeit ist auch dann nicht erfüllt, wenn diese mit nur 60 Monaten angesetzt wird. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob bei allen Rentenarten, insbesondere auch beim Altersruhegeld, wie es die Klägerin bezieht, die sogenannte kleine Wartezeit von 60 Monaten maßgebend ist, wie das der 3. Senat des BSG angenommen hat (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 8), obgleich der Gesetzeswortlaut nicht auf eine einheitliche Wartezeit, sondern auf "die Wartezeiten" der dort genannten Rentenarten abhebt.

Der Senat vermochte der Ansicht des LSG nicht zuzustimmen, die nach dem WGSVG nachentrichteten Beiträge seien auf die Wartezeit des Abs 4 anrechenbar, obgleich diese Beiträge nur aufgrund der Nachentrichtung nach Abs 2 hätten entrichtet werden dürfen. Der Gesetzeswortlaut allein könnte allerdings auch in diesem Sinne verstanden werden. Die Formulierung "ohne Anrechnung der Beiträge nach Abs 2" besagt nichts darüber, ob nur diese Beiträge selbst oder auch andere durch diese Beiträge ermöglichte oder anrechenbare Versicherungszeiten unberücksichtigt zu bleiben haben. Nur die letztgenannte Auslegung wird jedoch Sinn und Zweck der Regelung gerecht. Der Regelungszusammenhang zeigt in Verbindung mit den Gesetzesmaterialien, daß die Nachentrichtung von Beiträgen nach Abs 2 eine Sondervergünstigung darstellt; durch solche Beiträge sollen daher keine Ansprüche auf Leistungen der Krankenversicherung der Rentner entstehen (BT-Drucks VI/2916 auf S 48).

Mit dieser Zielsetzung ist eine einschränkende Auslegung, daß nur die unmittelbar durch die Beiträge nach Abs 2 bewirkte Beitragszeit zu kürzen sei, nicht zu vereinbaren. Dementsprechend hat der 4. Senat des BSG entschieden, daß auch solche Ersatzzeiten nicht zu berücksichtigen sind, die nur gemäß Art 2 § 9a Abs 2 ArVNG aufgrund einer Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG anrechenbar geworden sind. Art 2 § 9a Abs 2 ArVNG macht deren Anrechnung schon dem Grunde nach ausdrücklich von einer solchen Nachentrichtung abhängig; darüber hinaus kann ferner der Umfang der Anrechnung (vgl den Wortlaut: höchstens bis zum Umfang der anrechenbaren Beitragszeiten) von dem Umfang der Nachentrichtung abhängen. Die Absicht des Gesetzes, durch Beiträge nach Abs 2 keinen Anspruch auf Beitragszuschuß entstehen zu lassen, ist aber nicht nur dann noch zu beachten, wenn die Anrechnung weiterer Versicherungszeiten im Gesetzeswortlaut ausdrücklich mit der Beitragsnachentrichtung nach Abs 2 verknüpft ist; sie ist vielmehr allgemein immer zu verwirklichen, wenn nur aufgrund einer solchen Beitragsnachentrichtung erst weitere Versicherungszeiten erworben sind und/oder angerechnet werden können. Dies gilt auch, wenn es sich um weitere Beitragszeiten handelt. Es würde dem Ziel des Abs 4 widersprechen, wenn die Beiträge nach Abs 2 insoweit mittelbar doch einen Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung der Rentner auslösen könnten. Darum kann es nicht wesentlich sein, ob es der Beitragsnachentrichtung nach Abs 2 schon zur Entstehung weiterer Versicherungszeiten oder erst zur "Anrechnung" weiterer Versicherungszeiten bedarf.

Demgegenüber erscheint der Einwand des LSG, nach dem Gesetzeswortlaut sei zwischen Entrichtung und Anrechnung der weiteren Beiträge zu unterscheiden, nicht durchgreifend. Der in Abs 4 gebrauchte Begriff "Anrechnung" bezieht sich dort auf die Beiträge nach Abs 2, nicht aber auf hierdurch ermöglichte weitere Beiträge. Da die Anrechnung beitragsloser Zeiten nach Art 2 § 9a Abs 2 ArVNG nur die "Nachentrichtung" (nicht Anrechnung) von Beiträgen nach Abs 2 voraussetzt, und nach Abs 4 nur von der Anrechnung dieser Beiträge abzusehen ist, hätte eine an dem Begriff "anrechnen" haftende Auslegung zur Folge, daß auch diese beitragslosen Zeiten zu berücksichtigen wären, ein Ergebnis, das zu Recht in der bereits angeführten Entscheidung des 4. Senats (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 1), die das LSG zustimmend anführt, abgelehnt wird.

Schließlich vermag der vom LSG herausgestellte Ausnahmecharakter des Abs 4 die einschränkende Auslegung nicht zu rechtfertigen. Auch Ausnahmevorschriften sind in erster Linie nach Sinn und Zweck zu deuten. Nur bei dann noch verbleibenden Zweifeln gilt der Grundsatz einer engen Auslegung. Dementsprechend hat der 3. Senat in der vom LSG in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung (SozR 2200 § 381 Nr 11 auf Bl 29) zunächst auf den Grundgedanken der Vorschrift abgestellt und nur unterstützend darauf hingewiesen, daß es sich bei Abs 4 um eine Sondernorm handele, die einer extensiven Auslegung nicht zugänglich sei.

Von dieser in Abs 4 getroffenen Regelung kann auch nicht für die nach Maßgabe des § 10a WGSVG nachentrichteten Beiträge eine Ausnahme zugelassen werden. Der Gedanke der Entschädigung kann eine Beziehung zur Sozialversicherung als Anknüpfungspunkt nicht ersetzen, wie gerade die in § 10a WGSVG für eine Nachentrichtung nach dieser Vorschrift dort geforderte Versicherungszeit von 60 Monaten zeigt. Wer diese Voraussetzung erst durch eine Nachentrichtung nach Abs 2 herstellt, weist keine engere Beziehung zur Sozialversicherung auf als derjenige, der seine Beiträge insgesamt nach Abs 2 entrichtet hat. Ohne Anrechnung der nach Abs 2 entrichteten Beiträge und der auf der Grundlage dieser Beiträge gemäß § 10a WGSVG entrichteten Beiträge ist die Wartezeit von 60 Kalendermonaten nicht erfüllt.

Da mit den festgestellten Beiträgen gemäß § 10a WGSVG, entrichtet für die Zeit vom 1. Januar 1933 bis zum 31. Dezember 1942 und gemäß Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG, entrichtet für die Zeit vom 1. Januar 1969 bis zum 31. Dezember 1973, auch die Halbbelegung des § 1259 Abs 3 RVO nicht erfüllt ist, wie schon das SG ausgeführt hat, entfällt auch die 2. Alternative, so daß die Rente der Klägerin nicht als Rente im Sinne der Vorschrift über den Beitragszuschuß gilt.

An diesem Ergebnis vermag nichts zu ändern, daß andere Rentenversicherungsträger in der Auslegung des Abs 4 bisher offenbar einen anderen Rechtsstandpunkt vertreten. Das kann auch bei Berücksichtigung des Gleichheitssatzes nicht zur Folge haben, daß hier entgegen dem Gesetz entschieden werden müßte.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz abzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656566

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