Leitsatz (amtlich)

ZPO § 89 Abs 1 ist im Verfahren nach der OVAO entsprechend anzuwenden.

 

Normenkette

OVAV § 14 Fassung: 1911-12-24; ZPO § 89 Abs. 1 Fassung: 1950-09-12

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Juni 1957 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die KB-Abteilung der Landesversicherungsanstalt C… und M… in N... bewilligte dem Kläger durch vorläufigen Bescheid vom 6. November 1948 Rentenvorschüsse von monatlich 30,-- DM ab 1. Dezember 1948. Durch Bescheid vom 3. April 1952 erkannte das Versorgungsamt N... reizlose Narben am linken Oberschenkel als Leistungsgrund bzw. Schädigungsfolgen nach dem Bayerischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) an. Die Zahlung einer Rente lehnte es ab, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) den rentenberechtigenden Grad nicht erreiche, die gezahlten Rentenvorschüsse von 690,-- DM forderte es zurück. Gegen diesen Bescheid legte der Kreisgeschäftsführer K... des Kreisverbandes R... des Verbandes der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e.V. (VdK) am 29. April 1952 Berufung ein. Eine Vollmacht lag der Berufungsschrift nicht bei. In einem weiteren Schriftsatz wurde die Berufung begründet und die Anerkennung eines Magenleidens sowie die Gewährung einer Rente begehrt; die diesem Schriftsatz beigegebene Vollmacht lautete auf P... K... Bezirkssekretär des VdK M... In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberversicherungsamt (OVA) war der Kläger mit dem Bevollmächtigten P... "vom VdK" erschienen. Mit Urteil vom 9. September 1953 hob das OVA den Bescheid des Versorgungsamts N... vom 3. April 1952 insoweit auf, als damit ein Überempfang an Rentenvorschüssen im Betrage von insgesamt 690,-- DM verlangt wurde; im übrigen wies das OVA die Berufung zurück.

Gegen dieses Urteil legten beide Beteiligte Rekurs beim Bayerischen Landesversicherungsamt ein, die Rekurse gingen am 1. Januar 1954 als Berufungen auf das Bayerische Landessozialgericht (LSG) über. Durch Urteil vom 4. Juni 1957 hob das LSG auf die Berufung des Beklagten das Urteil des OVA N... vom 9. September 1953 auf und wies die Klage - Berufung an das OVA - gegen den Bescheid des Versorgungsamts N... als unzulässig ab, die Berufung des Klägers wies es zurück: Die Berufung sei unzulässig gewesen, denn sie sei nicht ordnungsgemäß erhoben; sie müsse entweder von dem Kläger oder von dessen Bevollmächtigten unterzeichnet sein; dies sei nicht geschehen, eine schriftliche Vollmacht für den Kreisgeschäftsführer K... liege nicht vor; eine schriftliche Vollmacht sei aber sowohl nach § 14 der Verordnung über den Geschäftsgang und das Verfahren vor den Oberversicherungsämtern (OVAO) als auch nach § 73 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlich; dieser Mangel sei vom OVA übersehen worden, er müsse im Verfahren vor dem LSG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung des Rechtsbehelfs als unzulässig führen; der Bescheid vom 3. April 1952 sei, da er nicht wirksam angefochten sei, bindend geworden. Die Revision ließ das LSG zu.

Das Urteil wurde dem Kläger am 20. Mai 1958 zugestellt. Am 28. Mai 1958 legte er Revision ein und beantragte,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 4. Juni 1957 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Am 20. August 1958 - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zu diesem Tage - begründete er die Revision: Das LSG habe § 14 OVAO und die §§ 77, 106 Abs. 1, 159 Abs. 1 SGG sowie allgemeine prozeßrechtliche Grundsätze verletzt; die Frage der wirksamen Bevollmächtigung des Kreisgeschäftsführers K... sei nach dem Recht der Zeit vor dem Inkrafttreten des SGG zu beurteilen; nach altem Recht habe die schriftliche Erteilung einer Vollmacht nur beweisende, nicht konstitutive Bedeutung gehabt; die mündliche Vollmacht genüge daher, wenn der Beteiligte mit der Vertretung im Verfahren erkennbar einverstanden sei; dies sei hier der Fall gewesen; das Verfahren des OVA sei allerdings insofern fehlerhaft, als die Prüfung der Vollmacht unterlassen und nicht auf die mögliche Behebung des Mangels hingewirkt worden sei; dies dürfe dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen; das LSG habe daher die Sache nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das Sozialgericht zurückverweisen müssen; schließlich treffe es auch nicht zu, daß der angefochtene Bescheid bindend geworden sei.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft; der Kläger hat sie frist- und formgerecht eingelegt und begründet, sie ist daher zulässig. Sie ist auch begründet.

Die Berufung des Klägers an das OVA N... hat der Kreisgeschäftsführer K... des Kreisverbandes R... des VdK unterzeichnet. Für K... ist keine schriftliche Vollmacht bei den Akten. Entgegen der Ansicht des LSG hat die Klage (Berufung alten Rechts) jedoch deshalb nicht als unzulässig abgewiesen werden dürfen; die Berufung des Klägers (Rekurs alten Rechts) ist nicht deshalb unbegründet gewesen, weil der Bescheid vom 3. April 1952 rechtsverbindlich geworden sei.

Die Frage, wie das Fehlen einer schriftlichen Vollmacht im Verfahren vor dem OVA prozeßrechtlich beurteilt werden muß, beantwortet sich nach dem Recht der Zeit vor dem Inkrafttreten des SGG. Zwar ist neues Prozeßrecht in der Regel auch auf anhängige Rechtsstreitigkeiten anzuwenden. Dies gilt aber grundsätzlich nur in bezug auf zukünftige Handlungen und Vorgänge, dagegen nicht, soweit Handlungen oder Unterlassungen zu beurteilen sind, die beim Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossen vorliegen. Ihre Wirkungen beurteilen sich in Ermangelung einer besonderen Übergangsvorschrift nach dem alten Recht (BSG 1, 46; 8, 135, 136). Maßgebend ist sonach die OVAO vom 24. November 1911 (RGBl I 1095 in der Fassung vom 14. Dezember 1923 (RGBl I 1199). § 14 Abs. 2 Satz 1 OVAO besagt, daß die Vollmacht schriftlich zu erteilen ist. Daraus ergibt sich jedoch zunächst nichts über den Zeitpunkt, bis zu welchem spätestens die schriftliche Vollmacht vorgelegt sein muß. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, daß die Klage (Berufung alten Rechts) unzulässig ist, wenn die Vollmacht nicht schon bei Einreichung der Klageschrift (Berufungsschrift) vorgelegt wird. Die schriftliche Vollmacht hat vielmehr, wie bereits das Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, bis zur Verkündung der Entscheidung nachgereicht werden können (Rekurs-Entscheidungen Nr. 981, AN 91, 217; Nr. 1362, AN 94, 330; Revisionsentscheidung Nr. 570, AN 97, 317). Im vorliegenden Fall hat der Kläger zwar bis zur Verkündung des Urteils des OVA eine schriftliche Vollmacht für den Kreisgeschäftsführer K... nicht vorgelegt, er hat aber vor Verkündung des Urteils dem OVA die schriftliche Vollmacht für den Bezirkssekretär des VdK, K... übergeben, dieser hat die von K... eingelegte Berufung begründet. Wenn das LSG ausgeführt hat, die Berufungsbegründungsschrift dürfe nicht in eine rechtswirksame Berufung umgedeutet werden, weil sie nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangen sei, so ist dies wohl richtig, aber nicht erheblich, weil es einer solchen Umdeutung nicht bedarf; aus der Berufungsbegründungsschrift ergibt sich nämlich, daß der Bevollmächtigte K..., für den der Kläger eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat, die Prozeßführung des Kreisgeschäftsführers K..., für den eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt wurde, stillschweigend genehmigt hat. Eine solche Genehmigung ist, wie sich aus der entsprechenden Anwendung des § 89 Abs. 1 ZPO ergibt, auch im Verfahren nach der OVAO zulässig und wirksam gewesen. Daß die OVAO einen Hinweis auf die entsprechende Anwendung von Vorschriften des Zivilprozeßrechts nicht enthält, rechtfertigt noch nicht den Schluß, es sei nicht zulässig, solche Vorschriften entsprechend anzuwenden. Die Vorschrift des § 89 Abs. 1 ZPO über die Vertretung im gerichtlichen Verfahren durch einen "Geschäftsführer ohne Auftrag" oder durch einen Bevollmächtigten, von dem die - schriftliche - Vollmacht im Verfahren nicht rechtzeitig beigebracht worden ist, geht auf den allgemeinen Rechtsgedanken zurück, den auch das Privatrecht in den §§ 177, 180 des Bürgerlichen Gesetzbuches für die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften des Vertreters ohne Vertretungsmacht normiert. Da der Beklagte im Verfahren vor dem OVA der Prozeßführung durch K... nicht widersprochen hat, hat das OVA K... auch stillschweigend zur Prozeßführung einstweilen zulassen dürfen (vgl. Baumbach, ZPO, Anm. 1 A zu § 89). Der Bevollmächtigte K... hat die Einlegung der Berufung durch K... - mag dieser vom Kläger nicht bevollmächtigt gewesen sein oder mag nur eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegen haben - dadurch genehmigt, daß er auf die von K... eingelegte Berufung Bezug genommen und sie begründet hat. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 14 Abs. 2 OVAO, die - ebenso wie § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG - vorschreibt, daß die Vollmacht schriftlich "erteilt" werden muß, denselben Inhalt hat wie § 80 ZPO, wonach der Bevollmächtigte die prozeßrechtliche Vollmacht - soweit eine Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist - durch eine schriftliche Vollmacht "nachzuweisen" hat. Für die entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens des § 89 Abs. 1 ZPO auf das Verfahren nach der OVAO spricht im übrigen auch die Erwägung, daß keine Gründe ersichtlich sind, die für die Wirksamkeit prozeßerheblicher Erklärungen im Verfahren vor dem OVA durch Geschäftsführer ohne Auftrag oder Bevollmächtigte ohne schriftliche Vollmacht strengere Anforderungen geboten erscheinen lassen als für die Wirksamkeit prozeßerheblicher Erklärungen im Verfahren vor Zivilgerichten. Aber selbst wenn man annimmt, daß § 14 Abs. 1 OVAO sich - anders als § 80 ZPO, vgl. hierzu Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., 224, 230 - nicht nur auf den Nachweis der Vollmacht, sondern auf die Form der Vollmacht bezieht, so ist diesem Formerfordernis durch die schriftliche Vollmacht für K... genügt, es ist auch dann ohne Bedeutung, daß für K... eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegen hat.

Das Urteil des LSG beruht sonach auf einer unrichtigen Anwendung des § 14 Abs. 2 OVAO, es ist deshalb aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da das LSG sachlich nicht geprüft hat, ob die Berufung des Klägers begründet ist. Die Sache ist deshalb zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2308660

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