Entscheidungsstichwort (Thema)

MdE-Rücknahmebescheid

 

Orientierungssatz

1. Die Versorgungsbehörde darf Anerkennungsbescheide nur dann nach § 41 KOVVfG zurücknehmen, wenn die MdE "außer Zweifel" unrichtig bewertet worden ist, dh wenn jede Möglichkeit ausscheidet, daß die Bewertung der MdE noch als vertretbar angesehen werden kann (vgl BSG 1957-11-15 9 RV 212/57 = BSGE 6, 106).

2. Eine MdE ist in Höhe von 60 vH dann nicht "ohne Zweifel" unrichtig bewertet worden, wenn mehrere medizinische Sachverständige in Kenntnis der konstitutionellen Ursachen eines Leidens den durch den Wehrdienst bedingten Verschlimmerungsanteil auf 60 vH geschätzt haben und ein anderer Gutachter angenommen hat, daß er wohl mit 40 % angesetzt werden müsse.

 

Normenkette

KOVVfG § 41

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 06.09.1961)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 14.05.1959)

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. September 1961 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Das Versorgungsamt (VersorgA) Nürnberg bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 7. Juli 1950 wegen "chronischer Bronchitis, Asthma bronchiale und Lungenerweiterung" als Leistungsgrund im Sinne der Verschlimmerung sowie "ausgeheilter Dystrophie" als Leistungsgrund im Sinne der Entstehung Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte vom 26. März 1947 (Bayer. KBLG). Diesem Bescheid lag das Gutachten des Facharztes für innere Medizin Dr. J... vom 8. Februar 1950 zugrunde; in dem Gutachten ist unter "Eigene Angaben" vermerkt, "als Kind Lungenentzündung, Diphterie und Keuchhusten, später keine Bronchitisneigung".

Mit Bescheid vom 29. September 1951 stellte das VersorgA die Versorgungsbezüge des Klägers nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) fest; es blieb bei den bisherigen Schädigungsfolgen und dem bisherigen Grad der MdE.

Im Juni 1954 veranlaßte das VersorgA eine Nachuntersuchung des Klägers durch den Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. H..., in dem Gutachten des Dr. H... vom 29. September 1954 heißt es, "K. steht seit 1928 in Überwachung bei der Tbc-Fürsorgestelle Nürnberg, damals erste Diagnose: Bronchitis, Bronchiektasen?; in den folgenden Jahren laufend Überwachung, 1933 in der Kinderheilstätte Bad G.. Es handelt sich demnach um ein anlagemäßig bedingtes Leiden, das durch die besonderen Verhältnisse des Kriegsdienstes und der Gefangenschaft verschlimmert wurde, der weitere Verlauf dieser Krankheit (Asthma bronchiale) kann deshalb bei einer zuerkannten MdE von 60 v.H. i.S. der Verschlimmerung nicht mehr zu Lasten der Schädigung gehen".

Im Jahre 1955 lag dem VersorgA das Gesundheitsbuch des Klägers vor. Hierin ist vermerkt, daß der Kläger bereits 12 Jahre vor seiner Musterung an Asthma erkrankt gewesen ist und mehrere wehrmachtsärztliche Untersuchungen in der Zeit von Juni 1941 bis Juli 1942 nur den Tauglichkeitsgrad "GvH" mit den Gesundheitsziffern L 48 (gehäufte Anfälle von Bronchialasthma) ergeben haben.

Am 7. November 1956 erließ das VersorgA mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) einen "Berichtigungsbescheid nach § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz"; es hob die Bescheide vom 7. Juli 1950 und vom 29. September 1951 auf, soweit es dem Kläger darin eine Rente nach einer MdE von 60 v.H. bewilligt hat; es bewilligte dem Kläger nunmehr für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1948 eine Rente nach einer MdE von 50 v.H., vom 1. Januar 1949 bis 29. Februar 1950 eine Rente nach einer MdE von 40 v.H. und ab 1. März 1950 eine Rente nach einer MdE von 30 v.H.; "die über diese Anerkennung hinausgezahlten Versorgungsbezüge (1966, 70 DM)" forderte das VersorgA als zu Unrecht bezogene Leistungen zurück; es bezeichnete jetzt die Schädigungsfolgen als "chronische Bronchitis, Asthma bronchiale und Lungenerweiterung i.S. einfacher Verschlimmerung". In dem "Berichtigungsbescheid" heißt es weiter, durch die Eintragungen in dem nunmehr vorliegenden Gesundheitsbuch sei nachgewiesen, daß der Kläger bereits als Kind an Asthma gelitten habe und dieses Leiden auch bei seiner Einberufung in den Wehrdienst bestanden habe; der Kläger habe diese Tatsachen verschwiegen; der ärztliche Sachverständige Dr. J... hätte, wenn ihm die Vorerkrankungen des Klägers bekannt gewesen wären, mit Sicherheit keine "richtunggebende Verschlimmerung" angenommen und den Verschlimmerungsanteil nicht mit 60 v.H. bewertet; die Bescheide vom 7. Juli 1950 und vom 29. September 1951 seien daher unrichtig.

Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen den Berichtigungsbescheid. Er machte geltend, die Bewertung seiner MdE wegen der kriegsbedingten Verschlimmerung seines Asthmaleidens mit 60 v.H. sei zutreffend, die MdE wegen dieses Leidens sei höher zu bewerten; er, der Kläger, habe die untersuchenden Ärzte nach bestem Wissen und Gewissen über seinen früheren Gesundheitszustand unterrichtet.

Das Sozialgericht (SG) hörte den Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. W... als Sachverständigen. Dr. W... führte nach Erläuterung der Krankheitsgeschichte aus, man könne mit ausreichender Wahrscheinlichkeit annehmen, daß durch den Wehrdienst und die Kriegsgefangenschaft eine deutliche Verschlimmerung des Leidens des Klägers eingetreten sei, wenn diese auch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als richtunggebende Verschlimmerung imponiere; für diese Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung sei eine anteilige MdE von 30 v.H. bei einer Gesamt-MdE von mindestens 60 v.H. unterbewertet, der Verschlimmerungsanteil könne mit etwa 40 v.H. eingeschätzt werden.

Das SG Nürnberg hob mit Urteil vom 14. Mai 1959 den Berichtigungsbescheid des Beklagten vom 7. November 1956 auf. Es führte aus, es stehe nicht außer Zweifel im Sinne des § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG), daß die Bescheide vom 7. Juli 1950 und vom 29. September 1951 unrichtig seien.

Der Beklagte legte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ein; er verpflichtete sich am 14. Dezember 1960, dem Kläger ab 1. Januar 1948 eine Rente nach einer MdE von 60 v.H. und ab 1. März 1950 eine Rente von 40 v.H. zu gewähren; im übrigen beantragte er, den Kläger mit seinen weiteren Ansprüchen abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 5. Juli 1961 schlossen die Beteiligten einen "Vergleich auf Widerruf". Sie erklärten ferner im Falle des Widerrufs des Vergleichs ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Der Kläger widerrief den Vergleich rechtzeitig mit Schreiben vom 31. Juli 1961; er widerrief mit einem weiteren Schreiben vom 9. August 1961 auch sein Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, gleichzeitig beantragte er, ein Gutachten bestimmter Ärzte über die Höhe des wehrdienstbedingten Anteils der Verschlimmerung seines Bronchialasthmas nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einzuholen.

Das LSG erließ am 6. September 1961 ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) folgendes Urteil:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. Mai 1959 insoweit aufgehoben, als dem Kläger Leistungen zugesprochen worden sind, die über das Anerkenntnis des Beklagten vom 14. Dezember 1960 hinausgehen; in gleichem Umfange wird die Klage abgewiesen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Das LSG führte aus, die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hätten vorgelegen, es sei unbeachtlich, daß der Kläger sein Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung widerrufen habe. Der Antrag des Klägers nach § 109 SGG sei nicht mehr zulässig gewesen, er sei auch verspätet vorgebracht; der angefochtene Berichtigungsbescheid sei nach § 41 VerwVG nicht zu beanstanden; es lasse sich nicht rechtfertigen, "den Gesamtwert des Leidens dem Wehrdienst anzulasten". Die Bewertung des Verschlimmerungsanteils mit 60 v.H. sei unter falschen Voraussetzungen erfolgt; bei der von dem Beklagten anerkannten Rente nach einer MdE von 40 v.H. müsse es sein Bewenden haben; der Beklagte sei auch berechtigt, die durch die "nachträgliche Rentenminderung entstandene Überzahlung" nach § 47 Abs. 3 Satz 1 VerwVG zurückzufordern, weil die Unrichtigkeit der Erstbescheide darauf beruhe, daß der Kläger Tatsachen wissentlich verschwiegen habe.

Das Urteil wurde dem Kläger am 7. Oktober 1961 zugestellt.

Der Kläger legte am 3. November 1961 Revision ein. Er beantragte,

das Urteil des LSG vom 6. September 1961 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 14. Mai 1959 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 6. Januar 1962. Das LSG habe zu Unrecht festgestellt, daß die kriegsbedingten Schädigungsfolgen des Klägers unrichtig bewertet worden seien; es habe insoweit seine Schlußfolgerungen nicht auf Tatsachen gestützt, sondern sich nur auf unzutreffende allgemeine Erwägungen berufen. Das LSG habe auch zu Unrecht angenommen, daß der Kläger maßgebende Tatsachen unrichtig angegeben oder verschwiegen habe. Das LSG habe, nachdem der Kläger den Vergleich und sein Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widerrufen habe, auch nicht mehr ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen; es habe jedenfalls noch dem Antrag des Klägers nach § 109 SGG stattgeben müssen.

Der Beklagte beantragte,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Der Kläger rügt zu Recht, das Verfahren des LSG leide an wesentlichen Mängeln.

Streitig ist, ob der Bescheid vom 7. November 1956 ("Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG") rechtmäßig ist; der Beklagte ist dem Begehren des Klägers auf Aufhebung dieses Bescheides im Berufungsverfahren nicht im vollen Umfange entgegengetreten; er hat Abweisung der Klage nur insoweit beantragt, als der Kläger für die Zeit vom 1. März 1956 an eine höhere Rente als die Rente nach einer MdE von 40 v.H. begehrt hat; die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ist daher nur noch in diesem Umfang zu prüfen gewesen. Streitig ist ferner, ob der Beklagte den "Überempfang", der durch die nachträgliche Rentenminderung entstanden ist, zu Recht als "zu Unrecht bezogene Versorgungsleistungen" zurückgefordert hat.

Das LSG hat den angefochtenen Berichtigungsbescheid, soweit er noch im Streit ist, nach § 41 VerwVG für rechtmäßig gehalten; es hat jedoch die tatsächlichen Voraussetzungen, von denen die Rechtmäßigkeit des Bescheids nach dieser Vorschrift abhängig gewesen ist, nicht verfahrensrechtlich einwandfrei festgestellt.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagte, wenn er in den "Erstbescheiden" den Grad der MdE des Klägers wegen des als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung festgestellten Bronchialasthma unrichtig beurteilt hat, diese Bescheide insoweit nur dann nach § 41 VerwVG hat zurücknehmen dürfen, wenn die MdE "außer Zweifel" unrichtig bewertet worden ist, d.h. wenn jede Möglichkeit ausscheidet, daß die Bewertung der MdE noch als vertretbar angesehen werden kann (vgl. BSG 6, 106 mit weiteren Hinweisen, Urteil des BSG vom 15. Dezember 1960, SozR Nr. 10 zu § 41 VerwVG). Das LSG hat zwar ausgeführt, es sei nach Würdigung aller Beweismittel überzeugt, daß jede Möglichkeit, den wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil der Lungenbeschwerden des Klägers mit 60 v.H. zu bewerten, ausscheiden müsse und nicht als vertretbar angesehen werden könne; es hat aber diese Überzeugung auf Grund der Tatsachen, die es bisher ermittelt und festgestellt hat, noch nicht gewinnen dürfen. Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß der "vordienstliche (Leidens-) Zustand" des Klägers sehr erheblich gewesen sei und daß es deshalb nicht zu rechtfertigen sei, den "Gesamtwert des Asthmaleidens dem Wehrdienst anzulasten".

Das LSG hat u.a. festgestellt, der Kläger habe bereits als Kind Asthmaanfälle gehabt, er habe längere Zeit unter Bewachung der Tbc-Fürsorgestelle gestanden, er habe sich als Kind in einer Heilstätte befunden, er sei (wegen früherer Asthmaanfälle) GvH-gemustert worden; diese Feststellungen haben zwar - wie auch der Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. W... nach Auswertung der Vorgeschichte dargelegt hat - ergeben, daß der Kläger bereits vor seiner Einberufung zum Wehrdienst an asthmatischen Beschwerden gelitten hat; sie haben aber noch nicht ohne weiteres die Schlußfolgerung des LSG zugelassen, die Bewertung des wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteils mit 60 v.H. sei "zweifelsfrei" unrichtig gewesen. Auch die sonstigen tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um diese Schlußfolgerung zu rechtfertigen.

Die Bewertung des wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteils an dem Asthmaleiden des Klägers mit 60 v.H. in den "Erstbescheiden" beruht auf dem Gutachten des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. J... aus dem Jahre 1950. Dr. J... hat in seinem Gutachten zum Ausdruck gebracht, daß als Schädigungsfolge nur die wehrdienstbedingte Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens zu bewerten sei; er ist bereits, wie sich aus seinen Erhebungen zur Krankheitsvorgeschichte ergibt, davon ausgegangen, daß "vordienstlich" jedenfalls Anfälligkeiten der Atmungsorgane des Klägers vorgelegen haben; dem Gutachten des Dr. ... ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, daß er mit der Bewertung des Verschlimmerungsanteils von 60 v.H. "den Gesamtwert des Leidens dem Wehrdienst angelastet" hat. Der Facharzt für innere Medizin Dr. ... der den Kläger im Jahre 1954 nachuntersucht hat, hat die MdE von 60 v.H. für den Verschlimmerungsanteil nicht beanstandet, obgleich ihm die Krankheitsvorgeschichte schon weitgehend bekannt gewesen ist; er ist offenbar davon ausgegangen, daß die Gesamt-MdE wegen des Asthmaleidens höher zu bewerten sei als mit 60 v.H.; er hat ausgeführt, bei einem anerkannten Schädigungsanteil von 60 v.H. sei die weitere Verschlimmerung nicht mehr dem Wehrdienst zur Last zu legen. Der Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. W...- der einzige in beiden Tatsacheninstanzen gehörte Sachverständige - hat ausgeführt, die wehrdienstliche Verschlimmerung sei wahrscheinlich "deutlich" gewesen, sie habe den Erstgutachter (Dr. J...) berechtigt, trotz des sicheren konstitutionellen Anteils die MdE mit 60 v.H. einzuschätzen, bei Kenntnis der Vorgeschichte (Eintragung in das G-Buch) hätte aber Dr. J... den Verschlimmerungsanteil wahrscheinlich geringer bewertet; seiner Meinung (der Meinung Dr. W...) nach, sei bei einer Gesamt- MdE wegen des Asthmaleidens von mindestens 60 v.H. für den wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil wahrscheinlich eine MdE von 40 v.H. angemessen. Nach dem Gutachten des Dr. W... hat das LSG allenfalls als wahrscheinlich ansehen dürfen, daß die MdE für den wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil (um 20 v.H.) zu hoch bemessen worden ist; es hat aber nicht feststellen dürfen, die MdE sei "außer Zweifel" unrichtig bewertet worden. Das Gutachten des Dr. W... sowie die sonstigen medizinischen Unterlagen, die das LSG bisher herangezogen hat, schließen jedenfalls nicht die Möglichkeit aus, daß die Einwirkungen des Wehrdienstes das konstitutionell bedingte Leiden so erheblich beeinflußt und seinen weiteren Verlauf so wesentlich bestimmt haben, daß trotz der "vordienstlichen Beschwerden" die Bewertung des Verschlimmerungsanteils mit 60 v.H. richtig gewesen ist. Auch wenn der Beklagte - wären ihm die später ermittelten Einzelheiten aus der Krankheitsvorgeschichte schon bei den "Erstbescheiden" bekannt gewesen - die MdE für den wehrdienstlichen Verschlimmerungsanteil damals wahrscheinlich geringer bewertet hätte als mit 60 v.H., so ergibt sich daraus noch nicht, daß die Bewertung der MdE mit 60 v.H. offensichtlich unvertretbar gewesen ist; diese Schlußfolgerung ist auch dann noch nicht gerechtfertigt, wenn der Beklagte - was das LSG im übrigen ohne ausreichende tatsächliche Feststellungen angenommen hat - auf Grund des Gutachtens des Dr. J... den Verschlimmerungsanteil dem damaligen Gesamtleidenszustand gleichgesetzt hat.

Das Ergebnis der Ermittlungen, die das LSG bisher angestellt hat, vermag seine Feststellung, die MdE des Klägers wegen der wehrdienstbedingten Verschlimmerung sei von Anfang an "zweifelsfrei zu hoch" bemessen worden, und die hierauf gestützte Entscheidung nicht zu tragen; die vom LSG ermittelten Tatsachen haben nicht ausgereicht für die Feststellung, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der "Erstbescheide" nach § 41 VerwVG vorliegen, es hat sich keine ausreichenden Beweisunterlagen verschafft, um beurteilen zu können, ob die MdE des Klägers "außer Zweifel zu hoch" bewertet gewesen ist; es hat auch die medizinischen Unterlagen, die ihm zur Verfügung gestanden haben, nicht vollständig ausgewertet; es hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die eine eindeutige Kennzeichnung des "vordienstlichen Zustandes" und seine Abgrenzung von den wehrdienstlichen Einwirkungen ermöglicht haben. Das LSG hat nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens gewürdigt, es hat die Beweise, aus denen sich möglicherweise andere Schlußfolgerungen herleiten lassen, nicht erhoben, es hat damit auch die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG; vgl. auch BSG 2, 236 f), überschritten und zugleich gegen § 103 SGG verstoßen.

Es ist für die Frage, ob der Rücknahmebescheid nach § 41 VerwVG rechtmäßig ist oder nicht, nicht darauf angekommen, ob der Beklagte bei den "Erstbescheiden", soweit er darin den Grad der MdE für den Verschlimmerungsanteil bewertet hat, von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist, weil der Kläger Tatsachen aus der Krankheitsvorgeschichte verschwiegen hat; entscheidend ist vielmehr insoweit nur, ob die Erstbescheide von Anfang an "außer Zweifel" unrichtig gewesen sind, d.h. ob die MdE "zweifelsfrei zu hoch" bemessen worden ist; dies hat das LSG auf Grund des bisherigen Ermittlungsergebnisses zu Unrecht bejaht. Das LSG hat aber nicht geprüft, ob der Rücknahmebescheid nicht nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG rechtmäßig ist; es hat auch nicht erörtert, ob die Voraussetzungen für diese Vorschrift vorliegen, ob insbesondere auch die Fristen des § 43 Abs. 1 und 2 VerwVG gewahrt sind; es hat auch insoweit keine rechtserheblichen Feststellungen getroffen (vgl. hierzu im übrigen Urteil des BSG vom 15. Dezember 1960, SozR Nr. 11 zu § 41 VerwVG und Urteil vom 24. Februar 1961 - 11 RV 332/60-). Der Senat hat daher nicht entscheiden können, ob die Revision zurückzuweisen ist, weil sich das Urteil des LSG aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Da das angefochtene Urteil wegen der Verstöße gegen §§ 103 und 128 SGG an wesentlichen Mängeln leidet und der Kläger dies in der nach § 164 Abs. 2 SGG gebotenen Form gerügt hat, ist die Revision statthaft. Sie ist auch begründet; es ist möglich, daß das LSG bei richtiger Anwendung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis kommt. Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da hierzu noch tatsächliche Feststellungen notwendig sind. Die Sache ist daher an das LSG zurückzuverweisen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die weiteren Mängel in dem Verfahren des LSG, die der Kläger auch gerügt hat, vorliegen.

Es bedarf auch keiner Erörterung, ob der Anspruch des Beklagten auf Rückerstattung "zu Unrecht empfangener Leistungen" begründet ist, da noch nicht feststeht, ob der Kläger Leistungen "zu Unrecht" empfangen hat; diese Frage hängt von der Rechtmäßigkeit der Rücknahme der "Erstbescheide" ab.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2291030

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