Leitsatz (amtlich)

In den Kammern und Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrecht wirken als Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) in Streitigkeiten, an denen Kassenärzte beteiligt sind, nur Arzte, in Streitigkeiten, an denen Kassenzahnärzte beteiligt sind, nur Zahnärzte mit.

 

Normenkette

SGG § 12 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. September 1959 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Besetzung eines im Jahre 1957 neu ausgeschriebenen Kassenarztsitzes für das Fachgebiet Orthopädie in K. Der Zulassungsausschuß hatte durch Beschluß vom 15. Juni 1957 den Kläger zugelassen und zu seinen Gunsten berücksichtigt, daß er schon länger als zwei Jahre in K in freier Praxis zugelassen war und dafür erhebliche Geldmittel aufgewendet hatte; im übrigen sei der Beigeladene als Inhaber einer vollbezahlten Oberarztstelle wirtschaftlich ungleich besser gestellt als der Kläger. Auf den Widerspruch des beigeladenen Arztes hob der beklagte Berufungsausschuß durch Beschluß vom 28. September 1957 den Beschluß des Zulassungsausschusses auf und ließ den Beigeladenen zur Kassenpraxis zu: Die fachlichen Voraussetzungen beider Bewerber seien gleichwertig; der früheren Hinwendung des Klägers zum Fachgebiet der Orthopädie stehe die längere Dauer der ärztlichen Tätigkeit des Beigeladenen gegenüber; dieser habe dadurch, daß er eine Stelle als Oberarzt erlangt habe, sein Vorrecht als Spätheimkehrer (§ 7 b Abs. 3 des Heimkehrergesetzes - HKG -) nicht verwirkt. Das Sozialgericht hat die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage abgewiesen: Die nur wenige Monate früher ausgesprochene Anerkennung des Klägers als Facharzt begründe nicht seine Überlegenheit in fachlicher Hinsicht. Da beide Ärzte fachlich gleichwertig seien, habe der Beigeladene auf Grund seines Vorrechts als Spätheimkehrer den Vorzug. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers im wesentlichen aus denselben Gründen zurückgewiesen. Es hat ferner ausgeführt, die Auffassung des Klägers, die Bewerbung um einen Kassenarztsitz setze eine Tätigkeit in freier Praxis voraus, finde im Gesetz keine Stütze. Der Beigeladene sei auch als Inhaber einer Oberarztstelle nicht gehindert gewesen, sich um den Kassenarztsitz zu bewerben, weil das HkG die Eingliederung eines Spätheimkehrers erst mit der Zulassung zu einer selbständigen Arztpraxis als gegeben ansehe.

Mit der vom Landessozialgericht nicht zugelassenen Revision macht der Kläger in erster Linie geltend, das Landessozialgericht sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, weil bei der angefochtenen Entscheidung nicht ein Landessozialrichter aus dem Kreise der Kassenärzte, sondern Dr. Sch ein Kassenzahnarzt, mitgewirkt habe. Die Revision rügt ferner, das Landessozialgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend geklärt und das materielle Zulassungsrecht unrichtig angewandt.

Auf Anfrage des erkennenden Senats hat der Präsident des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz erklärt, der Landessozialrichter Dr. Sch der bei der angefochtenen Entscheidung neben einem Landessozialrichter aus dem Kreise der Krankenkassen mitgewirkt habe, sei Kassenzahnarzt; beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz sei bisher im Hinblick auf die Ausführungen im Kommentar von Peters-Sautter-Wolff zu § 12 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zwischen Kassenärzten und Kassenzahnärzten nicht unterschieden worden.

Die Rüge, das Landessozialgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, greift durch. Nach §§ 12 Abs. 3, 22, 40 SGG gehören den Kammern (Senaten) für Angelegenheiten des Kassenarztrechts je ein Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) an, während in Angelegenheiten der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) als Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) nur Kassenärzte (Kassenzahnärzte) mitwirken. Das Gesetz bestimmt hiernach nicht ausdrücklich, ob in Angelegenheiten des Kassenarztrechts ohne Rücksicht darauf, ob an dem Rechtsstreit ein Arzt oder Zahnarzt beteiligt ist, ein Kassenarzt oder ein Kassenzahnarzt als Beisitzer mitwirken kann oder ob der Beisitzer jeweils nur der Gruppe der Ärzte oder Zahnärzte angehören darf, der der Streitfall zuzurechnen ist. Während im ersten Satz des § 12 Abs. 3 SGG nur von Kammern für "Angelegenheiten des Kassenarztrechts" die Rede ist, das Kassenzahnarztrecht also nicht besonders erwähnt und der Klammerzusatz "Kassenzahnärzte" erst am Schluß des Satzes gebraucht ist, enthält der zweite Satz des § 12 Abs. 3 SGG den Klammerzusatz zweimal. Aus diesem Unterschied im Wortlaut können aber für die Entscheidung der hier streitigen Frage keine Schlüsse gezogen werden; denn der Gesetzgeber hat mit dem Begriff "Angelegenheiten des Kassenarztrechts" - ebenso wie in § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG - offenbar auch die Angelegenheiten miterfassen wollen, die auf Grund der Beziehungen zwischen Zahnärzten und Krankenkassen im Rechtsweg zu entscheiden sind. Damit hat er aber nicht zum Ausdruck gebracht, daß etwa bei der gerichtlichen Entscheidung in den Angelegenheiten, die der gemeinsamen Selbstverwaltung zuzurechnen sind, Kassenärzte oder Kassenzahnärzte ohne Rücksicht darauf mitwirken können, ob an dem Streit Ärzte oder Zahnärzte beteiligt sind.

Die Klammerzusätze im ersten und zweiten Satz des § 12 Abs. 3 SGG können nur aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift verstanden werden. Dieser geht dahin, in den Kassenarztkammern (-senaten) jeweils ehrenamtliche Beisitzer mitwirken zu lassen, die mit dem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht schwierigen Gebiet des Kassenarztrechts besonders vertraut sind. Dafür sprechen auch die Begründung im Regierungsentwurf zu den späteren §§ 12 bis 14 SGG ("Durch die besonderen Kammern, die Streitigkeiten aus dem Kassenarztrecht zu entscheiden haben, wird sichergestellt, daß als Sozialrichter Personen mitwirken, die mit den schwierigen Rechtsvorschriften und tatsächlichen Gegebenheiten vertraut sind." - BT.-Drucks., 1. Wahlperiode Nr.4225 Anl. 1, Begründung zu § 11 Abs. 2 bis 4 bis § 14 -) und der schriftliche Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik - 21. Aussch. - BT.-Drucks. Nr. 4567 Anl. 1 - ("Für den Sonderfall der Streitigkeiten, die sich aus dem Recht der Beziehungen der Kassenärzte zu den Krankenkassen ergeben, mußte das Vorschlagsrecht eigens geregelt werden; darüber hinaus mußte auch die Zusammensetzung des Spruchkörpers der Eigenart der Materie entsprechend geordnet werden.").

Hätte das Gesetz ohne Rücksicht darauf, ob an dem Rechtsstreit Ärzte oder Zahnärzte beteiligt sind, die Mitwirkung eines Kassenarztes oder eines Kassenzahnarztes als zulässig ansehen wollen, so hätte es nahegelegen, im § 12 Abs. 3 SGG den Worten "Kassenärzte" nicht in einer Klammer die Worte "Kassenzahnärzte" anzufügen, sondern beide Begriffe jeweils unter Weglassung der Klammer durch das Wort "oder" zu verbinden. Geht man davon aus, daß der Gesetzgeber Wert darauf gelegt hat, daß die ehrenamtlichen Beisitzer in den Kammern und Senaten mit den Vorschriften des Kassenarztrechts und den tatsächlichen Gegebenheiten besonders vertraut sein sollen, und berücksichtigt man weiter, daß die Selbstverwaltung der Ärzte und Zahnärzte durch getrennte, selbständig gegliederte Vereinigungen (Kassenärztliche Vereinigungen und Kassenzahnärztliche Vereinigungen) durchgeführt wird (§ 368 k der Reichsversicherungsordnung - RVO -), daß ferner § 368 i RVO besondere Landes- und Bundesschiedsämter für die kassenärztliche Versorgung und für die kassenzahnärztliche Versorgung vorsieht und daß nach § 368 o RVO für jedes Land ein Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen sowie ein besonderer Landesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen und für das Bundesgebiet entsprechende Bundesausschüsse zu bilden sind, so erscheint es sinnvoll, daß im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der Berufstätigkeit der "Ärzte" und "Zahnärzte" und ihre getrennte Organisation im Bereich der Selbstverwaltung auch die Richterbank bei Streitigkeiten von Ärzten und bei Streitigkeiten von Zahnärzten unterschiedlich besetzt ist, nämlich nur mit einem oder zwei Kassenärzten in Streitigkeiten von Ärzten und mit einem oder zwei Kassenzahnärzten bei Streitigkeiten von Zahnärzten. Für diese Auffassung spricht auch § 14 Abs. 3 SGG, wonach die Vorschlagslisten für die Sozialrichter, die in den Kammern für Angelegenheiten des Kassenarztrechts mitwirken, von den Kassenärztlichen Vereinigungen und von den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, also von organisatorisch getrennten Körperschaften aufgestellt werden. In dem gleichen Sinne einer getrennten rechtlichen Ordnung für Ärzte und Zahnärzte ist es zu werten, daß für Kassenärzte und Kassenzahnärzte besondere Zulassungsordnungen bestehen.

Gegen die vom Senat vertretene Auffassung sprechen nicht die §§ 10 Abs. 2, 31 Abs. 2, 40 Satz 2 SGG, wonach für Angelegenheiten des Kassenarztrechts eigene Kammern (Senate) zu bilden sind. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß diesen Kammern (Senaten) außer der Gruppe von Beisitzern aus dem Kreise der Krankenkassen nur eine aus Kassenärzten und Kassenzahnärzten zusammengesetzte einheitliche Gruppe von Arztvertretern im weiteren Sinne zuzuteilen ist. Dies kann auch nicht aus dem Hinweis auf § 51 Abs. 2 in § 10 Abs. 2 SGG entnommen werden. In dieser Vorschrift faßt das Gesetz die Angelegenheiten, die auf Grund der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen im Rechtsweg zu entscheiden sind, unter dem Oberbegriff "Kassenarztrecht" zusammen. Diese Zusammenfassung besagt nichts über die Besetzung der zur Entscheidung dieser Angelegenheiten berufenen Kammern oder Senate.

Auch aus §§ 26, 36 Satz 2, 48 Satz 2 SGG, wonach das Präsidium für jedes Geschäftsjahr die Reihenfolge festsetzt, in der die Beisitzer zu den Verhandlungen zuzuziehen sind, folgt nicht, daß die einer Kammer oder einem Senat für Kassenarztrecht zugeteilten Kassenärzte oder Kassenzahnärzte für die Heranziehung zu den Sitzungen in eine einheitliche Liste aufzunehmen, also zu einer einheitlichen Gruppe zusammenzufassen sind. Vielmehr ist dem Sinn der Vorschrift des § 12 Abs. 3 SGG zu entnehmen, daß für jede dieser beiden Untergruppen (Kassenärzte und Kassenzahnärzte) die Reihenfolge, in der die Beisitzer zu den Verhandlungen zuzuziehen sind, gesondert festzustellen ist. Anderenfalls wäre es möglich, daß in einer "Angelegenheit der Kassenärzte" (§ 12 Abs.3 SGG), an der allein Kassenärzte beteiligt sind, zwei Zahnärzte als ehrenamtliche Beisitzer mitwirken und umgekehrt. Eine solche Zusammensetzung des Gerichts könnte nicht sinnvoll erscheinen. Wenn der Gesetzgeber die Besetzung der Kammern und Senate unter Berücksichtigung der Art der zur Entscheidung anstehenden Streitfälle geregelt und dabei außer den Angelegenheiten der Kassenärzte die Angelegenheiten der Kassenzahnärzte besonders hervorgehoben hat, so ist es gerechtfertigt, im Hinblick auf die sehr unterschiedliche Berufstätigkeit der Ärzte und Zahnärzte die Vorschrift des § 12 Abs. 3 SGG dahin auszulegen, daß in Streitigkeiten von Ärzten nur Kassenärzte und in Streitigkeiten von Zahnärzten nur Kassenzahnärzte als ehrenamtliche Beisitzer mitwirken (ebenso LSG. Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.1.1957 - LS I Ka 10/56 -, Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, SGG § 12 Anm. 3, § 16 Anm. 5; a.A. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl., SGG § 12 S. 62 f.).

Der Auffassung des beklagten Berufungsausschusses, im Hinblick auf § 12 Abs. 2 SGG könne § 12 Abs. 3 nur die Bedeutung einer Sollvorschrift haben, deren Verletzung keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle, kann schon mit Rücksicht auf die Fassung des Gesetzes und den grundsätzlich zwingenden Charakter von Vorschriften über die Gerichtsverfassung nicht beigetreten werden.

Da bei der angefochtenen Entscheidung, die die Zulassung eines Arztes betrifft, ein Kassenzahnarzt als ehrenamtlicher Beisitzer mitgewirkt hat, war der Senat des Landessozialgerichts nicht vorschriftsmäßig besetzt. Dieser Verfahrensmangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) stellt einen absoluten Revisionsgrund dar, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen muß (§ 551 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung in Verbindung mit § 202 SGG).

Der Senat kann, da er die von einem nicht vorschriftsmäßig besetzten Gericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zugrunde legen darf, keine Entscheidung in der Sache selbst treffen.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Dieses wird auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 6

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