Verfahrensgang

SG Köln (Urteil vom 09.05.1989)

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 9. Mai 1989 aufgehoben.

Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die an sie abgetretenen Teile des dem Beigeladenen zu 1) zu zahlenden Altersruhegeldes für die Zeit ab Oktober 1985 auszuzahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) die außergerichtlichen Kosten für alle Instanzen zu erstatten.

Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Teile der an den Beigeladenen zu 1) zu zahlenden Rente, die dieser an die Klägerin abgetreten hat, an den Beigeladenen zu 2) auszuzahlen hat, nachdem der Beigeladene zu 1) pflegebedürftig geworden ist und der Beigeladene zu 2) die dafür entstehenden Pflegekosten trägt.

Der Beigeladene zu 1) hat im September 1984 von der Klägerin ein Darlehen von rd 31.000 DM erhalten und der Klägerin zur Sicherung der Rückzahlung dieses Kredits das ihm von der Beklagten zu zahlende Knappschaftsruhegeld abgetreten, soweit diese Sozialleistung pfändbar ist.

Seit Anfang 1985 ist der Beigeladene zu 1) in einem Sanatorium untergebracht. Der Beigeladene zu 2) trägt die dafür entstehenden Kosten, die monatlich zwischen 2.600 und 2.800 DM betragen.

Ab Januar 1986 zahlt die Beklagte die gesamte Rente an den Beigeladenen zu 2). Ferner hat die Beklagte von einer 1983 angefallenen und zunächst einbehaltenen Nachzahlung von 12.752,22 DM den Betrag von 7.996,12 DM an den Beigeladenen zu 2) und 4.756,10 DM an die Klägerin ausgezahlt. Weitere Zahlungen an die Klägerin lehnte die Beklagte durch den Bescheid vom 23. Mai 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1986 mit der Begründung ab, der auf § 104 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) gestützte Erstattungsantrag des Beigeladenen zu 2) genieße Vorrang vor der Abtretung der Rente durch den Beigeladenen zu 1) an die Klägerin. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen.

Die Klägerin macht zur Begründung dieses – mit Zustimmung der Beklagten eingelegten – Rechtsmittels geltend, die Abtretung des Rentenanspruches durch den Beigeladenen zu 1) an die Klägerin halte sich im Rahmen des § 53 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) und sei daher wirksam. Ein später entstehender Erstattungsanspruch des Beigeladenen zu 2) könne daran nichts ändern. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn der Abtretende in sicherer Kenntnis der Tatsache, daß er in Kürze hilfsbedürftig werde, eine erhebliche Darlehensverpflichtung begründe und dabei rechtsmißbräuchlich mit dem Kreditgeber zusammenarbeite. Einen derartigen Sachverhalt habe das SG jedoch nicht festgestellt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 9. Mai 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1986 aufzuheben und die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, für die Zeit seit Oktober 1985 die pfändbaren Teile aus dem Altersruhegeld des Beigeladenen zu 1) an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Sprungrevision der Klägerin für unbegründet. Zwar müsse jetzt bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) davon ausgegangen werden, daß eine wirksame Abtretung des Rentenanspruches Vorrang vor dem Erstattungsanspruch eines nachrangig leistenden Sozialhilfeträgers habe. Hier habe der Beigeladene zu 1) seinen Rentenanspruch nicht wirksam abgetreten, weil die von ihm unterschriebene formularmäßige Abtretungsklausel gegen das Benachteiligungsverbot des § 9 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9. Dezember 1976 (BGBl I 3317) verstoße und daher nichtig sei; die Klägerin habe den Kreis der abzusichernden Forderungen nicht auf die zugrundeliegende konkrete Darlehensforderung beschränkt, sondern sich den Rentenanspruch auch für Forderungen „aus zukünftigen Darlehensverträgen” abtreten lassen.

Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision ist begründet; der Klägerin steht der an sie abgetretene Teil des Rentenanspruches des Beigeladenen zu 1) zu. Die Beklagte darf diesen Teil der Rente nicht an den Beigeladenen zu 2) auszahlen.

Die Klage ist zunächst nicht deshalb unbegründet, weil – wie die Revisionsbeklagte meint – die ihr von der Klägerin vorgelegte Abtretungserklärung des Beigeladenen zu 1) wegen eines Verstoßes gegen § 9 AGB-Gesetz nichtig ist. Die vom SG getroffene, im Sprungrevisionsverfahren wegen § 161 Abs 4 SGG nicht angreifbare und daher für das Revisionsgericht bindende Tatsachenfeststellung gibt keinen Anhalt dafür, daß der Beigeladene zu 1) den Rentenanspruch auch zur Sicherung der Forderungen der Klägerin aus zukünftigen Darlehensverträgen abgetreten hat. Das SG hat vielmehr lediglich festgestellt, daß die Abtretung des pfändbaren Teiles des Rentenanspruches des Beigeladenen zu 1) wegen eines bestimmten Darlehensbetrages erfolgt sei. Daher kann der Senat den abweichenden Sachvortrag der Beklagten, die Abtretung sei auch wegen der Forderungen aus zukünftigen Darlehensverträgen erfolgt, nicht berücksichtigen. Unter diesen Umständen braucht der Senat auch nicht zu prüfen, ob die Aufhebung der angefochtenen Bescheide bei einem solchen Sachverhalt nicht an der Verschiebung der Wesensgrundlage der angefochtenen Bescheide scheitern müßte. Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide lediglich darauf gestützt, daß sie die Forderung des Versicherten gegenüber des Beigeladenen zu 2) erfüllt habe, weil dessen Erstattungsanspruch Vorrang habe. Wenn die Beklagte die angefochtenen Bescheide nunmehr statt dessen auf die Nichtigkeit der Abtretung des Rentenanspruchs durch den Beigeladenen zu 1) an die Klägerin stützt, ändert sie damit unzulässigerweise die Wesensgrundlage des angefochtenen Bescheides.

Das Zahlungsverlangen der Klägerin ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Nach den Tatsachenfeststellungen des SG bringt der Beigeladene zu 2) zwar seit Mai 1985 die Kosten des Sanatoriumsaufenthalts des Beigeladenen zu 1) aus Mitteln der Sozialhilfe auf. Da die Leistungsverpflichtung des Beigeladenen zu 2) nachrangig ist (§ 2 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG-) und die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X nicht vorliegen, ist die Beklagte gemäß § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X iVm § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X erstattungspflichtig, soweit der Berechtigte – hier der Beigeladene zu 1) – gegen die Beklagte einen Leistungsanspruch hat. Ein solcher Leistungsanspruch steht dem Beigeladenen zu 1) jedoch in dem Umfange, in dem er die Rente – nach den zuvor getroffenen Feststellungen wirksam – an die Klägerin abgetreten hat, nicht zu, so daß auch die Beklagte nicht zur Erstattung gemäß § 104 SGB X verpflichtet ist.

Das SG ist zunächst ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß die Abtretung des pfändbaren Teils der Rente des Beigeladenen zu 1) gemäß § 53 Abs 3 SGB I wirksam war und während der streitigen Zeit wirksam geblieben ist. Zwar hat der 5a-Senat des BSG in dem Beschluß vom 8. April 1987 – 5a RKn 5/85 – Bedenken gegen den Regelungsgehalt der §§ 104 Abs 3, 107 Abs 1 SGB X geäußert, soweit die Abtretung sich zu Lasten des nach der Abtretung eintretenden, nachrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers auswirkt; der 5a-Senat hat damals gemeint, daß die kraft Abtretung erworbenen Ansprüche des Zessionars mit der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X kollidierten; dieses Konkurrenzverhältnis müsse unter Berücksichtigung des § 404 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dahin aufgelöst werden, daß der Erstattungsanspruch des Fürsorgeträgers im Hinblick auf die Subsidiarität seiner Leistungspflicht Vorrang vor der Abtretung des Rentenanspruches erhalten müsse. Der 5. Senat hat jedoch diese Auffassung aufgegeben und in Übereinstimmung mit dem 1. Senat des BSG (Urteile vom 14. November 1984 – BSGE 57, 218 = SozR 1300 § 104 Nr 3 – und vom 30. Januar 1985 – SozR 1300 § 104 Nr 4 –) entschieden, daß § 104 Abs 3 SGB X den Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung erbrachter Sozialleistungen (§ 104 Abs 1 Sätze 1 und 4 SGB X) gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger der gesetzlichen Sozialversicherung insoweit ausschließe, als dieser aufgrund einer früheren wirksamen Abtretung des Leistungsanspruches durch den Rentenberechtigten nach § 53 Abs 3 SGB I zur Leistung an den Abtretungsgläubiger verpflichtet sei (Urteil vom 7. September 1989 – 5 RJ 63/88 –, BSGE 65, 258 = SozR 1300 § 104 Nr 17; seither ständige Rechtsprechung des Senats).

Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des 1. und des 5. Senat des BSG (aa0) an. Zwar mag diese Abgrenzung im Einzelfall unbefriedigend sein, jedoch würde sich dieses Ergebnis nur vermeiden lassen, wenn die Fortgeltung einer vor dem Beginn der Leistungspflicht des Fürsorgeträgers wirksam erfolgten Abtretung sich als Folge einer Gesetzeslücke darstellte. Das ist aber nicht der Fall. Wie der 5. Senat in dem Urteil vom 7. September 1989 (aa0) bereits aufgezeigt hat, entspricht diese Rangfolge dem Willen des Gesetzgebers. Denn dieser hatte in Kenntnis der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG (aa0) und der hiergegen vom 5a-Senat in dem Beschluß vom 8. April 1987 (aa0) geäußerten Bedenken zunächst eine Ergänzung des § 107 Abs 1 SGB X vorgesehen, nach der die Erfüllungsfiktion dieser Regelung auch dann Anwendung finden sollte, wenn der Anspruch übertragen oder verpfändet worden ist. Diese Ergänzung ist dann aber nicht in das Erste SGB-Änderungsgesetz aufgenommen worden (vgl Sasdrich, SGB-Änderungen und Ergänzungen, Bundesarbeitsblatt 1988, 5, 8). Soweit sich demgemäß aus der geltenden Regelung sozialpolitisch nicht befriedigende Rechtsfolgen ergeben, können diese nicht durch die Rechtsprechung behoben werden. Vielmehr bedarf eine derartig schwerwiegende Einschränkung sowohl des Gläubigerschutzes als auch der Verfügungsbefugnis des Rentners über seinen Rentenanspruch einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Mangels einer solchen gesetzlichen Regelung hat die Beklagte daher zu Recht die Abtretung des Anspruches auf die laufende Rente nach § 53 Abs 1 SGB I zu beachten und Erstattungsansprüche des Sozialhilfeträgers nicht zu erfüllen, soweit ihm die Abtretung vorgeht.

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn Rentenempfänger und Kreditgeber in Kenntnis des bevorstehenden Eintrittes der Sozialhilfebedürftigkeit bei der Vergabe eines Kredits zum Nachteil des später leistungspflichtig werdenden Fürsorgeträgers zusammenwirken, ist hier nicht zu entscheiden, weil das SG derartige Tatsachen nicht festgestellt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174628

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