Entscheidungsstichwort (Thema)

Öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsgedanke des internen Leistungsausgleichs zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern (vom 1960-06-01 an BVG § 81b) darf nicht dazu herangezogen werden, die Abwälzung von Leistungen zu fordern, die angesichts einer klaren Sach- und Rechtslage auf einem von Anfang an eindeutig dem Gesetz nicht entsprechenden Verwaltungshandeln beruhen.

 

Normenkette

BVG § 81b Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der Landwirt Josef T (T.) bewirtschaftete im Jahre 1945 einen landwirtschaftlichen Betrieb, zu dem als Nebenbetrieb eine Milchfuhre gehörte. Am 18. Mai 1945 fuhr er mit seinem Milchwagen auf eine Mine und verlor durch deren Explosion das linke Bein im Unterschenkel. Er erhielt deswegen zunächst von der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen - Außenstelle Oldenburg -, später aufgrund des Umanerkennungsbescheides vom 27. März 1952 vom Versorgungsamt O Versorgungsbezüge, orthopädische Versorgung und Ersatz des durch die anerkannten Folgen der Schädigung verursachten außergewöhnlichen Verschleißes an Kleidern und Wäsche.

Nachdem die Beklagte von dem Unfall des T. im Juni 1965 Kenntnis erlangt hatte, gewährte sie ihm wegen des Beinverlustes durch Bescheid vom 29. Dezember 1967 rückwirkend ab 1. Juli 1961 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Versorgungsamt ordnete daraufhin durch Bescheid vom 5. Januar 1968 das Ruhen des Anspruchs auf Versorgungsbezüge in Höhe der Bezüge aus der Unfallversicherung an. Die Beklagte überwies dem Versorgungsamt die Rentennachzahlung; sie ersetzte ihm ferner für die Zeit ab 1. Juli 1961 die Kosten der orthopädischen Versorgung und des außergewöhnlichen Kleider- und Wäscheverschleißes. Den im Jahre 1970 geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Versorgungsleistungen für die Zeit vor dem 1. Juli 1961 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die gemäß § 29 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dem Versicherten gegenüber eingetretene Verjährung seines Anspruchs aus der Unfallversicherung ab.

Klage und zugelassene Berufung, die sich auf die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. Juni 1961 beschränkten, sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts - SG - Hannover vom 7. September 1973 und des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen vom 14. Februar 1974). Das Berufungsgericht hat zur Begründung u. a. ausgeführt: Der auf § 81 b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestützte Ersatzanspruch des Klägers sei durch die Leistungspflicht der Beklagten gegenüber T. begrenzt. T. könne von der Beklagten für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. Juni 1961 aus Anlaß seines Arbeitsunfalls keine Leistungen verlangen, weil die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreife. Nach § 29 Abs. 3 RVO verjähre der Anspruch auf Leistungen der Versicherungsträger in vier Jahren nach der Fälligkeit. In der gesetzlichen Unfallversicherung beginne die Verjährung in dem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch auf Entschädigung erfüllt seien und nicht erst mit der Antragstellung oder der Feststellung der Leistung. Die Beklagte habe von dem Arbeitsunfall des T. erstmalig im Juni 1965 erfahren. Zu diesem Zeitpunkt habe T. Verletztenrente für die Monate Juni 1961 und früher nicht mehr verlangen können. Die Berufung der Beklagten auf die Einrede der Verjährung sei auch nicht als unzulässige Rechtsausübung anzusehen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG habe das Wesen der Verjährung verkannt. Sie gebe dem Verpflichteten nur das Recht, die Leistung zu verweigern, Anspruch und Verpflichtung blieben jedoch bestehen. Es würde Sinn und Zweck des in § 81 b BVG normierten öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruchs widersprechen, wenn der Verwaltung entgegengehalten werden könnte, der Betroffene wäre gegenüber dem richtigen Leistungsträger untätig geblieben. Denn § 81 b BVG setze gerade voraus, daß der Betroffene seine Rechte gegenüber dem richtigen Leistungsträger nicht geltend gemacht habe. Diese Vorschrift wolle sicherstellen, daß der richtige Leistungsträger letztlich die Leistung übernehme, für die er von Anfang an sachlich zuständig gewesen wäre, falls der Antrag auf Leistungen nicht fälschlicherweise bei der Versorgungsverwaltung, sondern bei ihm gestellt worden wäre.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG Hannover vom 7. September 1973 und des LSG Niedersachsen vom 14. Februar 1974 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm die Leistungen zu erstatten, die von der Beklagten nach Gesetz und Satzung aufgrund des Arbeitsunfalles vom 18. Mai 1945 für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. Juni 1961 zu zahlen gewesen wären.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend.

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Der erkennende Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 29. Februar 1972 - 2 RU 214/71 - unveröffentlicht), daß der Rechtsgedanke des internen Leistungsausgleichs zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern, wie er seit dem 1. Juni 1960 in § 81 b BVG (idF des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 - BGBl I 453) normiert ist, nicht dazu herangezogen werden kann, die Abwälzung von Leistungen zu fordern, die angesichts einer klaren Sach- und Rechtslage auf einem von Anfang an eindeutig dem Gesetz nicht entsprechenden Verwaltungshandeln beruhen.

Es konnte niemals zweifelhaft sein, daß es sich für T. bei dem Auffahren mit seinem Milchwagen auf eine Mine nicht nur um ein schädigendes Ereignis im Sinne des § 1 BVG, sondern zugleich auch um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 542 RVO aF (§ 548 RVO) gehandelt hat. Daher war die Rechtslage mit dem Inkrafttreten des BVG am 1. Oktober 1950 dahin zu beurteilen, daß die Ansprüche T.'s auf Versorgungsbezüge, orthopädische Versorgung und Ersatz der Kosten für den außergewöhnlichen Kleider- und Wäscheverschleiß gemäß § 54 BVG iVm § 65 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 BVG wegen gleichartiger Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung ruhten. Das Versorgungsamt Oldenburg hat die Akten des Beschädigten T. nach Verkündung des BVG wiederholt bearbeitet. Am 27. März 1952 hat es die Umanerkennung der gewährten Leistungen nach den Vorschriften des BVG vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt wurde das BVG bereits länger als ein Jahr praktiziert. In der Folgezeit wurden mehrfach Neufeststellungen wegen Einkommensänderungen oder gesetzlicher Leistungserhöhungen durchgeführt. Es dauerte aber über elf Jahre, bis das Versorgungsamt im August 1963 erkannte, daß es sich bei der Schädigung "offenbar zugleich um einen Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung" handelt (Aktenvermerk vom 5. August 1963) und die ersten Maßnahmen ergriff, um T. zu veranlassen, bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zu stellen. Erst weitere zwei Jahre später - im Juni 1965 - erhielt die Beklagte von dem Arbeitsunfall tatsächlich Kenntnis. Das Ruhen nach § 65 BVG hätte das Versorgungsamt jedoch bereits früher anordnen können und müssen. Denn nach dieser Vorschrift tritt das Ruhen der Ansprüche auf Versorgungsleistungen bereits dann ein, wenn entsprechende Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen und nicht erst, wenn sie geltend gemacht oder befriedigt werden. Die Ansprüche des Verletzten T. gegen die Beklagte haben seit dem Eintritt des Arbeitsunfalls und daher auch schon am 1. Oktober 1950 bestanden. Bei dem vorliegenden Sachverhalt und dieser Rechtslage beruhte daher die Weitergewährung der Versorgungsleistungen, deren Ersatz der Kläger nunmehr von der Beklagten begehrt, auf einem von Anfang an eindeutig dem Gesetz nicht entsprechenden Verwaltungshandeln. Im Regelfall soll durch § 81 b BVG ein nachträglicher Leistungsausgleich ermöglicht werden, wenn die Zuständigkeit des Leistungsträgers zunächst unklar gewesen ist. Hat aber, wie hier, eine solche Unklarheit niemals bestanden, ist der erst nach etwa zwanzig Jahren für einen länger zurückliegenden Zeitraum erhobene Ersatzanspruch nicht gerechtfertigt.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (§ 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649134

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