Beteiligte

der Hannoverschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft

die Landkrankenkasse für das Land Hadeln

Hans Wülfrath beim Verband der Landkrankenkassen Niedersachsen

Kurt Gaede, Witten-Annen

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Februar 1958 wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung des Landessozialgerichts wird dahin geändert, daß die Beklagte die außergerichtlichen Kosten nicht der Klägerin, sondern des Beigeladenen zu erstatten hat. Sie hat diesem auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Nach den vom Landessozialgericht (LSG) getroffenen Feststellungen erkrankte der Beigeladene, der als landwirtschaftlicher Gehilfe bei dem Bauer Jark in Ihlienworth beschäftigt war, im Februar 1951 an, einer Kälberflechte; er hatte sich die Krankheit durch den Umgang mit erkrankten Tieren seines Arbeitgebers zugezogen. Die stationäre Krankenbehandlung dauerte vom 5. März bis 14. April, 1951. Die klagende Landkrankenkasse gewährte dem Beigeladenen deswegen Leistungen nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung.

Durch Bescheid vom 9. April 1952 lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft den Entschädigungsanspruch des Beigeladenen mit folgender Begründung ab: Es sei weder erwiesen, daß der Rindviehbestand des Bauern Jark mit Kälberflechte behaftet gewesen sei, noch daß der Beigeladene sich in diesem Betrieb infiziert habe. Außerdem berechtige die Kälberflechte als Hautkrankheit nur dann zur Entschädigung nach der Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten (BKVO), wenn es sich um eine schwere oder wiederholt rückfällige berufliche Hauterkrankung handele, die zum Wechsel des Berufes oder zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit zwinge (Nr. 15 der Anlage zur 4. BKVO). Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Diesen Bescheid hat die Klägerin mit der Berufung zum Oberversicherungsamt (OVA) Stade angefochten. Nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist das Verfahren auf das Sozialgericht (SG) Stade übergegangen. Dieses hat entsprechend dem Antrag der Klägerin durch Urteil vom 5. Juni 1956 den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 9. April 1952 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Hauterkrankung des Beigeladenen als Berufskrankheit nach Nr. 27 der 4. BKVO anzuerkennen und „die Klägerin in gesetzlicher Form zu entschädigen”. Das SG hat ausgeführt, bei einer von Tieren auf Menschen übertragbaren Hautkrankheit bestehe ein Entschädigungsanspruch auch dann, wenn die besonderen Voraussetzungen der Nr. 15 – Schwere oder wiederholte Rückfälligkeit der Hauterkrankung und Zwang zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit – nicht – vorlägen. Den „Entschädigungsanspruch” der Klägerin hat das SG als einen Ersatzanspruch nach dem 5. Buch der Reichsversicherungsordnung –RVO– (§§ 1505 ff) angesehen.

Die Berufung der Beklagten ist vom LSG Niedersachsen durch Urteil vom 25. Februar 1958 unter Billigung der erstinstanzlichen Begründung zurückgewiesen worden.

Gegen dieses ihr am 18. März 1958 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. April 1958 Revision eingelegt. Am 13. Mai 1958 hat sie das Rechtsmittel wie folgt begründet: Das LSG habe zu Unrecht auf die Nrn. 1 bis 10 der 4. BKVO hingewiesen, nach denen Hauterkrankungen durch Einwirkung der dort bezeichneten Listenstoffe als Berufskrankheit nur insoweit gelten, als sie Erscheinungen einer durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper bedingten Allgemeinerkrankung sind oder gemäß Nr. 15 entschädigt werden müssen, und daraus, daß bei Nr. 27 ein solcher Hinweis auf Nr. 15 fehle, zu Unrecht gefolgert, daß Nr. 27 nicht durch Nr. 15 ausgeschlossen werde. Das LSG habe hierbei übersehen, daß Nr. 15 auch unabhängig von dem Hinweis auf diese. Nummer in den Nrn. 1 bis 10 geltendes Recht sei und deshalb in allen Unternehmen Hautkrankheiten nur dann als Berufskrankheiten, zu entschädigen seien, wenn sie schwer oder wiederholt rückfällig seien oder zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit zwängen. Das LSG habe also zu prüfen unterlassen, in welchem Verhältnis Nr. 15 zu Nr. 27 stehe. Nr. 15 sei die Spezialvorschrift, gehe also der Nr. 27 vor. Demgegenüber sei es ohne Bedeutung, daß der Kreis der Unternehmen, in denen von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten nach Nr. 27 entschädigt werden, enger gezogen sei als bei den Hauterkrankungen im allgemeinen; diese Einschränkung ergebe sich aus der Natur der Sache. Die Auffassung, daß Nr. 15 gegenüber Nr. 27 Spezialvorschrift sei, finde eine Stütze in der Erläuterung von Krohn/Bauer/Koelsch/Engel/Lauterbach (Heft 29 der Schriftenreihe „Arbeit und Gesundheit”). Die Kommentatoren hätten in Nr. 15 eine Spezialvorschrift gegenüber der der Nr. 27 ähnlichen Nr. 26 gesehen. Nach Aufnahme der Nr. 27 in die Anlage (eingefügt durch die 4. BKVO) habe Bauer (AN 1943 S. II 133 ff) der neuen Vorschrift (Nr. 27) die gleiche Bedeutung beigemessen wie der Nr. 26. Schließlich sei auch nicht ersichtlich, weshalb in der Tierhaltung und Tierpflege beschäftigte Personen besser gestellt sein sollten als die in der gewerblichen Wirtschaft Tätigen, die in viel höherem Maße Hauterkrankungen durch berufliche Einwirkungen ausgesetzt seien. Offenbar habe es der Gesetzgeber bei der Aufnahme der Nr. 27 in die Anlage nicht für erforderlich gehalten, die schon nach den vorangehenden Nummern geltenden Grundsätze ausdrücklich zu wiederholen, sondern sei davon ausgegangen, daß diese Grundsätze auch für neu hinzugekommene Krankheiten ohne weiteres Geltung hätten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Februar 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichtet der Rechtsauffassung des LSG bei.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Das LSG hat, weil die Erkrankung des Beigeladenen im Jahre 1951 aufgetreten ist, den vorliegenden Streitfall mit Recht nach der 4. BKVO und nicht nach der erst im Jahre 1952 in Kraft getretenen 5. BKVO beurteilt.

Nach § 1 in Verbindung mit Nr. 27 der Anlage zur 3. BKVO in der Fassung der 4. BKVO sind infektiöse Gelbsucht, Bang'sche Krankheit, Milzbrand, Rotz und andere von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten Berufskrankheiten im Sinne, der Unfallversicherung, wenn sie durch berufliche Beschäftigung in der Tierhaltung, Tierpflege usw. verursacht worden sind. Diese Voraussetzungen sind, wie das LSG festgestellt hat und auch die Revision nicht in Zweifel zieht, im vorliegenden Fall gegeben; denn der Beigeladene hat sich in dem landwirtchaftlichen Betrieb des Bauern Jark durch den Umgang mit Rindvieh eine von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheit, nämlich eine Kälberflechte, zugezogen. Da es sich bei dieser Krankheit um eine Hauterkrankung handelt, bedurfte es der Prüfung, ob der Entschädigungsanspruch des Beigeladenen nach jener Nr. 27 oder nach der für alle Unternehmen geltenden Nr. 15 der Anlage zu beurteilen ist, deren besondere Voraussetzungen – schwere oder wiederholt rückfällige Erkrankung, die zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit zwingt – indessen im vorliegenden Falle nicht erfüllt sind. Die Entscheidung hängt davon ab, in welchem, Verhältnis Nr. 15 und Nr. 27 zueinander stehen. Theoretisch könnten die beiden Vorschriften gleichrangig nebeneinanderstehen oder aber die eine als Spezialvorschrift gegenüber der anderen Vorrang haben. Ausgeschlossen wäre der nach Nr. 27 an sich gegebene Entschädigungsanspruch des Beigeladenen nur dann, wenn der Nr. 15 die Bedeutung einer Spezialvorschrift für Hauterkrankungen zukäme. Dafür bietet die Verordnung jedoch keine Stütze, jedenfalls läßt sich dies weder aus dem Wortlaut der Vorschriften noch aus ihrer Stellung im System der Berufskrankheiten noch aus dem Zweck der Verordnung herleiten. Im Gegenteil stützt ein Vergleich der Nr. 27 mit den Nrn. 1 bis 10 der 4. BKVO die Auffassung des LSG, daß Nr. 15 der Nr. 27 nicht vorgehe. Erkrankungen nach den Nrn. 1 bis 10 können nämlich ebenfalls Hauterkrankungen sein und somit mit dem Sachverhalt der Nr. 15 kollidieren. Für solche Fälle enthält die 4. BKVO eine Kollisionsnorm des Inhalts, daß die durch die Listenstoffe Nrn. 1 bis 10 verursachten Hauterkrankungen grundsätzlich nicht, jedenfalls nicht nach diesen Nummern, entschädigungswürdig sind. Sie sind es nur „insoweit, als sie Erscheinungen einer durch die Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper bedingten Allgemeinerkrankung sind oder gemäß Nr. 15 entschädigt werden müssen”. Wenn also eine Resorption der schädigenden Stoffe nicht in Betracht kommt, hat Nr. 15 den Vorrang vor den Nrn. 1 bis 10. Den Umstand, daß eine ähnliche Einschränkung bei Nr. 27 fehlt, hat das LSG mit Recht als Stütze dafür angesehen, daß diese Nummern alle von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten, also auch Hauterkrankungen, erfassen soll und sie somit auch ohne die erschwerenden Voraussetzungen der Nr. 15 als entschädigungswürdig angesehen wissen will. Entgegen der Auffassung der Revision besteht auch kein hinreichender Anhalt für die Annahme, Nr. 15 enthalte einen allgemeinen Grundgedanken des Inhalts, daß Hauterkrankungen in jedem Falle nur unter den angeführten erschwerenden Voraussetzungen zur Entschädigung berechtigen sollen. Diese erschwerenden Voraussetzungen sind erst durch die 3. BKVO geschaffen worden, während früher auch bei geringfügigen und ohne wesentliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit verlaufenden Hautkrankheiten Versicherungsschutz gewährt wurde. Für die Beseitigung dieser Großzügigkeit im Versicherungsschutz war die Erwägung mitentscheidend, daß der Versicherte hierdurch in der Regel keinen Nachteil erleide, weil die durch die Krankenversicherung vorgesehene Krankenhilfe nach Art, Umfang und Dauer zur Behebung solcher geringfügigen Krankheiten ausreiche (vgl. Bauer/Engel/Koelsch/Krohn/Lauterbach, Dritte Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten, Schriftenreihe „Arbeit und Gesundheit” Heft 29 S. 331). In Unternehmen der Tierhaltung, Tierpflege usw., also in der Regel in der Landwirtschaft, spielt aber der Krankenversicherungsschutz keine derart überragende Rolle, weil jedenfalls die landwirtschaftlichen Unternehmer nicht versicherungspflichtig sind. Es kann daher ein besonderer Anlaß bestanden haben, die von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten ohne erschwerende Voraussetzungen für entschädigungswürdig zu erklären (vgl. auch Schönberger – BG 1957, 247 –, der das gesetzgeberische Motiv für die Einbeziehung der von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten in der Erweiterung des Versicherungsschutzes auf die angeführten Berufsgruppen sieht).

Für die gegenteilige Auffassung der Revision bietet auch die angeführte Erläuterung von Bauer/Engel/Koelsch/Krohn/Lauterbach (aaO S. 331, 332) keine Stütze. Dort ist zwar ausgeführt, daß nur die Nrn. 12 und 13 der 4. BKVO – auch diese Tatbestände können sich als Hauterkrankungen darstellen – nicht den für die sonstigen beruflichen Hauterkrankungen geltenden Einschränkungen unterlägen. Die Erläuterung behandelt jedoch erkennbar nur Hauterkrankungen nach den Nrn. 1 bis 10, 12, 13 und 15, nicht dagegen sonstige Hauterkrankungen. Allerdings waren die von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten nach der 3. BKVO noch nicht geschützt, wohl aber schon Infektionskrankheiten (Nr. 26 der Anlage), also Krankheiten, die ebenfalls als Hautkrankheiten in Erscheinung treten können. Spricht somit die angeführte Erläuterung nicht gegen die Anwendbarkeit der Nr. 26 neben Nr. 15,– so gilt dies auch für die Ausführungen von Bauer in AN 1943 S. II 133, 138 hinsichtlich des. Verhältnisses der Nr. 27 zu Nr. 15 der 4. BKVO.

Das LSG ist daher mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Anwendbarkeit der Nr. 27 auf Hautkrankheiten nicht durch Nr. 15 ausgeschlossen wird. Für die entsprechenden Vorschriften der 6. BKVO (Nr. 38 bezw. Nr. 46) wird diese Auffassung auch von Koetzing/Linthe, Die Berufskrankheiten, 1962, 143 zu Nr. 38 a.E., geteilt. Die 6. BKVO hat die Liste der Krankheiten, die unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheiten zur Entschädigung berechtigen, nach der Art ihrer Verursachung neu geordnet. Gerade diese Neuordnung hätte, wenn die Auffassung der Revision hinsichtlich des Verhältnisses der Nrn. 15 und 27 der Anlage zur 4. BKVO zuträfe, Veranlassung zu einer Klarstellung in diesem Sinne geboten. Die der Nr. 27 der Anlage zur 4. BKVO entsprechende Nr. 38 der Anlage zur 6. BKVO enthält jedoch – im Unterschied zu den Nrn. 2, 4 bis 8, 10 bis 21 der Anlage zur 6. BKVO – wiederum keine Einschränkung für Hauterkrankungen. Auch dies spricht dafür, daß insoweit keine Änderung des bisherigen Rechtszustandes eintreten sollte, daß also von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten, wenn sie als Hauterkrankungen in Erscheinung treten, nach wie vor auch ohne die besonderen Voraussetzungen der Schwere oder wiederholten Rückfälligkeit und des Zwangs zum Berufswechsel oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit entschädigungswürdig sein sollen.

Hiernach ist der Beigeladene entschädigungsberechtigt und demzufolge die Beklagte verpflichtet, der Klägerin nach den Vorschriften des 5. Buches der RVO Ersatz zu leisten. Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung des LSG bedurfte der Berichtigung, weil sie mit § 193 Abs. 4 SGG nicht in Einklang steht. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind nicht erstattungsfähig, wohl aber die etwaigen Kosten des Beigeladenen.

 

Unterschriften

Brackmann, Demiani, Schmitt

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 18.12.1962 durch Bohl Reg.-Obersekretär Schriftführer

 

Fundstellen

BSGE, 169

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