Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufliche Bildungsmaßnahme. Maßnahmeträger. Verneinung der arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit. Tatbestandswirkung. Förderungsanspruch. Teilnehmer. Bewertungsmaßstab. Zweckmäßigkeitsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verneint die Bundesanstalt für Arbeit gegenüber dem Maßnahmeträger die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit einer Maßnahme (§ 34 Abs 1 S 2 Nr 4 AFG), so hat das für den Förderungsanspruch des Teilnehmers keine Tatbestandswirkung.

2. Zu den Bewertungsmaßstäben der generellen Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 34 Abs 1 S 2 Nr 4 AFG.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AFG § 34 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Fassung: 1992-12-18; AFuU 1993 § 10 Abs. 1 Fassung: 1993-04-29, Abs. 5 Fassung: 1993-04-29

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 29.08.1996; Aktenzeichen L 8 Ar 436/95)

SG Stade (Entscheidung vom 28.09.1995; Aktenzeichen S 6 Ar 161/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. August 1996 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Förderungsleistungen für eine Ausbildung als Masseurin und medizinische Bademeisterin, an der sie vom 1. Oktober 1993 bis 31. März 1995 erfolgreich teilgenommen hat.

Die 1963 geborene Klägerin hatte nach Ablegung der mittleren Reife einen beruflichen Abschluß nicht erreicht. Sie war – unterbrochen von Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld – als Erzieherin, Badehilfe usw beschäftigt.

Die Klägerin beantragte am 14. Januar 1993 die Förderung der Teilnahme an einer Ausbildung als Masseurin und medizinische Bademeisterin bei der Dr. M. … -Schule in B. … ab 1. Oktober 1993. Der Ausbildungsvertrag wurde von der Klägerin am 7. Februar 1993 unterzeichnet. Das Arbeitsamt Flensburg lehnte die Förderung ab, da das für die Prüfung zuständige Arbeitsamt Bremen festgestellt habe, daß die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit für die Umschulungsmaßnahme nicht gegeben sei, und es die Maßnahme nicht als förderungsfähig iS des § 34 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) anerkannt habe. An diese Entscheidung des Arbeitsamtes Bremen sei das Arbeitsamt Flensburg gebunden. Die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit sei insbesondere deshalb nicht gegeben, weil allein im Arbeitsamtsbezirk Bremen 53 arbeitslose Masseure und medizinische Bademeister gemeldet seien. Stellenangebote seien dagegen nicht vorhanden. Ähnlich stelle sich der Arbeitsmarkt auch im Bezirk des Arbeitsamtes Flensburg dar (Bescheid vom 1. September 1993; Widerspruchsbescheid vom 4. November 1993).

Bereits mit Schreiben vom 23. Juli 1993 hatte das Arbeitsamt Bremen der Dr. M. … -Schule mitgeteilt, daß die angezeigte Maßnahme (Umschulung zum Masseur und medizinischen Bademeister; Beginn: Herbst 1993) gemäß § 34 AFG iVm § 10 Abs 5 der Anordnung Fortbildung und Umschulung (AFuU) nicht anerkannt werden könne. Die Förderung weiterer Teilnehmer könne nach der Situation auf dem Stellenmarkt in Bremen und bei der Fachvermittlung Memmingen nicht als arbeitsmarktpolitisch zweckmäßig angesehen werden. Es werde gebeten, die Teilnehmerinteressenten entsprechend zu informieren. Der deswegen von der Ausbildungsstätte eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1993 als unzulässig verworfen, da zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und dem Maßnahmeträger bei der individuellen Förderung beruflicher Fortbildung und Umschulung keine Rechtsbeziehungen bestünden, die durch Verwaltungsakte geregelt werden könnten.

Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, es seien von anderen Arbeitsämtern vergleichbare Bildungsmaßnahmen als förderungswürdig anerkannt worden. Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 28. September 1995): Soweit eine Maßnahme Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet offenstehe, sei der in Betracht kommende Arbeitsmarkt der Arbeitsmarkt des gesamten Geltungsbereiches des AFG. Zu berücksichtigen sei, daß sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt während des Verlaufs der Maßnahme deutlich verbessert habe. Dazu komme, daß die Beklagte die Förderungsfähigkeit entsprechender Maßnahmen im Bundesgebiet nicht generell abgelehnt habe und damit den kurzfristig für 1993 ungünstigen Arbeitsmarktzahlen keine große Bedeutung beigemessen habe.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen: Die Klagebefugnis der Klägerin umfasse die Nichtanerkennungsentscheidung nach § 34 AFG nicht. Die Nichtanerkennungsentscheidung (Schreiben vom 23. Juli 1993) sei verbindlich geworden, weil der betroffene Maßnahmeträger sie gerichtlich nicht in Frage gestellt habe. § 34 AFG diene nicht auch den Individualinteressen der Klägerin. Die Überprüfung vor Beginn der Maßnahme beende das Arbeitsamt mit einer Entscheidung, über die der Maßnahmeträger – nicht etwa mögliche Teilnehmer – unterrichtet werde. Die Anerkennungsentscheidung regele allein Rechtsbeziehungen zwischen Maßnahmeträger und Arbeitsamt, rechtliche Interessen der Klägerin würden hierdurch nicht berührt. Die wirtschaftliche Betroffenheit genüge für die Annahme einer rechtlich erheblichen Beschwer nicht. § 34 Abs 1 Satz 2 AFG sei kein drittschützender Charakter beizumessen. Mit der Regelung sollten allgemein berufliche Bildungsmaßnahmen vom „Bildungs-Markt” ferngehalten werden, die keine geeignete Ausbildung erwarten ließen und zu teuer seien. Erfaßt würden Gemeinwohlbelange, die zwar auch dem Schutz potentieller Maßnahmeteilnehmer dienten, ohne ihnen damit ein subjektiv öffentliches Recht einzuräumen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 54 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist der Auffassung, daß ihre Klagebefugnis bejaht werden müsse. Entgegen den Darlegungen des angefochtenen Urteils lasse sich nicht argumentieren, der Arbeitslose habe nur einen Ermessensanspruch auf individuelle Förderung der beruflichen Bildung in Maßnahmen, die gemäß § 34 AFG zuvor generell gegenüber dem Maßnahmeträger als förderungswürdig anerkannt worden seien. In § 36 AFG sei es gerade nicht zur Leistungsvoraussetzung für die Gewährung individueller Leistungen gemacht worden, daß gegenüber dem Maßnahmeträger eine Anerkennungsentscheidung gemäß § 34 AFG vorliege bzw es an einer Nichtanerkennungsentscheidung fehle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. August 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 28. September 1995 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 – eine Förderung nicht erfolgen könne. Im Widerspruchsbescheid seien der Klägerin gegenüber die Gründe für die Nichtanerkennung der Maßnahme nach § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG ausführlich dargelegt worden. Insoweit sei sowohl der Beurteilungsspielraum wahrgenommen als auch ausreichend dargelegt worden. Im übrigen habe keine andere Entscheidung getroffen werden können.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Die Klägerin erstrebt die Förderung ihrer Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme, und zwar durch Unterhaltsgeld und Übernahme der ihr durch die Maßnahme entstandenen Kosten. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 44 AFG (in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2044) und § 45 AFG (idF des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom 27. Juli 1992, BGBl I 1398). Das LSG hat die Klagabweisung darauf gestützt, daß die von der Dr. M. … -Schule in B. … durchgeführte Maßnahme, an der die Klägerin teilgenommen hat, unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht zweckmäßig sei (§ 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1992). Es hat dies nicht inhaltlich, sondern formal damit begründet, daß das Arbeitsamt Bremen dies gegenüber dem Maßnahmeträger entschieden habe und die Klägerin diese Entscheidung nicht anfechten könne. Dem ist nicht zu folgen.

Dem LSG kann schon nicht gefolgt werden, wenn es davon ausgeht, daß die Beklagte mit dem Schreiben vom 23. Juli 1993 gegenüber dem Maßnahmeträger eine verbindliche Entscheidung des Inhalts getroffen hat, daß die „Bildungsmaßnahme nicht anerkannt” wird. Die Beseitigung einer etwaigen, die Klägerin belastenden Drittwirkung bedarf es insoweit nicht, denn das Schreiben enthält, unabhängig von der Frage, ob der Beklagten überhaupt die Befugnis eingeräumt ist, über die objektive Förderungsfähigkeit einer Maßnahme gegenüber dem Maßnahmeträger verbindliche Feststellungen zu treffen, jedenfalls keinen (Formal-)Verwaltungsakt. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 35 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren –). Die Qualifikation einer behördlichen Äußerung als Verwaltungsakt hat unabhängig davon zu erfolgen, ob eine Rechtsgrundlage für eine Regelung durch Verwaltungsakt gegeben ist (BSGE 15, 14, 15; 25, 268, 269). Maßgebend für die Beurteilung, ob ein behördlicher Akt ein Verwaltungsakt ist, ist sein objektiver Sinngehalt aus der Sicht des Empfängers. Ist hiernach, schon wegen der im Schreiben des Arbeitsamtes enthaltenen Bitte, die Teilnehmerinteressenten über den Inhalt des Schreibens zu informieren, zweifelhaft, ob auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung geschlossen werden kann, so steht es der Qualifizierung als Verwaltungsakt jedenfalls entgegen, daß die Beklagte den gegen das Schreiben durch den Schulträger eingelegten Widerspruch als unzulässig verworfen hat, weil das beanstandete Schreiben keinen Verwaltungsakt darstelle. Aus der Regelung in § 95 SGG, wonach Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist zu folgern, daß erst der Widerspruchsbescheid einem etwaigen Verwaltungsakt die für die gerichtliche Kontrolle maßgebende Form gibt. Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffnet, liegt daher vor, wenn zwar der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch der Widerspruchsbescheid aus der schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht (BVerwGE 41, 305, 307 f; 57, 158, 161; 61, 164, 168; 78, 3, 5; BSGE 49, 291, 292 = SozR 4100 § 145 Nr 1). Nicht anders ist zu entscheiden, wenn die Behörde im Widerspruchsbescheid zu erkennen gibt, daß eine hoheitliche Regelung mit Bindungswirkung nicht getroffen werden sollte. Der Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1993 hat den Widerspruch des Maßnahmeträgers als unzulässig verworfen und dies damit begründet, daß das beanstandete Schreiben in Ermangelung von Rechtsbeziehungen zwischen Bundesanstalt und Maßnahmeträger, die durch Verwaltungsakt geregelt werden könnten, keinen Verwaltungsakt darstelle. Das Arbeitsamt, das auch Widerspruchsstelle ist, hat damit dem Schreiben jedenfalls jede auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtete abschließende Regelung genommen.

Im übrigen käme eine Bindung der Klägerin nur in Betracht, wenn ein solcher Verwaltungsakt ausnahmsweise Tatbestandswirkung (Drittbindungswirkung) hätte, die getroffene Regelung also ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit auch in Rechtsbeziehungen zu anderen zu beachten wäre; denn die normale Bindungswirkung von Verwaltungsakten besteht nach § 77 SGG nur zwischen den Beteiligten des Verwaltungsverfahrens, nicht auch gegenüber Dritten. Tatbestandswirkung haben Verwaltungsakte, die – wie zB eine Einbürgerung oder eine Namensänderung – rechtsgestaltende Wirkung haben und deshalb von jedermann zu beachten sind. Tatbestandswirkung kommt ferner Entscheidungen zu, wenn das Gesetz bestimmt, daß sie im Verhältnis zu anderen, insbesondere Behörden, verbindlich sind (vgl zB § 15 Abs 1 Bundesvertriebenengesetz). Ein solcher Fall ist hier offensichtlich nicht gegeben.

Tatbestandswirkung haben Verwaltungsakte aber auch dann, wenn das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, aber seinem Sinne nach anordnet, daß ein Tatbestandsmerkmal so hinzunehmen ist, wie es durch eine getroffene Entscheidung, insbesondere eines anderen Rechtsträgers, festgestellt oder gestaltet worden ist (vgl BSG SozR 2200 § 176c Nr 3; BSGE 70, 51, 53 f = SozR 3-4100 § 118 Nr 3; SozR 3-4100 § 62a Nr 1; BSGE 77, 108, 114 = SozR 3-2500 § 126 Nr 1). Auch ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Gegen ein generelles Anerkennungsverfahren mit Bindungswirkung spricht bereits der Wortlaut des § 34 Abs 1 Satz 2 AFG in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung, der die in dieser Vorschrift genannten Anforderungen an die Bildungsmaßnahme zu den Voraussetzungen der Förderung der Teilnahme rechnet. Ferner fordert § 34 Abs 1 Satz 2 AFG lediglich eine Prüfung der aufgeführten Kriterien durch die Bundesanstalt, während eine Anerkennungsentscheidung entgegen der Auffassung des LSG gerade nicht vorausgesetzt wird. Dieser gesetzlichen Konzeption folgt auch § 10 Abs 1 Satz 1 AFuU (idF vom 29. April 1993, ANBA-Sonder-Nr vom 5. Mai 1993), wenn dort bestimmt ist, daß die Teilnahme an einer Maßnahme nur dann gefördert werden kann, wenn die Prüfung nach § 34 AFG vor Beginn der Maßnahme abgeschlossen wurde.

Die Auffassung des LSG steht zudem, worauf bereits der 7. Senat (SozR 3-4460 § 10 Nr 2) zu Recht hingewiesen hat, im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung (BSGE 41, 113 ff = SozR 4100 § 41 Nr 22; BSGE 43, 134, 136 = SozR 4100 § 34 Nr 6; SozR 4460 § 6 Nr 9). Nach dieser Rechtsprechung gehört die Eignung der Maßnahme iS des § 34 AFG zu den Voraussetzungen für den Förderungsanspruch des einzelnen Teilnehmers. Hingegen sahen die Vorschriften des AFG über die Förderung der beruflichen Bildung eine gesonderte Feststellung darüber, daß eine Bildungsmaßnahme die für die Maßnahme als solche geltenden Voraussetzungen der §§ 33 ff AFG erfüllt, seit jeher nicht vor. Dieses Ergebnis hat das BSG aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften über die individuelle Förderung der beruflichen Bildung abgeleitet, die dem Lehrgangsträger keine eigenen Rechte einräumten, so daß ein durch Verwaltungsakt zu regelndes Rechtsverhältnis zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und dem Maßnahmeträger nicht gegeben war. Verlautbarungen der Bundesanstalt für Arbeit gegenüber dem Maßnahmeträger konnten folglich nur bloße Elemente des dem einzelnen Teilnehmer eingeräumten Förderungsanspruches betreffen, der ua noch die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen der Förderung erforderte. Es handelte sich mithin um Vorbereitungsmaßnahmen für einen Verwaltungsakt, denen der Lehrgangsträger im Verhältnis zur Bundesanstalt für Arbeit ggf mit einer Unterlassungsklage entgegentreten konnte (BSGE 43, 134, 141 ff = SozR 4100 § 34 Nr 6).

Die seither eingetretene Rechtsentwicklung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Bereits § 34 Satz 2 idF des AFG vom 25. Juni 1969 (BGBl I S 582) enthielt Anforderungen an die Dauer und die Gestaltung der Maßnahme, die eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten lassen mußte. Die Anforderungen an die Bildungsmaßnahme als Voraussetzung des Förderungsanspruches des Teilnehmers wurden infolge der Änderungen des § 34 Abs 1 Satz 2 AFG durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) erweitert. Die Einfügung der Nrn 2 und 3 sollte zusätzlich sicherstellen, daß die Mittel der Solidargemeinschaft nur für solche Bildungsmaßnahmen verwendet wurden, die angemessene Teilnahmebedingungen boten und nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant und durchgeführt wurden (BT-Drucks 9/846 zu Art 1 § 1 Nr 5 – § 34). Der Gesetzgeber des AFKG ging hierbei bereits davon aus, daß die zuständigen Dienststellen der Bundesanstalt diese Voraussetzungen vor der Bewilligung von Förderungsleistungen zu überprüfen hätten.

Die hier maßgebende Fassung des § 34 Abs 1 Satz 2 AFG durch das Gesetz vom 18. Dezember 1992 hat an den zuvor angelegten Strukturen der individuellen Fortbildungsförderung nichts geändert. Das Gesetz hat in Satz 2 der Vorschrift den Zusatz „daß die Bundesanstalt vor Beginn der Maßnahme geprüft hat” eingefügt und Satz 2 um die Nr 4 ergänzt, daß zusätzlich eine Prüfung der generellen arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit erforderlich ist. Aus der ausdrücklich vorgesehenen Prüfungspflicht der Bundesanstalt kann nicht gefolgert werden, daß nunmehr eine Vorab-Entscheidungsbefugnis geschaffen werden sollte, die der Überprüfung durch den Teilnehmer entzogen wäre. Hiergegen spricht auch die Begründung des Gesetzentwurfes, nach der die Änderung des § 34 Abs 1 Satz 2 AFG lediglich klarstellen soll, daß ein Förderungsanspruch nur dann besteht, wenn die Prüfung der maßgebenden Kriterien vor Beginn der Maßnahme abgeschlossen ist (BT-Drucks 12/3211 S 18).

Aus dem Gesamtzusammenhang der Neuregelungen durch das Gesetz vom 18. Dezember 1992 ergibt sich nichts anderes. Die Änderungen erfolgten vor dem Hintergrund eines expandierenden Weiterbildungsmarktes gerade auch in den neuen Bundesländern. Hierbei gingen die freien Träger von Weiterbildungsmaßnahmen verstärkt dazu über, ihre Maßnahmen zu planen, anzubieten und einzuleiten, ohne die Arbeitsämter rechtzeitig zu beteiligen (BT-Drucks 12/3211 S 18). Um einer weiteren Expansion entgegenzuwirken und um qualitative Mängel während der Aufbauphase zu beheben, sah der Gesetzgeber sich veranlaßt, die generelle Prüfung der Maßnahmen vor deren Beginn vorzuschreiben, die zusätzlich durch eine Beratungspflicht des Teilnehmers vor Beginn der Teilnahme über die in Frage kommenden Bildungsmaßnahmen flankiert wurde (§ 36 Satz 1 Nr 1a AFG). Zur Erreichung des gesetzlichen Zieles war die vorgeschaltete Prüfung und die darauf beruhende vorhergehende Beratung ausreichend, ohne daß es der Einräumung einer Entscheidungsbefugnis gegenüber dem Maßnahmeträger bedurft hätte. Da die Beklagte die vorgesehene Prüfung, die sowohl – wie hier geschehen – generell als auch anläßlich der Bescheidung des Bildungswilligen erfolgen kann, vor Beginn der Maßnahme abgeschlossen hat, steht dieses Erfordernis einem Förderungsanspruch der Klägerin nicht entgegen.

Das klagabweisende Urteil des LSG läßt sich auch derzeit nicht mit der Begründung aufrechterhalten, die Maßnahme sei materiell unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht zweckmäßig gewesen (§ 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG). Die Beklagte hat bei der Prüfung dieses Merkmals die hierfür geltenden Beurteilungsmaßstäbe verkannt.

Der 7. Senat hat unter Hinweis auf Entstehungsgeschichte und Inhalt des § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG ausführlich dargelegt, daß diese Vorschrift der Beklagten einen gerichtlich nicht voll nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumt (BSG SozR 3-4460 § 10 Nr 2). Dies ist überzeugend, denn für die Überprüfung der auf die Bildungsveranstaltung selbst bezogenen Zweckmäßigkeitskontrolle können grundsätzlich keine anderen Maßstäbe herangezogen werden als für die Prüfung der individuellen Zweckmäßigkeit nach § 36 Nr 3 AFG (vgl dazu nur BSGE 44, 54, 58 f = SozR 4100 § 36 Nr 16; BSGE 67, 228, 231 = SozR 3-4100 § 36 Nr 1).

Die Beklagte hat den ihr bei der Prognoseentscheidung nach § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG eingeräumten Berurteilungsspielraum nicht zutreffend ausgeübt, da sie die hierfür maßgebenden Beurteilungskriterien verkannt hat. Fehlerhaft ist es insoweit bereits, wenn – wie aus der Begründung des Widerspruchsbescheides ersichtlich – in erster Linie auf den regionalen Arbeitsmarkt im Arbeitsamtsbezirk des Maßnahmeträgers abgestellt wird. Abgesehen davon, daß zum Zeitpunkt der Prüfung die Herkunft des potentiellen Teilnehmerkreises und dessen Mobilität nicht abschließend feststehen wird, widerspricht eine derart verengte Betrachtung dem Ziel der generellen Zweckmäßigkeitsprüfung, Maßnahmen vom „Weiterbildungs-Markt” fernzuhalten, für die ein Bedarf nicht gegeben ist. Diesem Anliegen wird aber dadurch genügt, daß die Prognoseentscheidung auf den überregionalen Arbeitsmarkt bezogen wird. Ist der einzelne Teilnehmer voraussichtlich nach Abschluß der Maßnahme zur Übernahme einer Beschäftigung außerhalb des Tagespendelbereiches nicht bereit, so ist diesem Umstand im Rahmen der individuellen Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 36 Nr 3 AFG Rechnung zu tragen (BSG SozR 3-4460 § 10 Nr 2).

Ferner läßt die Begründung des Widerspruchsbescheides erkennen, daß die Beklagte zu hohe Anforderungen an den Begriff der arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit iS des § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG stellt, der durch § 10 Abs 5 AFuU zulässigerweise (negativ) konkretisiert wird. Hiernach ist eine Bildungsmaßnahme unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht zweckmäßig, wenn sie auf eine berufliche Tätigkeit vorbereitet, für die innerhalb angemessener Zeit auf dem in Betracht kommenden Arbeitsmarkt voraussichtlich keine Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind. Der 7. Senat hat hierzu (aaO) dargelegt, daß bei einer streng am Wortlaut der Vorschrift orientierten Auslegung, die eine Unzweckmäßigkeit nur beim völligen Fehlen von Beschäftigungsmöglichkeiten nach Abschluß der Maßnahme nahelegen könnte, ein Anwendungsbereich der Regelung praktisch kaum noch gegeben wäre. Er hat deshalb § 10 Abs 5 AFuU in der Weise zutreffend verstanden, „daß eine Bildungsmaßnahme unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes dann nicht zweckmäßig ist, wenn sie auf berufliche Tätigkeiten vorbereitet, für die innerhalb angemessener Zeit auf dem in Betracht kommenden Arbeitsmarkt voraussichtlich keine nennenswerten bedarfsgerechten Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind”. Diese Auslegung gewährleistet die Erreichung des von § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG verfolgten Zieles, nur die von vornherein nicht bedarfsgerechten Maßnahmen von der individuellen Förderung auszuschließen.

Die Bejahung der Zweckmäßigkeit erfordert also nicht, wovon die Beklagte offenbar ausgegangen ist, daß die Zahl der vorliegenden Stellenangebote die Zahl der Arbeitsuchenden iS eines Mangelberufes voraussichtlich übersteigen wird, sondern die auf die Maßnahme bezogene Zweckmäßigkeit ist gegeben, wenn die Teilnehmer aufgrund der erlangten Kenntnisse und Fertigkeiten voraussichtlich innerhalb angemessener Zeit einen Arbeitsplatz finden können. Auch wenn der Begriff der angemessenen Zeit nicht generell festgelegt werden kann, sondern nach Art der erlernten Tätigkeit und der allgemeinen Arbeitsmarktsituation variieren kann, wird man davon ausgehen können, daß eine Unzweckmäßigkeit jedenfalls dann nicht gegeben ist, wenn sich die Dauer der voraussichtlichen Arbeitsuche im Rahmen der von der Beklagten prognostizierten durchschnittlichen Vermittlungsdauer anderer Arbeitsloser bewegt.

Kann hiernach ein Anspruch der Klägerin auf Unterhaltsgeld bzw Kosten der Maßnahme nicht aufgrund der bisherigen Beurteilung der Beklagten verneint werden, daß die Maßnahme der Dr. M. … -Schule unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes iS des § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG nicht zweckmäßig ist, erweist sich die Revision als begründet. Da das LSG, von seiner Rechtsauffassung her zutreffend, keine weiteren Feststellungen zur Zweckmäßigkeit der Maßnahme und den weiteren verschiedenen Voraussetzungen des Anspruchs auf Unterhaltsgeld und der Kosten getroffen hat, muß die angefochtene Entscheidung gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits, an das LSG zurückverweisen werden.

 

Fundstellen

SozR 3-4100 § 34, Nr.4

SozSi 1998, 398

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