Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des § 242b Abs 7 und des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 242b Abs 7 und des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG idF des HBegleitG 1984 verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1, Art 14 Abs 1, Art 20 Abs 1 und 3 GG.

 

Normenkette

AFG § 112 Abs 5 Nr 2 Fassung: 1983-12-22, § 242b Abs 7 Fassung: 1983-12-22; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14 Abs 1; GG Art 20 Abs 1; GG Art 20 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.08.1985; Aktenzeichen L 10 Ar 339/84)

SG Aurich (Entscheidung vom 25.10.1984; Aktenzeichen S 5 Ar 158/84)

 

Tatbestand

Der ledige, kinderlose Kläger wendet sich gegen die Kürzung seiner Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Er bezog von der Beklagten zunächst Arbeitslosengeld (Alg) und ab 23. April 1983 Alhi. Mit Bescheid vom 29. November 1983 war das Leistungsende für die Alhi auf den 30. April 1984 und die Leistung auf 166,80 DM wöchentlich festgesetzt. Bei der Festsetzung der Höhe des Alg ist das Arbeitsamt davon ausgegangen, daß der Kläger zur Berufsausbildung beschäftigt war und die Abschlußprüfung bestanden hat. Es hatte deshalb gemäß § 112 Abs 5 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) als Arbeitsentgelt 75 vH des Tariflohnes eines Maurers (9,90 DM = 0,75 x 13,20 DM) der Berechnung des Alg zugrunde gelegt. Ab 1. Januar 1984 setzte es die Alhi auf 160,80 DM wöchentlich fest. Den hierüber ergangenen Bescheid vom 13. Januar 1984 hat der Kläger nicht angefochten.

Mit Bescheid vom 27. März 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1984 setzte die Beklagte ab 2. April 1984 die Alhi auf wöchentlich 118,20 DM fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, aufgrund der Änderung des AFG durch das Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1984 bemesse sich die Alhi im vorliegenden Falle grundsätzlich nach dem Arbeitsentgelt der Beschäftigung zur Berufsausbildung. Bei Arbeitslosen, die die Abschlußprüfung bestanden haben, betrage das Arbeitsentgelt jedoch nicht weniger als die Hälfte des Arbeitsentgelts derjenigen Beschäftigung, für die der Arbeitslose aufgrund seiner Ausbildung in Betracht komme. Hiernach habe der Kläger einen Anspruch auf Alhi nach einem wöchentlichen gerundeten Arbeitsentgelt von 280,-- DM. Auf der Basis dieses inzwischen gemäß § 112a AFG auf 295,-- DM dynamisierten Arbeitsentgelts sei dem Kläger auch die Alhi zuerkannt worden.

Der Bescheid vom 27. März 1984 ist dem Kläger am 6. April 1984 zugestellt worden. Eine Zustellung vor dem 2. April 1984 war vergeblich, da der Kläger umgezogen war und dies der Beklagten nicht mitgeteilt hatte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 25. Oktober 1984). Die Berufung des Klägers, die er allein darauf stützte, daß die Kürzung seines Alg um 42,60 DM wöchentlich (160,80 DM gegenüber 118,20 DM) verfassungswidrig sei, hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 15. August 1985 ausgeführt, die Beklagte habe in den angefochtenen Bescheiden die Rechtslage zutreffend berücksichtigt. Sie sei gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) verpflichtet gewesen, ihren Bewilligungsbescheid vom 29. November 1983 abzuändern, weil seit seinem Erlaß eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten sei. Der Herabsetzungsbescheid könne auch nicht erst für einen Zeitraum nach dem 2. April 1984 wirksam werden, weil er dem Kläger erst am 6. April 1984 zugegangen ist, denn der Kläger habe den verspäteten Zugang des Bescheides allein zu vertreten.

Die Halbierung des Arbeitsentgelts in § 112 Abs 5 Nr 2 AFG idF des HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Wenn der Kläger meine, daß eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den ungelernten Arbeitern insofern vorliege, als diesen Alg nach ihrem zuletzt erzielten Verdienst gewährt werde, während bei den Auszubildenden nach bestandener Abschlußprüfung die Hälfte des tariflichen Facharbeiterlohnes für die Berechnung des Alg maßgebend sei, so übersehe er, daß der unterschiedlichen gesetzlichen Regelung auch unterschiedliche Sachverhalte zugrunde lägen.

Die Neufassung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG sei im Hinblick auf sozialstaatliche Grundsätze verfassungsgemäß; aus dem Sozialstaatsprinzip ergäben sich keine individuellen Ansprüche des einzelnen Bürgers. In der Kürzung der Alhi liege auch kein Verstoß gegen das in Art 14 Grundgesetz (GG) geschützte Eigentumsrecht. Die Alhi sei im Gegensatz zum Alg keine Versicherungsleistung, sie werde aus Steuermitteln finanziert. Schließlich liege in der Kürzung der Alhi während ihrer Laufzeit auch keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei eine zukünftige Abänderung laufender Versicherungsleistungen erlaubt, wenn die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl das Ausmaß des durch eine Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens überwiege. Das sei hier der Fall. Zielsetzung des HBegleitG 1984 sei es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Abbau der Neuverschuldung fortzusetzen, damit die Zinsen niedriger bleiben können und das Vertrauen in die öffentliche Finanzwirtschaft dauerhaft gefestigt werde. Dieser Zielsetzung stehe kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers gegenüber. Er habe im Gegenteil mit einer zukünftigen Kürzung rechnen müssen, da der Bewilligungsbescheid vom 29. November 1983 bereits einen entsprechenden Hinweis enthalten habe.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Regelung des § 242b Abs 7 AFG, wonach die Neufassung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG für Fälle wie den vorliegenden ab 1. April 1984 gelte, sei mit dem GG nicht vereinbar und daher nichtig. Ihm stehe über den 31. März 1984 hinaus Alhi in der bisherigen Höhe zu. Dem LSG sei zwar einzuräumen, daß eine Verletzung des Art 14 GG nicht in Betracht komme, da die Leistungen der Alhi nicht eigentumsgeschützt seien; zu Unrecht habe das LSG jedoch eine Verletzung des Art 3 Abs 1 und des Art 20 GG verneint.

Die Auswirkungen der beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen müßten sich, um beurteilen zu können, ob sie dem Sozialstaatsprinzip genügten, an dem Gebot der Gerechtigkeit und der sozialen Ausgewogenheit messen lassen. Sozial ungerecht wäre es, wenn den sozial schwächsten Teilen der Bevölkerung durch die beschlossenen Regelungen ein besonders großes wirtschaftliches Opfer abverlangt würde, dagegen von den sozial starken Teilen keinerlei Einkommenseinbuße gefordert werde. Gemessen an den Grundsätzen von Gerechtigkeit und sozialer Ausgewogenheit sei die Regelung des § 242b Abs 7 AFG mit dem Sozialstaatsprinzip schlechthin unvereinbar.

Mit der drastischen Kürzung der laufenden Alhi bei erfolgreich ausgebildeten und arbeitslos gewordenen Berufsanfängern habe der Gesetzgeber nicht nur das Gerechtigkeitsgebot verletzt, sondern darüber hinaus gegen das Übermaßverbot verstoßen. Hierfür gebe es keinen Rechtfertigungsgrund. Die vorzunehmende Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen der Allgemeinheit und den berechtigten Belangen des Klägers müsse zu dessen Gunsten ausfallen. Deshalb sei § 242b Abs 7 AFG mit Art 20 GG unvereinbar und nichtig.

Art 3 Abs 1 GG werde dadurch verletzt, daß dem Kläger willkürlich unverhältnismäßig hohe Lasten der mit dem HBegleitG 1984 verfolgten Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aufgebürdet worden seien. Leistungsfähigere Glieder der Gesellschaft seien von dieser Last völlig freigestellt worden. Es gebe keinen plausiblen Grund für die weitere Herabsetzung des nach § 112 Abs 5 Nr 2 AFG zu bemessenden Arbeitsentgelts. Erst recht gebe es keine sachliche Rechtfertigung dafür, das reduzierte Arbeitsentgelt bei laufenden Geldleistungen zugrunde zu legen, insbesondere könne nicht eingewendet werden, bei der Regelung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG handele es sich um eine staatliche Wohltat, über die der Gesetzgeber frei verfügen könne.

Unter dem Gesichtswinkel des Vertrauensschutzes habe der Kläger nicht damit rechnen müssen, daß bei der Bemessung seines Anspruchs auf Alhi nur noch die Ausbildungsvergütung zugrunde gelegt werden würde. Mit Rücksicht darauf, daß er in der Zwischenzeit ein höheres Arbeitsentgelt über mehrere Monate tatsächlich erzielt hatte, habe er darauf vertrauen dürfen, daß die Bemessungsgrundlage seines Anspruchs auf Alg nicht zu seinem Nachteil abgeändert werden würde. Vor allem habe er nicht damit rechnen müssen, daß dies in einem solchen beträchtlichen Ausmaß geschehen würde. Sein Vertrauen in die Rechtsbeständigkeit der Grundlagen für die Bemessung der Alhi sei auch schutzwürdig. Dem stehe kein vorrangiges berechtigtes Allgemeininteresse gegenüber. Die drastische Leistungskürzung einer an sich kaum für eine angemessene Lebensführung ausreichenden Geldleistung erweise sich somit als verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts vom 25. Oktober 1984 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. März 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1984 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27. März 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1984. In diesem Bescheid hat die Beklagte die Alhi des Klägers ab 2. April 1984 (einem Montag) von bisher 160,80 DM auf 118,20 DM wöchentlich herabgesetzt. Entgegen der Auffassung des LSG hat sie damit nicht den Bescheid vom 29. November 1983 geändert, sondern den Bescheid vom 13. Januar 1984. Dieser war an die Stelle des Bescheides vom 29. November 1983 getreten, der von ihm dahin geändert worden war, daß dem Kläger ab 1. Januar 1984 für den bis zum 30. April 1984 gemäß § 139a AFG festgesetzten Bewilligungsabschnitt statt der bisher gewährten Alhi in Höhe von 166,80 DM nur noch 160,80 DM zustanden. Die Änderung des Bescheides vom 13. Januar 1984 durch den Bescheid vom 27. März 1984 für die Zeit ab 2. April 1984 ist rechtmäßig.

Der Anspruch des Klägers ergab sich der Höhe nach ab 1. Januar 1984 aus § 136 Abs 1 AFG idF des HBegleitG 1984. Hiernach beträgt die Alhi für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes haben, 58 vH, für die übrigen Arbeitslosen 56 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Arbeitsentgelt war im vorliegenden Falle gemäß § 136 Abs 2 Nr 1 AFG das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hatte. Die Regelung des § 242b Abs 7 AFG, wonach § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 mit der Maßgabe gilt, daß das Arbeitsentgelt unter Berücksichtigung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG in der vom 1. Januar 1984 an geltenden Fassung neu festzusetzen ist, gilt im vorliegenden Falle erst vom 1. April 1984 an, da der Kläger in einem Zeitraum im Juni 1983 Anspruch auf Alhi hatte (§ 242b Abs 7 Satz 3 AFG).

Bei der Feststellung der mit Bescheid vom 13. Januar 1984 festgestellten Alhi ist daher die Beklagte zutreffend von dem Arbeitsentgelt ausgegangen, das für die Bemessung des Alg maßgebend war. Dies waren gemäß § 112 Abs 5 Nr 2 AFG in der bis zum 30. Dezember 1983 geltenden Fassung 75 vH des tariflichen Arbeitsentgelts für einen Maurer. Nach den zutreffenden Berechnungen der Beklagten ergab dies bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden gerundet 395,-- DM. Dieser Betrag erhöhte sich aufgrund der Dynamisierung gemäß § 112a AFG auf zuletzt 420,-- DM, so daß die Alhi nach der für den Kläger maßgebenden Leistungsgruppe A und der Prozentzahl 56 gemäß der Anlage 3 der AFG-Leistungsverordnung 1984 (BGBl I 49) 160,80 DM wöchentlich betrug.

Aufgrund der Regelung des § 242b Abs 7 AFG war vom 1. April 1984 an das Arbeitsentgelt unter Berücksichtigung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung neu festzusetzen. Dies bedeutet im vorliegenden Falle, daß nunmehr bei der Feststellung des für die Bemessung der Alhi maßgeblichen Arbeitsentgelts nicht mehr wie bisher drei Viertel des Tariflohnes eines gelernten Maurers zugrunde zu legen ist, sondern nur noch die Hälfte, mindestens aber der Betrag, der als Ausbildungsvergütung gezahlt worden ist. Ist die Ausbildungsvergütung höher als die Hälfte des Tariflohnes, so ist sie als Arbeitsentgelt der Bemessung zugrundezulegen. Das ist hier der Fall. Der Tariflohn eines Maurers betrug wöchentlich 528,-- DM. Die Hälfte hiervon sind gerundet (§ 112 Abs 9 AFG) 265,-- DM. Demgegenüber betrug die Ausbildungsvergütung, wie die Beklagte zutreffend errechnet hat, gerundet 280,-- DM wöchentlich. Dieser Betrag erhöhte sich infolge der Dynamisierung gemäß § 112a AFG auf 295,-- DM, so daß dem Kläger nach der Leistungsgruppe A und der Prozentzahl 56 der AFG-Leistungsverordnung ab 2. April 1984 Alhi in Höhe von 118,20 DM wöchentlich zustand.

Die angefochtenen Bescheide entsprechen hiernach den Bestimmungen des § 242b Abs 7 AFG iVm § 112 Abs 5 Nr 2 AFG in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung. Die Beklagte war auch befugt, insoweit den Bescheid vom 13. Januar 1984 aufzuheben. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich diese Befugnis unmittelbar aus § 242b AFG ergibt, weil diese Vorschrift als Sonderregelung der allgemeinen Regelung der §§ 48 ff des SGB 10 als auch des § 77 SGG anzusehen ist (so BSG SozR 4100 § 242b Nr 1), oder ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Aufhebung von Verwaltungsakten vorliegen müssen. Selbst wenn man letzteres annimmt, ändert dies am Ergebnis nichts.

Nach § 48 Abs 1 SGB 10 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. In den bei Erlaß des Bescheides vom 13. Januar 1984 vorliegenden rechtlichen Verhältnissen ist nachträglich eine wesentliche Änderung eingetreten. Für die Höhe der dem Kläger bewilligten Alhi war maßgebend, daß sich die Feststellung des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 5 Nr 2 AFG in der bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Fassung richtete. Für die Zeit ab 1. April 1984 war diese Bestimmung in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung anzuwenden, was zur Folge hatte, daß sich die Alhi des Klägers erheblich verringerte. Hierin liegt eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Abs 1 SGB 10. Diese verpflichtete die Beklagte allerdings nur, den Verwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben. Das kann frühestens von dem Zeitpunkt an sein, in dem der Aufhebungsbescheid wirksam geworden ist.

Wirksam, dh existent, wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt, in dem er ihm bekanntgegeben wird (§ 39 Abs 1 Satz 1 SGB 10). Nach § 37 Abs 2 SGB 10 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Geltungsbereich dieses Gesetzes übermittelt wird, mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer, wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Hier hat der Kläger den Bescheid vom 27. März 1984, nachdem dieser an seine neue Anschrift zur Post aufgegeben worden ist, am 6. April 1984 erhalten. Der Bescheid muß daher spätestens am 5. April abgesandt worden sein, so daß er mithin spätestens am 8. April 1984 wirksam geworden ist. Dh, für die Zeit bis zu diesem Tage ist an sich Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht § 48 Abs 1 Satz 1 SGB 10, sondern Satz 2 dieser Vorschrift.

Hierauf kann sich der Kläger jedoch nicht berufen und tut dies auch nicht. Er muß sich nämlich entgegenhalten lassen, daß er die rechtzeitige Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vereitelt hat, weil er seinen Wohnsitzwechsel der Beklagten nicht unverzüglich angezeigt hat. Zu dieser Anzeige war er gemäß § 61 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch verpflichtet. Nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für es erreichbar ist. Gemäß § 1 der Aufenthaltsanordnung vom 3. Oktober 1979 (ANBA 1979, 1388) muß das Arbeitsamt den Arbeitslosen während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des Arbeitsamtes maßgeblichen Anschrift erreichen können. Das war hier, nachdem der Kläger umgezogen war, nicht der Fall. Das Arbeitsamt konnte ihn unter seiner bisherigen Anschrift nicht erreichen, wie aus der Rücksendung des dorthin gerichteten Briefes durch die Post folgt. Dieser Brief war, wie aus dem Poststempel des bei der Leistungsakte der Beklagten befindlichen Briefumschlags folgt, am 28. März 1984 zur Post gegeben worden. Der Bescheid wäre daher, wenn er an die richtige Adresse des Klägers gerichtet worden wäre, gemäß § 39 iVm § 37 Abs 2 SGB 10 am 31. März 1984 wirksam geworden, und der Kläger könnte nicht geltend machen, bis zum 8. April 1984 habe es sich um eine Aufhebung für die Vergangenheit gehandelt. Wollte er dies dennoch tun, müßte er sich entgegenhalten lassen, daß sein Verhalten nicht mit Treu und Glauben im Einklang steht. Es verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn sich jemand gegenüber einem anderen auf eine Rechtsposition beruft, die er erlangt hat, weil er eine ihm diesem gegenüber obliegende Pflicht verletzt hat. Hiernach hat die Beklagte das geltende Recht auf den vorliegenden Sachverhalt zutreffend angewandt.

Der Senat sieht keine Veranlassung, der Anregung des Klägers zu folgen, die Sache dem BVerfG vorzulegen. Er hält die Regelung des § 242b Abs 7 AFG und des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG idF des HBegleitG 1984 mit dem GG vereinbar. Zwar handelt es sich im Falle ununterbrochener Arbeitslosigkeit mit Fortbestand der übrigen Anspruchsvoraussetzungen bei der Alhi grundsätzlich um einen einheitlichen und fortwährenden Anspruch. Darauf hat die abschnittsweise Bewilligung der Leistung gemäß § 139a AFG keinen Einfluß. Diese stellt keine Begrenzung der Anspruchsdauer, sondern lediglich eine solche der Leistungsbewilligung dar; jedoch bedeutet dies nicht, daß ein einmal entstandener Anspruch auf Alhi auch bei sonst gleichbleibenden Verhältnissen zeitlich unbegrenzt gewährleistet ist. Im Rahmen verfassungsrechtlich zulässiger Maßnahmen ist der Gesetzgeber vielmehr berechtigt, auch in den Bestand eines solchen Anspruchs einzugreifen. Dies ist mit der Änderung des § 112 Abs 5 Nr 2 und der Einfügung des § 242b Nr 7 AFG durch das HBegleitG 1984 geschehen.

Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung zwar in einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft eingegriffen. Diese Gesetzesänderung wirkt sich auch zum Nachteil des Klägers aus. Wie der Senat bereits zu der Änderung des § 134 AFG durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) entschieden hat (s Urteile vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 123/84 - und vom 24. Juli 1986 - 7 RAr 94/84 -) war der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen hieran jedoch nicht gehindert. Der Anspruch auf Alhi unterliegt, da er nicht aus Beitrags sondern aus Steuermitteln finanziert wird, nicht dem Bereich des Eigentumsschutzes nach Art 14 GG (vgl jeweils mit Hinweis auf BVerfGE 45, 142, 170, BSG vom 12. November 1981 - 7 RAr 51/80 - Dienstbl R der Beklagten § 134 Nr 2710a; BSG SozR 4100 § 136 Nr 2). Die Auswirkung der Änderung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG durch das HBegleitG 1984 für laufende Leistungsfälle ist trotz ihrer Beschränkung auf die Zukunft zwar als eine sog unechte Rückwirkung eines Gesetzes anzusehen, die an der Schranke des Rechts- und Sozialstaatsprinzips iS des Art 20 GG zu messen ist. Diese wäre jedoch nur dann verfassungswidrig, wenn sie in einen Vertrauenstatbestand eingegriffen hätte und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für die Allgemeinheit das Interesse des einzelnen am Fortbestand des bisherigen Zustandes nicht übersteigen würde (BVerfGE 36, 73, 82). Das ist jedoch nicht der Fall.

Angesichts der zahlreichen Änderungen im Recht der Alhi seit Inkrafttreten des AFG kann der Bezieher dieser Leistung sich nicht darauf berufen, ihm müsse ein Vertrauen in den gleichbleibenden Fortbestand der einmal vorhandenen Anspruchsvoraussetzungen zugebilligt werden (vgl BSGE 48, 33, 41 = SozR 4100 § 44 Nr 19). Der Senat hat schon mehrfach entschieden, daß der Bezieher von Alhi auch mit entwertenden Eingriffen des Gesetzgebers in den Bestand oder die Höhe seines Anspruchs rechnen muß, die aus übergeordneten öffentlichen Interessen erfolgen. Hierbei ist zudem zu beachten, daß die Alhi Elemente einer Fürsorgeleistung enthält. Bei Fortfall oder Verringerung dieses Anspruchs wird dem sodann Bedürftigen durch das Recht auf Sozialhilfeleistungen grundsätzlich ein angemessener Ausgleich gewährleistet (BSG vom 12. November 1981 aaO; BSG SozR 4100 § 136 Nr 2). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Änderung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG, auf den § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG verweist. Sie beruht auf der Erwägung, angesichts der schwierigen Finanzlage der Bundesanstalt und des Bundes auch die Leistungen zu kürzen, die bereits vor dem 1. Januar 1984 entstanden waren (BR-Drucks 302/83 S 87 zu Nr 30; § 242b AFG zu Abs 1). Dies ist in bezug auf die Alhi sachgerecht.

Keiner Entscheidung bedarf es, ob ein übergangsloses Inkrafttreten der Neuregelung zu beanstanden wäre. Das HBegleitG 1984 sieht insoweit gemäß § 242b Abs 7 AFG in laufenden Leistungsfällen eine Übergangszeit von drei Monaten vor. Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm hier zustehenden weiten Gestaltungsspielraums (vgl dazu BVerfGE 29, 221, 235; 36, 73, 84) damit eine verfassungsrechtlich fehlerfreie Abwägung zwischen öffentlichen und Individualinteressen vorgenommen. Wenn dies bei geringeren Eingriffen sogar zu einer den Art 20 GG nicht berührenden übergangslosen Anwendung neuen Rechts führen darf (vgl BSG SozR 4100 § 136 Nr 2), dann trägt die hier vorgesehene Übergangslösung jedenfalls dem Bedürfnis des Alhi-Beziehers ausreichend Rechnung, vor rechtsstaatlich bedenklichen Eingriffen, dh hier vor einer zeitlich unmittelbar wirkenden erheblichen Entwertung seiner erworbenen Rechte, geschützt zu werden (vgl dazu BSG vom 12. November 1981 aaO).

Der Senat vermag nach allem dem Kläger nicht darin zu folgen, daß die Regelung des § 242b Abs 7 AFG mit seinen Auswirkungen auf vor dem 31. März 1984 entstandene Alhi-Ansprüche gegen rechts- oder sozialstaatliche Verfassungsgrundsätze verstößt, weil die Prinzipien der Rechtssicherheit der Verhältnismäßigkeit oder das Übermaßverbot nicht eingehalten sind. Die Argumentation des Klägers läuft darauf hinaus, daß der einmal erworbene Anspruch auf Alhi - sofern Arbeitslosigkeit nicht durch Vermittlung in Arbeit beendet werden kann - dem Berechtigten von Verfassungs wegen letztlich bis zum Eintritt in den Rentenbezug erhalten bleiben müsse. Dies ist schon nach der vom Senat vertretenen oa Auffassung nicht richtig, da das GG den Gesetzgeber prinzipiell nicht hindert, in bestehende Alhi-Ansprüche nachteilig einzugreifen. Entscheidend dabei ist lediglich, ob solche Eingriffe schutzwürdige Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigen. Für die Regelungen des HBegleitG 1984 in bezug auf § 242b Abs 7 iVm § 112 Abs 5 Nr 2 AFG ist dieser Grundsatz gewahrt. Dem Kläger verbleibt als Bemessungsentgelt wenigstens die Ausbildungsvergütung.

Der Senat kann dem Kläger nicht darin beipflichten, daß der Gesetzgeber mit Leistungsbeschränkungen der Alhi wie in § 242b Abs 7 iVm § 112 Abs 5 Nr 2 AFG den Betroffenen in rechts- oder sozialstaatswidriger Weise übermäßige Belastungen ansinnt. Wie bereits ausgeführt wurde, ist die Notwendigkeit, wegen gesetzlich angeordneten Fortfalls oder der Kürzung eines Alhi-Anspruchs Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, kein Verstoß gegen rechts- oder sozialstaatliche Verfassungsgrundsätze.

Auch soweit der Kläger eine Verletzung von Art 3 GG durch die Folgen der Regelung des § 242b Abs 7 AFG geltend macht, greift sein Vorbringen nicht durch. Die Vorschrift behandelt alle Alhi-Empfänger nach Maßgabe der im Einzelfalle gegebenen Voraussetzungen gleichartig. Auch die aus den geänderten Anspruchsvoraussetzungen folgende Grenzziehung ist keine willkürliche Ungleichbehandlung. Soweit der Kläger meint, der Gesetzgeber habe zu Unrecht leistungsfähigere Mitglieder der Gesellschaft von der mit dem HBegleitG 1984 verfolgten Konsolidierung der öffentlichen Haushalte verschont, handelt es sich um rechtspolitische Erwägungen. Diese hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm verfassungsrechtlich zustehenden Gestaltungsspielraums zu bewerten. Seine Entscheidung, solchen Erwägungen nicht zu folgen, kann daher nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen.

Soweit der Kläger meint, er habe unter dem Gesichtswinkel des Vertrauensschutzes nicht damit rechnen müssen, daß der Bemessung seines Anspruchs auf Alhi nur noch die Ausbildungsvergütung zugrunde gelegt werden würde, spricht dagegen schon, daß, wie ausgeführt wurde, der Bezieher von Alhi allgemein mit entwertenden Eingriffen des Gesetzgebers in den Bestand oder die Höhe der Alhi rechnen muß. Das gilt auch für die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG hinsichtlich der Leistungsbemessung bei einer Beschäftigung zur Berufsausbildung. Ursprünglich hatte das AFG die Regelung getroffen, daß für die Zeit einer Beschäftigung als Lehrling mindestens ein Arbeitsentgelt von 10,-- DM wöchentlich anzusetzen ist. Erst durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881 § 36) wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 bestimmt, daß für Auszubildende mit Abschlußprüfung bei der Berechnung des Alg nunmehr das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen ist, das sie nach § 112 Abs 7 AFG erzielen können. Mit dem 4. AFG-Änderungsgesetz vom 12. Dezember 1977 (BGBl I, 2557) wurde diese Bestimmung dahin geändert, daß künftig nur das um 25 vH geminderte Arbeitsentgelt die Bemessungsgrundlage bildete. Dies geschah, um das Alg und die Alhi für Berufsanfänger der zuvor bezogenen Ausbildungsvergütung anzunähern (Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks 8/857). Wenn der Gesetzgeber diese Richtung weiterverfolgt und nunmehr nur noch die Hälfte des fiktiven Arbeitsentgelts, auf jeden Fall aber die Ausbildungsvergütung, als Bemessungsentgelt gelten soll, dann führt er damit eine einmal eingeschlagene Entwicklung fort, die einem Vertrauen des Leistungsempfängers in die bisher gewährte Leistung die Grundlage entzieht. Hierbei spielt es keine Rolle, daß der Kläger bereits kurzfristig tätig geworden ist, denn die Höhe der Leistung richtet sich nach dem Bemessungszeitraum (§ 112 Abs 2 AFG), so daß insoweit auch keine Ungleichbehandlung gemäß Art 3 GG vorliegen kann.

Auch die Nachteile, die einem Ausgebildeten mit Abschlußprüfung bei der Höhe des Alg oder der Alhi gegenüber einem Hilfsarbeiter entstehen, vermögen einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht zu begründen. Der Kläger übersieht, daß es sich hier um unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmern handelt, deren Status es rechtfertigt, sie auch unterschiedlich zu behandeln, und zwar gerade deshalb, weil der Arbeitnehmer ohne Ausbildung Arbeitsentgelt bezogen hat, während der Auszubildende lediglich eine Ausbildungsvergütung erhielt. Ob dies rechts- und arbeitsmarktpolitisch wünschenswert ist, kann dahingestellt bleiben. Ein Verstoß gegen Art 3 GG kann jedenfalls darin nicht gesehen werden.

Nach allem kann die Revision des Klägers keinen Erfolg haben, sie ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663014

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