Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des § 242b Abs 1 iVm § 111 Abs 1 AFG

 

Orientierungssatz

Die Überleitungsvorschrift des § 242b Abs 1 AFG verstößt nicht gegen Art 14 GG, soweit nach ihr § 111 Abs 1 AFG in der seit dem 1.1.1984 geltenden Fassung von diesen Zeitpunkt an auch für Ansprüche auf Arbeitslosengeld gilt, die vor diesen Zeitpunkt entstanden sind.

 

Normenkette

AFG § 111 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1983-12-22, § 242b Abs 1 Fassung: 1983-12-22; GG Art 14 Abs 1; GG Art 20 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.01.1985; Aktenzeichen L 7 Ar 263/84)

SG Hildesheim (Entscheidung vom 04.07.1984; Aktenzeichen S 3 Ar 105/84)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) ab 1. Januar 1984.

Die Beklagte gewährte dem 1953 geborenen schwerbehinderten ledigen Kläger nach der Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme ab 1. August 1983 Alg für 223 Tage in Höhe von 212,40 DM wöchentlich nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 460,-- DM (Bescheid vom 4. Oktober 1983).

Ab 1. Januar 1984 gewährte die Beklagte dem Kläger das Alg nur noch in Höhe von 196,20 DM, nachdem nach § 111 Abs 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der seit dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) das Alg für Arbeitslose ohne Kinder iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr 68 vH, sondern nur noch 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts beträgt (Bescheid vom 11. Januar 1984, Widerspruchsbescheid vom 8. März 1984). Die Klage und die vom Sozialgericht (SG) zugelassene Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des SG vom 4. Juli 1984, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 22. Januar 1985).

Das LSG hat zur Begründung seines die Berufung des Klägers zurückweisenden Urteils ausgeführt, die angefochtene Abänderung der ausgesprochenen Bewilligung sei nach § 242b Abs 1 AFG rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift gelte § 111 Abs 1 AFG nF vom 1. Januar 1984 an auch für Ansprüche, die vor diesem Zeitpunkt entstanden seien; insoweit sei neu zu entscheiden: Änderungsbescheide würden mit Wirkung vom 1. Januar 1984 an wirksam. Auf die Bestandskraft der Bewilligung könne sich der Kläger nicht berufen. Der Bestand von Verwaltungsakten sei nur insoweit gesichert, als durch Gesetz nichts anderes bestimmt sei. Eine solche andere Bestimmung sei § 242b Abs 1 AFG, der als lex specialis auch gegenüber den §§ 48, 40 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vorgehe. Soweit § 242b Abs 1 AFG die Herabsetzung des Alg vorschreibe, sei die Vorschrift entgegen der Auffassung des Klägers verfassungsgemäß. Der Anspruch auf Alg genieße zwar den Schutz des Art 14 Grundgesetz (GG); dieser verfassungsrechtliche Schutz sei jedoch auf den Kernbereich der erworbenen Eigentumsposition beschränkt. Eingriffe seien zulässig, wenn die Einschränkung des Grundrechts zur Erreichung eines vom Gemeinwohl gedeckten Zieles geeignet, notwendig und nicht übermäßig belastend sei. In seinem Kernbereich sei der Anspruch auf Alg nicht berührt worden. Die Neuregelung habe beim Kläger eine Senkung der Leistung um ca 7,6 % zur Folge gehabt. Hierdurch sei die Lebensführung des Klägers nicht erheblich beeinträchtigt worden; übermäßige oder existenzgefährdende Auswirkungen habe die Kürzung nicht. Das Alg sei höher als die Arbeitslosenhilfe (Alhi); außerdem werde von der Kürzung nur ein Personenkreis betroffen, der in der Regel weniger bedürftig sei. Die Neuregelung habe die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Abbau der Neuverschuldung fortsetzen sollen, um die Zinsen niedrig zu halten und das Vertrauen in die öffentliche Finanzwirtschaft dauerhaft zu befestigen. Im Verhältnis zu dieser für das Gemeinwohl wichtigen Zielsetzung liege in der nichterheblichen Beeinträchtigung der Rechtsposition des Klägers keine unzumutbare Belastung. Daß die Beklagte trotz im wesentlichen unveränderter Arbeitslosenzahl 1984 einen Überschuß erwirtschaftet habe, sei nicht allein eine Folge der Änderung des § 111 Abs 1 AFG, sondern beruhe auf den Auswirkungen des Gesamtpakets aller Sparmaßnahmen. Zudem sei auch die ein- oder mehrmalige Erwirtschaftung von Überschüssen, mit denen verstärkt Maßnahmen der Arbeitsförderung finanziert oder Rücklagen gebildet werden könnten, kein eindeutig sachwidriges Ergebnis einer auf die Beklagte bezogenen Haushaltspolitik. Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG falle als Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung des § 242b Abs 1 AFG aus, denn der Grundsatz des Vertrauensschutzes habe für die vermögenswerten Güter im Eigentumsrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung der Art 3, 14 und 20 GG und trägt hierzu vor: Soweit sich das LSG auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) berufe, übersehe es, daß das BVerfG über die Frage, ob und unter welchen besonderen Voraussetzungen der Gesetzgeber in laufende Sozialversicherungsleistungen kürzend eingreifen dürfe, bislang nicht entschieden habe. Eine solche Entscheidung sei nicht erforderlich geworden, weil erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland mit dem HBegleitG 1984 im Erfüllungszustand befindliche Versicherungsleistungen gekürzt worden seien. Selbst bei der Abschmelzung des Steigerungssatzes des Knappschaftsruhegeldes nach dem Finanzänderungsgesetz 1967 sei keine Verringerung der laufenden Rente eingetreten. Die Angleichung an das neue Recht sei damals vielmehr über eine geringere Rentenanpassung herbeigeführt worden. Es sei ein bedeutsamer Unterschied, ob lediglich in eine Anwartschaft eingegriffen, oder ob eine bereits bewilligte Leistung gekürzt werde; denn im letzteren Falle sei die Anwartschaft nach Eintritt des Versicherungsfalles zur Vollrente erstarkt und durch den Bewilligungsbescheid konkretisiert, aufgrund dessen der Versicherungsträger zur Leistung verpflichtet sei. Die Theorie von der Kernbestandsgarantie möge insbesondere für die gesetzliche Rentenversicherung erforderlich sein, um dem Gesetzgeber einen Handlungsspielraum zu ermöglichen. Für die Zulässigkeit der Kürzung laufender Versicherungsleistungen seien dagegen andere Kriterien aufzustellen. Laufende Geldleistungen, die durch Eigenvorsorge erworben worden seien, dürften nur in ganz seltenen Ausnahmefällen gekürzt werden. So habe der Staat bislang sich nur während der Wirtschaftsdepression Anfang der 30er Jahre gezwungen gesehen, kürzend in laufende Versicherungsleistungen einzugreifen. Die Ausnahmesituation sei offenkundig gewesen und habe damals auch dazu geführt, daß Gehälter der Staatsbediensteten und die Pensionen der Ruheständler gekürzt worden seien. Dagegen seien die Versicherungsleistungen weder bei Kriegsende noch anläßlich der Währungsreform 1948 gekürzt worden. Die wirtschaftliche Situation 1983 habe keinen Grund abgegeben, kürzend in laufende Leistungen einzugreifen. Handele es sich, wie beim Alg, ohnehin um eine nur zeitlich begrenzte Geldleistung, deren alsbaldiges Ende durch das Gesetz bestimmt sei, werde man der Solidargemeinschaft der Versicherten, erforderlichenfalls den Steuerzahlern, zumuten können, die bewilligten Leistungen bis zu ihrem Auslaufen ungekürzt zu erfüllen. Die Besitzstandsgarantie bei laufenden Geldleistungen sei ein Wesensmerkmal der Sozialversicherung, das der Gesetzgeber in der Vergangenheit stets beachtet habe. Im übrigen sei die Kürzung des Alg gar nicht notwendig gewesen, um den Finanzbedarf der Beklagten sicherzustellen. Der Gesetzgeber habe sich nämlich aufgrund der Überschüsse der Beklagten schon ein Jahr später in der Lage gesehen, kostenwirksame Leistungsverbesserungen in der Arbeitslosenversicherung vorzunehmen. So sehr solche Leistungsverbesserungen wünschenswert seien, dürfe der Gesetzgeber von Arbeitslosen kein Sonderopfer verlangen. Es sei seine Pflicht, zunächst dafür zu sorgen, daß eine einmal bewilligte Leistung auch erfüllt werde. Das gelte umso mehr, als das Alg nur eine sehr knapp bemessene Lohnersatzleistung sei und der Arbeitslose, zumal ein Schwerbehinderter wie der Kläger, einem schlimmen Schicksal ausgeliefert sei. Deshalb sei es auch willkürlich, gerade diesem Personenkreis die Lasten der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aufzubürden, andere Bevölkerungskreise aber hiervon auszunehmen, wie das 1983 geschehen sei.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG und des LSG und den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1984 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie nimmt auf das angefochtene Berufungsurteil Bezug und weist ergänzend darauf hin, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen den vom BVerfG entschiedenen Fällen und der vorliegenden Streitsache nicht bestehe. Gegen eine grundsätzlich unterschiedliche Bewertung spreche insbesondere, daß es dem Gesetzgeber nach dem Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 grundsätzlich nicht verwehrt sei, Leistungen zu kürzen oder den Umfang von Ansprüchen oder Anwartschaften zu vermindern. Auch rechtfertigten die Erwägungen, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 19/83 - zur Herabsetzung des Übergangsgeldes (Übg) durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) generell zur Befugnis des Gesetzgebers angestellt habe, Sozialleistungen herabzusetzen, auch bei der vorliegenden Fallgestaltung den Eingriff des Gesetzgebers in den laufenden Alg-Bezug.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 1984 ist, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, rechtmäßig.

Der Anspruch des Klägers auf Alg, der dem Grunde nach nicht streitig ist, richtete sich der Höhe nach bis zum 31. Dezember 1983 nach § 111 AFG in der zuletzt durch das AFKG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) geänderten Fassung. Nach Abs 1 dieser Vorschrift betrug das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG). Im Falle des Klägers bedeutete dies, daß ihm bei einem unveränderten gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt (§ 112 AFG) von 460,-- DM nach der die Nettolohnersatzquote von 68 vH und die gesetzlichen Abzüge berücksichtigenden AFG-Leistungsverordnung 1983 vom 23. Dezember 1982 (BGBl I 2038) in der für nichtverheiratete Arbeitnehmer ohne Kinder vorgesehenen Leistungsgruppe A (§ 111 Abs 2 Nr 1 Buchst a AFG) die 212,40 DM in der Woche zustanden, die die Beklagte ihm gewährt hat (Bescheid vom 4. Oktober 1983).

Durch Art 17 Nr 16 des am 1. Januar 1984 in Kraft getretenen HBegleitG 1984 ist § 111 AFG geändert worden. Nach der geänderten Fassung des § 111 Abs 1 AFG beträgt das Alg nunmehr nur noch für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG haben, 68 vH, für die übrigen Arbeitslosen dagegen 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Der durch das HBegleitG 1984 eingefügte § 242b AFG bestimmt in Abs 1, daß § 111 Abs 1 AFG in der vom 1. Januar 1984 an geltenden Fassung von diesem Zeitpunkt an auch für Ansprüche gilt, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind. Anstelle des Wochensatzes von 211,80 DM, den die AFG-Leistungsverordnung 1984 vom 13. Januar 1984 (BGBl I 49) für Arbeitslose mit Kindern in der Leistungsgruppe A für ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 460,-- DM ausweist, beträgt der Wochensatz bei sonst gleichen Merkmalen für die übrigen Arbeitslosen und damit auch für den Kläger ab 1. Januar 1984 196,20 DM. Nach den gesetzlichen Vorschriften war die Beklagte auch berechtigt, anstelle der bisher für die Woche bewilligten 212,40 DM den ab 1. Januar 1984 geltenden geringeren Satz von 196,20 DM durch den Bescheid vom 11. Januar 1984 rückwirkend ab 1. Januar 1984 festzusetzen. Als Sonderregelung gegenüber der allgemeinen Regelung des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 48 SGB 10 sieht § 242b Abs 1 AFG nämlich ausdrücklich vor, daß "insoweit", dh, soweit § 111 Abs 1 AFG in der neuen Fassung auch für Ansprüche gilt, die vor dem 1. Januar 1984 entstanden sind, über bereits zuerkannte Ansprüche neu zu entscheiden ist und Änderungsbescheide mit Wirkung vom 1. Januar 1984 an wirksam werden.

Der angefochtene Bescheid entspricht dem geänderten Gesetz. Das wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Sie macht vielmehr allein geltend, daß die Gesetzesänderung verfassungswidrig sei. Das ist jedoch nicht der Fall.

Allerdings unterfallen die Ansprüche auf Alg und jedenfalls die Rechtspositionen solcher Versicherter, die innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist die Anwartschaftszeit, wie diese sich aus der jeweiligen Gesetzeslage ergibt, erfüllt haben, dem Schutzbereich des Art 14 GG (BVerfGE 72, 9, 18 ff = SozR 4100 § 104 Nr 13). Der Schutz durch die Eigentumsgarantie hindert den Gesetzgeber indes nicht, die die Höhe des Anspruchs auf Alg betreffenden Vorschriften mit der Folge zu ändern, daß es künftig zu geringeren Leistungen kommt; denn Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt (Art 14 Abs 1 Satz 2 GG). Den Neuerwerb, Verlust und Umfang von Rechtspositionen, die, wenn sie begründet worden sind, dem Schutz des Art 14 GG unterliegen, kann der Gesetzgeber neu regeln. Hätte das HBegleitG 1984 die Senkung der Nettolohnersatzquote des Alg für Arbeitslose ohne Kinder nur für künftig entstehende Versicherungsverhältnisse vorgesehen, so würden hiergegen im Hinblick auf Art 14 GG keine Bedenken bestehen. Aus dem Umstand, daß die Senkung der Nettolohnersatzquote beim Alg nur Personen betrifft, die wie der Kläger keine zu versorgenden Kinder haben, läßt sich auch keine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes des Art 3 Abs 1 GG herleiten. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, und davon diejenigen abzugrenzen, für die andere Rechtsfolgen vorgesehen sind. Der Gesetzgeber muß seine Auswahl allerdings sachgerecht treffen; die unterschiedliche Behandlung der zu regelnden Sachverhalte darf nicht willkürlich sein. Davon kann hier indes keine Rede sein. Die höhere Nettolohnersatzquote des § 111 Abs 1 Nr 1 AFG für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG haben, hat nämlich ihren sachlichen Grund darin, daß der besonderen Belastung der Arbeitslosen mit Kindern Rechnung getragen werden sollte (vgl Begründung zur Neufassung des § 111 AFG, BT-Drucks 10/335 S 84 f und BT-Drucks 10/691 S 16 f). Um die zusätzliche Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe zu vermeiden, sollte durch die höhere Nettolohnersatzquote bewirkt werden, daß auch Leistungsempfänger mit Kindern im allgemeinen nicht sozialhilfebedürftig würden. Die Revision beanstandet auch nicht, daß für das Alg zwei Nettolohnersatzquoten eingeführt worden sind, wie dies ebenso für das Kurzarbeitergeld (Kug), das Schlechtwettergeld (SWG) und die Alhi geschehen ist und für das Unterhaltsgeld (Uhg) und das Übg schon seit dem AFKG gilt, und daß die Nettolohnersatzquote beim Alg für Leistungsempfänger ohne Kinder auf 63 vH festgesetzt worden ist. Die Angriffe der Revision wenden sich vielmehr dagegen, daß das HBegleitG 1984 auch Leistungsbezieher in die Neuregelung einbezogen hat. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat schon entschieden, daß die §§ 44, 59, 242b Abs 1 AFG idF des HBegleitG 1984, soweit diese Vorschriften die Kürzung durch Bescheid bewilligter laufender Leistungen von Uhg und Übg an Leistungsempfänger ohne Kinder zulassen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind (Urteil vom 28. November 1985 - 11b RAr 2/85 - SozR 4100 § 242b Nr 1; Urteil vom 21. August 1986 - 11b RAr 14/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Aus im wesentlichen den gleichen Gründen, die der 11. Senat angeführt hat, ist die Überleitungsvorschrift des § 242b Abs 1 AFG verfassungsgemäß, soweit nach ihr § 111 Abs 1 AFG in der seit dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung von diesem Zeitpunkt an auch für Ansprüche auf Alg gilt, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind.

Die Eigentumsgarantie stellt keine unüberwindliche Schranke dar, wenn Reformen sich als notwendig erweisen. Die Befugnis des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, schließt das Recht ein, auch bestehende Rechtspositionen inhaltlich umzuformen und unter Aufrechterhaltung des bisherigen Zuordnungsverhältnisses neue Befugnisse und Pflichten festzulegen. Für Eingriffe in die durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützten subjektiven Rechte im Falle einer Änderung der Rechtsordnung muß der Gesetzgeber jedoch legitimierende Gründe haben (vgl BVerfGE 31, 275, 291; 58, 81, 121; 72, 9, 23). Regelungen iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG, die zu solchen Eingriffen führen, sind nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind (vgl BVerfGE 31, 275, 290; 36, 281, 293; 58, 81, 121). Die Eingriffe müssen zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, sie dürfen den Betroffenen nicht übermäßig belasten und nicht unzumutbar sein (vgl BVerfGE 21, 150, 155; 58, 137, 148; 72, 9, 23).

Hiernach kann die Herabsetzung der Nettolohnersatzquote des Alg auch für Arbeitslose, die im Zeitpunkt der Gesetzesänderung im Leistungsbezug standen, nicht beanstandet werden. Das Stammrecht oder die Anspruchsberechtigung, die dem Arbeitslosen nach Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen aus der Zurücklegung der Anwartschaftszeit erwächst und ihm bis zur Erschöpfung des Anspruchs (§ 110 AFG) oder bis zum Erlöschen (§ 125 AFG) verbleibt, ist als solches, insbesondere hinsichtlich der Anspruchsdauer, erhalten geblieben. Das erworbene Stammrecht ist durch das HBegleitG 1984 allerdings insoweit betroffen worden, als sich künftig die Höhe des Alg nach dem für den Arbeitslosen ungünstigeren Recht richtet. Ob der dem Anspruch auf Alg zukommende Schutz des Art 14 GG sich auch auf die Höhe künftiger Leistungen bzw auf die die Höhe künftiger Leistungen bestimmenden gesetzlichen Grundentscheidungen wie die Nettolohnersatzquote bezieht, bedarf hier keiner Entscheidung; denn selbst wenn der einmal erworbene Anspruch auf Alg derart durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützt sein sollte, war der Gesetzgeber zu dem vorgenommenen Eingriff berechtigt.

Das Alg ist, wie der Senat schon für das Übg zum Ausdruck gebracht hat (Urteil vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 19/83 - nicht veröffentlicht), durch seine Einfügung in einen Gesamtzusammenhang geprägt, der auf dem Gedanken der Solidargemeinschaft beruht. Danach sollen grundsätzlich die Arbeitgeber und die in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmer die Mittel aufbringen, die für die von der Beklagten zu tragenden Leistungen der Arbeitsförderung erforderlich sind. Hieraus folgt, daß dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zukommt, insbesondere für Regelungen, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Sofern dies einem Zweck des Gemeinwohls dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Leistungen zu kürzen. Allerdings hat er dabei zu beachten, was von den Berechtigten aufgrund eigener Leistung erbracht ist (vgl BVerfGE 53, 257, 293; 58, 81, 110).

Die Kürzung des Alg auch der Leistungsbezieher diente in diesem Sinne dem Gemeinwohl. Sie ist neben der Kürzung der anderen Leistungen (Kug, SWG, Uhg, Übg, Alhi) nach der Auffassung der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit des Bundestages wegen der schwierigen Finanzlage der Bundesanstalt für Arbeit (BA) und des Bundes unabwendbar gewesen und sollte die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Arbeitsförderung, vor allem aber auch der Arbeitslosenversicherung sichern (Begründung zu § 242b AFG, BT-Drucks 10/335 S 87). Nachdem die Ausgaben der BA die Einnahmen trotz der durch das AFKG bewirkten Leistungseinschränkungen und Beitragserhöhung seit 1980 regelmäßig überstiegen hatten und die Defizite durch erhebliche Bundeszuschüsse (lt Sozialbericht 1986, BT-Drucks 10/5810 S 133, 1980 1,8 Mrd DM, 1981 8,2 Mrd DM, 1982 7,0 Mrd DM, 1983 1,6 Mrd DM) hatten ausgeglichen werden müssen, drohte auch für 1984 ein Fehlbedarf. Im Rahmen der von der Bundesregierung eingeschlagenen und der von der Bundestagsmehrheit gebilligten Politik, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Abbau der Neuverschuldung, insbesondere durch Dämpfung des Wachstums der öffentlichen Ausgaben, gerade auch im konsumtiven Bereich, fortzusetzen, um die Zinsen niedrig zu halten und das Vertrauen in die öffentliche Finanzwirtschaft dauerhaft zu festigen, galt es wiederum, das erneut drohende Defizit auch durch Leistungseinschränkungen zu verringern (vgl dazu BT-Drucks 10/335 S 1 ff, 41, 61 f; BT-Drucks 10/690 S 1; BT-Drucks 10/691 S 16 f). Die mit dem HBegleitG 1984 beschlossenen Maßnahmen sollten den Haushalt der BA schon 1984 um ca 2,4 Mrd DM entlasten, nämlich in Höhe von etwa 1,450 Mrd DM durch Leistungskürzungen und in Höhe von 0,935 Mrd DM durch Einnahmeverbesserungen (vgl BT-Drucks 10/335 S 55 f und 10/691 S 22). Trotz dieser Maßnahmen mußte der Haushaltsplan der BA für 1984 bei geplanten Ausgaben von 34,8 Mrd DM noch einen Bundeszuschuß von 1,7 Mrd DM vorsehen, um den Haushalt auszugleichen (vgl ANBA 1984, 1). Allein die Senkung der Nettolohnersatzquoten beim Alg, Kug, SWG, Uhg und Übg sollte schon 1984 über 1 Mrd DM einsparen (vgl BT-Drucks 10/335 S 55). Es liegt auf der Hand, daß dieses Ziel bei weitem nicht als erreichbar hätte angesehen werden können, wenn alle Personen, die am 31. Dezember 1983 Leistungen bezogen haben, von den Kürzungen ausgenommen worden wären. Ob gerade diese Sparmaßnahme erforderlich war und ob die erforderliche Einsparung durch Kürzungen in anderen Bereichen hätte bewirkt werden können, ist hier nicht zu prüfen; Entscheidungen dieser Art liegen im Rahmen der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 72, 9, 23). Allerdings ist der Revision einzuräumen, daß die BA entgegen dem Haushaltsplan 1984 kein Defizit hatte, sondern einen Einnahmeüberschuß erzielte, der es erlaubte, mit Wirkung vom 1. Januar 1985 die Bezugsdauer des Anspruchs auf Alg für ältere Arbeitslose zu verlängern und den Beitrag zu senken (vgl Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1984, BGBl I 1713). Hierzu hat indes schon der 11. Senat mit Recht ausgeführt, daß der Gesetzgeber in der Beurteilung künftiger Gefahren und der Auswahl der Mittel, mit denen diesen Gefahren zu begegnen ist, eine gewisse Beurteilungs- und Auswahlfreiheit hat (BVerfGE 21, 150, 157; 49, 89, 131; 50, 57, 102) und die spätere tatsächliche Entwicklung keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gibt, daß der Gesetzgeber bei Erlaß des HBegleitG 1984 diese Grenze überschritten hätte (Urteil vom 21. August 1986 - 11b RAr 14/86 -).

Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat der Gesetzgeber gewahrt. Die vorgenommene Kürzung ist zwar nicht unmaßgeblich. Die Senkung der Nettolohnersatzquote von 68 vH auf 63 vH stellt allgemein eine Verminderung der Quote um 7,35 % dar; entsprechend ist im Falle des Klägers der effektive Wochensatz von 196,20 DM um 7,365 % niedriger als der Wochensatz von 211,80 DM, der dem Kläger ohne die Änderung des § 111 Abs 1 AFG zugestanden hätte. Indessen kann, wenn die Kürzung des Übg durch das AFKG um 25 vH hingenommen werden muß (Urteil des Senats vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 19/83 -; vgl ferner BSG SozR 2200 § 1241 Nr 24), die Herabsetzung des Alg von 68 vH auf 63 vH des maßgebenden Arbeitseinkommens nicht als unverhältnismäßig angesehen werden, zumal da der Lohnersatzcharakter gewahrt geblieben ist.

Entgegen der Auffassung der Revision ist der Gesetzgeber an der Kürzung des Alg von Leistungsbeziehern schließlich nicht wegen einer Garantie des Besitzstandes bei laufenden Leistungen gehindert. Die Revision übersieht, daß schon die Regelung des § 111 Abs 2 AFG, wonach die Leistungssätze für jedes Kalenderjahr neu zu bestimmen sind, dazu führen kann, daß bei im übrigen gleichbleibenden Verhältnissen dem Alg-Empfänger im neuen Jahr ein geringerer Zahlbetrag zusteht, als er im alten Jahr bekommen hat. Das ist immer dann der Fall, wenn die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, gestiegen sind. Nach dem Gesetz kommen in diesen Fällen grundsätzlich die neuen ungünstigeren Leistungssätze zur Anwendung; denn lediglich zur Vermeidung von Härten ermächtigt § 111 Abs 2 Satz 5 AFG den Verordnungsgeber zu Bestimmungen, daß für Arbeitslose, die bei Inkrafttreten die Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Alg erfüllen, die bisherigen günstigeren Leistungssätze weiter maßgebend sind. Auch treffen die Ausführungen der Revision, daß bislang von Kürzungen laufende Leistungen regelmäßig ausgenommen worden wären, für das AFG nicht zu. So war es das eindeutige Ziel der Überleitungsvorschrift des Art 1 § 2 Nr 3 AFKG, unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen die Höhe der durch das AFKG herabgesetzten Leistungen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1981 nach der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung auch dann neu festzusetzen, wenn schon vor dem 1. Januar 1982 Leistungen bewilligt und bezogen wurden. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht entscheidend, daß vor der Gesetzesänderung eine Leistung durch Bescheid bewilligt worden ist. Zu Recht hat der 11. Senat in dem genannten Urteil vom 21. August 1986 darauf hingewiesen, daß der Verfestigung der Rechtsposition des Leistungsempfängers bei einem Rechtsanspruch auf eine Sozialleistung keine überragende Bedeutung zukommt, da § 48 SGB 10 für den Fall einer wesentlichen Änderung der Rechtslage, die auch durch Gesetzesänderung erfolgen kann, die Aufhebung eines bindenden Verwaltungsaktes für die Zukunft vorschreibt, wobei § 37 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) auch abweichende Übergangsregelungen zuläßt, wie sie in § 242b Abs 1 AFG getroffen worden sind. Die Bundesregierung hat anläßlich der Begründung des von ihr vorgeschlagenen § 242b AFG angekündigt, daß die Arbeitsämter die Arbeitslosen noch vor Jahresende 1983 - wenn auch in allgemeiner Form - darauf hinweisen würden, daß für die Zeit vom 1. Januar 1984 an Leistungskürzungen zu erwarten seien; hierdurch und durch Presse, Rundfunk und Fernsehen werde sichergestellt, daß sich die Betroffenen auf die neuen Regelungen einstellen könnten (BT-Drucks 10/335 S 87). Tatsächlich dürften nach dem an alle Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter gerichteten Schnellbrief des Präsidenten der BA vom 28. Juni 1983 - III a 1 - 7031/5390/ 5530/6530/7044/7058 - ab 29. Juni 1983 alle im Datenverarbeitungsverfahren zentral erstellten Bewilligungs- und Änderungsbescheide für Alg mit dem Hinweis "Vorgesehene Gesetzesänderungen können ab 1. Januar 1984 zu einer Änderung der Leistung führen" versehen worden sein (vgl dazu Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand August 1986, Anm zu § 242b). Der Kläger, dem nach diesem Zeitpunkt Leistungen bewilligt worden sind, macht daher auch nicht geltend, von der Gesetzesänderung und der Herabsetzung seines Alg überrascht worden zu sein.

Unzumutbar ist die Senkung der Nettolohnersatzquote schließlich nicht deshalb, weil der Gesetzgeber nur einzelne laufende Sozialleistungen und nicht alle Sozialleistungen und darüber hinaus nicht Gehälter und Pensionen der Staatsbediensteten gekürzt hat. Die Kürzung bestimmter Sozialleistungen muß zwar den Gleichheitssatz des Art 3 GG beachten; mit Recht hat indes schon der 11. Senat in dem Urteil vom 21. August 1986 darauf hingewiesen, daß den genannten staatlichen Leistungen eine unterschiedliche Bedeutung zukommt, die der Gesetzgeber auch bei Leistungskürzungen und der insoweit zu gewährenden Besitzstandswahrung berücksichtigen darf. Ein Widerspruch der §§ 111, 242b AFG zu Art 14 GG läßt sich daher nicht feststellen.

Aber auch dann, wenn die Höhe künftig entstehender Einzelansprüche auf Alg nicht vom Schutzbereich des Art 14 GG erfaßt wird, sind die genannten Vorschriften verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung sind dann maßgebend die allgemeinen Regeln, welche das BVerfG in Fällen entwickelt hat, in denen eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 69, 272, 309 mwN). In diesen Fällen bedarf es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Schadens und des Vertrauens des einzelnen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits, wie sie entsprechend im Rahmen des Art 14 GG bei gesetzgeberischem Eingreifen in Eigentum vorzunehmen ist. Diese Abwägung führt hier dazu, daß das Vertrauen der Alg-Empfänger auf den Fortbestand des § 111 Abs 1 AFG aF gegenüber der Bedeutung des durch das HBegleitG 1984 verfolgten gesetzgeberischen Anliegens zurückzutreten hat. Das ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, mit denen eine Verletzung des Art 14 GG verneint worden ist.

Die Revision muß daher ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662755

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