Orientierungssatz

Die Rechtsverbindlichkeit der nach den früheren Vorschriften des Saarlandes getroffenen Entscheidungen ist nur insoweit aufrechterhalten worden, als sie den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung iS des BVG betreffen. Bei der Umstellung der Versorgung auf das BVG mußte daher die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit unabhängig von den früheren Bescheiden aufgrund der Verhältnisse nach Einführung des BVG neu geprüft und gegebenenfalls neu festgesetzt werden.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; BVG § 85 Fassung: 1950-12-20; BVGSaarEG Art. 1 § 2 Abs. 1 Fassung: 1961-08-16, Art. 3 § 1 Fassung: 1961-08-16

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 9. Februar 1968 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Auf Grund des Gesetzes zur Einführung des Bundesversorgungsgesetzes im Saarland (EG BVG-Saar) vom 16. August 1961 (BGBl I S. 1292) wurde die Versorgung der Kläger vom 1. Juni 1960 an nach den Vorschriften des BVG umgestellt. Dabei wurden die früheren Leidensbezeichnungen unverändert übernehmen, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) jedoch nach ärztlicher Untersuchung niedriger als in den auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) erlassenen Bescheiden festgesetzt. Die Widersprüche der Kläger hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hat den Beklagten - in getrennten Verfahren - verurteilt, den Klägern auch über den 31. Mai 1960 hinaus Rente nach der bisher festgesetzten MdE zu gewähren bzw. - im Falle des inzwischen verstorbenen Klägers W Z - weiterhin Rente nach einer MdE um 100 v. H. gemäß § 30 Abs. 1 BVG zu gewähren. Gegen diese Urteile hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat die Rechtsstreitigkeiten unter Hinweis auf §§ 113 Abs. 1, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 9. Februar 1968 die Berufungen des Beklagten zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die früheren Bescheide seien auch hinsichtlich der in ihnen festgesetzten Höhe der MdE gemäß § 77 SGG in der Sache bindend. Der Beklagte habe weder behauptet noch ergäben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß die früheren Bescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen seien (§ 41 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -) oder daß eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen i. S. des § 62 BVG eingetreten sei. Die Einführung des BVG im Saarland habe es dem Beklagten nicht gestattet, die Rente zuungunsten der Kläger neu festzusetzen; insoweit bestehe auch keine Gesetzeslücke. Gemäß § 3 Satz 1 EG BVG-Saar habe die Versorgung zwangsläufig auf das neue Recht umgestellt werden müssen. Die Beschädigten des Saarlandes würden aber eine generelle Schlechterstellung erfahren, wenn die Versorgungsverwaltung allein aus Anlaß der Umstellung auf das BVG die bisherige verbindliche Bewertung der MdE zuungunsten der Beschädigten ändern dürfte. Auch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 EG BVG-Saar sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Diese Vorschrift sehe nur vor, daß eine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang rechtsverbindlich sei, nicht aber, daß die Bescheide in anderer Richtung keine Bindungswirkung mehr hätten. Das LSG könne sich der vom Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 18. August 1966 (BSG 25, 153, 155) vertretenen anderweitigen Rechtsauffassung nicht anschließen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihm am 15. Februar 1968 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. März 1968, beim BSG eingegangen am 7. März 1968, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10. April 1968 begründet.

Der Beklagte beantragt zu erkennen:

1. Das Urteil des LSG für das Saarland vom 9. Februar 1968 wird aufgehoben;

2. auf die Berufung des Beklagten werden die Urteile des SG für das Saarland

a) vom 6.11.1967 - Az.: S 10 V 191/65 -,

b) vom 20.9.1967 - Az.: S 11 V 91/67 -,

c) vom 2.11.1967 - Az.: S 6 V I 154/64 -,

d) vom 11.10.1967 - Az.: S 11 V 53/67 -

aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

3. Hilfsweise beantragt er zu erkennen:

die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

In seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt der Beklagte eine Verletzung des Art. I § 2 EG BVG-Saar. Er trägt hierzu vor, die Auffassung des LSG sei unzutreffend, daß bei der Umanerkennung eine Bindung an die nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes ergangenen Entscheidungen gemäß § 77 BVG über die medizinische Zusammenhangsfrage hinaus auch hinsichtlich der Bewertung der MdE besteht. Daß eine derart weitgehende Bindung nicht Platz greifen könne, folge rechtlich zwingend aus dem Umkehrschluß aus Art. I § 2 Abs. 1 EG BVG-Saar. Einen solchen Umkehrschluß habe das BSG in ständiger Rechtsprechung auch bei § 85 BVG gezogen, der in seiner Wortfassung mit Art. I § 2 Abs. 1 EG BVG-Saar übereinstimme. Nach dieser Vorschrift sei bei der Umanerkennung im Saarland, ähnlich wie bei der Einführung des BVG im übrigen Bundesgebiet, lediglich die Zusammenhangsfrage nicht mehr zu prüfen; im übrigen habe aber die Versorgungsverwaltung bei der Beurteilung des Sachverhalts freie Hand; das gelte insbesondere für die Prüfung und Neubewertung der MdE.

Der Kläger zu 1) beantragt,

1. die Revision des Beklagten vom 6. März 1968 gegen das Urteil des LSG für das Saarland vom 9. Februar 1968 zurückzuweisen

sowie dem Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten dieses Rechtsstreits aufzuerlegen;

2. äußerstenfalls die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG für das Saarland zurückzuverweisen

und die Kostenentscheidung insoweit dem Endurteil vorzubehalten.

Die Kläger zu 2) bis 4) beantragen,

die Revisionen des Beklagten zurückzuweisen, soweit damit unter Aufhebung des Urteils des LSG für das Saarland vom 9. Februar 1968 und der Urteile des SG für das Saarland vom 20. September 1967, 2. November 1967 und 11. Oktober 1967 die Abweisung der Klagen beantragt wird.

Die Kläger beziehen sich auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils.

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist daher zulässig; sie ist auch begründet.

Das LSG hat die durch die Berufungen des Beklagten gegen die von verschiedenen Klägern erwirkten Urteile des SG bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Hinweis auf § 113 Abs. 1 SGG verbunden. Der Senat hat erhebliche Bedenken, ob der nach dieser Vorschrift geforderte "Zusammenhang der Ansprüche" der verschiedenen Kläger auf Weiterzahlung der Rente in der vor Einführung des BVG im Saarland jeweils festgesetzten Höhe schon deshalb bejaht werden kann, weil die Entscheidung über diese Ansprüche von der gleichen Rechtsfrage abhängt. Bedenken bestehen auch gegen den Tenor des angefochtenen Urteils, soweit darin die mit der Berufung erfolglos angegriffenen Urteile des SG nicht im einzelnen bezeichnet sind. Die Bedenken des Senats gegen diese Art des "summarischen Verfahrens" werden zudem dadurch verstärkt, daß das LSG noch den Kläger W Z im Rubrum aufgeführt hat, obwohl dieser Kläger bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens verstorben war und bereits das SG das Rubrum geändert hatte. Diesen Bedenken brauchte jedoch nicht nachgegangen zu werden, da die Unzulässigkeit der Verbindung der verschiedenen Rechtsstreitigkeiten und die Art der Tenorierung nicht als Verfahrensmängel gerügt worden sind und von Amts wegen zu beachtende Fehler insoweit nicht vorliegen.

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob der Beklagte bei der Umstellung der Versorgung auf das BVG auch an den in den früheren Bescheiden nach den versorgungsrechtlichen Vorschriften des Saarlandes festgestellten Grad der MdE gebunden war oder ob er diesen nach der Einführung des BVG im Saarland neu prüfen und neu bemessen durfte. Der erkennende Senat hat bereits wiederholt zu dieser Rechtsfrage Stellung genommen und entschieden, daß grundsätzlich die Herabsetzung der MdE - entgegen der Auffassung des LSG - rechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. Urteile vom 9. Juli 1968 - 10 RV 753/67; vom 24. Oktober 1968 - 10 RV 558/67; vom 29. April 1969 - 10 RV 825/67). Der Senat hält auch bei einer erneuten Nachprüfung an dieser Auffassung fest. Zu einer Aufgabe dieser Rechtsprechung besteht umso weniger Veranlassung, als neue Gründe dagegen nicht vorgebracht worden sind und nunmehr alle Kriegsopfersenate des BSG die gleiche Rechtsmeinung vertreten (vgl. Urteil des 8. Senats in BSG 25, 153, 155; Urteil des 9. Senats vom 12. März 1968 in SozR EG BVG-Saar, Art. I § 2, Nr. 2). Der 9. Senat hat die in seinem früheren Urteil vom 26. August 1965 (BSG 23, 283, 291) vertretene gegenteilige Auffassung ausdrücklich aufgegeben.

Nach Art. III § 1 EG BVG-Saar treten mit der Einführung des BVG im Saarland mit Wirkung vom 1. Juni 1960 alle dem BVG entgegenstehenden oder inhaltsgleichen Rechtsvorschriften des Saarlandes außer Kraft. Wie der erkennende Senat in den genannten Urteilen ausgeführt hat, ist damit den nach früherem Versorgungsrecht im Saarland ergangenen Entscheidungen vom 1. Juni 1960 an die Rechtsgrundlage entzogen, so daß diese Entscheidungen ihre Wirkung für die Zukunft - mit der in Art. I § 2 Abs. 1 EG BVG-Saar bestimmten Ausnahme - verloren haben. Diese Auffassung entspricht den Rechtsgrundsätzen, die das BSG in ständiger Rechtsprechung allgemein für den Fall der Ablösung früherer Versorgungsgesetze durch neues Versorgungsrecht - insbesondere durch das BVG mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 an im übrigen Bundesgebiet - entwickelt hat (vgl. BSG 3, 251, 255; 4, 21, 23; 10, 248, 251; vgl. auch BSG 19, 247, 251). Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, von diesen allgemeinen Grundsätzen im vorliegenden Fall abzuweichen; denn die Rechtslage und das Verhältnis zwischen dem Versorgungsrecht des Saarlandes zum BVG stehen der Rechtslage und dem Verhältnis zwischen dem früheren Versorgungsrecht der übrigen Bundesländer und dem BVG am 1. Oktober 1950 gleich. In beiden Fällen wird nämlich unter Aufhebung anderer versorgungsrechtlicher Vorschriften ein einheitlicher Rechtszustand auf dem Gebiet des Versorgungsrechts hergestellt. Haben aber die Entscheidungen nach früherem saarländischen Versorgungsrecht mit dem Inkrafttreten des BVG im Saarland am 1. Juni 1960 durch den Wegfall ihrer Rechtsgrundlage grundsätzlich ihre Wirkung verloren, so besteht für die Versorgungsbehörde auch keine Bindung an die in den früheren Bescheiden getroffene Regelung bei der Umstellung des Versorgungsrechtsverhältnisses auf das BVG gemäß Art. I § 3 EG BVG-Saar, es sei denn, daß das Gesetz ausdrücklich die Bindungswirkung der früheren Entscheidungen auch über das Inkrafttreten des BVG hinaus vorschreibt. Eine derartige Sonderregelung für die Fortwirkung der Entscheidungen nach dem früheren saarländischen Versorgungsrecht sieht das EG BVG-Saar nur in Art. I § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes vor. Nach dieser Vorschrift ist die nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes getroffene Entscheidung über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis i. S. des § 1 BVG auch nach dem BVG rechtsverbindlich. Die Regelung des Art. I § 2 Abs. 1 Satz 1 EG BVG-Saar wäre überflüssig und sinnwidrig, wenn auch alle anderen in den früheren Entscheidungen getroffenen Regelungen des Versorgungsrechtsverhältnisses, also auch die in ihnen festgesetzte Höhe der MdE, nach Inkrafttreten des BVG weiter verbindlich sein sollten, so daß die Versorgungsbehörde bei der Umstellung des Versorgungsrechts auf das BVG an die bisherige Gesamtregelung gebunden wäre. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 9. Juli 1968 - 10 RV 753/67 - sowie der 8. und der 9. Senat des BSG in den oben erwähnten Entscheidungen mit eingehender Begründung ausgeführt haben, ist die Verwaltung vielmehr befugt und verpflichtet, bei der "Umanerkennung", also der Umstellung der Versorgungsgebührnisse nach dem früheren saarländischen Recht auf das BVG, den Sachverhalt zu prüfen und neu festzustellen. Das gilt insbesondere und gerade für den Grad der MdE. Dem Gedanken des LSG, die Kriegsopfer des Saarlandes sollten durch die Umstellung des früheren Versorgungsrechts auf das BVG keine Verschlechterung ihrer Versorgungsleistungen erfahren, hat der Gesetzgeber durch Art. I §§ 4 bis 6 EG BVG - Saar Rechnung getragen. Durch diese Vorschriften wird der persönliche Besitzstand der Versorgungsberechtigten des Saarlandes für die Zeit nach dem Inkrafttreten des BVG gewahrt.

Demnach war die Versorgungsbehörde bei der Umstellung der Versorgungsgebührnisse nach früherem saarländischen Recht auf das BVG befugt, die Höhe der MdE für die bei den Klägern anerkannten Schädigungsfolgen zu überprüfen und gegebenenfalls neu festzusetzen. Das LSG hat somit Art. I § 2 EG BVG-Saar verletzt, so daß die Revision begründet ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Da das LSG wegen seiner anderweitigen Rechtsauffassung keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob die von der Versorgungsbehörde neu festgesetzte MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen zutreffend ist, konnte der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden; sie war daher zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670114

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