Leitsatz (redaktionell)

Die Zahlung einer einmaligen Abfindung durch den Versicherten an seine frühere Ehefrau hat jedenfalls rechtlich dann nicht die Bedeutung einer fortlaufenden Unterhaltsleistung, wenn es sich nicht um eine Kapitalisierung laufender Unterhaltsverpflichtungen handelt.

 

Normenkette

AVG § 42 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 1958 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin erstrebt die Gewährung einer Hinterbliebenenrente als geschiedene Frau des verstorbenen Versicherten. Dieser hatte der Angestelltenversicherung angehört und die Wartezeit erfüllt. Seine Ehe mit der Klägerin wurde 1943 geschieden. Bei der Ehescheidung hatte sich der Versicherte vertraglich verpflichtet, der Klägerin monatlich 130. -- RM Unterhalt zu zahlen, sich aber vorbehalten, im Falle einer wesentlichen Änderung in den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen auch eine Änderung seiner Unterhaltsverpflichtung zu beanspruchen. Diesen Vertrag lösten die Vertragspartner 1945 wieder auf und vereinbarten - an Stelle der monatlichen Unterhaltsleistungen - die Zahlung einer Abfindung von 5.000. -- RM; eine neue Unterhaltsvereinbarung wurde für den Fall in Aussicht genommen, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten wieder bessern sollten. Der Versicherte zahlte 1945 die vereinbarte Abfindungssumme. Ein neuer Unterhaltsvertrag wurde nicht geschlossen. Der Versicherte starb 1952. Er war bei seinem Tode wieder verheiratet. Damals besaß er kein Vermögen und bezog nur eine Rente, die einschließlich des Kinderzuschusses für seine Tochter 173, 60 DM monatlich betrug. Zu dieser Zeit erhielt die Klägerin als Mitarbeiterin in einem Gasthaus freie Verpflegung und etwa 50.-- DM Barlohn im Monat.

Die Klägerin, die die Hinterbliebenenrente bereits 1952 erfolglos beantragt hatte, wiederholte den Rentenantrag 1957. Die Beklagte lehnte ihn erneut ab, weil die besonderen Voraussetzungen für diese Rente auch nach dem inzwischen in Kraft getretenen "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten" (AnVNG) vom 23. Februar 1957 nicht erfüllt seien (Bescheid vom 12.6.1957). Das Sozialgericht (SG) Speyer sprach ihr die Hinterbliebenenrente von Mai 1957 an zu (Urteil vom 21.11.1957). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hob dieses Urteil jedoch wieder auf und wies die Klage ab; es ließ die Revision zu (Urteil vom 23.7.1958).

Die Klägerin legte gegen das ihr am 8. September 1958 zugestellte Urteil des LSG am 7. Oktober 1958 Revision ein und beantragte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Sie begründete die Revision am 7. November 1958 mit der Rüge, das Berufungsgericht sei seiner Pflicht zur vollständigen Sachaufklärung (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) nicht nachgekommen und habe außerdem die Vorschriften im § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nF nicht richtig angewandt. Das Gericht habe zu Unrecht angenommen, es sei unstreitig, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes nicht verpflichtet gewesen sei, der Klägerin Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) zu leisten; es wäre notwendig gewesen, die Ehescheidungsakten beizuziehen, um zu klären, ob sich aus einem etwaigen Schuldausspruch im Scheidungsurteil eine Verpflichtung des Versicherten zur Unterhaltszahlung ergebe. Im übrigen folge diese Verpflichtung jedenfalls aus den Unterhaltsverträgen von 1943 bis 1945. Der Unterhaltsvertrag von 1945 habe - bei sinngemäßer Auslegung - den früheren nur vorläufig aufgehoben. Die Klägerin habe darin nicht für die Zukunft allgemein auf Unterhaltszahlungen verzichtet. Wollte man aber eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten sowohl nach dem EheG als auch aus den Unterhaltsverträgen verneinen, so müßte die 1945 gezahlte Abfindung als Unterhaltsleistung für alle folgenden Jahre gewertet werden, also auch als Unterhaltsleistung für das dem Tode des Versicherten vorausgehende Jahr von April 1951 bis April 1952, so daß dann die letzte Alternative des § 42 AVG nF - tatsächliche Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode erfüllt sei.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

In diesem Verfahren wird nur darüber gestritten, ob der Klägerin eine Hinterbliebenenrente auf Grund des am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen AnVNG zusteht. Dieser Ausspruch ist nach § 42 AVG nF zu beurteilen (Art. 2 §§ 18, 43 AnVNG). Danach wird einer geschiedenen Frau nach dem Tode des Versicherten dann eine Hinterbliebenenrente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt tatsächlich geleistet hat. Im vorliegenden Rechtsstreit ist aber keine dieser besonderen Voraussetzungen erfüllt.

Der Versicherte brauchte zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten. Die Entscheidung darüber hängt nicht allein von dem Schuldausspruch im Scheidungsurteil, sondern, wie der Senat wiederholt ausgeführt hat (vgl. BSG 3, 197), maßgeblich davon ab, ob auch alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, die das EheG für die Pflicht zur Gewährung von Unterhalt im Anschluß an eine Ehescheidung aufstellt. Nach den insoweit übereinstimmenden Vorschriften der Ehegesetze vom 6. Juli 1938 und 20. Februar 1946 ist stets zu beachten, daß der eigene Unterhalt des Verpflichteten durch Unterhaltsleistungen an den Berechtigten nicht gefährdet werden darf; beim Abwägen aller Möglichkeiten und Interessen kann daher, selbst wenn der andere Teil allein schuldig war, jede Pflicht zur Unterhaltsleistung entfallen (vgl. BSG aaO). Das letztere trifft auf die konkreten Verhältnisse des Versicherten und der Klägerin in den Jahren 1951/52 zu. Mit einer Rente von nur 173,60 DM im Monat und Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner zweiten Frau und seiner Tochter war der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin gegenüber unterhaltsunfähig, ganz abgesehen davon, daß die Klägerin zu jener Zeit eigene, im Verhältnis zur Rente des Versicherten nicht unwesentliche Einnahmen hatte. Hieraus folgt, daß der Versicherte ihr keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Diese Rechtsfolge ist unabhängig davon, ob das Scheidungsurteil einen Schuldausspruch enthält oder nicht. Sie läßt sich aus den tatsächlichen Feststellungen ziehen, die das Berufungsgericht getroffen hat und an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 SGG). Das LSG war nicht genötigt, zur Klärung dieser Frage die Scheidungsakten beizuziehen.

Ein sonstiger Grund, der den Versicherten zur Zeit seines Todes zu Unterhaltsleistungen an die Klägerin verpflichtet hätte, lag ebenfalls nicht vor; er ist insbesondere den beiden Unterhaltsverträgen nicht zu entnehmen. Nach der Ansicht des Senats hat das LSG mit Recht aus dem Wortlaut und dem sich daraus ergebenden Sinn der beiden Unterhaltsverträge geschlossen, daß der Versicherte nach der Leistung der einmaligen Abfindung von 5.000. -- RM im Jahre 1945 bis zu einer etwaigen vertraglichen Neuregelung, also auch in den Jahren 1951/52, von jeder laufenden Unterhaltszahlung an die Klägerin befreit war. Selbst wenn man dem zweiten Vertrag, wie es die Klägerin tut, den Sinn gibt, daß er nur eine vorläufige Freistellung von Zahlungen bezwecken und keinen Verzicht für alle Zukunft enthalten sollte, würde das daran nichts ändern; der Versicherte war auch bei dieser Auslegung vertraglich nicht verpflichtet, der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten.

Schließlich hat der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin auch keinen Unterhalt geleistet. Die 1945 in Reichsmark geleistete Abfindung stellt keine tatsächliche Unterhaltsleistung für die Zeit 1951/52 dar. Es mag zwar denkbar sein, daß eine echte Kapitalisierung laufender Unterhaltsverpflichtungen, vielleicht auch, wenn sie in Reichsmark erfolgt ist, tatsächlichen Unterhaltszahlungen für die folgenden Jahre gleichgestellt werden kann, jedoch hat es sich bei der Zahlung der 5.000. -- RM nicht um eine Kapitalisierung gehandelt. Eine Kapitalisierung hätte möglicherweise vorgelegen, wenn beim Abschluß des Vertrags von 1945 aus dem Betrag der Monatsrente und der Lebenserwartung der Klägerin unter Beachtung der Verzinsung der Kapitalbetrag berechnet und zur Grundlage des Vertrages gemacht worden wäre. Das ist aber nicht geschehen. Dies ergibt sich einmal aus dem relativ niedrigen Betrag von 5.000. -- RM - der Kapitalwert hätte bei dem damaligen Alter der Klägerin von 46 Jahren höher gelegen - und vor allem aus der Vertragsbestimmung, daß für den Fall einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse wieder laufende Unterhaltszahlungen in Aussicht genommen waren. Eine solche Bestimmung widerspricht einer Kapitalisierung. Die einmalige Leistung im Jahre 1945 ist vielmehr als eine Abfindung anzusehen, die wegen der damals ungeklärten Verhältnisse zunächst weitere laufende Zahlungen aus dem Vertrag von 1943 - ohne Rücksicht auf den Kapitalwert - ausschließen sollte. Eine solche Leistung kann nicht als eine tatsächliche Unterhaltsgewährung für den Zeitraum 1951/52 angesehen werden. Die Klägerin selbst hat im Laufe des Verfahrens vorgetragen, daß die Abfindung von 1945 nur einer Unterhaltsleistung bis etwa Mitte 1949 gleichkomme und daß der Versicherte in der Folgezeit wegen seiner Krankheit und der Geringfügigkeit seiner Rente unterhaltsunfähig gewesen sei.

Das Urteil des LSG ist deshalb im Ergebnis richtig und muß bestätigt werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290819

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