Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, unter welchen Voraussetzungen bei Einstellung der Betriebstätigkeit ein Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) für ausgefallenes Arbeitsentgelt entstehen kann.

Der Kläger war bis zum 30. September 1974 als Verkaufsleiter bei der Sch… Sch… in A… Holstein beschäftigt. Die Produktion dieser Firma wurde bereits am 11. August 1994 eingestellt. Die im Bereich der Verwaltung tätigen Arbeitskräfte beendeten ihre Arbeit am 30. September 1974. Zu diesem Zeitpunkt war nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) noch Vermögen in einem Umfang vorhanden, der es zumindest nicht offensichtlich machte, daß ein Konkursverfahren mangels Masse nicht in Betracht kam. Ein vom Kläger im Oktober 1974 gestellter Konkursantrag wurde zurückgenommen, nach seinen Angaben wegen des Kostenrisikos. Ebenso wurde ein Konkursantrag der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) später zurückgenommen, dieser, weil sie sich inzwischen durch Einzelzwangsvollstreckung befriedigt hatte.

Ein Antrag des Klägers vom September 1974 auf Gewährung von Kaug wurde abgelehnt; die hiergegen erhobene Klage durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Kiel vom 4. Dezember 1975 rechtskräftig abgewiesen, mit der Begründung, daß ein den Kaug-Anspruch auslösendes Insolvenzereignis bisher nicht vorliege. Nach § 141b Abs. 3 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) löse eine Betriebseinstellung den Kaug-Anspruch nur dann aus, wenn gleichzeitig der Vermögensverfall soweit fortgeschritten sei, daß ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht komme. Wegen des erheblichen damals noch vorhandenen Vermögens des Arbeitgebers habe diese letztgenannte Voraussetzung nicht vorgelegen.

Im Januar 1977 beantragte der Kläger erneut Kaug. Er begründete dies damit, daß inzwischen wegen der Verwertung den größten Teils der vorhandenen Vermögenswerte eine Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse nicht (mehr) in Betracht komme. Dieser Antrag wurde abgelehnt, da er nicht fristgemäß binnen 2 Monaten nach dem Insolvenztag (Betriebseinstellung) gestellt worden sei (Bescheid vom 21. Februar 1977). Widerspruch, Klage und Berufung führten nicht zum Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 19. April 1977; Urteil des SG Kiel vom 6. September 1977, Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 15. September 1978).

Das LSG hat ausgeführt, daß die Betriebseinstellung nur dann ein Insolvenzereignis i.S. des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG darstelle, wenn zu diesem Zeitpunkt offensichtlich ein Konkursverfahren mangels Masse nicht in Betracht komme. Sei hingegen " Zeitpunkt der Betriebseinstellung ein Konkursverfahren noch in Betracht zu ziehen und erreiche die Insolvenz erst nachträglich einen solchen Umfang, daß offensichtlich ein Konkursverfahren mangels Masse nicht in Betracht komme, so werde durch diesen stufenweisen Eintritt der Voraussetzungen des § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG kein die Gewährung von Kaug auslösender Tatbestand geschaffen; denn nur so könne verhindert werden, daß die Konkursausfallgeldversicherung mit Forderungen belastet werde, zu deren Begleichung der frühere Arbeitgeber möglicherweise noch in der Lage gewesen sei.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß durch eine solche Auslegung eine willkürliche Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern geschaffen werde, je nach dem Umfang, den die Insolvenz im Zeitpunkt der Betriebseinstellung habe. Für den einzelnen Arbeitnehmer, der die Vermögensverhältnisse seines Arbeitgebers nicht überschauen könne, bestehe, wenn bei Betriebseinstellung noch Arbeitsentgelt ausstehe, das der Arbeitgeber nicht zahle, die Notwendigkeit und das Interesse, dieses Arbeitsentgelt durch einen Antrag auf Kaug zu sichern.

Der Kläger beantragt,die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 15. September 1978 und des SG Kiel vom 6. September 1977 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21. Februar 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1977 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Konkursausfallgeld in Höhe von 2.739,52 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß eine Ungleichbehandlung nicht vorliege, weil in allen Fällen, in denen die Eröffnung des Konkursverfahrens nicht offensichtlich mangels Masse entfalle, die Möglichkeit bestehe, eine Entscheidung des Konkursgerichts herbeizuführen und damit die Voraussetzungen für die Gewährung von Kaug zu schaffen.

II

Die Revision ist unbegründet.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß kein Ereignis eingetreten ist , das Ansprüche aus der Kaug-Versicherung auszulösen vermag.

§ 141 b AFG nennt drei Tatbestände, die bei Insolvenz des Arbeitgebers Ansprüche auf Kaug begründen können: Die Eröffnung des Konkursverfahrens (§ 141 b Abs. 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse (§ 141 b Abs. 3 Nr. 1) und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes, letztere aber nur dann, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§ 141 b Abs. 3 Nr. 2)

Bereits der Wortlaut des § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG läßt eindeutig erkennen, daß die Beendigung der Betriebstätigkeit nur dann Kaug-Ansprüche auszulösen vermag, wenn zu diesem Zeitpunkt kein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Wie lange dieser Zustand schon bestanden hat, ist unerheblich. Er kann erheblich früher eingetreten sein oder gleichzeitig mit der Betriebseinstellung. Die Betriebseinstellung kann jedoch dann keine Kaug-Ansprüche auslösen, wenn sie eintritt, bevor der Vermögensverfall einen Umfang erreicht hat, der erkennen läßt, daß ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

Diese Auslegung deckt sich - wie das LSG zutreffend dargelegt hat - mit der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes über Konkursausfallgeld. Dort heißt es, § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG betreffe die Fälle, in denen offensichtlich sei, daß der Arbeitgeber zahlungsunfähig sei und keine Masse vorhanden sei, welche die Eröffnung des Verfahrens rechtfertigen würde. In diesen Fällen solle die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit für den Anspruch auf Kaug maßgebend sein. Der Bestimmung liege die Erwägung zugrunde, daß jedenfalls am Tage der vollständigen Betriebseinstellung auch Zahlungsunfähigkeit vorliege (BT-Drucks. 7/1750 zu § 141 b Abs. 3 Seite 12).

Sie ist auch nach Systematik und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt. Alle drei Versicherungsfälle der Kaug-Versicherung setzen Zahlungsunfähigkeit voraus. Die Ansprüche auf Kaug werden hier nicht schon durch diese Zahlungsunfähigkeit, sondern durch Ereignisse ausgelöst, die nach außen die Zahlungsunfähigkeit kenntlich machen. Das sind entweder Beschlüsse des Konkursgerichts oder die Betriebseinstellung bei offensichtlicher Masselosigkeit. Dabei hat die Voraussetzung der offensichtlichen Masselosigkeit einen Sicherungszweck. Solange es noch möglich erscheint, auf dem Wege über ein Konkursverfahren die Arbeitsentgeltförderung ganz oder teilweise zu verwirklichen (sei es nun unmittelbar oder sei es durch die Bundesanstalt für Arbeit - BA - nach Übergang des Anspruchs gem. § 141m Abs. 1 AFG), soll der Weg des Konkurses beschritten werden. Das Merkmal der "vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit hat demgegenüber die Funktion, den genauen Zeitpunkt des Insolvenztatbestandes leicht feststellbar festzulegen. Daraus folgt dann auch, daß der Arbeitnehmer, solange der Betrieb nicht eingestellt ist, auch bei offensichtlicher Masselosigkeit den Versicherungsfall durch einen Konkursantrag herbeiführen muß). Hieran zeigt sich, daß die Betriebseinstellung nur Bedeutung erlangen kann, wenn sie in eine Zeit offensichtlicher Masselosigkeit fällt.

Die außerdem für diesen dritten Insolvenzfall geforderte Voraussetzung, daß kein Konkursantrag gestellt ist, hat mit der Beschreibung des Versicherungsfalles nichts zu tun. Sie dient lediglich zur Klärung, welches von mehreren Insolvenzereignissen maßgeblich ist. Im allgemeinen ist es bei einheitlicher Insolvenz das zeitlich erste (BSG SozR 4100 § 141 b Nr. 1). Sofern der Konkursantrag aber vor der Betriebseinstellung gestellt worden ist, soll nur die spätere Entscheidung des Konkursgerichts maßgeblich sein, auch wenn sie nach Betriebseinstellung erfolgt.

Zu Recht wendet der Kläger allerdings ein, daß diese Regelung zu Ungleichbehandlungen führen kann, da Arbeitnehmer in der Regel weder einschätzen können, wieviel Masse zur Deckung , der Massekosten (§ 58 KO) erforderlich ist, regelmäßig nicht wissen, was Massekosten überhaupt sind, und auch die Vermögensverhältnisse des Arbeitgebers nicht überschauen können. Diesen Schwierigkeiten kann indes nicht durch eine andere Auslegung Rechnung getragen werden. Wollte man das Merkmal "offensichtlich" an den Erkenntnissen oder Erkenntnismöglichkeiten der Arbeitnehmer orientieren, so würde entweder - wenn man wirklich nur die Fälle jedermann erkennbarer Masselosigkeit einbezieht - der Tatbestand des § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG in der Praxis völlig ausgehöhlt, oder man würde auch solche Fälle als Insolvenzfälle behandeln müssen, die den Arbeitnehmern als Fälle von Masselosigkeit erscheinen, während tatsächlich noch erhebliches Vermögen vorhanden ist. Letzteres würde dem Sicherungszweck der Vorschrift nicht entsprechen. Das Merkmal "offensichtlich" ist deshalb, und dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, nicht an den Interessen und Einschätzungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer orientiert oder zu orientieren. Es dient der Verwaltungsvereinfachung. Ob die Voraussetzungen für die Konkurseröffnung oder die Abweisung mangels Masse vorliegen, soll auch bei diesem Insolvenzfall von Voraussetzungen abhängig sein, die die Verwaltung leicht feststellen kann. Sie soll nur auf leicht erreichbare Erkenntnisquellen zurückgreifen müssen und von umfangreichen Ermittlungen entlastet werden (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, AFG § 141 b Anm. 5 d; Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG, § 141 b Anm. 11).

Eine Auslegung des § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG führt also zu dem, vom Kläger mit Recht beanstandeten Ergebnis, daß das Merkmal "offensichtlich" nicht an den Erkenntnismöglichkeiten desjenigen orientiert ist, der anderenfalls zur Sicherung seines Kaug-Anspruchs einen Konkursantrag stellen müßte, sondern an den Erkenntnismöglichkeiten der Verwaltung, die Solche Entscheidungen zunächst nicht zu treffen hat. Deshalb wird es weitgehend vom Zufall abhängen, ob die Arbeitnehmer die richtigen Schritte zur Sicherung ihrer Forderung einleiten. Dies macht deutlich, daß das Abstellen auf die offensichtliche Masselosigkeit ebenso wie die Forderung der Gleichzeitigkeit von Betriebseinstellung und offensichtlicher Masselosigkeit zu einer dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechenden Ungleichbehandlung führen würde, die auch mit Art 3 Abs. 1 GG schwerlich vereinbar wäre. Der Sicherungszweck des Gesetzes bietet jedenfalls keinen Anhalt für eine solche Differenzierung. Mit Verwaltungsvereinfachungsgründen läßt sich eine solche Ungleichbehandlung auch nicht rechtfertigen. Wenn nämlich die Ansprüche von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die der Berechtigte nicht erkennen kann (siehe dazu auch BSG SozR 4100 § 141 e Nr. 1), so trifft dies nicht nur Randerscheinungen, sondern den Kern des Anspruchs, führt also im Regelfall zu Differenzierungen, die vor Art 3 GG nicht zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfGE 13, 331, 341; 21, 12, 27; 27, 220, 230).

Einer eingehenden Untersuchung dieser Frage bedarf es jedoch nicht, weil die BA verpflichtet ist, derartige Ungleichbehandlungen erforderlichenfalls dadurch zu vermeiden, daß sie selbst einen Konkursantrag stellt und damit veranlaßt, daß das Konkursgericht die Voraussetzung für die Gewährung von Kaug herbeiführt.

Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Stellt der Arbeitnehmer nach einer Betriebseinstellung oder bei sonstigen Insolvenzereignissen seinen Kaug-Antrag, so geht der Anspruch auf das Arbeitsentgelt, für das er Kaug begehrt, auf die BA über (§ 141 m Abs. 1 AFG) Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dazu bereits entschieden, daß dieser Übergang - wie der Wortlaut auch erkennen läßt - mit der Antragstellung erfolgt (BAG, Urteil vom 4. Juni 1977 - 5 AZR 663/75 - AP Nr. 4 zu § 59 KO). Auch wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Kaug auf der Grundlage dieses Arbeitsentgeltsanspruchs nicht erfüllt sind, sollen nach Ansicht des BAG zumindest vorläufig dieselben Rechtsfolgen eintreten. Der Arbeitnehmer ist also gehindert, als Gläubiger aufzutreten und seine Forderung aus dem Arbeitsverhältnis gerichtlich geltend zu machen. Wird der Antrag auf Kaug später zurückgenommen oder auf sonstige Weise erledigt, ohne daß eine Leistung zu gewähren ist, ist (so BAG a.a.O.) die Rechtslage ebenso anzusehen, wie wenn ein solcher Antrag überhaupt nicht gestellt worden wäre. Die in der Zeit des "Rechtsübergangs" vorgenommenen Handlungen des Arbeitnehmers erweisen sich damit dann (rückwirkend) als wirksam (BAG a.a.O.) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gleichgelagerte Fragen in § 1542 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im wesentlichen ebenso beantwortet. Der Anspruchübergang erfolgt nach Ansicht des BGH nicht nur dann, wenn die materiellen Voraussetzungen des Anspruchs, der durch den Übergang gesichert werden soll, tatsächlich vorliegen. Das Gericht folgert aus dem Schutzzweck des Übergangs und der Notwendigkeit der Rechtsklarheit, daß der Anspruchsübergang schon eintritt, wenn nur die Leistungspflicht des Versicherungsträgers nach den Umständen irgendwie in Betracht zu ziehen, nicht von vornherein völlig ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 10. Juli 1967 - III ZR 78/66 - BGHZ 48, 181, 186; ferner Urteil vom 3. Mai 1960 - VI ZR 74/59 - LM Nr. 1 zu § 1543 RVO). Wenn sich später herausstelle, daß eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers nicht bestehe, sei die Verfügungsbeschränkung gegenstandslos geworden. Der Verletzte trete dann ähnlich wie bei einer auflösenden Bedingung wieder voll in seine Rechte ein (s. besonders BGH LM Nr. 1 zu § 1543 RVO Bl. 1558 Rückseite).

Der Senat folgt diesen Auffassungen. Bis zur bindenden oder rechtskräftigen Entscheidung über den Kaug-Anspruch ist die BA Inhaberin der Forderung gegen den nicht zahlenden Arbeitgeber, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für das Kaug gegeben sind oder nicht. Es muß zu jedem Zeitpunkt klar sein, wer "Inhaber" des Anspruchs auf das Arbeitsentgelt ist, wer es geltend machen kann. Diese Notwendigkeit besteht vor allem in Zeiten, in denen wegen einer Insolvenz unter Umständen schnell gehandelt werden muß. Der Übergang bei Antragstellung kann deshalb nicht von einer u.U. Jahre später liegenden Entscheidung darüber abhängig sein, ob für diesen Arbeitsentgeltanspruch Kaug zu gewähren ist. Wird letztlich entschieden, daß dem Arbeitnehmer kein Kaug zusteht, so fällt der Anspruch auf den Arbeitnehmer zurück, wobei es für die Lösung des vorliegenden Falls unerheblich ist, ob die Wirkung rückwirkend oder vom Zeitpunkt der Rechtskraft ab eintritt. Diese Wirkung kann nur nicht schon im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung eintreten, sondern erst, wenn die Entscheidung über das Kaug durch Bindung oder Rechtskraft endgültig ist, weil sonst durch häufiges Hin- und Herwandern der Berechtigung eine letztlich unüberschaubare Verwirrung eintreten würde.

Mit dem BGH und dem BAG ist der Senat allerdings der Auffassung, daß der Übergang jedenfalls eine Situation voraussetzt, die hinreichende Anhaltspunkte bietet, daß eine Leistungspflicht in Betracht kommt. Diese Voraussetzungen sind indes regelmäßig gegeben, wenn bei einer Betriebseinstellung Arbeitsentgeltansprüche rückständig sind. Es sind dann nämlich die beiden für den Arbeitnehmer erkennbaren (publizitätswirksamen) Tatbestandsmerkmale erfüllt. Die übrigen Voraussetzungen wird er nicht ohne Ermittlungen feststellen können, die meist außerhalb seiner Möglichkeiten liegen und ihm nicht zuzumuten sind. Der Senat hat schon im Zusammenhang mit der fehlenden Publizität der Abweisung eines Konkursantrages mangels Masse ausgeführt, daß dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist, sich beim Konkursgericht zu erkundigen (BSG SozR 4100 § 141 e Nr. 1). Eine solche erzwungene Publizität wäre auch für die Wirtschaft nicht wünschenswert. Ähnliches gilt erst recht für die Feststellung der Masselosigkeit, die dem Arbeitnehmer noch viel größere Schwierigkeiten bereiten kann. Bei Vorliegen der beiden publizitätswirksamen Tatbestandsmerkmale (Betriebseinstellung, Nichtzahlung des Lohnes) besteht Anlaß für einen Kaug-Antrag. Jeder Rechtsberater müßte raten, einen solchen Antrag zu stellen, selbst wenn nicht erkennbar ist, ob die weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Eine solche Situation, in der zu raten ist, einen Kaug-Antrag zu stellen, beweist aber zugleich, daß den Umständen nach eine Leistung des Versicherungsträgers in Betracht zu ziehen ist; damit sind die Voraussetzungen für den Anspruchsübergang erfüllt.

Der Übergang nach § 141 m Abs. 1 AFG hat zur Folge, daß der Arbeitnehmer weitgehend gehindert ist, selbst die zur Durchsetzung und Realisierung seiner Arbeitsentgeltforderungen notwendigen Schritte zu unternehmen (BAG a.a.O.). Hingegen stehen der BA alle Rechte zur Geltendmachung und Realisierung der Forderung zu. Damit trifft die BA für die Zeit, in der sie Inhaber der Forderung ist, die Verantwortung zur Durchsetzung und Realisierung der Forderung und damit die Verpflichtung, alles zu unternehmen, was hierzu erforderlich ist, d.h. alle Schritte einzuleiten, die der Arbeitnehmer verständigerweise zur Wahrung seiner Interessen einleiten würde oder müßte. Das gilt nicht nur für den vom BAG entschiedenen Fall der Klageerhebung, sondern vor allem für die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, auch für einen Antrag auf Konkurseröffnung. Dabei kann hier dahinstehen, ob möglicherweise der Arbeitnehmer für die Zeit, in der der Anspruchsübergang noch nicht durch eine bindende oder rechtskräftige Entscheidung über das Kaug abschließend geklärt ist, aufgrund einer bedingten Forderung ebenfalls einen Konkursantrag stellen könnte. Wenn die publizitätswirksamen Merkmale des Insolvenztatbestandes des § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG vorliegen, und er dementsprechend einen Antrag auf Kaug gestellt hat, besteht aus seiner Sicht für ihn keine Veranlassung, außerdem vorsorglich noch die Kosten für einen Konkursantrag aufzuwenden. Diese Anforderungen würden auch dem sozialpolitischen Zweck des Gesetzes, der sich an den Erkenntnismöglichkeiten und der finanziellen Situation der Arbeitnehmer orientiert, nicht entsprechen. Aus den gleichen Gründen ist die BA als Inhaber der Arbeitsentgeltforderung dann aber auch verpflichtet, die Voraussetzungen für die Realisierung der Forderung auf dem Wege über Kaug-Ansprüche zu sichern. Indem das Gesetz der Beklagten den Anspruch des Antragstellers überwiesen hat, ohne daß klar ist, ob er bei ihr verbleibt, hat er sie im Verhältnis zum Antragsteller in die Rolle eines treuhänderisch die Forderung Verwaltenden versetzt. Sie muß also prüfen, ob ein verständiger Versicherter in dieser Situation einen Konkursantrag stellen würde und muß ihn gegebenenfalls anstelle des Versicherten als nunmehrige Inhaberin des Rechts selber stellen. Ein Aufschieben bis zur bindenden Entscheidung über das Kaug ist regelmäßig schon deswegen nicht möglich, weil die Gefahr besteht, daß durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anderer Gläubiger die Masse ausgezehrt wird. Ein Zuwerten wäre aber auch wegen des Ablaufs der nach dem bisher geltenden Recht maßgeblichen Sechsmonatsfrist (§ 141 b Abs. 2 AFG i.V.m. § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO - dazu BSG SozR 4100 141 b Nr. 4) nicht erträglich.

Diese verfahrensrechtliche Gestaltung führt im Ergebnis zu einer sinnvollen, Lücken vermeidenden, Absicherung des Arbeitnehmereinkommens. Im Falle eines Konkursantrages anläßlich einer Betriebseinstellung hat die Beklagte zu prüfen, ob offensichtliche Masselosigkeit vorliegt und ein Konkursantrag nicht schon gestellt ist. Liegen diese (und die übrigen) Voraussetzungen vor, so hat sie Kaug zu gewähren. Ist die Masse nicht offensichtlich unzureichend, muß sie selbst den Konkursantrag stellen und damit veranlassen, daß durch Entscheidung des Konkursgerichts die Voraussetzungen für das Kaug hergestellt werden. Die Entscheidung über die notwendigen verfahrensrechtlichen Schritte und die Gewährung des Kaug liegen somit in einer Hand. Damit ist der Widerspruch im Rahmen des § 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG weitgehend aufgelöst, der darin liegt, daß das Merkmal "offensichtlich" nicht an, den Erkenntnismöglichkeiten des Arbeitnehmers ausgerichtet ist, der an sich zunächst die Entscheidung treffen müßte, ob Konkursantrag zur Sicherung des Kaug zu stellen ist.

Ihrer Verpflichtung, den Kaug-Antrag zu stellen, ist die BA vorliegenden Falle nicht nachgekommen. Dieses Versäumnis könnte einen sogenannten sozialrechtlichen Schadensersatzanspruch (Herstellungsanspruch) des Inhalts zur Folge haben, daß Sie verpflichtet wäre, den Kläger so zu behandeln als wenn sie ihrer Verpflichtung genügt hätte, also das begehrte Kaug zu gewähren. Hierauf ist indes nicht weiter einzugehen, weil der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Kaug aufgrund des Herstellungsanspruchs die Rechtskraft des sozialgerichtlichen Urteils vom 4. Dezember 1975 (S. 5 Ar 82/75) entgegensteht. Bereits zum Zeitpunkt dieser Entscheidung wären die Voraussetzungen für den Herstellungsanspruch gegeben gewesen; denn ein Konkursantrag hätte schon zum damaligen Zeitpunkt wegen der Sechsmonatsfrist des § 141 b Abs. 2 AFG i.V.m. § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO nicht mehr dazu geführt, daß nunmehr die Voraussetzungen für die Gewährung von Kaug auf der Grundlage des geltend gemachten Arbeitsentgeltanspruchs herbeigeführt werden konnten. Die Aufhebung dieser zeitlichen Begrenzung durch das 5. Änderungsgesetz zum AFG hat insoweit keine Rückwirkung. Lagen aber bereits zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen vor, auf die der Herstellungsanspruch möglicherweise gegründet werden konnte, so wird auch dieser Anspruch von der Rechtskraft des Urteils über den Anspruch auf Kaug erfaßt. Es handelt sich nämlich bei der Leistung aufgrund eines Herstellungsanspruchs nicht um, eine neben oder anstelle der begehrten sozialrechtlichen Leistung zu gewährenden anderen Ersatzleistung. Vielmehr richtet sich der Herstellungsanspruch ebenfalls auf die zunächst aufgrund des Gesetzes begehrte sozialrechtliche Leistung, nur nunmehr aufgrund einer anderen rechtlichen Begründung. Davon ist das BSG bei seinen Entscheidungen über den Herstellungsanspruch stets ausgegangen (vgl. z.B. BSG SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; BSGE 41, 126; 41, 216; BSG SozR 4100 § 44 Nr. 9 S. 30; BSG, Urteil vom 9. Mai 1979 - 9 RV 20/78 -). Etwas anderes gilt nur, wenn mit dem Herstellungsanspruch eine andere als die zunächst im Streit stehende sozialrechtliche Leistung begehrt wird (z.B. Arbeitslosengeld statt Unterhaltsgeld: BSG SozR 4100 § 44 Nr. 9 S. 30). Fälle, in denen wie hier mit dem Herstellungsanspruch dieselbe Leistung begehrt wird, sind auch von den Fällen zu unterscheiden, in denen anstelle einer auf öffentlich-rechtliche Vorschriften gegründete Leistung Schadensersatz in Geld begehrt wird. Das BVerwG hat in solchen Fällen, entschieden, daß der Schadensersatzanspruch ein eigenständiger Anspruch sei, der gesondert geltend gemacht werden muß (BVerwG Buchholz 237.0 § 29 Nr. 1; 235 § 1 Nr. 1; 232 § 281 Nr. 6). Es handelte sich um Fälle, in denen Schadensersatz für entgangene höhere Dienstbezüge begehrt wurde. Der geforderte Schadensersatz bestand nicht in der Einräumung der dienstrechtlichen Position, aus der die höheren Ansprüche folgen, sondern aus einem Ausgleich durch eine Geldleistung, die nicht den Charakter von Dienstbezügen hat. Bei einer solchen Gestaltung handelt es sich in der Tat nach Voraussetzungen und Rechtscharakter um selbständige Ansprüche, so daß zwei Streitgegenstände vorliegen und die Rechtskraft der Entscheidung über den einen sich nicht auf den anderen erstreckt. Wird aber wie hier nur eine einheitliche Leistung auf verschiedene rechtliche Begründungen gestützt, so handelt es sich auch um einen einheitlichen Streitgegenstand. Nach der in den verwaltungsrechtlichen Verfahren herrschenden Auffassung ist Streitgegenstand der Anfechtungsklage die Behauptung des Klägers, der Verwaltungsakt sei rechtswidrig und greife in seine Rechtsphäre ein (Meyer-Ladewig, SGG § 95 Anm. 6; Eyermann/Fröhler, VwGO 7. Aufl. § 121 Anm. 10 c). Diese Behauptung ist unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Eine Klage wäre abzuweisen, auch wenn der Verwaltungsakt aus anderen als im Bescheid aufgeführten Rechtsgründen nicht rechtswidrig ist oder nicht in die Rechte des Klägers eingreift.

Streitgegenstand der mit der Anfechtungsklage kombinierten Leistungsklage ist der aus einem bestimmten Sachverhalt abgeleitete Anspruch des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten zu der begehrten Leistung (Meyer-Ladewig, SGG § 59 Anm. 8). Es entspricht damit dem im Zivilprozeßrecht herrschenden Streitgegenstandsbegriff (vgl. Rosenberg/Schwab , Zivilprozeßrecht, 11. Aufl. S. 483 ff.; Jauernig, Zivilprozeßrecht 18. Aufl. § 63 III 6 S. 209 f.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 37. Aufl. § 2 Anm. 2, A; die zwischen den zitierten Autoren noch bestehenden Differenzen wirken sich hier nicht aus). Es kann hier dahinstehen, inwieweit bei kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen die eine oder andere Bestimmung des Streitgegenstandes maßgeblich wird (s. dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 242 g und h); denn auch nach der Definition des Streitgegenstandes der Leistungsklage läge ein einheitlicher Streitgegenstand vor.

Handelt es sich aber danach um einen einheitlichen Streitgegenstand, so erstreckt sich auch die Rechtskraft des abweisenden Urteils vom 4. Dezember 1975 auf den Herstellungsanspruch, so daß dieser Anspruch dem Kläger in diesem Verfahren auch dann, wenn seine materiellen Voraussetzungen bestehen, nicht zuerkannt werden kann.

Das Verfahren über den Anspruch auf Kaug ist durch die hier angefochtenen Bescheide der Beklagten auch nicht wieder in der Weise eröffnet worden, daß die Beklagte auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides verzichtet hätte. Dabei kann dahinstehen, inwieweit ein solcher Verzicht zulässig wäre. Die Bescheide enthalten jedenfalls keine erneute Entscheidung über alle Voraussetzungen des Kaug-Anspruchs, sondern befinden nur darüber, ob die eingetretene Veränderung (Auszehrung der Masse) nunmehr zu einem Kaug-Anspruch führt. Dies ist zutreffend verneint worden.

Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.12 RAr 15/78

Bundessozialgericht

Verkündet am 17. Juli 1979

 

Fundstellen

Haufe-Index 518639

BSGE, 269

ZIP 1980, 126

Breith. 1980, 510

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