Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorverlegung des Rentenbeginns von Hinterbliebenenrenten in der Angestelltenversicherung. verspätete Rentenantragstellung. Wahrnehmung von Kriegsfristen

 

Orientierungssatz

Die Vorverlegung des Rentenbeginns einer Hinterbliebenenrente in der Angestelltenversicherung ist nicht zulässig, wenn die Rentenantragstellung durch Verschulden des Rentenantragstellers nicht innerhalb der Frist des § 2 S 1 KrFrHemmSV/AVG § 2 S 1 erfolgt ist.

 

Normenkette

KrFrHemmSV/AVG § 2 S. 1 Fassung: 1952-11-13, S. 3 Fassung: 1952-11-13; AVG § 41; RVO § 1286 Fassung: 1948-01-12

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.01.1956)

SG Köln (Entscheidung vom 10.11.1954)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1956 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Kläger sind die Witwe und die Waisen des Oberschullehrers F. Sie beziehen Hinterbliebenenrenten aus der Angestelltenversicherung (AV.). Mit diesem Rechtsstreit begehren sie die Vorverlegung des Beginns ihrer Renten.

Für den Versicherten sind in den Jahren 1932 bis 1934 insgesamt 18 Monatsbeiträge zur AV. entrichtet worden. Er ist im September 1944 gefallen. Sein Tod ist den Klägern seit 1946 bekannt. Den Rentenantrag stellten sie erstmals im Dezember 1950.

Die Kläger wohnten zur Zeit des Todes des Versicherten in S und von 1945 bis 1954 in H bei A. Seit 1954 wohnen sie in Bad G.

Die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg, die damals auch Aufgaben der Angestelltenversicherung wahrnahm, bewilligte die Hinterbliebenenrenten durch Bescheid vom 17. Juni 1952 vom 1. Januar 1951 an. Sie wies in ihrem Bewilligungsbescheid darauf hin, eine Vorverlegung des Rentenbeginns sei - nach der württemberg-badischen Fassung des § 1286 RVO a. F. - zulässig, falls der Berechtigte nachweise, daß er die frühere Antragstellung ohne sein Verschulden unterlassen habe; eine Rechtsmittelbelehrung war dem Bescheid angefügt. Die Kläger legten gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel ein.

Im Februar 1953 beantragten die Kläger, ihnen die Hinterbliebenenrenten auch für die Zeit von September 1944 bis Dezember 1950 zu gewähren. Sie stützten ihren Antrag auf § 2 des inzwischen erlassenen Kriegsfristengesetzes (KFG) vom 13. November 1952 und außerdem auf § 41 AVG a. F. in Verbindung mit § 1286 RVO in der Fassung des § 1 des württemberg-badischen Gesetzes Nr. 76 vom 12. Januar 1948 (Regierungsblatt 1948 S. 11). Sie sind der Ansicht, der Rentenbeginn müsse aufgrund des zuletzt genannten Gesetzes deswegen vorverlegt werden, weil dieses die Berücksichtigung des Verschuldens zulasse und sie ohne Verschulden den Rentenantrag nicht früher hätten stellen können. Sie hätten nicht gewußt, daß der Gefallene vor seiner Beamtenzeit der AV. angehört habe. Erst 1950 wären sie auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die LVA. Württemberg teilte den Klägern zunächst mit, daß es auch nach Prüfung des Vorbringens zur Verschuldensfrage bei dem im Bewilligungsbescheid festgestellten Rentenbeginn bleiben müsse. Eine Vorverlegung des Rentenbeginns nach § 2 KFG lehnte die LVA. ab und erteilte hierüber am 25. November 1953 einen Bescheid: Die Renten von Kriegshinterbliebenen begännen nach den Vorschriften des KFG nur dann mit dem Ablauf des Todesmonats, wenn der Rentenantrag vor Ablauf des Kalenderjahres gestellt werde, das dem Kalenderjahr folge, in dem die Hinterbliebenen die Todesnachricht erhalten hätten. Die Kläger hätten diese Nachricht 1946 erhalten, den Rentenantrag jedoch erst 1950 gestellt.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Berufung beim Oberversicherungsamt A ein. An die Stelle der LVA. Württemberg trat die Beklagte als der nunmehr zuständige Versicherungsträger in der AV. Das Sozialgericht Köln, auf das die Berufung nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage übergegangen war, wies die Klage ab: Das württemberg-badische Gesetz Nr. 76 sei durch das KFG aufgehoben worden; das KFG sehe keine Vorverlegung des Rentenbeginns bei schuldloser Verspätung der Antragstellung vor. Es ließ die Berufung zu (Urteil vom 10. November 1954).

Das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung der Kläger zurück. Es führte zur Begründung aus: Anzuwenden sei das Recht des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem die Kläger zur Zeit der Antragstellung ihren Wohnsitz gehabt hätten, also das für die ehemalige britische Besatzungszone geltende Recht. Hier sei § 1286 RVO a. F. nicht geändert worden, so daß es auf den Nachweis der unverschuldeten Verspätung der Antragstellung nicht ankomme. Auch das übrige in diesen Gebieten damals geltende Recht lasse keinen früheren Rentenbeginn zu. Das Kriegsfristengesetz biete ebenfalls keine solche Möglichkeit. Dafür wäre erforderlich gewesen, daß die Kläger bis zum Ablauf des Jahres, das dem Kalenderjahr folgte, in dem sie die Todesnachricht erhalten haben, den Rentenantrag gestellt hätten, d. h. bis zum 31. Dezember 1947 (§ 2 Satz 1 KFG). Eine Neufestsetzung des Rentenbeginns nach § 2 Satz 3 KFG könne nicht vorgenommen werden, weil der Erstantrag nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Das LSG. ließ die Revision zu (Urteil vom 13. Januar 1956).

Die Kläger legten gegen das ihnen am 19. März 1956 zugestellte Urteil am 5. April 1956 Revision ein und begründeten sie - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zu diesem Tag - am 19. Juni 1956. Sie rügten die Nichtanwendung des § 1286 Abs. 1 RVO in der Fassung des § 1 des württemberg-badischen Gesetzes Nr. 76. Diese Vorschrift sei anzuwenden, weil die Hinterbliebenenrenten durch die LVA. Württemberg bewilligt worden seien, obwohl die LVA. gewußt habe, daß die Kläger ihren Wohnsitz nicht in diesem Bezirk hatten. Zur Zeit der Antragstellung im Dezember 1950 sei das Gesetz Nr. 76 noch in Kraft gewesen. Die Kläger beantragten, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen die Hinterbliebenenrenten auch für die Zeit vom 1. Oktober 1944 bis zum 31. Dezember 1950 zu gewähren, hilfsweise, die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

Der Bewilligungsbescheid vom 17. Juni 1952 kann vom Gericht sachlich nicht mehr überprüft werden, weil er unanfechtbar geworden ist.

Die LVA. Württemberg hat in diesem Bescheid den Rentenbeginn auf den 1. Januar 1951 festgesetzt. Sie hat darin eine vollständige und richtige Rechtsmittelbelehrung erteilt. Die Kläger haben den Bescheid jedoch nicht angefochten, obwohl ihnen alle Tatsachen, die sie nachträglich zur Entschuldigung der späteren Antragstellung vorgebracht haben, schon damals bekannt waren und obwohl im Bescheid ausdrücklich auf die Möglichkeit eines früheren Rentenbeginns beim Nachweis von entschuldbaren Umständen hingewiesen worden war. Sie haben auch während der Geltungsdauer des württemberg-badischen Gesetzes Nr. 76, d. h. bis zum 15. November 1952 (§§ 5,4 KFG) nicht bei der LVA. angeregt, sie möge eine Überprüfung des Bescheids vornehmen (§ 45 AVG a. F. in Verb. mit § 1304 RVO a. F.) und den Rentenbeginn neu feststellen. Dieser Bescheid kann daher vom Gericht nicht mehr aufgehoben oder geändert werden.

Sachlich nachprüfbar ist allein der Bescheid vom 25. November 1953, durch den der Antrag der Kläger auf Gewährung der Hinterbliebenenrenten für Zeiten vor dem 1. Januar 1951 abgelehnt wurde. Hierzu hat das LSG. mit Recht ausgeführt, daß § 2 Satz 3 KFG eine Vorverlegung des Rentenbeginns nur dann zulasse, wenn bereits der Erstantrag in der Frist des § 2 Satz 1 KFG gestellt worden sei, d. h. für den vorliegenden Rechtsstreit bis Ende 1947 (vergl. BSG. 3 S. 72). Diese Frist ist nicht gewahrt worden.

Beide Vorinstanzen haben deshalb im Ergebnis zu Recht entschieden. Die Revision der Kläger war zurückzuweisen (§§ 170, 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2291034

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