Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 20.08.1991)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. August 1991 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung ihres am 3. April 1986 verstorbenen früheren Ehemannes W … A … (Versicherter).

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde durch Urteil des Landgerichts Gießen vom 25. Oktober 1967 ohne Schuldausspruch geschieden (§ 48 des Ehegesetzes ≪EheG≫). Am 13. Oktober 1967 hatten die Eheleute einen Vergleich geschlossen, wonach sie wechselseitig auf jeden Unterhalt einschließlich des Notbedarfs und des Falles veränderter Umstände verzichteten. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen (geboren im Jahre 1940, 1941 und 1964). Seit 1945 lebten die Eheleute getrennt. Zum Zeitpunkt der Scheidung hatte der Versicherte ein monatliches Einkommen von ca 580,00 DM bis 590,00 DM netto, die Klägerin gab ihren Verdienst mit ca 600,00 DM netto an. Ab 1976 bezog der Versicherte Altersruhegeld, das sich ab 1. Juli 1985 auf 1.265,00 DM belief. Die Klägerin bezog ab 1980 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, deren Zahlbetrag ab 1. Juli 1985 bei 706,22 DM lag.

Den im Juni 1986 gestellten Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6. Oktober 1986 ab. Auf die Klage gegen diesen Bescheid verurteilte das Sozialgericht (SG) Gießen die Beklagte, der Klägerin ab 1. Juli 1986 Hinterbliebenenrente zu gewähren (Urteil vom 8. Juli 1987). Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück (Urteil vom 20. August 1991). Zur Begründung führte das LSG aus: Die Voraussetzungen des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO seien erfüllt. Insbesondere stehe der Unterhaltsverzicht dem Rentenanspruch nicht entgegen. Die Klägerin habe überzeugend dargelegt, auf Anraten ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten auf Unterhalt verzichtet zu haben, weil bei dem Versicherten nichts zu holen gewesen sei. Eine Änderung dieser Verhältnisse sei nicht vorhersehbar gewesen. Ein Unterhaltsanspruch zum Zeitpunkt der Scheidung habe nicht bestanden, da die Klägerin über ein ausreichendes Einkommen aus einer zumutbaren Erwerbstätigkeit verfügt habe. Auch im Zeitpunkt des Todes des Versicherten habe kein Unterhaltsanspruch bestanden. Das Gesamteinkommen des Versicherten und der Klägerin habe 1.971,22 DM betragen. Die entsprechenden Beträge für den angemessenen Unterhalt seien mit 657,07 DM (1/3) bis 844,81 DM (3/7) anzusetzen. Mangels irgendwelcher Anhaltspunkte, die eine Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Betrags zuließen, sei der Mittelwert als zutreffender Bewertungsmaßstab in Höhe von 750,94 DM zugrunde zu legen. Unter Anrechnung der Rente der Klägerin in Höhe von 706,22 DM errechne sich ein Differenzbetrag von 44,72 DM, der unter 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe liege und deswegen keinen Unterhalt iS des § 1265 RVO darstelle.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie trägt vor: Für die Bestimmung eines Unterhaltsanspruches im Zeitpunkt der Scheidung hätten die Einkünfte der Klägerin nicht herangezogen werden dürfen, weil die Erwerbstätigkeit wegen der Erziehung eines minderjährigen, noch nicht schulpflichtigen Kindes unzumutbar gewesen sei. Insoweit sei das LSG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen (Hinweis auf SozR Nrn 45 und 68 zu § 1265 RVO sowie auf das Urteil vom 17. November 1987 – 5b RJ 68/86 –). Aus der Übernahme einer Erwerbstätigkeit könne nicht in jedem Fall auf ihre Zumutbarkeit geschlossen werden. Im übrigen hätte der Versicherte zu seinem monatlichen Nettoeinkommen im Zeitpunkt der Scheidung noch Kost und Logis erhalten, so daß er unterhaltsfähig gewesen sei. Aus diesen Gründen sei der Unterhaltsverzicht keine „leere Hülse” gewesen. Darüber hinaus sei der Versicherte nach der Scheidung vorübergehend unterhaltsfähig gewesen. Hinsichtlich der Bestimmung eines Unterhaltsanspruches der Klägerin im Zeitpunkt des Todes des Versicherten habe das LSG zu Unrecht die Anrechnungsmethode anstelle der Differenzmethode gewählt. Nach dieser hätte ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 50 % der Differenz der beiden Renteneinkünfte bestanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. August 1991 und das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Juli 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin richtet sich § 1265 RVO, da die Ehe der Klägerin vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist und sie ihren Anspruch bereits im Juni 1986 geltend gemacht hat (vgl § 300 Abs 2 SGB VI).

Nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO ist einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente zu gewähren, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.

Die erste Alternative dieser Vorschrift scheidet hier bereits deshalb aus, weil die Klägerin in dem Vergleich vom 13. Oktober 1967 auf jeden Unterhaltsanspruch gegenüber dem Versicherten verzichtet hat.

Es ist naheliegend, daß auch die zweite Alternative ausscheidet. Allerdings hat das LSG diese offensichtlich nicht geprüft. Jedenfalls hat es nicht festgestellt, daß die Klägerin vom Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt erhalten hat. Diese Feststellung ist noch nachzuholen.

In Betracht kommt aber ein Unterhaltsanspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO.

Danach findet § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO auch dann Anwendung,

  1. wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und
  2. wenn die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhielt, zu sorgen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und
  3. solange sie berufsunfähig (§ 1246 Abs 2) oder erwerbsunfähig (§ 1247 Abs 2) ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhält, sorgt oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.

Die Merkmale der Nrn 2 und 3 dieser Vorschrift sind, wie das LSG zutreffend erkannt hat, gegeben. Es kommt letztlich nur noch darauf an, ob der erklärte Unterhaltsverzicht im Rahmen von Satz 2 Nr 1 ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben kann. Das ist dann der Fall, wenn die Klägerin auf etwas verzichtet hat, was wirtschaftlich ohnehin nicht zu realisieren gewesen wäre „leere Hülse”). Nach der Rechtsprechung des Senates (SozR 3-2200 § 1265 Nr 9) ist der Tatbestand der „leeren Hülse” – abgesehen vom hier nicht einschlägigen Fall der Konventionalscheidung – dann erfüllt, wenn - aus den genannten Gründen sowohl im Zeitpunkt der Scheidung als auch im Zeitpunkt des Todes kein Unterhaltsanspruch bestanden hat und - nach den bei Abschluß des Unterhaltsverzichts gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise in Zukunft nicht mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau gerechnet werden konnte; es ist also eine Bewertung aus der Sicht eines verständigen Dritten vorzunehmen, dem alle bei Abschluß des Unterhaltsverzichts vorhandenen objektiven Umstände bekannt waren (auch diejenigen, die erst im Laufe des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Hinterbliebenenrentenanspruch bekannt geworden sind).

Der Tatbestand der „leeren Hülse” wird demgegenüber nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Unterhaltsverzicht Wirkungen hat, die keinen Bezug zu Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau haben. Insbesondere ist unbeachtlich, ob der Unterhaltsverzicht den Zweck und die Wirkung hatte, die geschiedene Ehefrau vor Unterhaltsverpflichtungen gegenüber ihrem früheren Ehemann zu schützen; denn der Ausschluß einer Unterhaltsverpflichtung der Frau gegenüber dem Versicherten hat unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Einfluß auf den Geschiedenenwitwenrentenanspruch (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 94 S 335).

Unbeachtlich sind auch der subjektive Kenntnisstand und die subjektiven Beweggründe der Hinterbliebenen. Es geht im Rahmen der Billigkeitserwägungen nicht darum, ein bestimmtes „ungeschicktes” Verhalten zu entschuldigen. Es geht vielmehr allein darum, in den Fällen, in denen der Verzicht keine Veränderung der objektiven unterhaltsrechtlichen Situation der Hinterbliebenen im Bereich des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO bewirkt hat, diesem auch keinen Einfluß auf den Rentenanspruch einzuräumen. Gerechtfertigt ist dies aus dem Gedanken, daß durch den Verzicht ebenso wie durch Nichtbeachtung eines solchen Verzichts zu keinem Zeitpunkt ein erhöhtes Risiko des Rentenversicherungsträgers geschaffen wurde oder wird, dh also, bei Erklärung des Unterhaltsverzichts eine Situation gegeben war, bei der vernünftigerweise damit zu rechnen war, daß der Rentenversicherungsträger ohne den Verzicht, gleichviel, wann der Versicherte verstirbt, ebenfalls Rente zu zahlen gehabt hätte.

Da die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten nach § 48 EheG ohne Schuldausspruch geschieden worden ist, ergeben sich die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch aus § 61 Abs 2 EheG in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung. Hiernach hatte der Versicherte, weil er die Scheidung verlangt hat, insoweit Unterhalt zu leisten, als dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entsprach.

Danach bestand im Zeitpunkt der Scheidung kein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten, da dieser seinerzeit weniger verdiente als die Klägerin.

Die diesbezüglichen Feststellungen des LSG sind nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen worden. Eine Feststellung, daß der Versicherte neben seinem Verdienst noch freie Kost und Logis erhalten hat, ist dem Urteil des LSG nicht zu entnehmen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Klägerin die von ihr ausgeübte Erwerbstätigkeit jedenfalls im Rahmen des Billigkeitsausspruchs nach § 61 Abs 2 EheG auch zumutbar. Die von der Beklagten herangezogene Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1265 Nr 45 S 155 mwN) hat darauf hingewiesen (aaO S 155), daß die Nichtberücksichtigung tatsächlich erzielter Einkünfte nur die Ausnahme sein kann. Im vorliegenden Fall spricht für die Berücksichtigung dieser Einkünfte außerdem, daß das Einkommen des Versicherten ohnehin nicht ausgereicht hätte, ihn, die Klägerin und die Kinder zu ernähren, die Klägerin im übrigen schon während der Ehe gearbeitet hat und im Rahmen des Billigkeitsunterhalts erhöhte Anforderungen zu stellen sind, tatsächlich erzielte Einkünfte für den eigenen Unterhalt einzusetzen (vgl ua OLG Stuttgart, FamRZ 78, 681; Soergel/Häberle, BGB, 11. Aufl, § 1581 Rz 13; Palandt, BGB, 52. Aufl, § 1581 Rz 25).

Ob auch im Zeitpunkt des Todes des Versicherten (letzter wirtschaftlicher Dauerzustand) der Klägerin kein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch zustand, ist hingegen aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG noch nicht zu entscheiden.

Das LSG hat seiner Berechnung die sogenannte Anrechnungsmethode (vgl BSG SozR 3-2200 § 1265 Nrn 4, 7) zugrunde gelegt. Es hat die Einkommen beider Ehegatten zusammengerechnet und der Klägerin als Unterhalt aus einem Rahmen von einem Drittel bis drei Siebteln dieses Betrages einen Mittelwert als Unterhaltsanspruch zugebilligt. Nach Anrechnung ihres eigenen Einkommens verblieb danach kein Unterhaltsanspruch, der 25 % des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe erreichte und damit als Grundlage eines Rentenanspruchs nach § 1265 Abs 1 RVO dienen konnte (BSG SozR 2200 § 1265 Nrn 51 und 65).

Es mag hier dahinstehen, ob die gewählte Anrechnungsmethode für den Unterhaltsanspruch im Zeitpunkt des Todes des Versicherten heute noch angewandt werden kann, oder ob nicht nunmehr der zivilrechtlichen Berechnung nach der sog Differenzmethode zu folgen ist, was der erkennende Senat für erwägenswert hält (s zu dieser Problematik zuletzt BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 7). Es ist bisher nämlich noch nicht erkennbar, ob es im vorliegenden Fall hierauf ankommt.

Zunächst einmal wäre festzustellen, wie hoch der angemessene Unterhaltsbedarf der Klägerin nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten zur Zeit der Scheidung war (dazu BGH FamRZ 1981, 241; 1983, 352; 1984, 151). Dieser bildet „hochgerechnet” auf den Zeitpunkt des Todes die Höchstgrenze auch für einen Unterhaltsanspruch nach Billigkeit iS von § 61 Abs 2 EheG, der hier zu beurteilen ist. Bei dieser „Hochrechnung” war auch zu berücksichtigen, inwieweit höheres Einkommen des Versicherten und die daraus fließende höhere Rente in der Lebensplanung der Eheleute angelegt war (BGH NJW 1987, 1555; 1988, 2034; 1990, 3020). Auch war der Wegfall von Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern zu berücksichtigen (BGH FamRZ 1988, 701). Umgekehrt wirkte mindernd auf den Unterhaltsanspruch, daß die Eheleute im Zeitpunkt des Todes des Versicherten beide Rentner waren und ihren Lebenszuschnitt auf die in dieser Lebensphase geringeren Einkünfte einrichten mußten (vgl zum Ganzen Palandt, BGB, 52. Aufl, Erläuterungen zu § 1578 BGB).

Der angemessene Unterhalt bildet aber nur die äußerste Grenze. Der hier allein in Betracht kommende Unterhaltsanspruch nach Billigkeit wird in der Regel wesentlich niedriger angesetzt (vgl zB OLG Hamm, FRES 1980, 424).

Bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs im einzelnen durfte sich das LSG nicht mit der Floskel begnügen, es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, die im Rahmen zwischen einem Drittel und drei Siebteln des Gesamteinkommens für die eine oder andere Größe sprächen; deshalb sei ein Mittelwert anzunehmen. Vielmehr war der Prozentsatz im einzelnen zu begründen. Das LSG hat übersehen, daß das BSG den Rahmen zwischen einem Drittel und drei Siebteln für Fälle des angemessenen Unterhalts entwickelt hat (s zuletzt SozR 3-2200 § 1265 Nr 4 und Nr 7). Ein solcher Rahmen für den angemessenen Unterhalt kann nicht ohne weiteres für einen Billigkeitsanspruch übernommen werden, weil dort nicht generell, sondern nur bei entsprechender Bedürfnislage ein überdies in der Regel niedrigerer Unterhaltsanspruch besteht. Bei diesen Überlegungen ist auch zu berücksichtigen, daß das BSG schon in seiner Entscheidung von 1971 (BSGE 32, 197, 200) hervorgehoben hat, der Prozentsatz sei um so höher anzusetzen, je bescheidener das eigene Einkommen der Klägerin war. Nicht mehr tragfähig ist demgegenüber die damalige Argumentation, der früheren Ehefrau sei ein geringerer Unterhaltsanspruch zuzubilligen, weil sie sich selbst billiger habe versorgen können als der Versicherte. Dies entspricht nicht mehr heutigen Vorstellungen von Gleichberechtigung. Vielmehr ist heute davon auszugehen, daß bei geschiedenen Ehegatten, die beide Renteneinkommen beziehen, das Gesamteinkommen grundsätzlich hälftig zu teilen ist (vgl BGH NJW 1982, 2442; 1982, 683; FamRZ 1982, 894). Dieser Grundgedanke muß sich auch in den Billigkeitsüberlegungen nach § 61 Abs 2 EheG niederschlagen.

Für die abschließende Entscheidung fehlen außerdem noch Feststellungen zu der vom BSG geforderten weiteren Voraussetzung, daß nämlich nach den bei Abschluß des Unterhaltsvergleichs gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise in Zukunft nicht mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau gerechnet werden konnte (SozR 3-2200 § 1265 Nr 9). Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß der Versicherte offenbar zwischenzeitlich erheblich höhere Einkünfte gehabt hat, wobei allerdings nicht auszuschließen ist, daß dies nicht voraussehbar war. Das LSG wird daher noch feststellen müssen, ob bereits während der Scheidung objektive Anhaltspunkte vorlagen, die Rückschlüsse auf eine Einkommensentwicklung der Eheleute zuließen, die zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten geführt hätten.

Wegen der noch erforderlichen Feststellungen war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173211

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