Leitsatz (amtlich)

§ 37c AVG (= § 1260c RVO) ist verfassungsmäßig.

 

Normenkette

AVG § 37c Abs 1 Fassung: 1977-06-27; RVO § 1260c Abs 1 Fassung: 1977-06-27; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 03.06.1982; Aktenzeichen L 11 An 143/81)

SG Augsburg (Entscheidung vom 09.04.1981; Aktenzeichen S 6 An 118/80)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die vom Kläger in den Jahren 1938 bis 1945 zurückgelegten Zeiten des Reichsarbeitsdienstes, des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft (Ersatzzeiten) bei der Berechnung seines Altersruhegeldes zu berücksichtigen sind.

Der am 3. Januar 1915 geborene Kläger war bis Juli 1949 versicherungspflichtig beschäftigt und danach Beamter; er ist im Januar 1980 als Oberamtsrat in den Ruhestand getreten. Im Dezember 1976 hatte ihm die Beklagte eine Auskunft dahin erteilt, daß er unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Zeiten eine Anwartschaft auf ein Altersruhegeld in Höhe von 655,40 DM habe. Bei der Berechnung des dem Kläger ab dem 1. Februar 1980 gezahlten Altersruhegeldes ließ die Beklagte demgegenüber unter Hinweis auf den seit dem 1. Januar 1980 geltenden § 37c des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Ersatzzeiten außer Ansatz; dabei ergab sich ein monatlicher Rentenzahlbetrag von 433,20 DM.

Die dagegen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Anwendung des § 37c AVG mit der Begründung gebilligt, daß die streitigen Zeiten bei der Berechnung der beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge berücksichtigt seien; § 37c AVG sei nicht verfassungswidrig. Die Rentenauskunft vom Dezember 1976 stehe der Rentenberechnung im angefochtenen Bescheid nicht entgegen, da sie sich ausdrücklich auf die seinerzeit geltenden Bestimmungen gestützt habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, § 37c AVG stehe im Widerspruch zum Grundgesetz (GG). Zwar habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Beschluß ausgeführt, daß die genannte Vorschrift mit den Art 3 und 14 GG im Einklang stehe. Das BVerfG habe sich jedoch weder mit der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit noch auch mit den im Einzelfall möglichen Auswirkungen befaßt. Mit der Einfügung von § 37c AVG habe der Gesetzgeber rückwirkend und ohne rechtfertigenden Grund in verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Klägers eingegriffen; es komme hinzu, daß die Änderung des § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz (2. HStruktG) vom 22. Dezember 1981 zu zusätzlichen unverhältnismäßigen Nachteilen für die betroffenen Beamten geführt habe. Eine Vorlage an das BVerfG sei daher geboten.

Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung des Altersruhegeldes die Ersatzzeiten zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; der angefochtene Bescheid ist nicht zu beanstanden.

Das 20. Rentenanpassungsgesetz (RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040) hat mit Wirkung vom 1. Januar 1980 den § 37c in das AVG eingefügt. Nach dieser Vorschrift bleiben Ersatzzeiten, Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit bei der Rentenberechnung unberücksichtigt, soweit sie bei einer Versorgung aus einem vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen zugrunde gelegt sind (oder bei Eintritt des Versorgungsfalles zugrunde gelegt werden). Es ist weder streitig noch zweifelhaft, daß die Beklagte somit nach dem Gesetz die Ersatzzeiten des Klägers bei der Berechnung des Altersruhegeldes unberücksichtigt lassen mußte. Da, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die frühere Rentenauskunft die Anwendung des § 37c AVG ebenfalls nicht ausschließen kann, kommt es im Revisionsverfahren allein noch darauf an, ob § 37c AVG mit dem GG vereinbar ist. Diese Frage ist zu bejahen.

Das BVerfG hat bereits in einem Beschluß seines zuständigen Ausschusses vom 14. Oktober 1980 (1 BvR 400/80) die Annahme einer Verfassungsbeschwerde gegen § 37c AVG mit der Begründung abgelehnt, daß die Vorschrift nicht gegen das GG verstoße. Mit ihr solle eine Doppelversorgung bei gleichzeitigem Bezug von Rente und Versorgung vermieden werden; sie greife nicht in das nach Art 14 GG geschützte Eigentum ein, stelle vielmehr nur eine verfassungsrechtlich zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums dar; insoweit habe das BVerfG die Beschneidung von Ansprüchen und Anwartschaften zur Vermeidung eines Doppelbezuges wiederholt für zulässig erklärt. § 37c AVG verstoße in der Abgrenzung des benachteiligten Personenkreises auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Er erstrecke sich nur deshalb auf die vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse oder Arbeitsverhältnisse, weil für die später begründeten eine Überversorgung bereits durch Regelungen der Beamtenversorgungsgesetze (vgl § 55 BeamtVG) angemessen ausgeglichen werde. Ebensowenig sei der für das Inkrafttreten des § 37c AVG gewählte Zeitpunkt verfassungsrechtlich zu beanstanden.

Bei diesem Beschluß handelt es sich, worauf der Kläger zu Recht hinweist, um keine iS des § 31 Abs 1 des Gesetzes über das BVerfG bindende Entscheidung des BVerfG. Der erkennende Senat hat jedoch keine Bedenken, auch bei Würdigung der vom Kläger dagegen vorgebrachten Gesichtspunkte der im Beschluß des BVerfG vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Es ist nicht unverhältnismäßig, daß der Gesetzgeber beitragslose Zeiten, die in der Rentenversicherung aus Mitteln der Versichertengemeinschaft und in der Beamtenversorgung aus Mitteln der Allgemeinheit honoriert werden müßten, in beiden Systemen nicht doppelt berücksichtigen will. Das gilt ungeachtet dessen, wie sich das im Einzelfall auswirkt, also auch dann, wenn es, wie der Kläger vorträgt, dadurch zu Rentenkürzungen von 50 % oder sogar noch mehr kommen kann. Ein Fall verfassungswidriger Rückwirkung ist ebenfalls nicht gegeben; zu einer weiteren "Übergangsregelung" als dem Hinausschieben des Inkrafttretens des § 37c AVG vom 27. Juni 1977 (Verkündung des 20. RAG) bis zum 1. Januar 1980 (Inkrafttreten) war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet.

§ 37c AVG ist auch nicht mit dem 1. Januar 1982 dadurch verfassungswidrig geworden, daß das 2. HStruktG die in § 55 BeamtVG enthaltene Beschränkung auf die nach dem 31. Dezember 1965 begründeten Beamtenverhältnisse hat entfallen lassen, so daß vom 1. Januar 1982 an alle Versorgungsbezüge neben Renten nur bis zum Erreichen bestimmter Höchstgrenzen gezahlt werden (vgl hierzu Kümmel, ZBR 1982, 232, 237). Zwar hat das BVerfG diese Erweiterung der Rentenanrechnung ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Begründung des Beamtenverhältnisses ebenfalls für verfassungsmäßig erachtet (NVwZ 1982, 429); da in § 37c AVG die Beschränkung auf vor dem 1. Januar 1966 begründete Dienst- und Arbeitsverhältnisse aber verblieben ist, läßt sich diese seitdem jedenfalls nicht mehr damit rechtfertigen, daß für die später begründeten Dienst- und Arbeitsverhältnisse § 55 BeamtVG der Doppelversorgung entgegenwirke. Aber auch wenn sich fragen läßt, ob es zur Vermeidung einer Doppelversorgung weiterhin noch der Vorschrift des § 37c AVG für die dort bezeichneten Zeiten bedürfte, lassen sich für die Beibehaltung dieser Vorschrift über den 1. Januar 1982 hinaus gleichwohl sachgerechte Gründe anführen. Mit § 37c AVG hat der Gesetzgeber nämlich nicht nur eine Doppelversorgung verhindern, sondern zugleich die Rentenversicherung von der Honorierung dieser Zeiten entlasten wollen. Nach der jetzigen Gestaltung des § 55 BeamtVG einerseits und des § 37c AVG andererseits geht es bei der Abgrenzung im wesentlichen noch um die Frage, welches System letztlich die Lasten für die in § 37c AVG genannten beitragslosen Zeiten tragen soll. Insoweit hat aber § 37c AVG im besonderen die Wirkung, daß gerade die oft umfangreichen Ersatzzeiten im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg im Regelfall nicht von der Rentenversicherung, sondern von der Beamtenversorgung zu honorieren sind, so daß die mit § 37c AVG beabsichtigte Entlastung der Rentenversicherung also weiterhin eintritt. Soweit es bei der derzeitigen Abgrenzung zu Unbilligkeiten außerhalb des § 37c AVG kommt, kann das nicht die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift, sondern allenfalls die Verfassungsmäßigkeit anderer Regelungen berühren; das gilt sowohl für den vom Kläger gezogenen Vergleich von Gesamtbezügen unter Berücksichtigung der Besitzstandswahrungen des Art 2 § 2 des 2. HStruktG als auch für die unterschiedlichen Folgen bei der Versteuerung der Bezüge und beim Zuschuß zur Krankenversicherung der Rentner (vgl dazu Ludwig, SozV 1982, 200, 205 f).

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1661254

NVwZ 1983, 704

Breith. 1983, 891

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