Entscheidungsstichwort (Thema)

Nationalsozialistische Verfolgung. Wiedergutmachung

 

Orientierungssatz

1. Ein Entschädigungsanspruch nach § 4 Abs 5 NVG ist nicht gegeben, soweit ein Schaden nicht durch die Verfolgung, sondern aus anderen Gründen, wie etwa dem allgemeinen Zusammenbruch und einer auf ihm beruhenden Vertreibung entstanden ist.

2. Auch für § 4 Abs 5 NVG gilt der in § 9 Abs 5 BEG zum Ausdruck kommende Grundsatz der überholenden Kausalität, daß für Schäden, die auch ohne die Verfolgung entstanden wären, keine Entschädigung gewährt wird.

3. Im Anwendungsbereich des BWöDG ist ein dem § 9 Abs 5 BEG entsprechender allgemeiner Grundsatz nicht enthalten. Hierauf ist es zurückzuführen, daß die Ansprüche des Verfolgten auf Wiedergutmachung nach dem BWöDG weiter gehen können als die Ansprüche nach dem NVG.

 

Normenkette

NVG § 4 Abs. 5; BEG § 9 Abs. 5; BWöDG

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 08.12.1965)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers Wiedergutmachungsleistungen, die ihm als Verfolgtem des Nationalsozialismus gewährt worden sind, als Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sind.

Der Kläger, geboren 1896, war seit 1928 Angestellter beim Arbeitsamt W/Schlesien. 1933 wurde er aus politischen Gründen entlassen und war bis 1936 arbeitslos. Danach war er bis 1945 beim Amtsgericht und sodann beim Finanzamt in I/Schlesien als Angestellter beschäftigt. Nach seiner Vertreibung aus Schlesien war er von Ende Mai 1946 bis Ende September 1961 (Vollendung des 65. Lebensjahres) Angestellter beim Straßenzentralamt der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, dem späteren Kraftfahrt-Bundesamt in F; er erhielt dort zunächst Bezüge nach Vergütungsgruppe IX TO.A, später höhere Bezüge und zuletzt Bezüge nach Vergütungsgruppe VIb TO.A. Durch Bescheid des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 13. Juli 1954 wurde er als Verfolgter des Nationalsozialismus anerkannt mit der Maßgabe, daß er so zu stellen sei, als sei er 1933 nicht entlassen worden, sondern im Dienste verblieben und ab 1. Januar 1939 nach Vergütungsgruppe VIb TO.A höhergruppiert worden.

Mit Bescheid vom 24. Januar 1962, der bindend geworden ist, gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld ab 1. September 1961. Sie berücksichtigte dabei die dem Kläger für die Zeit bis Mai 1945 gewährten Wiedergutmachungsleistungen rentensteigernd und rechnete die Zeit vom Zusammenbruch bis zu seiner Wiederverwendung Ende Mai 1946 als Ersatzzeit an.

Mit Wiedergutmachungsbescheid vom 8. Januar 1963 wurde der Wiedergutmachungsbescheid vom 13. Juli 1954 aufgrund des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BWGöD) idF des 6. Änderungsgesetzes vom 18. August 1961 (BGBl I 1349) vom BMA als wiedergutmachungspflichtigem Dienstherrn geändert und ergänzt wie folgt:

"I Ziff. 1 erhält folgende Fassung:

1. Der Antragsteller ist so zu behandeln, als wäre er nicht am 1. Juni 1933 beim Arbeitsamt W entlassen worden, sondern im Dienst verblieben, am 1. Januar 1939 nach Vergütungsgruppe VIb TO.A und am 1. Januar 1951 nach Vergütungsgruppe Vb TO.A aufgerückt.

II Nachstehende Ziff. 3 bis 5 werden neu eingefügt:

3. Der Antragsteller hat ab 1. Januar 1954 Anspruch auf Zahlung von Bezügen nach § 21a BWGöD. Das Einkommen aus seiner Verwendung im öffentlichen Dienst ist nach Abs. 3 aaO anzurechnen.

4. Für die Zeit vom 27. Mai 1946 bis zum Entstehen des Anspruchs aus § 21a Abs. 2 BWGöD, längstens jedoch für die Dauer der Wiederverwendung, sind dem Antragsteller unter Anrechnung der bereits bezogenen Vergütung die Bezüge zu zahlen, die er erhalten hätte, wenn ihm ab 27. Mai 1946 eine Stelle nach Ziff. 1 übertragen worden wäre. Die Wiedergutmachungsleistungen, die der Bundesminister für Verkehr dem Antragsteller nach § 35 Abs. 2 BWGöD bereits gewährt hat, sind anzurechnen.

5. Die Wiedergutmachungsleistungen nach Ziff. 4 stellen Einkommen aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst im Sinne des § 21a Abs. 3 BWGöD dar und sind daher entsprechend anzurechnen ..."

Sozialversicherungsbeiträge aus den Zahlungen des wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn an den Kläger sind an die Beklagte nicht abgeführt worden.

Im April 1963 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf § 21a Abs. 5 und Abs. 6 BWGöD idF vom 18. August 1961 und auf den Bescheid des BMA vom 8. Januar 1963 die Neuberechnung seines Altersruhegeldes. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 24. März 1964 ab, weil es sich bei den dem Kläger vom BMA gezahlten Wiedergutmachungsleistungen um Ausgleichsbeträge gemäß § 35 Abs. 2 BWGöD handele, die kein Entgelt im Sinne der Sozialversicherung seien. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 17. August 1964 zurückgewiesen. Mit der Klage beantragte der Kläger, "die Bescheide vom 24. März und 17. August 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Bescheid zu erteilen, durch den ihm unter Berücksichtigung der Tatsache, daß für ihn für die Zeit vom 1. Januar 1939 bis zum 31. Dezember 1950 ein Arbeitsentgelt entsprechend der Vergütungsgruppe VIb TO.A und vom 1. Januar 1951 bis zum 30. September 1961 ein solches entsprechend der Vergütungsgruppe Vb TO.A gewährt worden ist, ein höheres Altersruhegeld gewährt wird". Das Sozialgericht (SG) Schleswig gab der Klage statt (Urteil vom 10. Februar 1965). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hob auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 8. Dezember 1965). Es führte im wesentlichen aus: Für die Zeiten von Januar 1939 bis zur Wiederverwendung nach dem Zusammenbruch (Mai 1946) hätte das SG die Klage als unzulässig abweisen müssen, weil diese Zeiten bereits in dem angefochtenen Bescheid berücksichtigt seien. Für die folgende Zeit sei der Klageanspruch nicht begründet. Der Kläger sei entsprechend den Bescheiden vom 13. Juli 1954 und 8. Januar 1963 nach dem BWGöD entschädigt worden. Die Wiedergutmachung der ihm durch Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Sozialversicherung entstandenen Schäden richte sich jedoch nach dem Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung (NVG) vom 22. August 1949, hier nach dem durch die Rentenversicherungsneuregelungsgesetze nicht aufgehobenen § 4 Abs. 5 NVG. Im vorliegenden Falle fehle es aber für die Zeit von Mai 1946 (Beginn der Beschäftigung des Klägers bei der Dienststelle in Flensburg) bis zu seinem Ausscheiden im September 1961 an dem in § 4 Abs. 5 NVG geforderten ursächlichen Zusammenhang zwischen Verfolgungsmaßnahme und "Minderverdienst". Wenn der Kläger während dieser Zeit weniger verdient habe, als wenn er beim Arbeitsamt W über 1933 hinaus weiterbeschäftigt und entsprechend den Wiedergutmachungsbescheiden höhergruppiert worden wäre, so sei das keine Auswirkung von Verfolgungsmaßnahmen. Der frühere Arbeitgeber des Klägers, die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Arbeitsamt W), sei 1945 als Folge des Zusammenbruchs untergegangen. 1946 sei der Kläger vertrieben worden; damals habe allgemein eine große Arbeitslosigkeit bestanden, von der Verfolgte und Nichtverfolgte in gleicher Weise betroffen worden seien. Auf die Vergütung des Klägers von 1946 bis 1961 habe sich die Tatsache, daß er 1933 aus politischen Gründen entlassen worden sei, nicht oder nur unwesentlich ausgewirkt. Die Neufeststellung des Ruhegeldes des Klägers aus der Zusatzversorgungsanstalt des Bundes und der Länder beruhe auf der Sonderregelung des § 21 Abs. 4 BWGöD.

Der Kläger legte die vom LSG zugelassene Revision ein, er beantragte,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Schleswig vom 10. Februar 1965 zurückzuweisen.

Zur Begründung trug er im wesentlichen vor: Es müsse zwischen den Zeiten vor 1945 und danach unterschieden werden. Soweit der Kläger auf Grund der Wiedergutmachungsbescheide ab 1. Juni 1933 Wiedergutmachungszahlungen erhalten habe, handele es sich nicht um Schadensersatz, sondern um echtes Arbeitsentgelt, er sei "arbeitsrechtlich entschädigt", für die Wiedergutmachungszahlungen sei er zur Lohnsteuer herangezogen worden. Bei der Koppelung von Lohnsteuer und Versicherungsbeiträgen sei die Rente gleichlaufend mit der Lohnsteuer neu zu berechnen. Das NVG könne in derartigen Fällen keine Anwendung finden, die Zeiten ab 1946 seien keine Verfolgungszeiten; sie seien jedoch "Wiedergutmachungszeiten", auf die die Vorschriften über "Beitragsnachentrichtung" anzuwenden seien.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Sie berief sich auf die Vorschriften des BWGöD, nach denen die dem Kläger gewährten Zahlungen kein Arbeitsentgelt seien; sie würden auch nicht von der Fiktion des § 21a Abs. 5 BWGöD idF des 6. Änderungsgesetzes erfaßt.

Auf eine Anfrage des Senats teilte der BMA am 22. Oktober 1969 mit, der Kläger habe keine Bezüge nach § 21a Abs. 2 BWGöD erhalten, es seien für ihn daher weder Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung nach § 21a Abs. 5 bis Abs. 10 BWGöD zu entrichten, noch sei er nach Art. V Abs. 7 des 6. Änderungsgesetzes zum BWGöD nachzuversichern.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht begründet.

Zunächst ist klarzustellen, daß der Kläger eine Erhöhung seines Altersruhegeldes nur insoweit beantragt hat, als ihm von dem wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn für die Zeit vom 1. Januar 1939 bis zum 30. September 1961 Wiedergutmachungsleistungen gewährt worden sind; nur hierüber haben auch die Vorinstanzen entschieden. Die Ausführungen des Klägers in der Revisionsbegründung, die sich auf Wiedergutmachungsleistungen für Zeiten vor dem 1. Januar 1939 beziehen, sind schon aus diesem Grunde unbeachtlich. Wenn nach der Auffassung des LSG die Wiedergutmachungsleistungen, die der Kläger auf Grund des Wiedergutmachungsbescheides vom 13. Juli 1954 - der insoweit durch den Wiedergutmachungsbescheid vom 8. Januar 1963 nicht geändert worden ist - für die Zeiten vom 1. Januar 1939 (und schon ab 1. Oktober 1936) bis zum Zusammenbruch im Mai 1945 erhalten hat, bereits in dem Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 1962 und ebenso in dem angefochtenen Bescheid vom 24. März 1964 der Rentenberechnung zugrundegelegt worden sind, so wäre damit jedoch nicht, wie das LSG meint, "die Klage, soweit sie den vom Kläger für diesen Zeitraum erhobenen Anspruch betraf, als unzulässig" abzuweisen. Dies würde vielmehr bedeuten, daß dieser Teil der Klagebegründung nicht durchgriffe, die Zulässigkeit der Klage würde dadurch nicht berührt. Das gleiche gilt auch für die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zur Wiederverwendung des Klägers im öffentlichen Dienst ab Mai 1946, die nach den Darlegungen des LSG in dem angefochtenen Bescheid als Ersatzzeit angerechnet ist; hier kommt hinzu, daß der Kläger offenbar meint, seine Rente sei trotzdem noch zu erhöhen, weil er auch für diese Zeit Wiedergutmachungsleistungen erhalten habe; wenn dies nach der Meinung des LSG nicht zugetroffen hat, so hat auch das nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern ihre Begründetheit betroffen.

Obwohl das LSG die Klage sonach nicht "teilweise" als unzulässig hat abweisen dürfen, ist die Revision des Klägers unbegründet, weil der von ihm erhobene Anspruch auf eine höhere Rente nicht besteht. Für die Höhe des Altersruhegeldes des Klägers kommt es neben den sonstigen Berechnungsfaktoren auf die für den Kläger maßgebende ("persönliche") Rentenbemessungsgrundlage an (§ 31 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -); sie wird durch das Verhältnis des Bruttoarbeitsentgelts des Versicherten zu dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten während der zurückgelegten Beitragszeit bestimmt (§ 32 Abs. 1 Satz 1 AVG). Bei der Verhältnisrechnung ist für die in § 32 Abs. 3 Buchst. a AVG genannten Zeiten "die Zahl der entrichteten Beiträge jeder einzelnen Klasse" von Bedeutung, für die in § 32 Abs. 3 Buchst. b AVG genannten Zeiten "der Arbeitsentgelt, soweit er der Beitragsberechnung zugrunde lag". Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) - die der Kläger auch nicht angegriffen hat - sind jedoch Beiträge aus den dem Kläger vom wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn gezahlten Wiedergutmachungsleistungen nicht an die Beklagte abgeführt worden, die Beklagte kann daher diese Leistungen für die persönliche Rentenbemessungsgrundlage des Klägers nicht berücksichtigen. Der Senat kann in dem anhängigen Verfahren, in dem es um die Höhe der Rente, also um einen Leistungsstreit geht, nicht darüber entscheiden, ob zu dem Bruttoarbeitsentgelt des Klägers in den Jahren 1945 bis 1961 neben dem Arbeitsentgelt, das er in dieser Zeit aus der von ihm ausgeübten Beschäftigung erhalten hat und für das Pflichtbeiträge abgeführt worden sind, auch die ihm später gezahlten Wiedergutmachungsleistungen gehören, ob Pflichtbeiträge aus diesen Leistungen nach § 21a Abs. 5 bis Abs. 10 BWGöD idF des 6. Änderungsgesetzes zu entrichten gewesen wären oder eine Nachversicherung nach Art. V Abs. 7 des 6. Änderungsgesetzes erforderlich gewesen wäre. Dies hätte in einem Beitragsverfahren geklärt werden müssen, sei es dadurch, daß die Beklagte die Beiträge vom wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn gefordert hätte, sei es dadurch, daß der Kläger, falls die Beklagte seiner Meinung nach zu Unrecht von der Geltendmachung des Anspruches auf Beiträge gegenüber dem wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn abgesehen hätte, Klage gegen die Beklagte als den zuständigen Versicherungsträger auf Verurteilung zum Einzug dieser Beiträge vom wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn erhoben hätte (vgl. dazu Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 10. Februar 1960, BSG 11, 278, 279). Das anhängige Verfahren betrifft jedoch weder einen etwaigen Beitragsanspruch der Beklagten gegenüber dem wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn noch einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf den Einzug von Beiträgen beim wiedergutmachungspflichtigen Dienstherrn, sondern ausschließlich den vom Kläger erhobenen Anspruch gegen die Beklagte auf eine höhere Rente; nur über den Rentenanspruch des Klägers haben auch die Vorinstanzen entschieden.

In dem anhängigen Verfahren ist jedoch - wie dies auch das LSG getan hat - weiter zu prüfen, ob die dem Kläger gewährten Wiedergutmachungsleistungen, obwohl Beiträge aus ihnen nicht entrichtet worden sind, auf anderem Wege für die Rentenhöhe berücksichtigt werden können und müssen. Der Kläger hält dies für erforderlich, weil nach seiner Meinung aufgrund der Wiedergutmachungsbescheide auch ein Schaden auf dem Gebiet der Sozialversicherung auszugleichen sei, der ihm ohne Berücksichtigung der Wiedergutmachungsleistungen entstehen würde. Schädigungen in der Sozialversicherung, die von der Wiedergutmachung nach dem BWGöD erfaßte Angestellte und Arbeiter erlitten haben, sind jedenfalls bis zur Neueinfügung der Absätze 5 bis 10 in § 21a BWGöD, die am 1. Januar 1961 in Kraft getreten sind (vgl. Art. I Nr. 19 Buchst. f, Art. 8 Abs. 1 Nr. 9 des 6. Änderungsgesetzes) und bis zum gleichzeitigen Inkrafttreten des Art. V dieses Gesetzes, dessen Absatz 7 die Nachversicherung der unter § 21a Abs. 2 BWGöD fallenden Personen - frühestens vom 1. Januar 1954 an - behandelt, nicht nach dem BWGöD, sondern nach den der Wiedergutmachung in der Sozialversicherung dienenden besonderen Vorschriften zu beurteilen (Blessin-Ehrig-Wilden, Bundesentschädigungsgesetze, 3. Aufl. 1960, u.a. Anm. 7 zu § 1 BWGöD; Anders, Komm. zum BWGöD, 2. Aufl. 1956, Anm. 3 zu § 21 - beide für die Rechtslage vor dem 6. Änderungsgesetz zum BWGöD; ferner Anders in DV-Blatt 1963, 569). Seit dem Inkrafttreten der Rentenversicherungsneuregelungsgesetze sind dies die §§ 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG (Ersatzzeitenregelung) und 29 Nr. 3 AVG (Wartezeitfiktion); neben diesen Vorschriften sind jedoch die Absätze 4 und 5 des § 4 NVG unter Anpassung an die seit dem 1. Januar 1957 bestehende Rechtslage weiterhin geltendes Recht (vgl. Urteile des BSG vom 29. Juni 1967 und vom 6. Juli 1967, BSG 27, 49 und 58). Die Anpassung an die Rechtslage seit dem 1. Januar 1957 bedeutet, daß an die Stelle der Steigerungsbeträge in § 4 Abs. 4 und 5 die persönliche Rentenbemessungsgrundlage tritt, daß nach § 4 Abs. 4 das wahrscheinliche Bruttoarbeitsentgelt während der Verfolgungszeit bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage mit zu berücksichtigen ist, sofern dies zu einer höheren persönlichen Rentenbemessungsgrundlage führt und daß nach § 4 Abs. 5 bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage das Bruttoarbeitsentgelt zugrunde gelegt werden muß, das der Versicherte aus dem vor der Verfolgungszeit bestehenden Arbeitsverhältnis, falls es fortgesetzt worden wäre, bezogen hätte. Der Kläger meint offenbar, das wahrscheinliche Bruttoarbeitsentgelt während der Verfolgungszeit (§ 4 Abs. 4 NVG) decke sich mit den ihm in den Wiedergutmachungsbescheiden zugesprochenen Leistungen und diese Leistungen gehörten auch zu dem Arbeitsentgelt, das er bei Fortbestehen seines letzten Arbeitsverhältnisses ohne die verfolgungsbedingte Entlassung bezogen hätte (§ 4 Abs. 5 NVG). Ob nach der Einfügung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften in das BWGöD durch das 6. Änderungsgesetz daneben noch für den Geltungsbereich des BWGöD die Absätze 4 und 5 des § 4 NVG weiterhin anwendbar sind, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn dies der Fall wäre, könnte der Kläger aus diesen Vorschriften den Anspruch auf eine höhere Rente nicht herleiten. § 4 Abs. 4 NVG kommt nicht in Betracht, weil der Kläger die Gewährung einer höheren Rente nur insoweit beantragt hat, als ihm Wiedergutmachungsleistungen für die Zeit ab 1. Januar 1939 gewährt worden sind und weil in die Zeit ab 1. Januar 1939 keine verfolgungsbedingte Ersatzzeit fällt; die dem Kläger vom Zusammenbruch bis zu seiner Wiederverwendung bei der Dienststelle in Flensburg ab Mai 1946 angerechnete Ersatzzeit ist nicht eine Ersatzzeit wegen einer durch Verfolgungsmaßnahmen bedingten Arbeitslosigkeit (§ 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG), sondern eine Ersatzzeit wegen Arbeitslosigkeit infolge Vertreibung (§ 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG), auf Vertreibungszeiten ist aber § 4 Abs. 4 NVG nicht anwendbar. Die dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1939 bis zum Zusammenbruch im Mai 1945 zuerkannten Wiedergutmachungsleistungen, die dem Ausgleich des Unterschieds zwischen seinen in dieser Zeit aus Verfolgungsgründen niedrigeren Bezügen beim Amtsgericht und Finanzamt in Landeshut gegenüber den letzten Bezügen beim Arbeitsamt W. und unter Berücksichtigung der Höhergruppierung ab 1. Januar 1939 nach den Wiedergutmachungsbescheiden gedient haben, sind schon in dem Bescheid der Beklagten vom 24.Januar 1962 und ebenso auch in dem angefochtenen Bescheid vom 8. Januar 1963 bei der Rentenberechnung nach § 4 Abs. 5 NVG berücksichtigt worden (vgl. dazu auch das Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 17. März 1960, angeheftet an die Versicherungskarte Nr. 5 in der Rentenakte der Beklagten). Darüber hinaus bliebe für eine Anwendung des § 4 Abs. 4 und Abs. 5 NVG somit nach der Vorstellung des Klägers noch die Zeit vom Mai 1945 bis September 1961, weil auch für die Zeit der Arbeitslosigkeit von Mai 1945 bis Ende Mai 1946 Wiedergutmachungsleistungen gewährt worden sind und weil er ab Ende Mai 1946 in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, in dem er niedriger vergütet worden ist und durch das deshalb auch seine Rente geringer geworden ist, als sie bei Weiterbestehen seines Arbeitsverhältnisses beim Arbeitsamt W unter Berücksichtigung der Höhergruppierungen am 1. Januar 1939 und ab 1. Januar 1951 gewesen wäre. Er ist damals aber nicht, wie dies für eine Rentenerhöhung nach § 4 Abs. 4 NVG erforderlich wäre, aus Verfolgungsgründen arbeitslos gewesen und er hat das anschließende neue Arbeitsverhältnis nicht, wie dies § 4 Abs. 5 NVG verlangt, "aus den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 (NVG) genannten Gründen", nämlich aus Verfolgungsgründen eingehen müssen. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß - wie dies auch in dem Urteil des BSG vom 21. Juli 1959, BSG 10, 173 f zu § 3 Abs. 1 NVG dargelegt ist - nach allgemeiner Erfahrung gerade die früher politisch Verfolgten, zu denen der Kläger gehört, nach dem Zusammenbruch bevorzugt in Arbeit vermittelt worden seien und daß eine Berücksichtigung der früheren verfolgungsbedingten Entlassung zuungunsten des Stellenbewerbers schlechthin undenkbar gewesen sei. Der Kläger selbst hat im Verfahren auch niemals behauptet, daß seine Arbeitslosigkeit in den Jahren 1945 und 1946 und die niedrigere Vergütung bei der Dienststelle in F in der folgenden Zeit noch etwas mit seiner früheren politischen Verfolgung zu tun gehabt hätten. Seine damalige Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung seines Arbeitseinkommens ab Mai 1946 sind vielmehr Folgen des Zusammenbruchs und der Vertreibung. Von diesen Ereignissen wäre der Kläger auch dann betroffen worden, wenn er nicht Verfolgter gewesen wäre, er hätte ebenso wie nicht verfolgte Vertriebene ein neues Arbeitsverhältnis eingehen müssen, auch wenn sein Arbeitsentgelt niedriger gewesen wäre als sein Arbeitsentgelt vor der Vertreibung. Es kommt hinzu, daß der Arbeitgeber des Klägers bei der verfolgungsbedingten Entlassung im Jahre 1933, nämlich die frühere Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Arbeitsamt W), infolge des Zusammenbruchs untergegangen ist und der Kläger möglicherweise auch deshalb nach dem Zusammenbruch sich mit einer niedriger vergüteten Beschäftigung hätte abfinden müssen. Die damaligen Verhältnisse lassen deshalb nicht den Schluß zu, daß das Eingehen eines geringer vergüteten Arbeitsverhältnisses ab Mai 1946 überhaupt oder auch nur im wesentlichen auf Verfolgungsgründen beruht hat. Es fehlt also an dem in § 4 Abs. 5 NVG geforderten ursächlichen Zusammenhang zwischen der Verfolgung und dem gegenüber der Beschäftigung vor der Verfolgung niedrigeren Arbeitsentgelt und der sich hieraus ergebenden niedrigeren Rente. Der Kläger kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß ihm die Wiedergutmachungsleistung nach dem BWGöD ohne Rücksicht auf die Folgen des Zusammenbruchs gewährt und daß aus diesen Leistungen Beiträge an die Zusatzversorgungsanstalt des Bundes und der Länder abgeführt worden sind und sich damit sein Anspruch auf Zusatzversorgung entsprechend erhöht hat. Der Umfang der Wiedergutmachung in der Sozialversicherung deckt sich nicht notwendigerweise mit dem Umfang der Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst. Zwar betreffen die Wiedergutmachungsvorschriften des BWGöD, des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG), der Rentenversicherungsgesetze und des NVG (soweit es noch in Kraft ist) weitgehend denselben Personenkreis, sie beziehen sich aber auf verschiedene Schädigungstatbestände und knüpfen an sie unterschiedliche Rechtsfolgen. Das BWGöD zielt grundsätzlich darauf ab, bei dem Verfolgten die ihm durch die Verfolgung entzogenen Beamtenrechte oder, soweit es sich um nicht im Beamtenverhältnis stehende Angestellte und Arbeiter handelt, die besondere Rechtsstellung, die sich aus der Beschäftigung im öffentlichen Dienst ergibt, wieder herzustellen und das ihm zugefügte Unrecht, den Schaden, der ihm sowie seinen versorgungsberechtigten Hinterbliebenen in seinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis oder in seiner Versorgung entstanden ist (§ 1 BWGöD), zu beseitigen; der Vermeidung eines Schadens in der aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis stammenden Versorgung dient auch § 21 Abs. 4 BWGöD; dort ist bestimmt, daß der wiedergutmachungspflichtige Dienstherr auch Wiedergutmachung für den Schaden zu gewähren hat, den ein Angestellter oder Arbeiter durch Entlassung oder vorzeitige Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung des öffentlichen Dienstes erlitten hat. Das BEG dagegen räumt einen Entschädigungsanspruch nur den unrechtmäßig entlassenen Angehörigen des öffentlichen Dienstes ein, denen durch die in § 99 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BEG aufgeführten Maßnahmen Bezüge entgangen sind. Dieser Entschädigungsanspruch tritt an die Stelle eines auf Ausgleich des wirtschaftlichen Schadens gerichteten Schadensersatzanspruchs (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 20. März 1957, RZw 1957, 244, 247; Blessin-Ehring-Wilden, Anm. 10 zu § 1 BWGöD und IV Anm. 10 zu § 9 BEG). Dem gleichen Zweck wie das BEG, nämlich dem Ausgleich entgangener Bezüge, dient jedoch auch § 4 Abs. 5 NVG, soweit nach dieser Vorschrift eine den niedrigeren Bezügen entsprechend geringere Rente zu erhöhen ist. Sowohl ein Entschädigungsanspruch nach dem BEG als auch ein Entschädigungsanspruch nach § 4 Abs. 5 NVG kann aber nicht gegeben sein, soweit ein Schaden nicht durch die Verfolgung, sondern aus anderen Gründen, wie etwa dem allgemeinen Zusammenbruch und einer auf ihm beruhenden Vertreibung entstanden ist. Dementsprechend ist in § 9 Abs. 5 BEG bestimmt, daß "für Schäden, die auch ohne die Verfolgung entstanden wären ... keine Entschädigung gewährt wird". Der hierin zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der sogenannten "überholenden Kausalität" gilt auch für § 4 Abs. 5 NVG. Auf ähnlichen Erwägungen beruht auch das oben genannte Urteil des BSG in BSG 10, 173. Im Anwendungsbereich des BWGöD ist jedoch ein dem § 9 Abs. 5 BEG entsprechender allgemeiner Grundsatz nicht enthalten. Hierauf ist es zurückzuführen, daß die Ansprüche des Verfolgten auf Wiedergutmachung nach dem BWGöD weiter gehen können als die Ansprüche nach dem NVG.

Dem Kläger steht sonach eine höhere Rente als die, die ihm von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid gewährt worden ist, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das LSG hat daher zu Recht auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben. Die Revision des Klägers ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651249

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