Leitsatz (amtlich)

Ein Kassenarzt, der pflichtversichertes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, hat für an sich selbst erbrachte, nach dem BMÄ '78 abrechnungsfähige Leistungen Anspruch auf Vergütung.

 

Orientierungssatz

Werden im Rahmen der Selbstbehandlung Reizstrom-, Kurz- und Mikrowellenbehandlungen sowie Massagen erbracht, so steht dem krankenversicherten Arzt ein Vergütungsanspruch im vollem Wert (keine Beschränkung auf den Sachkostenanteil) gegen die Kassenärztliche Vereinigung zu.

 

Normenkette

RVO § 368f Abs 1, § 368g Abs 4; BMÄ

 

Verfahrensgang

SG Reutlingen (Entscheidung vom 19.06.1985; Aktenzeichen S 1 Ka 2257/84)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob und inwieweit der Kläger auf eigenen Krankenschein Laborleistungen, Massagen und Reizstrom-, Kurzwellen- und Mikrowellenbehandlungen abrechnen konnte.

Der Kläger ist pflichtversichertes Mitglied der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Württemberg. Er war bis Dezember 1984 als praktischer Arzt niedergelassen und Mitglied der Beklagten. Im Quartal I/1984 rechnete er auf seinen eigenen Krankenschein für Reizstrombehandlungen, Teilmassagen, Großmassagen sowie Kurz- und Mikrowellenbehandlungen und Laborleistungen insgesamt 317,16 DM ab. Die Beklagte vergütete ihm diesen Betrag. Durch Bescheid vom 2. August 1984 (Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1984) belastete sie sein Konto mit 219,46 DM. Sie anerkannte in den streitigen Selbstbehandlungsfällen nur noch die Sachkosten, die sie entsprechend der Regelung des Vertrages zwischen der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft und den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) Baden-Württembergs mit 60 % der Gesamtkosten ansetzte. Daraus ergab sich für Reizstrom-, Kurzwellen- und Mikrowellenbehandlungen und für Laborleistungen ein Sachkostenbetrag von insgesamt 97,90 DM. Eine Vergütung der Massagen lehnte sie ab mit der Begründung, dabei falle kein Sachkostenanteil an, weil es sich um rein ärztliche Leistungen handele. Im Quartal II/1984 rechnete der Kläger Teilmassagen und Reizstrombehandlungen auf eigenen Krankenschein in Höhe von 69,71 DM ab. Die Beklagte vergütete diesen Betrag. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1984 (Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1984) belastete sie das Konto des Klägers mit 52,21 DM, indem sie die Sachkosten für die Reizstrombehandlungen auf 17,50 DM festsetzte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen diese Bescheide abgewiesen und ausgeführt, die Bescheide seien rechtmäßig, denn der Kläger dürfe auf eigenen Krankenschein kein Arzthonorar abrechnen. Eine ärztliche Behandlung setze voraus, daß sich zwei Personen, nämlich der Arzt und der Patient, über die Behandlung einig geworden seien. Zwischen ihnen müsse ein Dienstvertrag abgeschlossen sein. Der Kläger habe aber keinen Dienstvertrag mit sich selbst abschließen können. Bei den Reizstrom-, Kurzwellen- und Mikrowellenbehandlungen sowie den Laborleistungen gebe es grundsätzlich keine Aufteilung in Sachkosten und Dienstleistungskosten. Die von der Beklagten vorgenommene Vergütung der Sachkosten in Höhe von 60 % der Gesamtbewertung sei aber nicht zu beanstanden. Zu Recht habe sie für die vom Kläger an sich selbst durchgeführten Massagen keinen Sachkostenanteil vergütet, weil es sich bei den Massagen um rein ärztliche Leistungen ohne Sachkostenanteil handele.

Der Kläger hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, bei den Reizstrom-, Kurzwellen- und Mikrowellenbehandlungen, den Massagen und den Laborleistungen handele es sich um delegierte ärztliche Tätigkeiten, die von nichtärztlichen Hilfskräften ausgeführt werden. Da der nichtärztliche Mitarbeiter gleichviel koste, ob er den Kläger oder einen anderen Patienten behandele, müsse ihm auch der volle Vergütungsanspruch zustehen. Die ärztliche Leistung aufgrund seiner Anordnungs- und Überwachungskompetenz könne nicht mit 40 % der Gesamtvergütung bewertet werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Juni 1985 - S 1 Ka 2257/84 - sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. August 1984 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 1984 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 1984 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1984 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, auch die delegierbare ärztliche Leistung werde dem Arzt als eigene ärztliche Leistung zugerechnet und sei nur deshalb abrechnungsfähig. Sie könne ebensowenig wie eine originäre Selbstbehandlung als "Insichgeschäft" abgerechnet werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen.

Es handelt sich, wovon das SG zutreffend ausgeht, um eine reine Anfechtungsklage, mit der der Kläger Aufhebung der Belastung seines Kontos begehrt. Da die Beklagte dem Kläger zunächst die streitigen Leistungen vergütet hatte, enthält die Belastung des Kontos eine Aufhebung des ursprünglichen Honorarbescheids und eine Rückforderung des gezahlten Betrags.

Die angefochtenen Bescheide sind jedoch rechtswidrig. Dem Kläger sind die streitigen Leistungen vor der späteren Belastung seiner Konten nicht zu Unrecht vergütet worden. Er hat vielmehr einen Anspruch auf Vergütung der von ihm erbrachten Leistungen nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (§§ 368f Abs 1, 368g Abs 4 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Zur Entstehung des auf dem Gesetz beruhenden Vergütungsanspruchs genügt es, daß der Kassenarzt die gesetzliche Leistung erbracht hat. Für eine Beschränkung dieses Anspruchs im Fall der Selbstbehandlung besteht nach den Vorschriften der RVO und des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) kein Anhaltspunkt. Die Selbstbehandlung ist auch nicht grundsätzlich unwirtschaftlich. Im Ersatzkassenrecht besteht zwar eine Regelung, daß die Selbstbehandlung eines Vertragsarztes nicht abrechnungsfähig ist (Feststellung Nr 214 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 Nr 4 des Arzt/ Ersatzkassenvertrags -EKV-Ärzte- vom 30. November/ 1. Dezember 1976 zu § 2 E-Adgo - zitiert nach dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 24. September 1982 -, Breithaupt 1983, 478, 479). Dafür bedurfte es aber jedenfalls einer ausdrücklichen Bestimmung, die es für den Fall des Klägers nicht gibt. Dem Urteil des SG und dem Vorbringen der Beteiligten ist zu entnehmen, daß im einschlägigen Gesamtvertrag keine solche Beschränkung vereinbart ist.

Entgegen der Meinung des SG setzt die Vergütung der kassenärztlichen Versorgung nicht voraus, daß der Arzt die streitigen Leistungen der Reizstrom-, Kurz- und Mikrowellenbehandlungen sowie der Massagen einer anderen Person erbracht hat. Maßgebende Rechtsgrundlage der Behandlung eines Kassenpatienten ist nicht ein zwischen ihm und dem Kassenarzt geschlossener Vertrag, sondern die (öffentlich-rechtliche) gesetzliche Regelung über die kassenärztliche Versorgung (BSGE 59, 172, 177). Insbesondere wird auch der Vergütungsanspruch, den der Kläger geltend macht, nicht durch einen Vertrag zwischen dem Kassenarzt und dem Patienten begründet. Wenn der Kassenpatient sich in die Behandlung eines Kassenarztes begibt, will er keine persönliche Zahlungsverpflichtung übernehmen, sondern unmittelbar zu Lasten des Versicherungsträgers behandelt werden (BSGE 33, 158, 160). Es trifft demnach nicht zu, daß Kassenarzt und Patient durch ihren Vertrag die KÄV verpflichten, die Leistung zu vergüten (so aber Stern SozVers 1976, 206, 209).

Eine Vergütung des Kassenarztes für Leistungen, die er an sich selbst erbracht hat, ist weder standesrechtlich noch nach den Regelungen über das Kassenarztrecht ausgeschlossen. Dem Arzt ist es nicht untersagt, sich selbst zu behandeln. Eine Vergütung für die Behandlung kann er zwar von sich selbst nicht beanspruchen, denn zu einem Schuldverhältnis gehören mindestens zwei Personen (Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch -BGB-, 45. Aufl Einleitung 1 a) vor § 241; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts 13. Aufl Bd I § 2 I). Deshalb erlischt das Schuldverhältnis durch Konfusion, wenn sich Forderung und Schuld in einer Person vereinigen (Palandt aaO Üb 2 C aa) vor § 362).

Es ist aber andererseits nicht ausgeschlossen, daß ein Gläubiger eine Vergütung für Leistungen verlangen kann, die er sich selbst erbracht hat. Wer etwa eine beschädigte Sache im eigenen Betrieb repariert, kann vom schadensersatzpflichtigen Schuldner Erstattung der im Reparaturgewerbe entstehenden Kosten verlangen (Palandt aaO § 249 Anm 2 b). Dem Rechtsanwalt, der in eigener Sache tätig wird, sind vom kostenpflichtigen Gegner die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte (§ 91 Abs 2 Satz 4 Zivilprozeßordnung). Ein Ausschluß des Vergütungsanspruchs könnte sich nur aus dem besonderen Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungserbringer und der als Schuldner des Anspruchs in Betracht kommenden Person ergeben. So mag zum Beispiel ein beamteter Arzt keinen Anspruch auf Beihilfe haben, wenn er sich selbst behandelt. Rechtsgrundlage der Beihilfe ist die Fürsorgepflicht. Der Dienstherr leistet dem Beamten damit Hilfe in Ergänzung zur zumutbaren Eigenbelastung (Schröder/Beckmann/Weber, Bundeskommentar, Beihilfevorschriften Teil 1 S 40; vgl auch BSGE 33, 158, 159) und in angemessenem Umfang in bezug auf die notwendigen Aufwendungen (BVerwGE 41, 101, 104). Für die Tätigkeit als solche, die ein Arzt im Rahmen einer Selbstbehandlung entfaltet, erwachsen ihm aber keine Aufwendungen, auch ist dem beamteten Arzt der Verzicht auf die Vergütung für seine persönliche Tätigkeit zumutbar. Dies liegt insbesondere deshalb nahe, weil andererseits Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen bei einer Heilbehandlung nicht beihilfefähig sind (§ 5 Abs 4 Nr 6 der Beihilfevorschriften idF vom 19. April 1985 - GmBl 290); zu erstatten sind nur die Sachkosten. Diese Regelung beruht auf der Verkehrssitte unter Ärzten, nahe Angehörige unentgeltlich zu behandeln (BVerwGE 41, 101, 102 ff). Nach dem ärztlichen Standesrecht ist die Entstehung einer solchen Verkehrssitte gerechtfertigt; der Arzt kann Verwandten, Kollegen, deren Angehörigen und unbemittelten Patienten das Honorar ganz oder teilweise erlassen (§ 14 Abs 2 der Musterberufsordnung - DÄ 1983 Heft 44 S 75). Eine Vergütung für die Selbstbehandlung wird auch in der privaten Krankenversicherung ausgeschlossen. Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung - Teil I Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung - (abgedruckt bei Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz 23. Aufl S 1187) gewährt der Versicherer in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung (§ 1 Satz 2 Buchst a der Musterbedingungen). Aufwendungen in diesem Sinn entstehen aber nur durch Eingehung von Verbindlichkeiten (Prölss/Martin aaO Anm 2 A zu § 1 = S 1192).

Der Kassenarzt dagegen hat einen Anspruch gegen die KÄV auf Vergütung seiner Leistungen. Mit der streitigen Behandlung hat der Kläger seinen Sachleistungsanspruch gegen die Krankenkasse erfüllt. Der Vergütungsanspruch des Kassenarztes richtet sich im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung nicht gegen den Patienten, dem der Versicherer Aufwendungsersatz zu leisten hat, sondern gegen die KÄV; er kann von der KÄV nicht den Ersatz von Aufwendungen verlangen, sondern Vergütung seiner Leistungen. Aus den gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften ist auch kein Grund für die Zumutbarkeit unentgeltlicher Eigenleistungen des Kassenarztes erkennbar.

Der BMÄ '78 enthält ebenfalls keine Bestimmung, aus der sich ein allgemeiner Ausschluß der Abrechnungsfähigkeit von Selbstbehandlungen ergeben könnte. Es kommt vielmehr auf den im BMÄ '78 bestimmten Inhalt der einzelnen Leistung an. So hat das SG im Anschluß an die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 12. November 1980 - L 10 Ka 1342/79 - ausgeführt, Beratungen gegenüber sich selbst könne der Arzt nicht abrechnen. Für diese Meinung spricht, daß zu einer Beratung im Sinn der Ziffer 1 des BMÄ '78 Tätigkeiten gehören, die bei der Selbstbehandlung nicht anfallen. Es bedarf keiner Schilderung der Beschwerden durch den Patienten mit dazu erforderlichen Rückfragen des Arztes und keines in Worten ausgesprochenen Rates. Die notwendige Mitwirkung des Patienten und die Tätigkeit des Arztes lassen sich nicht voneinander trennen. Allerdings muß auch bei der Selbstbehandlung ein Sachverhalt ärztlich beurteilt werden. Dies ist aber nur ein Teil der Tätigkeit des Arztes bei der Beratung des Kranken nach Ziffer 1 BMÄ '78. Mit der Ziffer wird eine umfangreichere Leistung vergütet.

Die dargestellten Bedenken gegen die Vergütung einer Selbstberatung gelten nicht für die Vergütung der hier streitigen physikalisch-medizinischen Leistungen und der Laborleistungen. Die Kurzwellen-, Mikrowellen- und Reizstrombehandlungen, die Massagen und die Laboruntersuchungen werden regelmäßig durch von der ärztlichen Behandlung umfaßte Hilfeleistungen anderer Personen iS des § 122 RVO durchgeführt. Im Ablauf der dafür erforderlichen Tätigkeiten und beim Einsatz der sächlichen Mittel läßt sich insoweit kein Unterschied zwischen der Behandlung anderer Patienten und des Arztes selbst feststellen. Dies gilt für die Massagen ohne weiteres, wenn sie von einem angestellten Masseur durchgeführt werden. Ob das im Fall des Klägers zutrifft, ist nicht festgestellt. Die Beklagte hat aber die Massagen vergütet und das Konto des Klägers nachträglich nur deshalb belastet, weil eine Selbstbehandlung vorgelegen habe. Daher kann von der Durchführung durch einen angestellten Masseur ausgegangen werden.

Zu vergüten sind die streitigen Behandlungen nicht nur mit einem Sachkostenanteil, sondern entsprechend dem vollen Punktwert nach dem BMÄ '78. Das SG hat mit Recht dargelegt, daß mit den vollen Gebühren für diese Leistungen alle hierdurch entstandenen tatsächlichen Kosten abgegolten werden und grundsätzlich keine Aufgliederung in Sach- und Dienstleistungskosten stattfinde. Auch soweit zu diesen Leistungen ärztliche Tätigkeiten gehören, kann nicht zwischen Leistungen für den Praxisinhaber und anderen Patienten unterschieden werden. Die Überwachung des Personals und der Funktionsfähigkeit der Geräte durch den Arzt wird bei der Behandlung an ihm selbst genauso wirksam wie bei anderen Patienten.

Aus allen diesen Gründen hat die Revision Erfolg. Die Kostenentscheidung wird auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes gestützt.

 

Fundstellen

BSGE, 96

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