Leitsatz (redaktionell)

Im allgemeinen gebührt dem Übergangsgeld der Vorrang vor der Rentenzahlung.

Die Gewährung von Übergangsgeld an Stelle von Rente kann selbst dann, wenn man dem Versicherungsträger einen Ermessensspielraum zwischen Übergangsgeld und Rentengewährung zubilligen wollte, nur in Ausnahmefällen rechtsfehlerhaft sein.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. Januar 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger begehrt für die Zeit vom 1. Dezember 1967 bis 9. Juli 1968 anstelle des von der Beklagten dem Grunde nach bewilligten Übergangsgeldes die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit.

Am 15. Dezember 1967 beantragte der Kläger die Versichertenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, bewilligte jedoch stationäre Heilbehandlung; diese wurde in der Zeit vom 11. Juni bis 9. Juli 1968 durchgeführt. Der Kläger erhielt für diese Zeit Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Den Rentenanspruch verfolgte er durch Klageerhebung weiter. Das Sozialgericht (SG) Kiel hob durch Urteil vom 19. Juni 1969 den ablehnenden Bescheid der Beklagten auf und verpflichtete sie, "dem Kläger einen Bescheid zu erteilen, nach welchem dem Kläger auf den Antrag vom 15. Dezember 1967 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und ab 1. Januar 1969 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren ist". Dieses Urteil, dessen Tenor insoweit mit dem Antrag des Klägers übereinstimmt, wurde rechtskräftig. Durch Bescheid vom 16. Oktober 1969 gewährte die Beklagte dem Kläger vom Tage nach Abschluß des Heilverfahrens an (10. Juli 1968) Rente wegen Berufsunfähigkeit und vom 1. Januar 1969 an wegen Erwerbsunfähigkeit. Für die Zeit vom 1. Dezember 1967 bis zum Beginn des Heilverfahrens sprach sie ihm Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1, Satz 2 RVO) zu; dessen Festsetzung im einzelnen ist - einem Wunsch des Klägers entsprechend, der auch für diese Zeit Rente beansprucht - bisher unterblieben. Die auf Gewährung von Rente - statt des Übergangsgeldes - gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteile des SG Kiel vom 21. Mai 1970 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 5. Januar 1971).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt: Dem Kläger stehe nach §§ 1241, 1242 RVO für die Zeit vom 1. Dezember 1967 bis 9. Juli 1968 ein Anspruch auf Übergangsgeld zu. Durch das rechtskräftige Urteil des SG vom 19. Juni 1969 wurde daran nichts geändert. Die Beklagte sei zwar zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente verurteilt worden, jedoch habe das SG den Zeitpunkt des Beginns dieser Rente - anders als den Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente - nicht festgesetzt. Dies sei, wie sich aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergebe, bewußt geschehen. Das SG habe dort zum Ausdruck gebracht, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihr durchgeführten Heilbehandlung die Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren. Dies bedeute, daß das SG eine Verpflichtung zur Rentengewährung insoweit nicht ausgesprochen habe, als wegen der Heilbehandlung eine andere Leistung in Betracht komme. Bei dem Bescheid vom 16. Oktober 1969 handele es sich nicht um einen bloßen Ausführungsbescheid. Die Beklagte sei vielmehr berechtigt gewesen, hinsichtlich des Beginns der Berufsunfähigkeitsrente und der Zahlung des Übergangsgeldes in eigener Zuständigkeit eine Entscheidung zu treffen. Die Gewährung des Übergangsgeldes statt der Rente entspreche dem Gesetz (§ 1241 Abs. 1, Satz 2, § 1242 RVO). Sie sei daher nicht zu beanstanden. Darauf, daß in dem vorliegenden Fall das Übergangsgeld - anders als eine Berufsunfähigkeitsrente - der Krankenkasse wegen des von ihr gezahlten Krankengeldes zufließen müsse, komme es nicht an.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Revision. Er meint, daß ihm ein Rentenanspruch auch für die Zeit vom 1. Dezember 1967 bis zum Beginn der Heilbehandlung zustehe. Er sei, wie sich aus der rechtskräftigen Entscheidung des SG ergebe, bereits im Dezember 1967 berufsunfähig gewesen. Wenn die Beklagte dies sofort erkannt hätte, so hätte sie ihm die Rente gewähren müssen. Dies müsse sie nun nachholen. Durch die Bewilligung des Übergangsgeldes stehe er sich schlechter. Diese Leistung könne ihm wegen der Anrechnung von Arbeitseinkommen bzw. der Verrechnung mit Krankengeld nicht ausgezahlt werden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen sowie des dem Verfahren zugrunde liegenden Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, ihm die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Dezember 1967 an zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für richtig.

Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht für die Zeit vom 1. Dezember 1967 bis zum 10. Juni 1968 keine Rente zu. Die Beklagte hat ihm vielmehr zu Recht für diese Zeit Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO) zugesprochen. Bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO beginnt das Übergangsgeld für den Fall, daß - wie hier - ein Antrag auf Rente gestellt ist, mit dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre. Die von der Beklagten getroffene Entscheidung entspricht also dem Gesetz. Es kann offen bleiben, ob in Fällen der vorliegenden Art die Gewährung der Rente für die Zeit vor Beginn der Heilbehandlung überhaupt in Betracht kommen kann. Auch wenn man dies bejahen sollte - immerhin sind Heilbehandlung und Rente nebeneinander denkbar, möglicherweise auch in dem Sinne, daß es dem Versicherungsträger erlaubt ist, trotz von Anfang an ins Auge gefaßter Heilbehandlung Rente zu gewähren und erst dann die vorgesehene Rehabilitationsmaßnahme einzuleiten - gebührt im allgemeinen dem Übergangsgeld der Vorrang. In der Regel soll zunächst einmal versucht werden, die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Die Gewährung des Übergangsgeldes kann daher selbst dann, wenn man dem Versicherungsträger hinsichtlich der Frage, welche Leistung - Rente oder Übergangsgeld - bewilligt werden soll, einen Ermessensspielraum zubilligen will, nur in Ausnahmefällen rechtsfehlerhaft sein. Der vorliegende Fall läßt einen solchen Ausnahmefall nicht erkennen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 24. August 1971 - 11 RA 80/71). - Die Gewährung des Übergangsgeldes schließt den Rentenanspruch regelmäßig aus. Anstelle jener Leistung kann ein Rentenanspruch bestehen, wenn die Rente vor Beginn der Maßnahme im Sinne des § 1241 Abs. 1 RVO bereits bewilligt war (§ 1242 RVO). An einer Rentenbewilligung durch die Beklagte fehlt es. Sie ist auch durch das rechtskräftige Urteil des SG vom 19. Juni 1969 nicht ersetzt worden. Die Frage, ob überhaupt die Verurteilung zur Rentenzahlung als Rentenbewilligung im Sinne des § 1242 RVO gelten kann, bedarf keiner Entscheidung, weil im vorliegenden Fall eine solche Verurteilung durch das SG nicht ausgesprochen worden ist. Die insoweit vom Berufungsgericht vertretene Auffassung ist nicht zu beanstanden. Das LSG hat dem - für sich allein nicht ganz eindeutigen - Tenor des Urteils des SG den nach Sachlage allein denkbaren Inhalt gegeben. Die Beklagte ist verurteilt worden, vom 1. Januar 1969 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. Dagegen hat das SG den Beginn der Berufsunfähigkeitsrente nicht festgesetzt, sondern nur ausgesprochen, daß die Beklagte auf den Antrag des Klägers hin zur Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente verpflichtet sei. Die Entscheidungsgründe machen deutlich, daß diese unterschiedliche Formulierung bewußt gewählt worden ist. Dort ist ausgeführt, daß die Berufsunfähigkeitsrente unter Berücksichtigung der durchgeführten Heilbehandlung zu gewähren sei. Hiernach hatte die Beklagte nach der Vorstellung des SG zu prüfen, welche Bedeutung der Heilbehandlung hinsichtlich der dem Kläger zustehenden Leistungen zukam. Die von ihr in diesem Zusammenhang getroffene Entscheidung ist nicht rechtswidrig. - Eine Verurteilung durch das SG zur Rentenzahlung könnte überdies eine Rentenbewilligung durch die Beklagte im Sinne des § 1242 RVO nur dann ersetzen, wenn sie vor Beginn der Heilbehandlung rechtskräftig geworden wäre. So liegt der Fall hier aber nicht.

An diesem Ergebnis vermag der Umstand, daß der Kläger sich bei Zahlung der Rente möglicherweise besser stünde, nichts zu ändern. Darauf kommt es rechtlich nicht an. Aus dieser Überlegung heraus läßt sich ein Anspruch auf die Gewährung von Rente anstelle des Übergangsgeldes nicht herleiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670417

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