Leitsatz (redaktionell)

1. Bedürftigkeit eines Elternteils iS des BVG § 50 aF liegt bei Bezug einer Leibrente von 300 DM monatlich neben freiem Wohnrecht aus der Veräußerung eines Grundstücks nicht vor.

2. Bei der Beurteilung der Anrechnung von sonstigen Einkünften ist nicht die steuerrechtliche Auffassung des Einkommensbegriffs zugrunde zu legen; der versorgungsrechtliche Einkommensbegriff ist besonders geregelt.

 

Normenkette

BVG § 50 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. März 1960 wird aufgehoben; die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. Juli 1957 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin bezog nach dem Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) D... vom 7. November 1951 eine Elternrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG); dabei wurde der Mietwert ihrer Wohnung in dem eigenen Haus angerechnet. Im Jahre 1953 ermittelte das VersorgA, daß die Klägerin und ihr Ehemann schon 1949 das Haus, das auf 50.000,-- DM geschätzt war, verkauft und als Gegenleistung neben einem Wohnrecht die Zusage einer Leibrente von monatlich 300,-- DM erhalten hatten. Mit dem Tode des Ehemannes der Klägerin am 15. Juli 1952 ging der Anspruch auf die Leibrente auf die Klägerin allein über.

Durch Bescheid vom 21. Dezember 1953 entzog das VersorgA der Klägerin die Elternrente, gleichzeitig stellte es eine "Überzahlung" in Höhe von 1.610,-- DM fest und forderte diesen Betrag zurück. Der Bescheid über die Entziehung der Elternrente wurde bindend; der Rückforderungsbescheid wurde auf die Klage aufgehoben.

Im Mai 1956 beantragte die Klägerin erneut die Elternrente und machte geltend, die Leibrente von 300,-- DM monatlich, die sie aus der Veräußerung ihres Grundstücks beziehe, dürfe nicht auf die Elternrente angerechnet werden.

Das VersorgA lehnte mit Bescheid vom 10. Januar 1957 den Antrag ab, weil die Klägerin nicht bedürftig sei; zu der Leibrente von 300,-- DM monatlich seien noch hinzuzurechnen ein Betrag von 20,-- DM monatlich für freie Wohnung sowie (geringe) Einkünfte aus Wertpapieren, das Einkommen der Klägerin erreiche damit die "gesetzliche Einkommensgrenze" von 125,-- DM monatlich (§ 51 Abs. 2 und 3 BVG idF bis 31. Mai 1960 -aF-).

Den Widerspruch der Klägerin wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) am 20. März 1957 zurück.

Das Sozialgericht (SG) Darmstadt wies die Klage mit Urteil vom 11. Juli 1957 ab: Der Klägerin sei die Elternrente zu Recht versagt worden, weil sie nicht bedürftig sei; der Einwand, die Leibrente dürfe nicht "angerechnet" werden, treffe nicht zu.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) verwarf mit Urteil vom 3. März 1960 die Berufung als unzulässig: Das Urteil des SG betreffe die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse; die Berufung sei daher nach § 148 Ziff. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen.

Das Urteil des LSG wurde der Klägerin am 30. März 1960 zugestellt. Die Klägerin legte am 26. April 1960 Revision ein; sie beantragte,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Elternrente zu gewähren,

hilfsweise,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin begründete die Revision ebenfalls am 26. April 1960: Das LSG habe die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen; um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse habe es sich hier nicht gehandelt, es sei vielmehr um die "Kernfrage" gegangen, ob die Leibrente auf die Elternrente anzurechnen sei; darüber habe der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid nach neuer sachlicher Prüfung entschieden. Der Beklagte habe ebenso wie das SG zu Unrecht angenommen, daß die Klägerin nicht bedürftig sei, weil sie die Leibrente beziehe; diese Leibrente sei kein anrechenbares Einkommen im Sinne der Steuergesetze, bei einer Veräußerungsrente dürfe nur der Ertragsteil angerechnet werden.

Der Beklagte beantragte,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Die Klägerin rügt zu Recht, das LSG habe die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen, es habe vielmehr eine Sachentscheidung treffen müssen, das Verfahren des LSG leide deshalb an einem wesentlichen Mangel (BSG 1, 284).

Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Januar 1957 von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, unbeschadet der Bindung an den früheren "Berichtigungsbescheid", durch den er die Elternrente entzogen hat, eine erneute sachliche Prüfung des Anspruchs vorzunehmen und die Klägerin erneut zu bescheiden; der neue Bescheid ist ein Verwaltungsakt; daß er den Anspruch auf Elternrente auch ablehnt, ändert hieran nichts (BSG 10, 248); um eine "Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse" hat es sich hier nicht gehandelt. Auch das SG hat nicht darüber entschieden, ob sich die Verhältnisse der Klägerin seit der Entziehung geändert haben oder nicht, es hat vielmehr entschieden, daß der Klägerin die Elternrente deshalb zu Recht versagt worden sei, weil sie die Leibrente von 300,-- DM monatlich beziehe und nicht bedürftig im Sinne des § 50 Abs. 1 und 2 BVG aF sei. Hiergegen hat sich die Klägerin mit der Berufung gewandt; diese Berufung ist nicht nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen gewesen. Die Revision der Klägerin ist danach insoweit begründet, als die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG begehrt; darüber hinaus hat das Bundessozialgericht (BSG) nach § 170 Abs. 2 SGG in der Sache selbst zu entscheiden; insoweit betont die Klägerin mit Recht, daß es in diesem Rechtsstreit nur um ein "Kernproblem" gehe, nämlich um die Frage, ob die Leibrente der Klägerin die Bedürftigkeit im Sinne des § 50 Abs. 2 BVG aF ausschließt; das SG hat diese Frage zutreffend entschieden; die Berufung der Klägerin ist deshalb nicht unzulässig, wohl aber unbegründet.

Nach § 50 Abs. 1 BVG aF wird, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind, Elternrente für die Dauer der Bedürftigkeit gewährt. Bedürftig ist nicht, wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann (§ 50 Abs. 2 BVG aF). Bedürftigkeit als Voraussetzung der Elternrente ist zu verneinen, wenn die eigenen Mittel, die für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, die Einkommensgrenzen des § 51 BVG aF übersteigen (BSG 4, 165; 5, 296; 7, 80). Die Elternrente ist sonach eine "subsidiäre Leistung", die erst dann gewährt wird, wenn ihr Zweck, die Sicherstellung des Lebensunterhalts, nicht schon durch andere Mittel erreicht wird. Bei der Prüfung der Bedürftigkeit sind grundsätzlich alle Einkünfte von wirtschaftlichem Wert ohne Rücksicht auf ihre Quelle zu berücksichtigen. Der Begriff der Einkünfte im Sinne des Versorgungsrechts (§ 51 Abs. 5, § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG) deckt sich nicht mit dem steuerrechtlichen Einkommensbegriff; er ist im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen und damit umfassender, er erstreckt sich auf alle Einkünfte von wirtschaftlichem Wert, gleichviel ob diese Einkünfte steuerpflichtig im Sinne des Einkommensteuergesetzes sind oder nicht (vgl. ua BSG 2, 11; 5, 208; 7, 122). Zu den Einkünften, denen bei der Beurteilung der Bedürftigkeit der Klägerin Rechnung zu tragen ist, gehören auch die Leibrente von 300,-- DM monatlich und das Wohnrecht, das der Klägerin auf Grund des Grundstücksveräußerungsvertrages aus dem Jahre 1949 zusteht.

Die Leibrente steht nach dem Tode ihres Ehemannes im Jahre 1952 der Klägerin allein zu. Die Klägerin verfügt danach über eigene Mittel zur Bestreitung ihres Unterhalts, diese Mittel überschreiten auch die Einkommensgrenzen des § 51 Abs. 2 BVG aF; die Klägerin ist also nicht bedürftig im Sinne des § 50 Abs. 2 BVG aF.

Der Einwand der Klägerin, die Leibrente, die ihr aus der Veräußerung des Hausgrundstücks zusteht, dürfe nicht oder nur zu einem geringen Teil (Ertragsteil) angerechnet werden, trifft nicht zu. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verwaltungsvorschriften zu § 50 BVG aF Nr. 5 (2), in denen es heißt, "bei vorhandenem Vermögen ist bei der Prüfung der Bedürftigkeit nur der Ertrag zu berücksichtigen; der Aufbrauch des Vermögens kann nicht verlangt werden", mit dem Gesetz in Einklang stehen; das Gesetz selbst verneint in § 50 Abs. 2 BVG aF die Bedürftigkeit schon dann, wenn jemand seinen Unterhalt selbst bestreiten kann; es schließt damit (für die subsidiäre Leistung der Elternrente) nicht ohne weiteres aus, daß zu den eigenen Mitteln, die für den Lebensunterhalt einzusetzen sind, nicht auch verwertbares Vermögen gehört; eine gesetzliche Regelung dieser Frage wie im Fürsorgerecht (§§ 8, 8a der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge idF der Bekanntmachung vom 1. August 1931, RGBl I 441 ff mit späteren Änderungen) ist im BVG nicht enthalten. Die Voraussetzungen der Verwaltungsvorschriften (zu § 50 BVG aF Nr. 5 [2]) liegen indes auch nicht vor. Die Versorgungsbehörde hat der Klägerin und ihrem Ehemann die Elternrente zunächst bewilligt und dabei nur den Mietwert ihrer eigenen Wohnung in dem Hausgrundstück angerechnet, sie hat nicht die Veräußerung des Grundstücks "verlangt" oder die weitere Gewährung der Elternrente von der Veräußerung des Grundstücks abhängig gemacht. Die Klägerin und ihr Ehemann haben von sich aus das Hausgrundstück "auf Rentenbasis" veräußert, um eine bessere Altersversorgung zu haben; die Versorgungsbehörde hat hiervon erst später Kenntnis erhalten. Die Klägerin und ihr Ehemann haben damit vorhandenes Vermögen in der Weise genutzt, daß sie es in laufende Einkünfte umgewandelt haben, die Gegenleistung für die Veräußerung hat nicht in "gestundeten Kaufpreisraten" bestanden, sondern in einer laufenden Rente bis zu einem ungewissen Zeitpunkt; sie haben das Vermögen nicht hingegeben, damit aus diesem Vermögen ihr Lebensunterhalt bestritten wird. Sie haben es vielmehr wirtschaftlich "verwertet", damit der Empfänger als Gegenleistung "das Risiko" für ihren Lebensunterhalt durch laufende Zahlungen für unbestimmte Dauer übernimmt. Ein Leibrentenvertrag dieser Art wird abgeschlossen, weil die Sicherung des Lebensunterhalts angestrebt wird, und zwar unabhängig von Bestand, Ertrag und Wertentwicklung des Vermögens. Es handelt sich hierbei weniger um einen Vermögensverbrauch, als um eine Nutzung und einen Vermögensgebrauch, wobei dem Gesichtspunkt des Vermögensertrages besondere Bedeutung zukommt. Die steuerrechtliche Auffassung, daß die Veräußerung eines Vermögensgegenstandes gegen eine Lebensrente eine Vermögensumschichtung und einen Vermögensverbrauch, nicht aber einen Vermögensgebrauch im Sinne einer Einkommensgewinnung darstelle, ist für die rein wirtschaftliche Betrachtungsweise des versorgungsrechtlichen Einkommensbegriffs zu eng (van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, 2. Aufl. IV. Teil S. 66). Leibrenteneinkünfte sind bei der Beurteilung der Bedürftigkeit ebenso zu berücksichtigen wie Geldrenten aus privaten Versicherungsverträgen; daran ändert auch nichts, daß nach dem Einkommensteuergesetz (§ 22) bei den sogenannten Veräußerungsrenten nur ein Ertragteil als steuerpflichtiges Einkommen erfaßt wird (so auch Urteil des Bayer. LSG vom 6. Juli 1954, Bayer. Amtsbl. 1955 B 83 mit weiteren Hinweisen). In der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961, die auf Grund des Ersten Neuordnungsgesetzes zum BVG vom 27. Juni 1960 ergangen ist, ist im § 1 Abs. 3 Ziff. 9 ausdrücklich bestimmt, daß Leibrenten zu den anzurechnenden übrigen Einkünften im Sinne des § 33 Abs. 2 BVG nF gehören; so ist die Rechtslage aber auch schon bisher gewesen. Die Behauptung der Klägerin, die Vorschriften des § 33 Abs. 2 BVG aF und § 33 Abs. 2 BVG nF seien verfassungswidrig, weil dort der Einkommensbegriff anders geregelt sei als im Steuerrecht, trifft nicht zu; ein Anlaß, das Verfahren nach Art. 100 des Grundgesetzes auszusetzen, bestand deshalb nicht.

Das SG hat danach zu Recht entschieden, die Klägerin sei nicht bedürftig im Sinne des § 50 Abs. 2 BVG aF, ihr stehe daher keine Elternrente zu, der angefochtene Bescheid sei damit rechtmäßig.

Das Urteil des LSG ist danach aufzuheben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG ist als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2308696

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