Leitsatz (redaktionell)

1. Studenten, die neben dem Studium an einer Tagesschule eine Beschäftigung ausüben, sind nur dann nach RVO § 172 Abs 1 Nr 5 (RVO § 1228 Abs 1 Nr 3, AVG § 4 Abs 1 Nr 4) versicherungsfrei, wenn ihre Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen werden.

2. Eine während der Unterbrechung des Studiums - gleich ob mit oder ohne Exmatrikulation - ausgeübte Beschäftigung unterliegt grundsätzlich der Versicherungspflicht.

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Student, der für ein Semester aus dem Studienverhältnis ausscheidet und während dieser Zeit gegen Entgelt beschäftigt ist, ist nicht versicherungsfrei iS des RVO § 172 Abs 1 Nr 5 und RVO § 1228 Abs 1 Nr 3.

 

Normenkette

RVO § 172 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1945-03-17, § 1228 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 4 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Juni 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Beigeladene H D (D.) studierte am O-Polytechnikum, Akademie für angewandte Technik in M, in der Fachrichtung Maschinenbau. Weil er die Semesterprüfung am Ende des Wintersemesters 1963/64 nicht bestanden hatte, schied er am Schluß des Wintersemesters 1963 aus der Akademie aus. Das nichtbestandene Semester konnte er aus schulischen Gründen erst ab 1. Oktober 1964 wiederholen. D. überbrückte diese "Zwangspause" vom 13. Februar bis 30. September 1964 durch eine Tätigkeit als Arbeiter bei der klagenden Firma G D oHG, Kohlenhandel-Heizöle, gegen einen Wochenlohn von 135 DM. Die Klägerin entrichtete aus diesem Verdienst keine Sozialversicherungsbeiträge. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung forderte die Beklagte durch Bescheid vom 27. Juni 1966 von der Klägerin Beiträge zur Krankenversicherung und Arbeiterrentenversicherung in Höhe von 1.080,28 DM mit der Begründung nach, daß D. in der angeführten Zeit der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: D. habe als Arbeiter bei der Klägerin keine Tätigkeit verrichtet, die zu seiner Ausbildung als Ingenieur in der Fachrichtung Maschinenbau erforderlich oder dafür in ihrer Art sachdienlich gewesen sei. D. sei auch nicht "während" seiner wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf bei der Klägerin beschäftigt gewesen; denn er sei, da er mit Ende des Wintersemesters 1963 aus der Akademie ausgeschieden war, in der fraglichen Zeit nicht ordentlich Studierender gewesen. Versicherungsfrei in der Krankenversicherung und Rentenversicherung der Arbeiter seien nur solche Studierende, die trotz ihrer Beschäftigung ganz oder überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen würden. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt, D. sei nicht exmatrikuliert gewesen, er habe später das Studium fortgesetzt. Die Auffassung des LSG, daß D. bis zur Fortsetzung seines Studiums im Oktober 1964 nicht ordentlich Studierender i.S. des § 1228 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen sei, würde zur Folge haben, daß jede Unterbrechung des Studiums, beispielsweise durch die Semesterferien, die ordentliche Studenteneigenschaft in Frage stelle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 12. Juni 1968 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Juni 1967 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 1966 idF des Widerspruchsbescheides vom 17. August 1966 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist nicht begründet.

D. war während der Zeit vom 13. Februar bis 30. September 1964 bei der Klägerin als Arbeiter gegen einen wöchentlichen Lohn von 135 IM beschäftigt und unterlag grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung der Arbeiter (§ 165 Abs. 1 Nr. 1, § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Er ist auch während dieser Zeit nicht versicherungsfrei in der Krankenversicherung gewesen. Nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO idF der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl I 41), sind versicherungsfrei diejenigen Personen, die "zu" oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind. Zur Gruppe derer, die "zu" ihrer wissenschaftlichen Ausbildung gegen Entgelt tätig sind, gehören insbesondere die Praktikanten, die in der Regel vor Beginn des Studiums eine mit ihrer wissenschaftlichen Ausbildung zusammenhängende praktische Tätigkeit verrichten müssen, aber auch Personen, die sich nach abgeschlossenem Studium einer praktischen Arbeit zu ihrer weiteren wissenschaftlichen Ausbildung unterziehen. Zur Gruppe derjenigen, die "während" ihrer wissenschaftlichen Ausbildung gegen Entgelt tätig sind, zählen im wesentlichen die "Werkstudenten". Das sind nach der Rechtsprechung des Senats Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch ihre Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen (vgl. Urteil des Senats vom 30. Januar 1963 in BSG 18, 254 = SozR Nr. 11 zu § 172 RVO mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts). D. hat als Arbeiter bei der Klägerin unstreitig keine Tätigkeit verrichtet, die zu seiner Ausbildung als Ingenieur in der Fachrichtung Maschinenbau erforderlich oder dafür in ihrer Art sachdienlich war. D. war aber auch nicht während seiner wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf bei der Klägerin beschäftigt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG war D. mit dem Ende des Wintersemesters 1963/64 tatsächlich aus der Akademie ausgeschieden. Nach der Mitteilung des O-Polytechnikums bestand nach dem Ausscheiden bis zur Wiederaufnahme des Studiums im Oktober 1964 kein Studienverhältnis mehr; der Studienausweis war mit dem Ausscheiden automatisch ungültig geworden.

D. war auch in der Rentenversicherung der Arbeiter nicht versicherungsfrei. Nach § 1228 Abs. 1 Nr. 3 RVO ist nur versicherungsfrei, "wer während der Dauer seines Studiums als ordentlich Studierender einer Hochschule oder einer sonstigen der wissenschaftlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Entgelt beschäftigt ist." Selbst wenn der Kläger eine Beschäftigung neben dem Studium ausgeübt hätte, wäre sie deswegen nicht ohne weiteres versicherungsfrei, wie der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgesprochen hat. Das widerspräche auch dem Schutzgedanken der Sozialversicherung, Arbeitnehmern, die u.U. jahrelang eine grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt haben, nur deshalb den Versicherungsschutz zu nehmen, weil sie neben ihrer sie im allgemeinen voll in Anspruch nehmenden beruflichen Tätigkeit ein Studium beginnen, das der Vorbereitung für einen anderen Beruf dient. In BSG 21, 247, 251 hat der Senat die Anwendung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Angestelltenversicherungsgesetz = § 1228 Abs. 1 Nr. 3 RVO u.a. auf solche Personen beschränkt, die neben ihrem Studium einer Beschäftigung nachgehen, die den Beschäftigten regelmäßig nicht voll in Anspruch nimmt, und in seinem Urteil vom 31. Oktober 1967 (BSG 27, 192 = SozR Nr. 3 zu § 1228 RVO) hat er ausgeführt: Nur solche Studierende seien i.S. der genannten Vorschrift versicherungsfrei, deren Zeit und Arbeitskraft ganz oder überwiegend durch ihr Studium in Anspruch genommen werde. Selbst wenn also D. noch weiterhin ordentlich Studierender gewesen wäre, würde Versicherungsfreiheit nicht vorliegen. Wie aber bereits dargelegt, bestand in der Zeit vom 13. Februar bis 30. September 1964 wegen des Ausscheidens des D. aus dem Polytechnikum kein Studienverhältnis mehr, so daß D. auch nicht für diese Zeit als "ordentlich Studierender" angesehen werden kann.

Die Revision meint nun, Beschäftigungen gegen Entgelt in den Ferienzeiten seien ausdrücklich in die Versicherungsfreiheit einbezogen, und der Fall des D. könne nicht anders beurteilt werden. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen. Das Nichtbestehen der Prüfung, das dadurch bewirkte Ausscheiden aus dem Polytechnikum - ganz gleich ob mit oder ohne Exmatrikulation - kann nicht mit dem Ruhen des Schulbetriebes während der Semesterferien, das die Eigenschaft eines ordentlich Studierenden nicht in Frage stellt, verglichen werden. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, daß während der Semesterferien, d.h. also während des Ruhens des Lehrbetriebes, die Bindung an die Hochschule erhalten bleibt und die Fortsetzung des Studiums ohne Einschränkung zu erwarten ist. Bei D. handelt es sich aber nicht um Arbeiten während der Semesterferien, sondern um eine Unterbrechung des Studiums bis zum Beginn des übernächsten Semesters. Ob diese Unterbrechung auf dem freien Willen des D. beruhte oder durch die Studienordnung der Schule begründet war, ist rechtlich unerheblich; denn entscheidend bleibt die Tatsache, daß D. am lehrplanmäßigen Unterricht nicht teilgenommen hat, sondern daß während dieser Zeit die Erwerbstätigkeit im Vordergrund stand.

Da Versicherungsfreiheit weder in der Krankenversicherung noch in der Rentenversicherung der Arbeiter für die errechnete Zeit gegeben war, hat die Beklagte zu Recht Sozialversicherungsbeiträge in der nicht bestrittenen Höhe von 1.080,28 DM von der Klägerin verlangt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60450

BB 1971, 1463 (LT1)

RegNr, 4207

DOK 1972, 147 (S1)

USK, 71137 (ST1-2)

BKK 1971, 303 (LT1)

Breith 1972, 6 (LT1)

Die Beiträge 1972, 254-255 (LT1)

EzS, 130/94

SozR § 172 RVO (LT1), Nr 13

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