Leitsatz (amtlich)

1. Vergebliche Nachfragen im Dezember 1956 nach Beitragsmarken bei der Post stellen keine Bereiterklärung zur Entrichtung von Beiträgen dar, die der in ArVNG Art 2 § 42 S 2 geforderten tatsächlichen Beitragsentrichtung vor dem 1957-01-01 gleichgestellt werden könnte (Bestätigung BSG 1962-03-16 12/4 RJ 54/61 = SozR Nr 6 zu Art 2 § 42 ArVNG).

2. An der Entscheidung 4 RJ 317/62 vom 1962-09-06 (SozR Nr 8 zu Art 2 § 42 ArVNG), wonach Anfang 1957 entrichtete Beiträge ausnahmsweise als vor dem 1957-01-01 geleistet zu berücksichtigen sind, wenn der Versicherte vor diesem Stichtag die erkennbar gewordene Absicht gehabt hat, noch Beiträge für die Jahre 1955 oder 1956 zu entrichten, solche aber bei den Postämtern trotz mehrfachen Versuchs nicht mehr kaufen konnte, weil sie ausgegangen waren, wird nicht festgehalten. (Aufgabe BSG 1962-09-06 4 RJ 317/60 = BSGE 18,1).

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 1960 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Juni 1960 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die am 4. April 1894 geborene Klägerin war von 1912 bis 1928 als Köchin tätig gewesen. Während dieser Zeit sind für sie Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet worden.

Für die Jahre 1949 bis 1955 liegen jeweils 26 freiwillige Wochenbeiträge der Klassen III und II vor. In der Quittungskarte Nr. 11, ausgestellt am 5. Dezember 1955 und aufgerechnet am 4. Januar 1957, sind 26 Beitragsmarken der Klasse II zu jeweils 1,10 DM mit dem Jahresaufdruck 57 für 1956 entrichtet.

Vom 9. April 1957 bis 4. September 1957 war die Klägerin nochmals als Hilfsarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 1. Oktober 1957 erhält sie Rente wegen Berufsunfähigkeit, seit dem 1. April 1959 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dabei sind ihre Renten nach neuem Recht berechnet worden.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Sie begehrt die Berechnung ihrer Rente gemäß Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 nach den für sie günstigeren Vorschriften des alten Rechts. Das Sozialgericht (SG) München hat ihre dahingehende Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat sie noch vorgebracht, sie sei zum Ende des Jahres 1956 bei mehreren Postämtern, darunter bei der Hauptpost in München gewesen, um Beitragsmarken der Beitragsklasse II zu kaufen und für 1956 zu entwerten, sie habe aber keine bekommen, da die Marken überall verkauft gewesen seien.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide vom 11. September 1959 und 23. März 1960 sowie in Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 13. August 1958 diese verurteilt, die Rente nach Art. 2 § 42 Satz 1 ArVNG zu berechnen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anwartschaft aus den bis 1928 entrichteten Beiträgen sei gemäß § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (SVAG) zum 1. Januar 1949 erhalten gewesen. Danach sei die Anwartschaft durch die Entrichtung freiwilliger und rechtswirksamer Beiträge bis zum Jahre 1956 aufrechterhalten worden, obwohl die Voraussetzungen der Halbdeckung (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) bei Inkrafttreten des ArVNG am 1. Januar 1957 nicht gegeben waren. Die in der Zeit vom 1. Januar bis 4. Januar 1957 für das Jahr 1956 nachentrichteten Beiträge hätten nämlich die Anwartschaft erhalten. Daß sie in dieser Zeit geleistet worden seien, ergebe sich daraus, daß die entsprechenden Beiträge in der am 4. Januar 1957 aufgerechneten Quittungskarte Nr. 11 enthalten und Beitragsmarken mit dem Aufdruck 57 verwendet worden seien. Eine solche im Rahmen des § 1442 RVO aF bzw. des § 1418 RVO nF zulässige Nachentrichtung von Beiträgen für das Jahr 1956 in den Jahren 1957 oder 1958 müsse der Entrichtung vor dem 1. Januar 1957 gleichstehen, da trotz der unterbliebenen Entrichtung von Beiträgen im Jahre 1956 für dieses Jahr die Anwartschaft aus den früheren Beiträgen nach altem Recht noch nicht endgültig erloschen, sondern die Wiederherstellung des früheren Versicherungsverhältnisses durch eine fristgerechte Nachentrichtung möglich gewesen sei. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) gegenteilig entschieden und verlangt, daß die zur Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beiträge tatsächlich vor dem 1. Januar 1957 entrichtet worden sind. Dieser Auffassung sei jedoch nicht zu folgen.

Mit der vom LSG zugelassenen und form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des Art. 2 § 42 ArVNG und beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 25. November 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat sich zur Sache nicht geäußert.

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist begründet.

Bei einem in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 eingetretenen Versicherungsfall kann die Rente gemäß Art. 2 § 42 ArVNG nach den Vorschriften des alten Rechts nur dann berechnet werden, wenn die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt erhalten war. Wie der Senat bereits entschieden hat, dürfen bei der hiernach erforderlichen Prüfung der Frage, ob jene Anwartschaft erhalten war, Beiträge, die zwar für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 bestimmt, tatsächlich aber erst nach diesem Zeitpunkt entrichtet worden sind, nicht berücksichtigt werden (BSG 10, 139). Hierzu hat der 12. Senat des BSG weiter entschieden, daß Beiträge, die in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zur Verkündung des ArVNG (26. Februar 1957) für die Jahre 1955 oder 1956 entrichtet sind, nicht anders behandelt werden dürfen als später entrichtete; das bedeutet, daß sie bei der Prüfung der Frage, ob die Anwartschaft aus früheren Beiträgen zum 1. Januar 1957 erhalten war, ebenfalls außer Betracht zu bleiben haben (BSG 15, 271). Dieselbe Auffassung hatte der erkennende Senat bereits früher vertreten (BSG 10, 139), er hat sie jüngst erst erneut wieder bestätigt (SozR Art. 2 § 42 ArVNG Bl. Aa 13 Nr. 8, 4 RJ 317/60 vom 6. September 1962). Er hält an ihr auch fest. Danach können die Renten der Klägerin nicht nach altem Recht berechnet werden, weil sie im Jahre 1956 keinerlei Beiträge entrichtet hatte und deshalb die Anwartschaft zum Ende dieses Jahres aus allen früheren Beiträgen nach § 1264 RVO aF erloschen war, da auch Halbdeckung nicht vorlag.

Die zum Teil in der Rechtsprechung und im Schrifttum gegen die genannten Urteile des BSG vorgebrachten Bedenken und Einwände vermögen nicht, den Senat von der Unrichtigkeit seiner bisherigen Auffassung zu überzeugen. Insbesondere gilt dies von der Ansicht, bis zum Ablauf der Nachentrichtungsfristen des § 1442 Abs. 1 RVO aF und des § 1418 Abs. 1 RVO nF habe die Anwartschaft aus den früheren Beiträgen sich noch in einem Schwebezustand befunden, so daß eine abschließende Entscheidung über ihre Erhaltung zum 1. Januar 1957 zu diesem Zeitpunkt weder in positivem noch in negativem Sinne möglich gewesen sei (so noch wieder das SG Gelsenkirchen, SGb 1963, 84); teilweise wird in diesem Zusammenhang, und zwar nicht nur vom Berufungsgericht, sondern auch sonst, noch ausgeführt, diejenigen Versicherten, die noch die Möglichkeit gehabt hätten, durch eine Nachentrichtung von Beiträgen innerhalb der hierfür vorgesehenen Fristen den Anschluß an ihre frühere Versicherung wieder herzustellen, hätten den Status eines bedingten Versichertseins gehabt. Alle diese Auffassungen berücksichtigen nicht genügend, daß derjenige, der zum Ende des Jahres 1956 keine Beiträge für dieses Jahr aufzuweisen hatte, mit dem Beginn des 1. Januar 1957 nicht mehr versichert war; er war es erst wieder mit dem Zeitpunkt der zulässigen Nachentrichtung. Es gibt somit keinen Status des bedingten Versichertseins, denn entweder genießt der Versicherte Versicherungsschutz, oder er hat ihn nicht mehr. Denkbar ist lediglich, daß jemand aus dem Kreise der zur Fortsetzung ihres Versicherungsverhältnisses Berechtigten noch nicht endgültig ausgeschieden ist. Das ist aber etwas anderes als ein bedingtes Versichertsein. Nur in diesem Sinne ist auch die Entscheidung Nr. 1045 des Reichsversicherungsamts - RVA - (AN 1903, 371) zu verstehen.

Art. 2 § 42 ArVNG geht von der Fiktion des Eintritts eines Versicherungsfalles zum 1. Januar 1957 aus, wie sich u. a. daraus ergibt, daß er auf die Erhaltung der Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt abstellt, und daß er für die Rentenberechnung, sofern sie nach altem Recht erfolgt, nur die bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt. Er verlangt deshalb, daß der Rentenberechtigte zu diesem Zeitpunkt tatsächlich versichert war. Das aber war derjenige nicht, der zum 1. Januar 1957 die Anwartschaft aus früheren Beiträgen nicht erhalten hatte.

Die auch vom Berufungsgericht an der Rechtsprechung des BSG geübte Kritik beruht ersichtlich vorwiegend auf dem Gedanken, daß jene zu unbilligen Ergebnissen führe. Einer solchen Auffassung vermag der Senat aus den bereits in BSG 15, 271, 276 angeführten Gründen nicht zu folgen. Es geht nicht an, eine Ungerechtigkeit oder eine Unbilligkeit allein darin zu sehen, daß bei einem neuen, d. h. nach dem 31. Dezember 1956 eingetretenen Versicherungsfall der Versicherte nicht mehr das erhält, was er nach früherem Recht hätte bekommen können. Der Übergang von dem Prinzip der bisherigen Mindestrente, die im wesentlichen kein Äquivalent für eigene Leistungen darstellte, sondern aus sozialen Gründen vom Staat gewährt worden ist, zur beitragsgerechten Rente war vom Gesetz gewollt, und diese grundsätzliche sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers haben die Gerichte bei der Auslegung des Gesetzes zu beachten.

Unerheblich ist, daß die Klägerin sich Ende 1956 mehrfach vergeblich bemüht haben will, Beitragsmarken der Klasse II bei der Post zu erwerben. Zwar ist, wie der 12. Senat bereits entschieden hat (SozR Art. 2 § 42 Bl. Aa 10 Nr. 6), die Rente auch dann gemäß Art. 2 § 42 ArVNG nach altem Recht zu berechnen, wenn der Versicherte sich vor dem 1. Januar 1957 bereit erklärt hat, die zur Erhaltung seiner Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt erforderlichen Beiträge nachzuentrichten, und dies in angemessener Frist geschieht. Wie der 12. Senat jedoch weiter entschieden hat, stellte die Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post keine Bereiterklärung zur Nachentrichtung von Beiträgen im Sinne des § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF dar (BSG 15, 267). Allerdings hat der erkennende Senat in dem genannten Urteil vom 6. September 1962 noch weiter ausgeführt, daß zu Gunsten eines Versicherten, der vor dem 1. Januar 1957 die erkennbar gewordene ernsthafte Absicht gehabe habe, noch Beiträge für die Jahre 1955 und 1956 zu entrichten, und hieran ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, diese Beiträge ausnahmsweise zu berücksichtigen seien, falls er sie alsbald nach Wegfall des Hindernisses entrichtet habe; als Nichtverschulden in diesem Sinne sei es anzusehen, wenn ein Versicherter im Dezember 1956 mehrfach versucht habe, bei der Post Beitragsmarken zu kaufen, um sie noch im Jahre 1956 für dieses oder das vorhergehende Jahr zu entrichten, er seine Absicht aber nicht habe verwirklichen können, weil die Post keine Beitragsmarken mehr vorrätig gehabt habe. Hieran hält der Senat jedoch nicht fest. Die Annahme einer unverschuldeten Beitragsunterlassung scheitert in solchen Fällen, wie der 12. Senat in BSG 15, 267, 270 mit Recht ausgeführt hat, daran, daß der Versicherte jederzeit vor einer zuständigen Stelle sich zur Entrichtung von Beiträgen hätte bereiterklären können.

Damit mußte auf die Revision der Beklagten, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 133

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